KULTURELLES CHAOS, POLITIX UND WARPZONEN
Begraben unter unkomplizierten Paketlösungen
Eigentlich wolltest du nur mit mir Händchen haltend durch die Straßen ziehen. Doch es gibt keinem Raum dafür – in den Blicken, in den Köpfen anderer sind „wir“ längst ein wir, ein Paar, eine Beziehung. Und seit dem behandeln „uns“ andere plötzlich anders. Auf dem Plenum in meinem linksradikalen Hausprojekt mache ich die gleiche, ernüchternde Erfahrung. Jeder Ausdruck von Zuneigung zieht sofort Zuschreibungen nach sich, die aus „Menschen, die sich mögen“ eine Einheit macht. Das Besondere wird aufgelöst in allgemeinen Kategorien, die eigentlich nichts sagen ... was vielleicht auch Zweck der „Übung“ ist.
Einem Menschen einfach nur nah sein wollen, spontane Zuneigung ausdrücken – das geht nicht. Sofort stellen sich „wie von selbst“ Fragen, was die Zuneigung bedeutet, wo sie hinführt, ob wir jetzt ein „wir“ sind, zusammen sind usw. Und wenn nicht, so tritt dieser Prozess spätestens dann ein, wenn andere davon mitbekommen und bestrebt sind, Sicherheit zu gewinnen statt die Ungewissheit auszuhalten, wie diese Menschen gerade zueinander stehen. Und aus der flüchtigen Ausrede „Ja, wir sind zusammen“ wird schnell Wirklichkeit.
Das Problem liegt darin, dass mensch sich zu diesem Zeitpunkt längst im Buchungsprozess der vorgegebenen Paketlösungen befindet, ohne überhaupt den Wunsch nach einem Paket äußern zu müssen.
Wie – nur Nähe?
Einfach nur Nähe zu wollen, einfach nur Bedürfnisse zu spüren und dafür individuelle Vereinbarungen zu suchen, ist in der kulturellen Matrix nicht vorgesehen. Für jede Form der zwischenmenschlichen Annäherung ist eine kompakte Paketlösung vorgesehen. „Bitte entscheiden Sie – es stehen Ihnen alle Möglichkeiten offen“, erklingt eine Stimme aus dem Off, die bemüht ist, die vordefinierten Varianten als Freiheit zu verkaufen.
Es ist nicht wichtig, ob mensch sie bestellt hat: Wer Nähe will, muss das kompakte Paket „Zweierbeziehung“ buchen – inklusive des Bekenntnis zur Monopolisierung von intensiver Zuneigung. Wer eine enge, auf Dauer angelegte Beziehung mit Austausch über persönliche Nöte will, muss das Paket „Freundschaft“ buchen – zusammen mit dem Kleingedruckten, dass die Zuneigung rein platonisch zu sein hat, d.h. körperliche Attraktion in diesem Paket ausgeschlossen ist. Wer sexuelle Nähe sucht, kann – ach wie komfortabel – zwischen dem Paket „One-NightStand“ oder „Affäre“ wählen.
All diese Pakete werden feinsäuberlich voneinander getrennt – und auf den ersten Blick machen sie das Leben einfacher, bannen sie doch scheinbar die Komplexität. Nur das Leben ist anders. Der verinnerlichte Zwang, der geordneten Kästchenstruktur menschlicher Beziehungen zu entsprechen, setzt Menschen permanent unter Druck, erzeugt ganz viele Ängste und Probleme, die es vorher nicht gab. Und dann kann es tatsächlich zum Weltuntergang werden, wenn beste Freunde miteinander schlafen. Die Brüche machen Angst – die geliebte Ordnung erweist sich als äußerst instabil. Dabei könnte dieser Umstand ja auch Mut und Hoffnung wecken, legen solche „Vorgänge“, die gar nicht selten passieren, doch gerade die Brüchigkeit der Kategorien offen. Und deuten zaghaft die Möglichkeit eines Zusammenlebens jenseits von Paketlösungen an.
Aus einem anderen, älteren Text („Nicht normal ... hoffentlich“) von mir:
„Grenzen zwischen Freundschaft und dem, was (Zweier-)Beziehung genannt wird scheitern glücklicherweise an der Komplexität von Leben & menschlichem Miteinander ... zur Zeit schaffen sie fast immer schizophrene Wesen, Grenzen und Probleme, die es vorher nicht gab. Abstrakte, platonische Zuneigung ist eine Fiktion patriarchal-reduktionistischer Aufklärung, welche Menschen in Geist und Körper, in isolierte Funktionen aufspaltet. Zuneigung, körperliche Nähe und Sexualität lassen sich nicht trennen: Zu den Menschen, die ich mag, fühle ich mich auch hingezogen, auf unterschiedliche Weisen, die nicht vor den Körperpanzern enden, die wir unter den gewaltförmigen, konkurrierenden Verhältnissen aufbauen. Überall, wo ich zu Menschen einen persönlichen Umgang entwickle, sind auch Wünsche nach Nähe, Hände berühren, Zärtlichkeit, Umarmung, Kuscheln, Körper fühlen, schmecken, riechen, miteinander Einschlafen, die ich nicht verdrängen kann, auch wenn ich das bis jetzt noch häufiger versuche.“
Der Versuch, Beziehungsweisen jenseits dieser Zuschreibungen zu entwickeln, führt sicherlich zur Reibung mit einer Umgebung, die jegliche Begegnung zwischen Menschen in Kategorien pressen will, die lebendige Begegnungen nicht vorsehen. Das zu erleben, kann anstrengend bis ätzend sein. Aber solche Situationen stellen immer auch Möglichkeiten dar, das zu thematisieren, Diskussion und vielleicht sogar Reflektionen darüber anzustoßen, dass diese ganze diskursive Paket-Fabrikation voll beschissen ist. Diese direkte Intervention im Alltag ist wichtig, denn Veränderung in den Köpfen fällt – wir ahnen es schon – nicht vom Himmel.
Den Zauber uneindeutiger Begegnungen zu erleben, die nicht auf ein Paket hinaus laufen, diese beängstigend schaurige wie auch wohlige Ungewissheit – das ist für mich ein ungemein schönes, ermutigendes und hoffnungsvolles Moment. Weil ich spüre, dass Ausbrüche aus der Normalität möglich sind.
Ohne platte Parolen kommt allerdings auch dieser Text nicht aus:
Annahmeverweigerung aller Paketlösungen, die Lieben + Leben normieren - Pakete aufschnüren, Grenzen einreißen ... am besten sofort anfangen.
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