INSIDE VIEW   



Japan-Brief VI

Sex, Gender, Identitäten

»In Japan \ in dem Land, das ich Japan nenne / liegt die Sexualität im Sex und nicht anderswo; in den Vereinigten Staaten ist es umgekehrt: der Sex ist überall, nur nicht in der Sexualität.« (Roland Barthes: Im Reich der Zeichen)

Japan (vielleicht Asien, ich weiss das nicht). Befreit von der Forderung eines einheitlichen Charakters. Sie sind Situationisten. Es gibt hier nicht diese identitaere Kompaktheit, die im Westen verlangt, jeden Scheissdreck zur Kirche zu erheben. Beispiel: Du triffst hier in der schwulen Szene Skateboardboys. Im Westen ausserhalb eines Darkrooms undenkbar. Zwei Szenen, die sich gegenseitig ausschliessen. Hier ist es nur Musik oder ein Holzbrett zur schnelleren Fortbewegung oder eine Vorliebe fuer konkrete sexuelle Handlungen. Es ist nicht mit der Uebernahme einer kompletten, vorgeformten Identitaet verbunden.

Ich treffe Hidai.; Er hat eine ziemlich wilde Samurai\Energie dabei, ich den Narren, mal wieder. Er mag die Narrenenergie, ich den Samurai. Wir beginnen zu verhandeln.
  Ich muss einschieben: die Koerper. In Japan beruehren sie dich. Alle und staendig. Ohne Angst und Hintersinn, die Geste bedeutet nur, was die Geste bedeutet. Keine christliche Tradition, der Koerper ist nicht Suende, die Lust nicht verpoent. Keine US\Sex_Neurose: Alles ist an seinem Ort. Der Sex beim Sex, das Gespräch beim Gespräch, das Finanzkapital in Tokyo, die Industrie in Kansai.

Hidai ist ein Punksamurai, 25 und verheiratet. In Deutschland   undenkbar!
Auch das.
  Ich fasse nicht, was passiert. Hidai beruehrt mich pausenlos. Ich gehe aufs Klo, er hinterher, es ist wie mit 12 in der Ausprobierphase. Hidai ist ein Punk, zeigt mir ein Video seiner Punkband, beruehrt mich, wir spielen Bob Marley auf Gitarren, singen den Redemption Song, er hat was zu rauchen etc. Ende vom Lied: ich fahre meine schwule Identitaet auf und versaue alles. Ich zerstoere das Gleichgewicht. Er hat gar keine feste Identitaet, geschweige denn eine heterosexuelle. Ich komme daher und druecke ihn mit einem kompakten Konzept an die Wand, breche die Grenze zwischen Latenz und Manifestation, zwischen Handlung und Identitaet. Natuerlich hat er keinen Bock, sich aus seiner identitaetslosen Freiheit ins Gefaengnis meiner Identitaet zu begeben, die noch dazu nicht zu ihm passt, weil er zwar Punk ist und Maenner begrapscht, aber auch verheiratet und ein Kind ist unterwegs. Ausserdem ist er Samurai und dementsprechend selbstbewusst. Okay, wir duesen noch total dicht auf seinem Motorad durch Tokyo und das ist ziemlich super, aber die Moral von der Geschicht: meine Karten haben nicht zum Spiel gepasst.

Wir haben im Westen eine schwulen Identitaet entwickelt, weil die anderen sich eine Kampfidentitaet aufgebaut haben und uns fertigmachen wollten. Also haben wir gesagt: KZ und Knast, war alles ganz nett, aber jetzt reichts, Stonewall\Riot. Aus der Situation im Westen folgerichtig, effektiv, schön und gut.
  Aber auch dort vorbei. Die schwule Identitaet als reine Spiegelung der heterosexuellen Mehrheitsidentität war eine Phase, die historisch notwendig war, ins Queere ueberwunden worden ist und die es in Asien so niemals geben wird.
  Der Sprung ins Queere bedeutet die Zerschlagung des Subjektkonzepts als kompakte, in sich nicht\:widerspruechliche Einheit.

Ergo* Ich habe beschlossen, jene Donna\Identitaet, die ich seit geraumer Zeit dabei bin extra fuer Japan zu konstruieren, nicht schwul/gay sein zu lassen.
  Sie, diese Kunstfigur die hier meinen Körper umgeben wird, wird Männer lieben und Sex mit ihnen haben. Aber ich werde sie nicht mit dem Etikett schwul/gay und der dazugehörigen kollektiven Geschichte ausstatten.
  Das gehört nicht hierher.
Im Westen hilfts \ hier nervts nur. So easy und ich bin keine Dogmatikerin und Scheisse auf meine Attribute. Ich habe sie mir erfunden, ich kann sie mir abschaffen, ich> körperkollektives Identitaetsprojekt Donna/das_Flori/manymoretocome

  Körperkollektive Identitätsbaustelle "das_flori" e.V. +++ D.O.N.N.A. on tour +++