KULTURELLES CHAOS, POLITIX UND WARPZONEN
Sommer Sonne PiratInnen
"Die Seeräuber und Korsare des 18.Jahrhunderts schufen ein »Informationsnetzwerk«, das den Globus umspannte: primitiv und primär dem harten Business gewidmet, funktionierte das Netz dennoch auf bewundernswerte Weise. Das Netz bestand aus versprengten Inseln, entlegenen Verstecken, wo Schiffe vor Anker gehen und mit Proviant beladen, Raubgut und Beute gegen Luxusgüter und Notwendigkeiten getauscht werden konnten."
Hakim Bey, Die Temporäre Autonome Zone
Bei Piraten denkt man(n) heute an Pistolen, Säbel und
ungewaschene Männer. Doch ein Blick in die hall of fame der Piraterie
lässt nur die Waffen und das "ungewaschen" stehen. Die beiden bestbekannten
Piratinnen sind Anne Bonny und Mary "Mark" Read. Und weil die Geschichte
der männlichen Piraten nicht der universitären "historischen
Wahrheit" verpflichtet ist, soll und kann diese es auch nicht sein.
Und es geht nicht nur darum, zu zeigen, dass PiratInnenleben
nicht so spiessig und heterosexuell war, wie es in Kinderbüchern
und Fehrnsehfilmen vorgestellt wird. Sinn ist auch, die alten Legenden
am Leben zu erhalten in unserer Gesellschaft von Konsum und Spektakel.
Anne Bonny
Sie
wurde als Anne Cormac im County Cork geboren, als Tochter des Dienstmädchens
Mary Brennan und ihres Arbeitgebers, dem Rechtsanwaltes William Cormac,
dessen eifersüchtige Ehefrau die Affaire schnell entdeckte. Um
dem Skandal zu entgehen überquerte er mit seiner Geliebten und
ihrer Tochter den Atlantik um in der "Neuen Welt" zu siedeln.
Gelangweilt von der Plantage ihres Vaters trieb sie sich
lieber im Hafen von Charleston, South Carolina, herum und nahm an dem
wilden Treiben teil. Sie trug ihr feuerrotes Haar kurzgeschnitten, ihr
Gesicht war dreckig und sie benahm sich gelegentlich etwas rowdyhaft,
aber sonst war sie eine nette und hübsche Tochter.
Es wird berichtet, dass sie in den Tavernen am Hafen frequentierte,
in den Armen von so manchem Freibeuter lag und es gilt als gesichert,
dass ein Möchtegern-Liebhaber über einen Monat bettlägrig
war, nachdem sie ihn mit einem Stuhl vermöbelt hatte. Sie hatte
ein aufbrausendes Temperament und konnte gut raufen und fechten; einmal
benutzte sie ihr Schwert, um ihren Fechtlehrer in der Öffentlichkeit
zu entkleiden, Knopf für Knopf.
Anne und James 1
Als
sie sich mit dem Freibeuter James Bonny zusammentat, witterte ihr Vater
schnell, dass dieser nur auf den Plantagenbesitz aus war und enterbte
Anne. Diese brannte mit ihm durch, nicht ohne vorher die Plantage ihres
Vaters niedergebrannt zu haben. Das Paar erreichte den britisch kontrollierten
Hafen von New Providence, das heutige Nassau auf den Bahamas, wo zu
dieser Zeit auch Piraten wie Blackbeard und Captain Kidd anzutreffen
waren.
Als sie dort ankam, machte sie sich gleich einen guten Ruf,
als sie einem besoffenen, einohrigen Seemann, welcher ihr den Ausstieg
blockierte das verbliebene Ohr wegschoss. Ihr Ehemann James nahm nach
kurzer Zeit ein Amnestie-Angebot des Gouverneurs an und verriet seine
alten Piraten-Freunde. Anne verliess den Feigling daraufhin und bevorzugte
die Gesellschaft der berüchtigten Piraten der Insel und die der
Frauen und schwulen Männern die diese liebten.
Nach kurzer Zeit fing sie eine romantische Beziehung mit
dem Piraten John "Calico Jack" Rackham an, der gerade als Kommandant
eines Schiffes voll mit Schnaps im Hafen angekommen war. Obwohl die
beiden später angeblich ein Kind miteinander hatten, war Rackham
wohl nicht nur Quartiermeister, sondern wahrscheinlich auch Liebhaber
des Captain Vane.
