KULTURELLES CHAOS, POLITIX UND WARPZONEN   



revolt.deconstruct.mutate!

Denn der Wille, dagegen zu sein, bedarf in Wahrheit eines Körpers, der vollkommen unfähig ist, sich einer Befehlsgewalt zu unterwerfen; eines Körpers, der unfähig ist, sich an familiäres Leben anzupassen, an Fabrikdisziplin, an die Regulierungen des traditionellen Sexuallebens usw. (Sollten Sie bemerken, dass ihr Körper sich diesen >normalen< Lebensweisen verweigert, so verzweifeln Sie nicht - verwirklichen Sie Ihre Gaben!).

Diejenigen, die "dagegen sind" und deshalb aus den lokalen und partikularen Zwängen ihres Daseins entfliehen, müssen darüber hinaus ständig versuchen, einen neuen Krper und ein neüs Leben aufzubaün. Das ist notwendigerweise ein gewaltsamer, barbarischer übergang, doch es ist zugleich, wie Walter Benjamin sagt, ein positives Barbarentum: >Barbarentum? In der Tat. Wir sagen es, um einen neuen, positiven Begriff des Barbarentums einzuführen. Denn wohin bringt die Armut an Erfahrung den Barbaren? Sie bringt ihn dahin, von vorn zu beginnen, von Neüm anzufangen (...).< (Benjamin, 1933, 215) Der neue Barbar >sieht nichts Daürndes. Aber eben darum sieht er überall Wege. Wo andere auf Maürn oder Gebirge stossen, auch da siehr er einen Weg. Weil er aber überall einen Weg sieht, hat er auch überall aus dem Weg zu räumen. (...) Weil er überall Wege sieht, steht er selber immer am Kreuzweg. Kein Augenblick kann wissen, was der nächste bringt. Das Bestehende legt er in Trümmer, nicht um der Trümmer, sondern um des Weges willen, der sich durch sie hindurchzieht.< (Benjamin, 1931-33, 398) Die neuen Barbaren zerstören mit affirmativer Gewalt und bahnen neü Lebenswege durch ihre eigene materielle Existenz. (Rehzi bemerkt: das vor dem Hintergrund der 9-11 geprägten Begrifflichkeit von "Zivilisation" zu lesen!)

Diese barbarischen Entwicklungen wirken sich allgemein auf die menschlichen Beziehungen aus, doch wir können sie heute zuallererst und am deutlichsten in den körperlichen Beziehungen und in den Konfigurationen von Geschlecht und Sexualität erkennen (vgl. Peraldi 1981; Lotringer 1988; Kroker 1993; Acker 1988;). Die konventionellen Normen körperlicher und sexueller Beziehungen zwischen und innerhalb de Geschlechter werden zunehmend in Frage gestellt und transformiert. Die Körper selbst verändern sich und mutieren zu neuen, posthumanen Körpern (vgl. Halberstamm/Livingston 1995, 1-19; Shaviro 1993; Lingis 1994; Stelarc 1984;). Dier erste Bedingung dieser körperlichen Transformation ist die Erkenntnis, dass die menschliche Natur in keiner Weise von der Natur als ganzer zu trennen ist, dass es keine festen und zwingenden Grenzen zwischen Mensch und Tier, Mensch und Maschine, Mann und Frau usw. gibt - die Erkenntnis, dass die Natur selbst ein künstliches Terrain ist, das offen ist für immer neü Mutationen, Vermischungen und Hybridbildung. Wir unterlaufen nicht nur ganz bewusst die traditionellen Grenzen, wenn wir beispielsweise als Männer in Frauenkleidung auftreten, sondern wir bewegen uns auch in einer kreativen, unbestimmten Zone au milieu, inmitten dieser Grenzen und ohne auf sie zu achten. Die heutigen körperlichen Mutationen stellen einen ANTHROPOLOGISCHEN EXODUS dar und bilden ein ausserordentlich wichtiges, aber noch immer ziemlich ambivalentes Element bei der Entstehung eines Republikanismus (Rehzi: dieser Begriff wird hier in einem bestimmten Kontext verwendet, und ist nicht mit den deutschen oder amerikanischen "Republikanern" als solche verwandt) >gegen< die imperiale Zivilisation. Der anthropologische Exodus ist vor allem deshalb von Bedeutung, weil sich hier zum ersten Mal das positive, konstruktive Gesicht der Mutation zeigt: eine gerade sich vollziehende, ontologische Mutation, die konkrete Erfindung eines ersten neuen Orts im Nicht-Ort (Rehzi: Das Empire wird als Nicht-Ort beschrieben, für Erklärung Buch selber lesen!). [...]

