KULTURELLES CHAOS, POLITIX UND WARPZONEN   



dada...das eigene im anderen finden: wo grenzen verwischen

irgendwo zwischen elekronischer musik, beeinflussung und autonomie

Wer auf »fremde« Musik zurück greift, um selber Musik zu machen, hat es schwer. Die, welche in der Regel kein Instrument spielen können und sich über elektronische Geräte wie Computer oder Sampler auszudrücken versuchen, ziehen oft den Hass derer auf sich, die sich als wahre MusikerInnen fühlen. Die Vorwürfe haben stets die eine Botschaft: Wer sampelt, sprich seine Musik aus der Musik anderer zusammensetzt, schaffe nichts Eigenes. Sampling sei Diebstahl. Dieses Vorurteil hält davon ab, sich damit auseinander zu setzen, wie elektronische Musik und die entsteht, die mensch selber macht. Da ich selber zu denen zähle, die ihre Musik auf diese Weise erstellen, habe ich mir ein paar weitergehende Gedanken dazu gemacht, welche ich an dieser Stelle ausführen möchte. Im Mittelpunkt steht dabei das Verhältnis von sich zu anderen und zu sich selbst, dass sich (nicht nur) in Musik wieder spiegelt.

Keine schafft das lösgelöste, ganz andere. Alle MusikerInnen greifen in ihrem Tun auf die Musik, Gedanken und Erfahrungen anderer zurück, ob sie es sich eingestehen oder nicht. Menschen sind unfertige, soziale und sensible Wesen, welche von ihrer Geburt an durch ihre Umwelt beeinflusst werden. Alles, was ich denke, sage und ausdrücke, basiert auf unzähligen Erfahrungen mit der (Lebens-)Welt um mich herum und anderen Menschen. Alles Neue baut auf Altem auf. Das eigene setzt das andere voraus. Die Musik, die ich mache, ist das Ergebnis von unzähligen Einflüssen, von Beeinflussung durch andere. In dem, was so viele MusikerInnen ihre private Schöpfung nennen, steckt so viel von anderen. Durch ihre Werke sprechen so viele andere Stimmen - die sie nicht sehen wollen, weil sie zwischen sich und andere eine riesige, unüberwindliche Trennlinie gesetzt haben. Doch nur wenn diese aufgehoben wird, kann überhaupt erst eigenes entstehen. Schon an diesem Satz wird erkennbar, dass es sich um eine widersprüchliche Angelegenheit handelt, die alles, nur nicht einfach ist.

Dabei kommt es nicht darauf an, ob mensch Piano, Schlagzeug oder Gitarre spielt oder ob mensch einen Sampler benutzt: entscheidend ist die Suche nach dem richtigen Sound, der passenden Melodie oder dem Funk. Wenn eine MusikerIn etwas im Kopf hat, greift sie zu ihrem Instrument und versucht, dieses zu treffen. Wenn ich etwas im Kopf habe, was ich umsetzen möchte, dann setze ich mich an den Computer und grabe nach den geeigneten Samples, die ich dann entsprechend zusammen füge. Ich suche nach der Musik, die der im meinen Kopf am ehesten entspricht - oder es ergibt sich irgendetwas ganz anderes. Einfallslosigkeit hat nichts mit den musikalischen Instrumenten zu tun, welche mensch verwendet: ein Bassist kann eine Melodie ebenso bei anderen »klauen« wie ein Hip Hop Beatbastler von einer Soulplatte - nur ist dies beim Samplen verlockender, weil es ja gerade so funktioniert, dass mensch direkt auf die Musik anderer zugreift. Zwischen dem, der einfach nur den Refrain eines berühmten Stückes nimmt und ein dröhnendes Schlagzeug darunter legt und der, welche aus unzähligen Soundfetzen in zeitaufwendiger und detailverliebter Arbeit am Sampler Musik zusammen setzt, liegen Welten - Welten, die nicht sehen kann, wer elektronische Musik vorab, ohne jede Erfahrung ablehnt. Wenn elektronische Musik von »echten« MusikerInnen angegriffen wird hat das wohl auch damit zu tun, dass sie Angst davor haben, durch diese ersetzt oder überflüssig zu werden. Und die scheint nicht gerade berechtigt zu sein, wo sich doch immer wieder zeigt, dass sich die unterschiedlichen Formen nicht ausschließen sondern eher ergänzen.

von der abhängigkeit in die unabhängigkeit? durch die abhängigkeit in die unabhängigkeit!

