GESCHICHTEN, GRAUEN UND GEFÜHLE   



Samuel

"Es sind viele Sterne am Himmel !" sagte Samuel leise und ging weiter, einsam, durch die menschenleeren Straßen. "Doch wo ist der Mond ?" fragte er leise. Er dachte oft an den Mond und an die Frau im Mond. Sie muß doch schrecklich einsam da oben sein so ganz allein, keine/r kommt sie besuchen. Deswegen hat sich Samuel fest vorgenommen, sie eines Tages zu besuchen. Obwohl ein bißchen Angst hat er schon, was ist, wenn sie plötzlich in sein Raumschiff steigt und ihn da oben zurückläßt? Denn Samuel hat schon oft die Erfahrung gemacht, daß nicht alle Menschen zu denen man lieb ist auch lieb zu einem selbst sind. Solche Menschen sind nicht dankbar.
  Er versteht nicht wie Menschen so sein können. Es wäre doch viel schöner wenn alle Lebewesen nett zu einander wären.

Als Samuel Zuhause war legte er sich gleich in sein Bett, er war müde, heute war sehr viel passiert. Es gibt Tage, an denen passiert gar nichts, dann fragt mensch sich weshalb nichts passiert ist. Wenn mensch selbst nichts macht passiert auch nichts! Das ist immer so. Aber es gibt auch Tage wie diesen, heute ist nämlich wirklich, wirklich viel passiert, obwohl heute Dienstag ist. Sonst ist Dienstags eigentlich nicht viel los. Nein, eigentlich ist es jeden Dienstag gleich.
  Aber heute war ein besonderer Dienstag. Heute hat Samuel fliegen gelernt. Es ging ganz leicht. Er ist einfach stehen geblieben, obwohl er vorher, genau wie die anderen Menschen um ihn, langsam umhergeschlendert ist. Die haben auch recht komisch geguckt, vielleicht sogar ein wenig geschockt. Ihr müßt nämlich wissen, sonst bleibt eigentlich fast nie einer stehen. Aber auf jeden Fall blieb Samuel stehen und als er sich umsah blieb ihm eigentlich fast gar nichts anderes übrig als einfach loszufliegen. Es war ein schönes Gefühl auf einmal keinen Boden mehr unter den Füßen zu spüren. Die Leute die das gesehen hatten gingen schnell weiter und versuchten ihn zu ignorieren. Er konnte sie von oben noch etwas beobachten. Die Leute sahen lustig aus von oben einige auch total lächerlich. "Mensch sieht viel mehr von hier oben." Da kam ein Vogel zu Samuel, es war ein schöner Vogel. Er war recht klein, etwas kleiner als Samuels Hand. Und schön bunt war er. "Komm mit!" sagte er zu Samuel, "Ich möcht dir etwas zeigen." ."Wohin fliegen wir denn?" "Das wirst du schon sehen." sagte der Vogel. Sie flogen weg von all den anderen Menschen, sie flogen über viele graue Häuser, alle in Reihe und Glied. "Früher standen hier überall Bäume." Sagte der bunte Vogel traurig. "Und wo sind die Bäume hin?" fragte Samuel und der Vogel entgegnete ihm: " Die stehen jetzt als Tische in den Häusern!" Danach flogen sie wieder zurück sie setzten sich auf ein Hochhaus, von wo mensch alles beobachten konnte. " Ich heiße übrigens Dimitrius." Sagte der Vogel. "Ich bin Samuel." Sagte Samuel. "Nein, es muß eigentlich heißen ich heiße Samuel, denn du wirst nur Samuel genannt, aber ob du es wirklich bist weist du noch lange nicht." Sie saßen eine Weile da oben und sagten nichts Samuel schaute sich einfach nur die vielen kleinen Menschen an, sie hatten alle vergessen wer sie wirklich sind. Sie haben dem "vergessen wer sie wirklich sind" sogar einen Namen gegeben, sie nennen es "erwachsen werden". "Bist du heute zum ersten mal geflogen?" fragte Dimitrius Samuel. Samuel nickte. "Es gibt nicht mehr viele die sich das trauen, denn das wird von den Überwachern bestraft. Fliegen ist nämlich verboten." "Aber ich mußte einfach fliegen, ich wäre sonst kaputt gegangen. Ich konnte so nicht weitermachen. Es war immer das gleiche, jeden weiteren Tag dasselbe. Nur leere Menschen um mich. Gefühllos, kalt. Verstehst du das Dimitrius, ich mußte" "Du hast das richtige getan Samuel. Aber flieg nicht zu oft, denn es ist auch gefährlich denn du kannst auch runterfallen oder du wirst entdeckt. Und die meisten Menschen mögen die, die fliegen können nicht. Weil sie mehr verstehen und weil sie geschafft haben auszubrechen." "Aber warum helfen wir ihnen dann nicht auch fliegen zu lernen?" "Wenn das doch nur so einfach wäre Samuel, die Menschen wollen dir nicht zuhören, sie haben Angst vor allem was anders ist und was sie nicht kennen und sie haben Angst vor den Überwachern." "Dann muß man den Überwachern das fliegen beibringen!" "Du solltest für heute erst mal nach hause gehen Samuel." Sagte Dimitrius "du hast für heute schon genug erlebt."
  Samuel schlief in seinem weichem Bett schnell ein.

