INSIDE VIEW
Japan-Brief II
lang, dafür diesmal aus Japan
»Niemand entflieht dem Unendlichen, sagte ich mir, waehrend ich zu einem anderen Unendlichen floh, niemand entgeht der Offenbarung des Identischen, wenn er sich einbildet, dem Differenten begegnen zu koennen.« (Eco/Foucaultsches Pendel)
Im
Flugzeug ging es schon los. Warum muss sich eine Grossraumaschine voller Japaner
und Europaer mit amerikanischer Hollywoodscheisse belaestigen lassen, fragte
ich mich (oder: , wie wir Sueddeutschen sagen).
Ueberhaupt, 11 Stunden in der Maschine und man muss mal wieder aggressiv
wegschauen, um nicht hinzuschauen, auf einen dieser Monitore. (Seit ich selber
keine Fernseher mehr habe, macht es mich erst recht narrisch, wenn ich zum fernsehen
gezwungen werde.)
Immerhin, Fensterplatz. Nach ein paar Stunden Nacht ueber Sibirien ein roetlicher Streifen am Horizont, der langsam breiter wird, sich an einer Stelle zu still loderndem Feuer verdichtet, mit einem Mal bricht die Sonne aus den Wolken, knallrot und unheimlich schnell und Du weisst: das ist Japan, das da so leuchtet...
Meinen
momentanen Zustand nach drei Tagen Japan will ich als subtile Verwirrung bezeichnen.
Oberflaechlich bin ich naemlich gar nicht verwirrt. Wie koennte ich? Zwar ist
jeder Einkauf ein kleines Abendteuer und jeder unfallfrei getrunkene Kaffee
ein Erfolgserlebnis, aber sonst?
Es ist alles viel weniger anders als erwartet, erhofft. Es gibt
Knorrsuppen und einen Spar um die Ecke, McDonalds und schlechten Rockpop, weil
es guten nicht gibt, und wer nicht will, muss nirgends mit Staebchen essen.
Zur
Klaerung meiner Position* Ich sitze hier in der vor 127 Jahren auf dem Reissbrett
geplanten Metropole Sapporo (im Schnee!), in der fuenftgroessten Stadt der zweitgroessten
Industrienation der Welt und suche das urspruengliche Japan der Edo_Zeit.
Keine Waschbaeren, hier in der Innenstadt.
Wie schade.
Im uebrigen: sie glauben hier von Deutschland auch, es waere unglaublich traditionell und das Essen viel gesuender. Das Shamizen_zupfende Japan japanologischer Grundlagenseminare hat sich jedenfalls wie die deutsche Hackbrettspielerei irgendwo in den Bergen verschanzt, nehme ich an. Die traditionsbewusste Japanerin mit Kimono und Bastschirmchen ist eine alte Frau, die Du in der Ferne ueber die Kreuzung laufen siehst, unnahbar, ein abgebliebener Rest Menschheit aus anderer Zeit/
Verschlimmert wird alles durch die heraufziehende Fussballweltmeisterschaft. Die Japaner geben sich grosse Muehe, sich darauf einzustellen, im Fernsehen gibt es lauter Quizsendungen zum Lernen von Englisch und Deutsch und natuerlich wird es ganz fuerchterlich werden. Aber das ist schliesslich der Sinn der Veranstaltung.
Ein Lob auf das japanische Schriftsystem! Wenn mans lernen muss, koennte man reihern, aber als kulturelle Barriere ist es hinreissend effektiv. Es wimmelt von "romanji" (also von westlichen Schriftzeichen) und Du kannst trotzdem kaum einen Satz entziffern, weil immer mindestens zwei Kanji fehlen.
In der Spielwarenabteilung eines Kaufhauses der absolute Schock: Harry Potter Burg von Lego als Hauptattraktion! Da habe ich dann verstanden, warum sich das_Finzsch immer so vehement dagegen ausspricht, die allgemeine kulturelle Hegemonialisierung als Amerikanisierung zu begreifen. Lego aus Daenemark, Potter aus England, glaube ich, springen Dich an, mitten in Japan. Schoen. Reden wir also von der kulturellen Ausdrucksform des Empires. Amerika behaelt ja trotzdem seine Wichtigkeit als Hassobjekt , it seems to me.
Die
japanische Jugend macht, soweit ich das bisher einschaetzen kann, einen emotional
intakten Eindruck. Soll heissen, sie ist wahnsinnig toll gekleidet, aufgeschlossen
und lebensgierig \ und steht der schleichenden Generalmobilmachung, mit der
sich auch Japan darauf vorbereitet, so langsam aber sich wieder zu einer kriegsverwendungsfaehigen
Bevoelkerung zu kommen, genauso hilflos gegenueber, wie die restliche Jugend
halt auch.
Immerhin gibt es Ansaetze von Hippietum, denen ich aber erst noch
nachspuere muss...
Mythos * Ich finde nicht, dass sie (also: der ideele Gesamtjapaner) so viel laecheln. Das tun sie vielleicht nur im Ausland. Die sonstigen Formen, Verbeugen uns so, nehmen allerdings einige Zeit in Anspruch und eignen sich hervorragend zum flirten.
NACHTRAG
AMSTERDAM I
Am Tag nach der Rettung im Cafe Reibach. Ich finde es erst nicht, setze mich
dann irgendwo rein, wo ich einen Araber mit Palaestinensertuch sehe, weil ich
auch grad eins anhab, Blick auf die Speisekarte> "Reibach".
Ich freue mich, ein juedisches Schwulencafe anhand eines Pali_tuchs
gefunden zu haben, als einer die Tuer aufreisst und "Israel" ins Lokal ruft.
Nun ist das Wort Israel fuer sich genommen ja weder eine Beschimpfung noch antisemitisch,
aber erstens wars so gemeint und zweitens ein ganz wunderbarer Fall fuer die
Alltagsabsurditaeten reaktionaerer Diskurse: wir haben uns so praechtig verstanden
hinterher, die Schwulen, die Araber, die Juden...
(einschliessender Antisemitismus)
NACHTRAG
AMSTERDAM II
Abends Party im besetzten Haus. Es heisst "Bordello" und ist in der Tat ein
ehemaliges Bordell, wie die blaugekachelten Dreiecksbadewannen auf den Klos
eindrucksvoll beweisen. Die letzte Party vor der Raeumung. Die linke Szene gehoert
auch in AMS zum langweiligsten, was sich so finden laesst, vor allem aber ist
sie total weiss!
Nein, schon international natuerlich, Spanier und Deutsche, Schweden,
Frankreich, Daenemark. Aber ganz im Gegensatz zu jeder x\beliebigen Strasse
dieser Stadt: kein einziger Afro. Ich frage wen, sehr vorsichtig, man ist ja
Gast: Unverstaendnis. Noe, och, diese Kategorien, die haettense schon laengst
aufgeloest, schwarz oder weiss, das spielt fuer sie keine Rolle und so... Zwar
spielt es offenbar fuer die Schwarzen eine Rolle, weil sie halt nicht hingehen,
aber zum Ausgleich spielt der DJ einen Rap mit Luther Kings "I have a dream"Rede
.
Und alles ist ganz wunderbar* King rappt, dass er davon traeumt,
eines Tages schwarze und weisse Kids zusammen in den Strassen spielen zu sehen,
und die linksradikalen weissen Kids tanzen dazu, merken nicht, dass da irgendwer
immer noch nicht mitspielen darf und nehmen den schwarzen Kids bei der Gelegenheit
auch gleich noch den schwarzen Befreiungskampf und Luther King weg.
(ausgrenzender Antirassismus)
Soviel
aus der schoenen neuen Welt,
love