Alles fängt mit dem Nachahmen an - es ist für uns notwendig, um zu (über-)leben. Da Menschen kein starres biologisches Verhaltensprogramm in sich tragen, sind sie darauf angewiesen, sich alles Mögliche von anderen anzueignen. Ein kleines Kind kuckt sich Verhaltensweisen von seinen Eltern ab, es lernt zu sprechen und zu verstehen, was es da von sich gibt. Und irgendwann wird es einmal Sätze sagen, die nie zuvor jemand gesagt hat. Doch bis es Sprache beherrscht, hat es unendlich viele Worte und Sätze von anderen in sich aufgenommen.
  Am Beispiel des Spracherwerbs lässt sich eine Grundannahme aufzeigen, von der ich ausgehe: Um etwas Eigenes zu entwickeln, muss mensch erst ganz viel anderes in sich hinein saugen. Durch das andere zum eigenen gelangen. Dabei handelt es sich um einen dialektischen, widersprüchlichen Prozess, an dessen Ende die Fähigkeit stehen sollte, das eigene aus dem anderen heraus zu schälen. Wie das nun gemeint ist, werde ich im folgenden näher ausführen.

Alles fing bei mir damit an, dass ich Hip Hop hörte, mir viele CDs und Platten kaufte. Ich verglich miteinander und mit der Zeit wurde ich wählerischer, suchte nach den richtigen Klängen - blieb aber im subkulturellen Spinnennetz hängen. Dabei wiederholte sich das Erlebnis, dass viel zu viel von dem sich gleich und einfallslos anhörte. Und daraus folgte irgendwann der Wunsch, selber Musik zu machen: die Suche nach den richtigen Klängen nicht nur auf Plattenkisten zu beschränken, sondern selber als Musiker danach suchen - um das Ganze zu erweitern. Am Anfang ging das, was ich machen wollte, ohne Zweifel ziemlich stark in die Richtung von Hip Hop: das, was ich schön fand, wollte ich nachahmen. Später kamen noch viele andere Einflüsse hinzu: Reggae, Ska, Trip Hop, Hardcore und Punk, Jazz, Drum & Bass, orchestrale und klassische Musik. Und in dieser Aufzählung ist nur der engste musikalische Bereich enthalten, wo es doch noch so viele andere Quellen der Inspiration gibt, die nicht unterschlagen werden sollen: Natur, Bilder, Situationen und vor allem Menschen.

Wir alle werden von Anfang an und jeden Tag aufs Neue beeinflusst, geformt und verändert. Und ohne Beeinflussung geht es nicht. Wer sich für ein Jahr in seinem Studio einschließt und auf den Quantensprung hofft wird sicher enttäuscht werden. Wer sich in die Isolation begibt, dem fehlen die nötigen Erfahrungen, um etwas nach außen zu geben. Nicht umsonst werden politische Gefangene in Isolationshaft gesperrt: sie und ihre Sinne verkümmern, weil es nichts gibt, was sie aufnehmen können, keine Menschen, keine Töne, keine Poster an der Wand. Menschen und MusikerInnen sind auf Erfahrungen und Einflüsse angewiesen, um zu leben und sich ausdrücken zu können. Deshalb kann es kein Weg sein, sich jeder Beeinflussung zu entziehen und im stillen Kämmerlein darauf zu warten, dass plötzlich neues Ungeborenes aus einem heraus sprudelt, obgleich ich keine daran hindern will.

Das Problem ist nicht die Beeinflussung, welche an sich nicht so einfach als schlecht oder positiv angesehen werden kann. Die Unterscheidung von guter und böser Beeinflussung ist selber schon verkehrt und greift am eigentlichen Problem vorbei: es liegt darin begründet, dass sich zu viele Menschen der Illusion hingeben, eine autonome Persönlichkeit zu sein, die sich völlig frei vom gesellschaftlichen Hintergrund entscheiden könnte. Und um so mehr mensch sich in Gedanken von anderen abschneidet, um so härter setzt sich nur die Beeinflussung durch andere durch. Wer sich einredet, so unwahrscheinlich unabhängig von anderen zu sein, bemerkt am wenigsten, wie mit jedem Satz nur die Gedanken anderer wieder gegeben werden, wie das wiederholt wird, was das Fernsehen und die anerkannten Autoritäten einem eingetrichtert haben. In einer Welt, in der die Einzelnen kaum noch fähig sind, über ihr eigenes Leben zu bestimmen, das zwischen Schule, Arbeit und Zwängen erdrückt wird, ist diese Verblendung notwendig, damit alles so weiter laufen kann wie es ist. Medien, LehrerInnen und PolitikerInnen vermitteln und fördern ständig dieses Bild vom souveränen Einzelkämpfer, um Menschen voneinander zu isolieren und um sie weiter manipulieren zu können.

