KULTURELLES CHAOS, POLITIX UND WARPZONEN
Kommunikation und andere schlechte Ratschläge für eine andere Beziehungspraxis
Sich jenseits von Zweierbeziehungen, Vorgaben und Geschlechterrollen aufeinander beziehen – das hört sich schön an. Wer den Versuch wagt, diese Utopie auch umzusetzen, wird in der „Praxis“ mit vielen Problemen und Widersprüchen konfrontiert sein. Das ist nicht überraschend – aber für viele lähmend, anstrengend. Die Schwierigkeiten sind dabei so vielfältig wie die Menschen selbst. Und auch aus prinzipiellen Erwägungen kann es gerade keine „Anleitung“ für unnormierte Begegnungen geben, die den jeweils individuellen und konkreten Wünschen entspringen. Dennoch unterbreitet dieser Text ein paar schlechte Ratschläge, auf die du vielleicht zurück greifen magst ... oder auch nicht.
„it's all about communication“
Eine Beziehungspraxis auf der Basis von Autonomie und freier Vereinbarung ist nur denkbar als ein bewusster, reflektierter Prozess, der sich aktiv gegen die Vorgaben der uns umgebenden Welt, aber auch die Normierungen stemmt, die wir selbst verinnerlicht haben. Es bedeutet, dass Menschen sich darüber verständigen, was sie miteinander anstellen wollen und was nicht. Wenn nicht Normen oder unausgesprochene Erwartungshaltungen das Miteinander bestimmen sollen, ist eine intensivere, offene Kommunikation unabdinglich: Das Mitteilen von Bedürfnissen, spontanen Empfindungen, Grenzen und Ängsten ist eine wesentliche Voraussetzung für einen anderen Umgang miteinander, der sich ständig hinterfragt und neu entwirft.
Ziel dieser Kommunikation könnte sein ...
Diese Kommunikation fällt nicht vom Himmel – es ist ein offener Lernprozess, der mit vielen, zuweilen nervigen Hindernissen kämpft.
Keine „Verhandlung“ über Bedürfnisse
Gerade in Bezug auf sexuelle Nähe (ja, auch das ist nur eine sprachliche Hilfskonstruktion ...) erscheint Kommunikation schwierig. Zum einen ist es schwer, für sich selbst klar zu kriegen, was die eigenen Wünsche sind – da diese ja nicht frei von Normierungen sind. Es fehlt teilweise einfach die Übung darin, Bedürfnissen nachzuspüren, ohne diese in Kategorien zu pressen. Dabei kann es ganz schön spannend sein, sich selbst Fragen wie „Was fasziniert mich an dieser Peron?“ oder „Was wünsche ich mir gerade?“ zu stellen – auch oder gerade weil keine eindeutige Antwort zu erwarten ist.
Zum anderen ist es in der dominanten Kultur nicht üblich, offen über Anziehung, Bedürfnisse nach Nähe oder Sexualität zu reden, geschweige denn darüber zu „verhandeln“. In der romantische Vorstellung wird stillschweigend voraus gesetzt, dass die Beteiligten irgendwie wissen, was sich die andere Person wünscht. Unter diesem romantischen Denkmantel kann sich dann umso ungebrochener die patriarchale, meistens heterosexuelle Normalität durchsetzen, die von Grenzüberschreitungen, Rollenbildern und Normen geprägt ist. Im besten Fall kommt dabei ein mehr oder weniger gelungenes Ratespiel heraus. Auch im Bett bzw. überall dort, wo sexuelle Annäherung statt findet, ist verbale Kommunikation tabu – es gibt ja einen immer wieder bewährten „Fahrplan“, die Hierarchie der Berührungen (mit der mythisch aufgeladenen Eisbergspitze „Orgasmus“).