Die erste Freibeuterei
Ein
anderer von Annes männlichen Freunden war der - historisch als
ziehmlich sicher nachweisbare - schwule Pierre Bouspeut. Dieser führte
einen coffee shop, Friseursalon und Kostümschneiderei in einem.
Zusammen zogen die beiden ihre erste Freibeuterei durch, als sie von
einem französischen Händler erfuhren, der mit einer wertvollen
Ladung vorbeisegelte. Sie stahlen ein Boot von den Wracks aus dem Hafen
und beschmierten es mit Schildkrötenblut. Sie platzierten einige
von Pierres Schneiderpuppen in blutverschmierten Frauenkleidern und
Anne stand als alptraumhafte Gestalt mit einer bluttriefenden Axt über
diesen Puppen. So segelten sie zum Boot des Händlers. Als die Besatzung
dieses vom Vollmond beschienenes dämonisches Schiff erblickten
waren sie so von Furcht ergriffen, dass sie ihnen den Frachter kampflos
übergaben.
Nicht alle Piraterie war zu dieser Zeit so theatralisch,
dafür aber durchaus häufig in dem Hafen. Um die Sicherheit
wiederherzustellen bot der Gouverneur allen Piraten eine Amnestie an
und versprach Reformen. Aber Anne wusste, dass sie füür den
versuchten Mord an ihrem Vater keine Gnade zu erwarten hatte, und so
brach sie mit Calico Jack und Pierre durch die Blockade des Gouverneurs.
Dazu stand sie wie eine Amazone mit nacktem Oberkörper am Bug,
in eine feine schwarze Samthose gekleidet, die eine Hand am Schwertknauf
und mit der Anderen einen Seidenschal schwenkend. Die Soldaten bekamen
ihre Münder erst wieder zu, als sie schon lange vorbeigesegelt
waren.
An Bord des Schiffes etablierte sie schnell ihre Position,
indem sie unter anderem einen Matrosen erschoss, dessen Aufmerksamkeit
ihr zu aufdringlich wurde. Obwohl sie offiziell nur der zweite Mann
an Bord nach Calico war, schmiss sie ihn aus seiner Kapitänskajüte
und lebte dort allein. Ihre Mannschaft akzeptierte die Amnstie, nachdem
sie auch für Anne gelten sollte und sie kehrten nach New Providence
zurück.
Mary "Mark" Read
Die
andere Frau an Bord des Schiffes, von der berichtet wird, sollte Mary
Read werden. Diese wurde 1690 in London als Tochter eines Seemanns geboren,
dessen Fahrt noch vor ihrer Geburt am Meeresgrund endete. Ihre Mutter
kleidete und erzog sie als Jungen anstelle ihres verstorbenen Sohnes
Mark. Damals durften nur männliche Nachkommen ein Erbe antreten
und nur so konnten sie an den Besitz der Grossmutter gelangen und sich
vor der Armut bewahren. Sie fand aber an ihrer transgenderen Rolle so
viel gefallen, dass sie ihre Mutter enterbte. Er/Sie arbeitete einige
Zeit als Laufbursche für eine reiche Französin, lief dann
aber weg und heuerte als Mann verkleidet auf einem Kriegsschiff an.
Einige Jahre später wechselte er/sie von der Schifffahrt
zur Infanterie und kämpfte in Flandern. Im Gefecht viel er/sie
durch seine/ihre Tapferkeit auf, wurde zum Kadetten befördert und
kam schliesslich zur berittenen Truppe. Im Schützengraben verliebte
sie sich in den jungen Corporal Max Studevand und näherte sich
ihm. Dieser reagierte zunächst hysterisch und homophob und wollte
ihn/sie als Sodomisten dem Vorgesetzten anzeigen, aber Mark/Mary eröffnete
ihm sein/ihr biologisches Geschlecht. Die beiden heirateten nach dem
Krieg und verliessen die Armee um das Gasthaus 'Three Horseshoes' in
der Nähe von Castle Breda zu bewirtschaften.