Dieser Begriff des anthropologischen Exodus ist jedoch noch immer höchst ambivalent, weil seine Methoden, nämlich Hybridbildung und Mutation, genau die gleichen sind, die auch die imperiale Souveränität anwendet. [...] Wir müssen uns und unsere Körper sicherlich verändern, und das vielleicht weitaus radikaler, als es sich die Cyberpunk AutorInnen ausmalen. In unserer heutigen Welt sind die gängigen ästhetischen Mutationen des Körpers ( Piercings, Tattoos, Punk>Mode<) erste Anzeichen dieser körperlichen Transformation, doch am Ende werden sie geradezu belanglos sein im Vergleich zu der Art radikaler Mutation, die nötig sein wird. Denn der Wille, dagegen zu sein, bedarf in Wahrheit eines Körpers, der vollkommen unfähig ist, sich einer Befehlsgewalt zu unterwerfen; eines Körpers, der unfähig ist, sich an familiäres Leben anzupassen, an Fabrikdisziplin, an die Regulierungen des traditionellen Sexuallebens usw. (Sollten Sie bemerken, dass ihr Körper sich diesen >normalen< Lebensweisen verweigert, so verzweifeln Sie nicht - verwirklichen Sie Ihre Gaben!). Doch der neue Körper muss nicht nur radikal ungeeignet für die Normalisierung sein, sondern auch in der Lage, neüs Leben zu schaffen. Wir müssen viel weiter gehen, um diesen neuen Ort des Nicht-Orts zu bestimmen, weit über die simplen Erfahrungen der Vermischung und Hybridbildung und die damit zusammenhängenden Experimente hinaus. [...] Die unbegrenzten Wege der BarbarInnen müssen eine neue Lebensweise formen.

Solche Transformationen werden jedoch immer schwach und ambivalent bleiben, solange man sie nur im Hinblick auf Form und Ordnung betrachtet. Hybridität an sich ist eine leere Geste, und die blosse Verweigerung von Ordnung lässt uns lediglich an der Schwelle zum Nichts zurück - oder schlimmer: DIese Gesten drohen die imperiale Macht zu stärken, statt sie in Frage zu stellen. Die neü Politik wird nur dann eine wirklich substanzielle sein, wenn wir unseren Blick von der Frage der Form und Ordnung abwenden und stattdessen auf die Regime und Praktiken der Produktion richten. Im Bereich der Produktion werden wir erkennen können, dass diese Mobilität und Künstlichkeit nicht nur Ausnahmeerfahrungen kleiner, privilegierter Gruppen darstellen, sondern auf die gemeinsame Produktionserfahrung der Multitude verweisen. Schon im 19. Jh. erkannte man, dass die Proletarier die Nomaden der kapitalistischen Welt waren. [...] Die anthropologischen Metamorphosen der Körper ergeben sich aus der gemeinsamen Arbeitserfahrung und den neun Technologien, die konstituive Auswirkungen und ontologische Implikationen besitzen. Werkzeuge dienten schon immer als menschliche Prothesen, die als eine Art anthropologischer Mutation (und zwar sowohl in individüller Hinsicht wie im Hinblick auf das kollektive Gesellschaftsleben) über unsere Arbeitspraktiken in unsere Körper integriert sind. [...]

[Wir sind mit der Aufgabe zurückgelassen, ] im Nicht-Ort einen neuen Ort zu schaffen: ontologisch neü Bestimmungen des Menschen, des Lebens zu konstruieren - eine mächtige Künstlichkeit des Seins. Donna Harraways Fabel vom Cyborg, der an der ambivalenten Grenze zwischen Mensch, Tier und Maschine angesiedelt ist, liefert uns heute einen weitaus tieferen Einblick in diese neuen Möglichkeitsräume als die Dekonstruktion, aber wir sollten zugleich daran denken, dass es sich dabei um nicht mehr als eben eine Fabel handelt. [...]

Heute republikanisch zu sein heisst somit zuallererst, innerhalb des Empire zu kämpfen und aus seinem hybriden, modulierenden Terrain einen Gegenentwurf zum Empire zu entwickeln. Und an dieser Stelle sollten wir gegen alle Moralismen, gegen alle Vorbehalte und nostalgische Anwandlungen hinzufügen, dass dieses neü imperiale Terrain grössere Möglichkeiten für schöpferische Tätigkeit und Befreiung bietet. Die Multitude mit ihrem Willen, dagegen zu sein, und mit ihrem Wunsch nach Befreiung muss durch das Empire hindurch, um auf die andere Seite zu gelangen.

Quelle: Empire, Intermezzo: Gegen-Empire, Seite 227, by Hardt/Negri 2000