Wo Wünsche nicht kommuniziert werden können, kann schnell ein angespanntes, verkrampftes Klima entstehen, das überhaupt nicht lustvoll oder „romantisch“ ist: Es besteht ein wahnsinniger Druck, instinktiv das „Richtige“ zu tun. Das Bild der starken, tollen Liebhaberin duldet keine Nachfragen, auf welche Weise die andere Person eigentlich gestreichelt, geküsst oder stimuliert werden will. Denn das, was Menschen als schön empfinden, kann und ist häufig völlig unterschiedlich.
Und ja, offene Kommunikation kann mitunter tatsächlich sehr „unromantisch“ werden, weil z.B. sehr früh auseinander klaffende Bedürfnisse klar werden – aber ich finde es wichtig, um andere Menschen nicht zu verletzen. Denn ebenso wenig wie der „normale“ heterosexuelle Fahrplan vorausgesetzt werden kann, kann ich bei keiner neuen Begegnung ausgehen, das mein Gegenüber keine isolierte Zweierberziehung will. Wo die Hoffnungen, Wünsche und Gefühle, welche die beteiligten Menschen mit in eine Begegnung tragen, nicht mitgeteilt werden, sind Verletzungen eigentlich vorprogrammiert. Wenn du einer Person einfach nur einen Augenblick nah sein möchtest, dein Gegenüber aber von einer innigen Beziehung träumt, kann es ziemlich verantwortungslos sein, direkt mit dem Knutschen anzufangen, ohne einander die unterschiedlichen Erwartungen kommuniziert zu haben.
Trotz der viel beschworenen Offenheit ist es für viele Menschen – mindestens anfangs – total schwierig, über sexuelle Phantasien, Wünsche und Grenzen zu sprechen oder sich gegenseitig auszutauschen. Dabei würde es gerade dieser Austausch erleichtern, spontaner und einfühlsamer zu agieren, wenn Menschen körperliche Nähe zu einander aufbauen. Und wo Menschen diese Kommunikation versuchen, können viele Ängste abgebaut und Situationen „entschärft“ werden, die vorher mit ganz viel Druck belegt waren. Zum Beispiel weil es selbstverständlich wird darüber zu reden, welche Berührungen als angenehm oder unangenehm empfunden werden, wie du am liebsten gevögelt werden willst oder wie du andere gerne vögeln würdest. Oft werden in der Kommunikation viele Phantasie und Wünsche erst entdeckt oder entwickelt, weil sich die beteiligten Menschen selber intensiver mit diesen Fragen beschäftigen.
Rollen hinterfragen und neu „aufrollen“
Wo es darum geht, nicht den herrschenden Bildern zu folgen, ist die Auseinandersetzung mit Herrschaftsverhältnissen inklusive subtiler Normen nicht weit – oder: sollte es zumindest sein.
Es gibt kein außerhalb der Matrix – in unterschiedlicher Abstufung sind wir alle zugerichtet worden, uns konform zu verhalten und der zugewiesenen Rolle zu entsprechen. Aus der bewussten Ablehnung der gesellschaftlichen Normalität ergibt sich leider nicht automatisch, dass all die Rollenlogiken und -bilder passe sind, die uns von Geburt an begleiten und unser Denken und Fühlen durchdringen.
Auch in Zusammenhängen, die sich als emanzipatorisch bezeichnen oder verstehen, wird immer wieder Normalität abgebildet – oft ist es die fehlende Bereitschaft zur selbstkritischen Auseinandersetzung, aber sicher auch Angst. Denn es ist nicht unbedingt angenehm sich einzugestehen, dass wir ganz schön fest in den Mustern stecken, die wir "eigentlich" ablehnen.
Aber jede Begegnung zwischen Menschen kann auch ein Ort sein, diese Verhältnisse und unsere eigene Verstrickung in diese zu reflektieren. Ein ständiges, gegenseitiges Hinterfragen kann anstrengend sein – aber auch immer wieder für spannende, lustvolle Entwicklungen sorgen. Es setzt voraus, das alle Beteiligten dazu bereit sind, sich mit sich selbst und der eigenen Rolle auseinander zu setzen. Nur ein paar der möglichen Fragen: Gibt es eingefahrene Abläufe? Wer bestimmt das Geschehen? Wer „leitet“ das Knutschen ein, wer beendet es? Gibt es eine Hierarchie der Berührungen? Gebe ich geschlechtsspezifisches Verhalten wieder?
