INSIDE VIEW
Seltene Auftau-Hilfen
Das Gefühl ist schon wieder weg – es bleibt eine ferne Erinnerung: Ich in einem Raum, beschallt von der Sanddollars EP von Why?, die ich in fast endlosem Schleifen nach dem Prinzip „Diesen Song noch einmal“ höre. Und dabei endlich wieder aufgetaut, verzaubert ... verliebt ... vielleicht in Anführungszeichen. Überall ein Kribbeln in mir, welches die Schildkrötenpanzer zur Seite schiebt, die mich von mir selber zu trennen scheinen.
Und jetzt stehe ich in seltsam seltenen Glücks-Schauern, die irgendwo zwischen meinen Schultern aufbrechen und mich dann durchstreifen, voller Gefühl und den Tränen wunderbar nah. Beim Hören wandere ich durch Szenen aus der Vergangenheit, die alle auf eine Begegnung im strömenden Regen und die Gesichtszüge einer Person hinaus laufen, die mich ähnlich verzaubert hat wie diese Musik. Erinnerungen, weit entfernt von diesem Ort – doch es fühlte sich wie „eben war’s“ an.
Ich bin nicht gefühllos; ich finde sie nur nicht.
Oft habe ich das Gefühl, wie ein Eisblock durch das Leben zu trotten – die Zugänge zu meinen Empfindungen wirken verschüttet. Unter einem Geröllhaufen langwierig eingeübter Masken, die sich bis in mein Gesicht niederschlagen, das ich manchmal völlig ausdruckslos und kalt erlebe. Die Zurichtung auf das zugewiesene Geschlecht hat deutliche Spuren hinterlassen: Mann sein, hart sein – verhärten, hart gegenüber mir selbst sein. Es ist verdammt schwer, dieses Programm zu durchbrechen, das so oft von einer Wirklichkeit bestätigt wird, in der Konkurrenz und Anonymität keinen noch so entlegenen Winkel auslassen. Eine Wirklichkeit, in der Emotionalität nur in geordneten Bahnen ablaufen darf. Deshalb fehlt mir häufig der Mut, die Aufforderung „Wollen Sie ihr Schneckenhaus wirklich löschen?“ zu bestätigen.
Es ist ein invertierter Schildkrötenpanzer, der mich nur von anderen trennt, weil er mich von mir entfremdet. Das Schneckenhaus, in dem ich mich vor anderen zu verstecken versuche, ist eine eisige Trennscheibe, durch die ich selber blicke. Viele feine Risse erinnern an die Welt dahinter, die weich, verletzlich, zart und gefühlvoll sein könnte.
Musik ist manchmal in der Lage, die Gefühle und Emotionalität zu wecken, die unter dem Schildkrötenpanzer schlummert. Mich aufzutauen, Zugänge zu meinen Gefühlen freizulegen. Irgendwie glaube ich, dass Musik mir hilft, die Welt anders, faszinierter zu sehen – und zu spüren, dass ich lebe und es gute Gründ dazu gibt. Manchmal, ganz selten, gibt es Menschen, die mich beim Auftauen unterstützen: Nur dass ich sie zu selten an mich heran lasse. Obwohl ich diese Person hinter dem Schildkrötenpanzer gar nicht so doof finde, wenn ich mal wage, einen schüchternen Blick ins Innere zu werfen, das auch außen ist.
Help me to destroy this evil Trennscheibe inside myself. Of course i like to smash yours too.
Texte mit Bezug zu diesem
Dieser Inhalt ist unter einer Creative Commons-Lizenz lizenziert. Er darf frei verwendet, kopiert und verändert werden unter folgenden Bedingungen: Alle darauf aufbauenden Inhalte müssen auch in diesem Sinne frei sind, d.h. unter der gleichen Lizenz weiter gegeben werden. Zudem sollte der Name der jeweiligen Autorin genannt werden. Alles für alle!