Sechs Jahre nach der Heirat verstarb ihr Ehemann kurz nachdem
das 'Three Horseshoes' pleite gegangen war. Mary verwandelte sich wieder
in Mark und heuerte auf einem holländischen Sklavenhändler
mit Kurs auf die Karibik an. Auf dem Weg dorthin wurde das Schiff von
Calico Jack Rackham aufgebracht und Mark Read schloss sich den Piraten
an, da ihm/ihr der Sklavenhandel nicht besonders gefiel.
Es gibt eine Geschichte, nach der hatte sie sich in einen
jungen Seemann verliebt, der zunächst ihre Zuneigung nicht erwiederte.
Es begab sich, dass dieser junge Seemann einen andern Piraten beleidigt
hatte, und zum Duell herausgefordert wurde. Um ihren Schwarm zu retten,
beleidigte Mark/Mary diesen Piraten ebenfalls, so dass dieser sie ebenfalls
zum Duell herausfordern musste, und sie setzte als Zeitpunkt eine halbe
Stunde vor dem anderen Duell fest. Mit Säbel und Pistole fackelte
sie nicht lange und hatte so den jungen Seemann gerettet und seine Zuneigung
gewonnen. Dieser war zunächst der einzige an Bord, der ihr biologisches
Geschlecht kannte, da sie sich kleidete, auftrat und kämpfte wie
ein normaler Mann.
Anne und James 2
Als
sie wieder in New Providence vor Anker lagen tauchte James Bonny wieder
auf und entführte Anne, um sein Frau - das hieß damals auch
sein Eigentum - wieder in Besitz zu nehmen. Er brachte sie gefesselt
und nackt vor den Gouverneur, der zugleich auch oberster Richter war,
mit dem Vorwurf, ihren Mann verlassen zu haben. Er schlug "Scheidung
durch Verkauf" vor, was eine eher mässige Strafe darstellte, um
seinen eigenen Profit bei der Versteigerung dabei heraus zu holen.
Calico Jack bot an, sie zu kaufen, aber Anne verweigerte
sich, wie sie sagte "gekauft und verkauft zu werden wie Gaul und Rind".
Dies brachte sie mit solchem Nachdurck vor, dass sich kein anderer Käufer
wagte, an diesem "Höllenhund" Interesse zu bekunden. Der Gouverneur
sah sich gezuwungen, sie freizulassen unter der Bedingung, zu ihrem
"rechtmässigen Herren" zurückzukehren. Aber James, der eigentlich
nur auf das Geld aus gewesen war, floh in Schrecken vor dem Sturm, den
er herauf beschworen hatte. Es gelang ihm gerade noch, der ihn verfolgenden
Anne zu entkomen, aber diese brannte sein Schildkrötengeschäft
nieder.
Anne und Mark
"Die wahre Geschichte von Mary Read und Anne Bonny. Für Lesben, Homosexuelle, Transsexuelle und Transvestiten, mit Bewunderung und Respekt"
(Subcomandante Marcos, The hour of the little ones, IV)
Anne
Bonny fuhr nicht nur mit Calico Jack auf Kaperfahrt, sondern auch mit
seinem Lieutnant Mark Read. Sie hielt ihn für einen attraktiven,
jungen Seemann, der sehr tapfer war. Mit einem gewagten Griff in seine
Hose fand sie heraus, dass der Bursche zwar tapfer, aber kein Bursche
war, und zwischen den beiden entstand eine lesbische Romanze. Die beiden
waren ab da unzertrennlich, was Calipo Jack eifersüchtig werden
liess, bis er eines Tages, mit dem Vorsatz seinem Konkurrenten Mark
die Kehle aufzuschlitzen, die beiden in Annes Kapitänskajüte
zusammen im Bett erwischte und Marks Geheimnis entdeckte.
Nachdem das biologische Geschlecht von Mark bekannt wurde,
nannte sie sich wieder Mary und übernahm mit Anne zusammen das
Kommando auf einem anderen Schiff. Sie kleideten sich abwechselnd in
weiblicher und männlicher Gaderobe und waren ein infernalisches
Piratenpaar. Bewaffnete Schiffe wurden losgeschickt, um diese beiden
"berüchtigten Frauen" zu fangen. Die beiden liessen all Vorsicht
sein und überfielen zahllose andere Schiffe, unter anderem erwischten
sie die 'Royal Queen', die einem von Annes ehemaligen Liebhabern, dem
reichen Childy Bayard gehörte und von Kapitän Hudson kommandiert
wurde.