Als Samuel am nächsten morgen aufwachte fühlte er sich gut, weil er wußte, das sich sein Leben gestern positiv verändert hatte. Es war schön jetzt fliegen zu können. Aber ihm war auch klar, daß er erst mal lernen mußte damit umzugehen. Es ist nicht leicht zu fliegen müßt ihr wissen, mensch muß dabei soviel beachten. Aber Samuel wußte das er es schaffen würde, denn schließlich wollte er es ja auch so sehr. Und wenn er ehrlich war hatte er eine Superangst, daß es wieder so werden könnte wie es war bevor er fliegen konnte, daß er wieder einer von ihnen werden würde.
  Nachdem Samuel gefrühstückt hatte, schlenderte er zum Briefkasten. Das war gleich geblieben, denn das machte er auch jeden Tag in der Woche aber er wußte auch nicht warum er diese Sache hätte ändern sollen, schließlich interessierte es ihn ja ob ihm jemand schrieb. Vielleicht ist da ein Brief drin auf den er schon seit langem wartet. Ein Brief der den Tag mindestens doppelt so schön macht. Doch meistens sind es Briefe die schlechte Nachrichten beinhalten oder sie sind einfach nur unwichtig und total langweilig. Aber auch solche Briefe sollten gelesen werden. Aber diesen morgen war ein sehr interessanter Brief im Briefkasten, eigentlich war es gar kein Brief es war fast schon ein kleines Päckchen. Es hatte ungefähr die Form einer Videokassete. Kein Absender. Komisch. Samuel nahm das Päckchen mit in sein Zimmer. Er öffnete das Papier vorsichtig, er wollte ja nichts kaputt machen. Als er es geöffnet hatte lag ein Buch vor ihm. Er hätte ja viel erwartet aber doch kein Buch. Wer schickt ihm denn ein Buch? Es sah schön aus das Buch. Es war in Leinen gebunden und schwarz-gräulich, also recht dunkel. Aber es war komisch das Buch, kein Titel, kein/e Autor/in! Vielleicht innen drin. Aber als er das Buch aufschlug waren da nur Hyroglyphen. Er blätterte weiter, aber auf jeder Seite das selbe. Aber plötzlich viel ein kleiner Zettel aus dem Buch:

Hallo Samuel!
Dieses Buch soll ein Geschenk für dich sein. Ich glaube du bist einer der wenigen, die es verstehen können. Wichtig dabei ist nämlich das du es verstehen willst und das du genug Phantasie besitzt. Es soll dir auf deinem weiterem Weg helfen. Ich werde dich jetzt nämlich nicht mehr begleiten. Vielleicht verstehst du später warum.
Viele liebe Grüße
Dimitrius

P.S: Vielleicht hilft es dir wenn du vorher noch ein wenig fliegst!