Wichtig ist mir dabei die Unterscheidung zwischen unbewusst reproduzierten Machtverhältnissen und der Inszenierung von Machtverhältnissen, die auf freien Vereinbarungen beruhen und die z.B. in einigen Spielarten des Sado-Masochismus umgesetzt werden.
Sich die existierenden Rollen bewusst zu machen kann neue Räume öffnen, um sich neu zu inszenieren und einen spielerischen Umgang damit zu finden – z.B. indem bewusst Verabredungen getroffen werden, die gewohnten Muster zu verdrehen, zu vertauschen und zu verändern. Auch in dieser Hinsicht kann die Auseinandersetzung mit der SM-Szene produktiv sein (auch ohne selber SM-Praktiken, die ja sehr vielfältig sind, nachgehen zu wollen).
Let's talk about Eifersucht
Eifersucht kann schrecklich sein. Aber viel schlimmer kann es sein, wenn darüber nicht mehr geredet werden kann, weil wir uns ja so cool und emanzipiert geben. Deshalb ist es ganz wichtig, immer für eine Atmosphäre zu sorgen, in der keine befürchten muss, wegen Verlustängsten oder Eifersucht nieder gemacht zu werden. Zumal auch verdrängte oder unterdrückte Eifersucht sich irgendwo „entlädt“.
Ich glaube, dass Eifersucht vor allem etwas mit der Person zu tun hat, welche diese empfindet. Meiner Erfahrung nach basiert sie fast immer auf „Ego-Knicks“ – das einer selbst das Gefühl fehlt, ein toller, liebenswerter, „vollständiger“ Mensch zu sein. Ich selber neige jedenfalls nur dann zu anhaltenden Verlustängsten, wenn mein Selbstbewusstsein kränkelt und ich niedergeschlagen bin – dann kann es mich total angreifen, wenn Menschen, die ich mag, anderen ihre Zuneigung zeigen.
Aus diesem fehlenden Selbstvertrauen heraus kann nicht das Vertrauen in andere entwickelt werden, dass diese dich als besondere Person mit all deinen Ecken und Kanten mögen – und du genau deshalb nicht „ausgewechselt“ werden kannst. Dieses „Unvollständig“-Fühlen führt zur Flucht in Beziehungen, in der eine andere Person mit Projektionen überfrachtet wird, die unerfüllbar sind und das Problem auch gar nicht lösen. Weil es eigentlich darum gehen müsste, ein positives Grundverhältnis zu sich selbst aufzubauen, das es ermöglicht, als eigenständiger Mensch auf andere eigenständige Menschen zu zu gehen.
Dazu kommt, das es mächtige Diskurse gibt, die Eifersucht formen und in bestimme Bahnen lenken – während nur wenige die Nase rümpfen, wenn geliebte Menschen sich mit anderen vergnügen, indem sie Tennis spielen, entsteht rasende Eifersucht, wenn die gleichen Menschen irgendwie das Monopol auf körperliche, emotionale oder sexuelle Zuneigung antasten.
All das ist natürlich keine vollständige Analyse – was Eifersucht und ihre Hintergründe ausmacht, kannst nur du selbst heraus finden, vielleicht mit Unterstützung von Menschen, denen du vertraust. Denn die Auseinandersetzung mit Eifersucht kann ziemlich tief in die persönliche Geschichte hinein reichen. Hilfreich kann es sein, sich gegenseitig jenseits ritualisierter „Liebes“-Bekundungen mitzuteilen, warum mensch die andere mag, was sie als besondere Person ausmacht. Und natürlich das praktische Erleben, dass die Zuneigung zu dir nicht endet oder du ausgetauscht wirst, wenn andere Menschen weitere emotionale Bindungen eingehen.
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