ZITATE



Roland Barthes zu Kommunikation

Ich möchte die nachsichtige Zurückweisung der Herabsetzung, das Ausweichen vor dem Allgemeinen durch erfinderische, unerwartete, nicht paradigmatisierbare Verhaltensweisen, die elegante und diskrete Flucht vor dem Dogmatismus, kurz: das Prinzip des Zartgefühls, in letzter Instanz als Sanftmut bezeichnen.

Roland Barthes (2005): Das Neutrum. Frankfurt am Main: Suhrkamp. S. 80

Das schreibende Subjekt, das die statuarische Anmaßung der Diskurssprache empfindet, ist versucht, seine Sätze zu relativieren, auf co­dierte Weise: mit rhetorischen Vorsichtsmaßnahmen: »me­ner unmaßgeblichen Meinung nach«, »wie mir scheint«, »was mich betrifft«, » ich meine, daß ... « Natürlich ändert das gar nichts (das habe ich sehr rasch begriffen): Die Be­hauptung, die Arroganz, bleibt unberührt, denn diese Vor­sicht befriedigt nur das Imaginäre des sprechenden Subjekts, das sein Bild besser erträgt, wenn es dessen »Pracht« ab­schwächt (das hängt natürlich von seiner Moral, seiner Er­ziehung, seiner Neurose ab). Tatsächlich ist das Schreiben grundsätzlich behauptend: besser die Assertion stoisch (»tragisch«) hinnehmen: über die Wunde der Bejahung sprechen, schreiben und schweigen.

3. Damit wird verständlich, wohin das Neutrum tendiert (ich sage nicht: »was es ist«, denn das wäre Dogmatismus ex definitione; eher: eine Gegend, einen Horizont, eine Rich­tung entdecken). Blanchot: »Der Anspruch des Neutrums hat die Tendenz, die attributive Struktur der Sprache < ‚Das ist dies’, ‚das ist jenes’ > aufzuheben, jenen impliziten oder expliziten Bezug zum Sein, der in unseren Sprachen unmit­telbar hergestellt ist, sobald etwas gesagt wird.« Da es radi­kal auf die Beziehung des Seins und der Sprache zielt, kann sich das Neutrum nicht mit jenen Modi (Modalitäten) zu­friedengeben, die in der Sprache offiziell für die Abschwä­chung des Behauptungscharakters sorgen sollen: Negation, Zweifel, Konditional, Frage, Wunsch, Subjektivität usw. Der neutrale Diskurs ist im Idealfall keineswegs ein Diskurs im Konjunktiv: denn die grammatischen Modi gehören noch zum Sein. Das (sprachliche) Problem bestünde darin, jede Kategorie in der Schwebe zu halten, alles, was von der Sprache kommt, außer Funktion zu setzen, sei es Wirklichkeits- oder Möglichkeitsform: oder auch, um genauer zu sein, beim Sprechen unausgesprochen anzudeuten, daß je­des Paradigma schlecht aufgestellt ist, was bedeutet, die Struktur der Bedeutung als solche aus den Angeln zu heben (...).

Roland Barthes (2005): Das Neutrum. Frankfurt am Main: Suhrkamp. S. 93-94

 

Resonanz

In dieser Vorlesung sind die Hörer zu zahlreich (und über verschiedene Hörsäle verteilt, manche also »blind«), als daß der eine oder andere von ihnen in einen öffentlichen Dialog mit mir treten könnte: Einerseits hieße das, in die Vorlesung eine theatralische (psychodramatische) Praxis des Wortge­fechts einzuführen (eine Form, der das Neutrum seinem We­sen nach abgeneigt ist); andererseits bin ich die meiste Zeit über außerstande, auf eine Frage, auf eine Bemerkung un­verzüglich zu antworten, und zwar deswegen, weil ich mir das Recht vorbehalte, nach meinem Belieben zu antworten, weil ich den Begriff der Replik als solchen in Frage stellen, weil ich entschieden ein Begehren des Neutrums zum Aus­druck bringen möchte → Das Echo braucht Zeit, um sich auszubreiten: Auf das, was zu mir gesagt wird, kann ich nur ein Echo, keine »Antwort«, geben, und dieses Echo braucht ein Schweigen, bevor es zurückkehrt und das um so mehr, je reicher, je relevanter der Reiz ist.

Roland Barthes (2005): Das Neutrum. Frankfurt am Main: Suhrkamp. S. 117

 

Frage

1. Die Antwort: von der Form »Frage« erzwungener Dils­kursabschnitt. Es gibt, darauf will ich hinaus, stets einen Terrorismus der Frage; Jede Frage impliziert eine Macht. Die Frage bestreitet das Recht auf Nichtwissen, das Recht auf ein unschlüssiges Begehren → Bei manchen Subjekten - zu denen ich zähle - weckt jede Frage eine gewisse panische Angst; erst recht, wenn die Frage präzise ist oder sein will (Präzision als Macht, Einschüchterung: das ist der große Trick, mit dem die Naturwissenschaft ihre Macht ausübt) → stets Lust dazu, auf präzise Fragen vage zu antworten:
Selbst wenn diese Ungenauigkeit der Antwort als Schwäche ausgelegt wird, dient sie indirekt dazu, die Frage zu entmy­stifizieren: denn jede Frage geht von einem Subjekt aus, das auf etwas anderes hinauswill als auf eine Antwort ersten Grades → jede Frage läßt sich als Situation der Befragung lesen, als Situation inquisitorischer Macht (Staat und Büro­kratie: die großen Fragesteller).

Roland Barthes (2005): Das Neutrum. Frankfurt am Main: Suhrkamp. S. 185

Nötig wäre (zumindest hier: Raum, freier oder wenig­stens utopischer), daß wir lernen, die Frageform für weniger natürlich zu halten: sie ist kein natürlicher Modus des Dis­kurses (wenn es einen solchen gäbe, wäre es - siehe oben -die Behauptung), sondern ein sehr kultureller: Man denke daran, daß die alte Rhetorik - in ihrer höchsten Weisheit - die Frage als rhetorische Figur behandelte. In der Tat: Frage = Gefühlsbewegung, kein Modus der Kommunikation → verschleierte, heuchlerische Form der Behauptung. Frage: vielleicht die schlimmste Art von Gewalt.

Roland Barthes (2005): Das Neutrum. Frankfurt am Main: Suhrkamp. S. 187

 

Nuancen

Wunsch nach einer großen »Pädagogik« der Nuance im Schulunterricht: Die Nuance ist eines der sprachlichen Instrumente gegen Anmaßung, gegen Intoleranz: Den Sinn für Schattierungen zu vermitteln, den Umgang mit Nuancen einzuüben wäre eine staatsbürgerliche Notwendigkeit (allerdings vermute ich da große Widerstände bei den Bengeln); eine dieser Übungen: ein Inventar der Mikronetze von Wörtern zu erstellen, die sich stark ähneln und doch ein wenig unterscheiden: → »Diskurs des kleinen Unterschieds«: würde die Differenz nicht leug­nen, sondern den Preis dieses »klein wenig« ausdrücken. Genauigkeit: zwischen dem Sein und dem »klein wenig«.

Roland Barthes (2005): Das Neutrum. Frankfurt am Main: Suhrkamp. S. 219

Anmerkung: Schönes Zitat - leider verfällt auch Barthes dem Muster, gute Anliegen über pädagogische Mittel durchsetzen zu wollen; Kritik an Schule und Erziehung ... Fehlanzeige.