Als Samuel dies gelesen hatte wurde er ein wenig traurig, denn Dimitrius hatte ihm so sehr geholfen. Wie sollte er den jetzt alleine damit umgehen? "Vielleicht kann ich ja jetzt das Buch lesen ." dachte er sich. Doch als er das Buch aufschlug stand da das selbe wie vorher lauter unleserliche Zeichen. "Dimitrius hat geschrieben, das es mir vielleicht helfen könnte wenn ich noch ein wenig fliege." Sagte er sich also ging er auf die Straße und flog. Er sah viele Menschen, große, kleine, graue und bunte. Sie alle beachteten ihn nicht. Sahen sie ihn wirklich nicht oder wollten sie ihn nicht sehen. Es war komisch, sie mußten ihn doch sehen, er flog so niedrig. Samuel flog weiter er sah die Menschen zur Arbeit gehen, er sah sie abends durch die Straßen schlendern, auf der Suche nach der passenden Kneipe, nach der passenden Droge. Er sah sie wie sie vermeintlich Spaß hatten, er sah wie sie sich gegenseitig die Zähne aus ihren Mündern schlugen. Er sah wie sie ihr normales Leben lebten, wie ihnen die anderen Menschen egal waren und wie sie selbst versuchten die Wahrheit zu ignorieren. Nämlich das sie so, auf diese Weise leben sollten. Samuel flog nach hause er hatte genug gesehen. Die Zeitung lag vor der Tür. Er nahm sie mit hinein. Er schlug sie auf um ein wenig darin zu lesen auf der ersten Seite war immer unten links in der Ecke das Wetter. Warum interessiert es die Menschen wie morgen oder übermorgen das Wetter wird? Ist es nicht viel schöner sich einfach überraschen zu lassen? Und sich über das Wetter zu freuen, so wie es ist? Samuel las. Er las von 135 Toten bei einem Flugzeugabsturz, von 2 verunglückten Arbeitern, die vom Gerüst gefallen waren, er las die Witze auf der Rätselseite und las von Elend und Hungersnöten. Samuel fing an zu weinen. Wie können Menschen nur so sein? Es war genau wie bei den Nachrichten, da müssen Maschinen hinter dem Bildschirm sitzen. Wie sonst könnte jemand von soviel Leid und Elend in der Welt berichten ohne auch nur ein wenig Trauer zu zeigen? Es war so schrecklich. Samuel ging raus, er wollte noch ein wenig spazieren gehen. Sie hatten nämlich einen schönen Wald direkt in der Nähe. Auf dem Weg sah er spielende Kinder. Sie hatten Pistolen, mit denen sie Krieg spielten. Mit jedem Schuß schossen sie sich ein Stück Phantasie aus dem Kopf. Aber sie wollen ja so sein wie die großen!
  Im Wald war es fast immer schön, wenn mensch die vielen toten Bäume und den Müll ignorierte. Die Luft war im Wald noch am besten mensch konnte sogar Tiere sehen, die bisher noch nicht vor ein Gewehrlauf geraten waren. Es viel Samuel schwer den Wald noch richtig zu genießen. Im Wald war es immer ein wenig kühler als außerhalb. Das war im Sommer oftmals richtig angenehm. Samuel saß früher oft, abends am Waldrand und guckte auf die Stadt runter. Er hatte dort nämlich eine Bank die er sehr mochte. Hier hatte er schon viele Sachen erlebt, eigentlich fast immer schöne. Deswegen saß er auch jetzt hin und wieder gerne auf dieser Bank. Auch jetzt saß er da auf dieser Bank und schaute umher und versuchte an nichts zu denken. Das war ein lustiges Spiel mensch muß sich einfach nur die Ohren zuhalten und die Augen schließen. Natürlich muß mensch auch die Luft anhalten denn sonst denkt mensch an das was er riecht. Samuel hatte noch nie geschafft an gar nichts mehr zu denken, doch er glaubte fest daran, daß das möglich sei. Und dieses mal schien er es sogar fast geschafft zu haben. Danach ging Samuel nach Hause. Heute hatte er viel neues gelernt. Viele neue Erfahrungen gemacht. Als er ankam lag das Buch noch auf seinem Bett. Voller Erwartung öffnete er das Buch, in der Hoffnung die Hyroglyphen nun entziffern zu können. Er schlug das Buch irgendwo in der Mitte auf. Doch was er sah erfreute ihn nicht sehr die selben scheiß Zeichen. "Was soll den der Mist?!" fragte er sich. Er betrachtete das Buch noch eine Weile. Dann schlug er die erste Seite auf. Und was war das? Die Zeichen des ersten Satzes begannen sich, vor seinen Augen, in Buchstaben zu verwandeln, in Worte. In Worte mit Sinn. Dort stand:

Dieses Buch ist all
denen gewidmet, die
es verstehen oder
deuten können.