Dazu verführte Anne Hudson sie abzuschleppen, aber
anstatt mit ihm zu schlafen mischte sie Schlafmittel in seinen Wein.
Danach versetzte sie heimlich die Zünder der Kanonen mit Wasser.
Sie verliess ihn am nächsten Morgen und kehrte mit ihren Piraten
zurück. Die Kanoniere der 'Royal Queen' waren nicht in der Lage
das Feuer zu eröffnen und das Schiff wurde sehr leicht aufgebracht.
Nur Kapitän Hudson wurde in dieser ansonsten unblutigen Schlacht
getötet, durch die eifersüchtige Mary.
Anne
Bonny
Das Ende der Piratinnen
1917
gelang es dem, vom Piraten zum Piratenjäger gewendeten Kapitän
Barnet das vor Jamaika liegende Schiff anzugreifen, als gerade nach
einem erfolgreichen Raubzug die berüchtigte Siegesfeier im Gange
war. Calico Jack Rackham und fast alle Piraten waren zu dem Zeitpunkt
so betrunken, dass sie sich unter Deck versteckten. Nur Anne Bonny und
Mary Read standen ihren "Mann" und kämpften wie Furien.
Wütend über die Feigheit ihrer Männer solle
Anne geschrien haben: "Wenn da ein Mann unter euch ist, dann soll er
herauskommen und kämpfen wie der Mann, für den er sich hält."
Als keine Antwort kam schossen Mary und Anne auf die Piraten, töteten
einen und verwundeten mehrere, unter anderm Jack Rackham. Danach kämpften
sie so heftig, dass es eine ganze Stunde dauerte, bis Barnets gesammte
Mannschaft die beiden überwältigt hatten.
Die Beiden und die anderen Piraten wurden vor Gericht in
St. Jaga de la Vega, Jamaica, gebracht und am 28. November 1720 der
Piraterie für schuldig befunden und zum Tod durch Erhängen
verurteilt. Anne und Marry "flehten um ihre Bäuche" und wurden
begnadigt. Es war damals weit verbreitet unter Frauen, die zum Tode
verurteilt wurden, eine Schwangerschaft vorzugeben, da das 'ritterliche'
Gesetz Frauen keinerlei Rechte einräumte, aber es verbot, ungeborenes
"unschuldiges" Leben zu töten.
Anne besuchte Calico kurz bevor er gehängt wurde und
sagte: "Es tut mir leid, dich in dieser Situation zu sehen, aber wenn
du wie ein Mann gekämpft hättest müsstest du jetzt nicht
sterben wie ein Hund."
Anne Bonny
...haben wir nunmehr beschlossen, schlechtes Leben mehr zu fürchten als den Tod!
(B. Brecht)
Als Mary gefragt wurde, ob sie den Tod fürchte, antwortete sie, dass sie das sterben am Galgen für nicht so grausam empfinde, denn falls dies nicht drohen würde, würden alle Feiglinge Piraten werden und die Meere verseuchen, so dass Menschen mit Mut vor Hunger sterben würden; Sollte die Bestrafung in der Hand der Piraten liegen, dann würde sie keine andere als der Tod sein, denn die Furcht davor lässt einige feige Kriminelle ehrenwert bleiben; sonst würden viele, die heute Witwen und Waise betrügen und ihre armen Nachbarn unterdrücken, die kein Geld haben um sich Recht zu verschaffen, zur See fahren um zu rauben, und der Ozean wäre voll von Dieben wie es heute das Land ist.
Mary starb ein paar Monate später an einem Fieber, dass sie sich im Gefängnis zugezogen hatte. Anne Bonny verschwindet aus der Geschichtsschreibung. Es gibt viele Vermutungen, dass ihr Vater sie freigekauft hätte, sie geheiratet hätte oder gar Nonne geworden wäre. Aber nach so einem Leben ist das reichlich unwahrscheinlich, und wenn nichts mehr über sie berichtet wurde, dann vielleicht um etwas Grosses zu verdecken...