Das stand auf der ersten Seite. Samuel schlug sofort die zweite Seite auf, er konnte es gar nicht fassen.

Es ist echt geil, wie sehr Menschen von Gefühlen geleitet werden. Oder bzw. Nicht geleitet werden. Obwohl, das ist mir scheiß egal, denn Vernunft kenne ich schon lange nicht mehr. Dafür aber um so mehr Haß und Orientierungslosigkeit. Ich denke einige Leute haben es verdient zu sterben!

O.K., es waren keine Hyroglyphen mehr die da vor ihm auf dem Blatt standen das war klar, aber so recht wußte Samuel nichts mit diesem Text anzufangen. Mehr stand auf der ersten Seite nicht. Er schlug die nächste Seite auf, in der Hoffnung dort verständlicheres Gedankengut vorzufinden.

Manchmal schau ich geradeaus, aber es kommt mir vor, als ob ich vor eine Mauer gucke. Manchmal versuche ich durch diese Mauer durchzugehen, knalle aber immer wieder fest dagegen. Diese Mauer ist zu dick und zu hoch, ich werde sie wohl in die Luft sprengen.

Dieser Text war einfacher. Oder besser er schien einfacher. Denn richtig verstanden hatte Samuel ihn noch nicht. "Na toll Dimitrius, was soll ich denn damit anfangen?" Aber das was da in dem ersten Text stand paßte ein wenig in das Gefühl, was er gehabt hatte bevor er geflogen war. "Haß und Orientierungslosigkeit". Aber da stand noch das einige Leute es verdient haben zu sterben. Also richtet sich der Haß gegen Menschen. Und Samuel war doch auch ein Mensch. Aber irgendwie hatte der oder die Schreiber/in ja doch Recht. Es sind schließlich ja auch Menschen die anderen Menschen solche Gefühle aufzwingen. Wenn Samuel mal jemanden gehaßt hat, dann hat ihm das nie Spaß gemacht, aber er hat nie jemanden ohne Grund gehaßt. Nur daß mit dem sterben. Samuel haste es wenn jemand starb. Er sah täglich soviel Tod. So viele Lebewesen die noch nicht hätten sterben sollen. Die einen lagen dann auf dem Friedhof die anderen auf der Fleischtheke. Samuel hatte oft Haß auf Menschen die töten. Aber er wußte nicht ob er einen Menschen töten könnte wenn dafür Millionen hätten nicht sterben müssen. Wer hätte nicht Hitler getötet um dann Millionen von unschuldigen zu retten. Aha, der erste denn Samuel getötet hätte. Einen Metzger töten, vielleicht 1000 Leben retten. Aber Samuel war sich nicht sicher ob er mit so was leben könnte.
  Er wollte nicht mehr über die erste Geschichte nachdenken also dachte er an die nächste. Ja, er dachte an die Mauer. Er dachte sofort an mehrere Mauern, dieser Text paßte zu allen. Er hatte mal so eine Mauer in sich, eine Mauer die ihn davon abhielt frei zu sein. Oder besser, für seine Freiheit und die der anderen netten Lebewesen zu kämpfen. Aber solche Mauern sieht mensch auch überall draußen. "Solche Mauern gehören weg!" Dachte sich Samuel. Aber sprengen? Soll damit überhaupt sprengen mit Sprengstoff gemeint sein? Denn in die Luft jagen ist doch Gewalt oder nicht? Aber Samuel war sich sicher wenn bestimmte Mauern in die Luft gejagt würden könnte damit viel Gewalt verhindert werden. Auch heute gibt es kleine Adolf Hitlers, oder solche die es werden wollen.
  Solche Gedanken kannte Samuel gar nicht von sich. Diese Geschichten schienen ihn stark zu beeinflussen. Aber eigentlich wollte er das ja anscheinen auch, denn sonst hätten sie ihn ja nicht beeinflussen können. Es war ein komisches Buch, das einen auf komische Gedanken brachte. Aber das war die Konsequenz aus dem fliegen.

  Samuel