Das ist keine Unabhängigkeit, sondern äußerste Isolation - die so lange fort bestehen kann, wie mensch sich verzweifelt an die blinde Abgrenzung von eigenem und anderem klammert. Es ist das blinde »Das gehört mir«, welches in den Menschen steckt und sie daran hindert zu erkennen, wie andere durch sie handeln. Warum verhalte ich mich so? ist die Frage, die sie sich nicht stellen können und wollen, weil sie Angst haben zu erkennen, dass ihr Verhalten durch andere Menschen bedingt wird - und nicht ihr eigenes ist.

Wir werden ständig von Menschen, von Gesprächen und den Medien beeinflusst - ob wir es wollen oder nicht. Und Beeinflussung wird es immer geben. Einfach bewusstlos zu verneinen, dass mensch beeinflussbar ist und das ganze Leben lang von irgendwem beeinflusst wird, ist eine Sackgasse. Unabhängigkeit kann daher nur durch stete, fortschreitende Reflexion auf das, was mensch erlebt und tut, erreicht werden. Voraussetzung dafür ist es, sich erst einmal einzugestehen, dass mensch beeinflussbar ist. Voraussetzung ist es, sich von der Illusion des isolierten Einzelnen zu verabschieden, auch wenn dies mit Schmerz und unangenehmen Gefühlen verbunden ist. An diesem Punkt wird ein bewusster Umgang mit Beeinflussung möglich. An diesem Punkt wird auch eine »sehende« Abgrenzung zu anderen möglich, welche nicht vergisst, dass mensch sich in einem Geflecht aus Beziehungen befindet, welche uns bedingen. Und das ist die Aufhebung von eigenem und anderem, durch die beides erst Wirklichkeit werden kann.
  Sicher wird es dann schwerer fallen, zwischen eigenem und anderem zu trennen, doch es bedeutet auch, wacher und aufmerksamer zu erleben, wie mensch sich durch andere verändert und wie mensch andere verändert. Denn wir sich erst einmal im Klaren über Beeinflussung ist, kann ganz anders damit umgehen. Ab nun wird es möglich, eine andere Sichtweise auf sich und andere zu entwickeln, gesellschaftliche Ursachen für das eigene und andere Verhalten zu erkennen. Warum bin ich so, wenn ich mit anderen zusammen bin? Und wenn sich Menschen darüber klar sind, wie sie sich gegenseitig beeinflussen haben sie schon eine Verbindung zueinander her gestellt, die ein wenig von der aufgezwungenen Vereinzelung überwindet. Das wird den Herrschenden nicht gefallen...he, he.

Deshalb kann mensch nicht genug andere Musik hören oder gar »reinziehen«, was schon sprachlich interessant ist. Denn um etwas eigenes zu entwickeln, muss mensch die ganze Bandbreite des anderen, der Wirklichkeit kennen - was für Musik wie alles andere gilt. Es ist wichtig, sich mit dem Widersprechenden auseinander zu setzen, um sich selbst zu hinterfragen. Wer sich nur mit einer Form von Musik beschäftigt neigt dazu, das Gehörte blind zu übernehmen - anstatt zu sehen, was es noch für andere Möglichkeiten gibt, kreativ zu sein. Solche Menschen klammern sich entweder verzweifelt an das je Gefundene oder sind sehr einfach dazu zu bringen, die Seiten zu wechseln.
  Viele MusikerInnen nehmen sich selbst die Möglichkeit zur Weiterentwicklung, indem sie sich auf einen sogenannten Stil fest legen. Wer sich jedoch mit allen möglichen Formen von Musik auseinander setzt, kann eine ganz andere Sichtweise entwickeln, welche ohne Scham Trennendes und Gemeinsames offen legt. Und es bietet sich die Chance, sich das Richtige heraus zu suchen und einzelnes zusammenzufügen. Auf jeden Fall sollte mensch sich die Offenheit für Neues erhalten - anstatt sich an vermeintliche Sicherheiten zu heften: Das »so und nicht anders«, der zwanghafte Versuch, einem Stil zu entsprechen leistet immer dem Stehenbleiben Vorschub - dem Stillstand.

Wenn es kaum noch eigenwillige Musik gibt, ist es sicher nicht auf einen Mangel an Kreativität zurück zu führen. So vieles hört sich gleich an, weil die MusikerInnen Angst haben, anders zu sein. Diese Angst wiegt viel mehr als die Musikindustrie, welche nichts anderes als das Profitversprechende duldet. Wenn ich mir das anhöre, was sich selbst Untergrund nennet, finde ich oft die gleichen, bewährten und lieblosen Sounds. Diese KünstlerInnen werden nicht durch ein geldhungriges Label gezwungen, so oder so zu sein, um bei dem Massenpublikum anzukommen: sie unterwerfen sich freiwillig. Wenn die Grenzen zwischen Untergrund und Mainstream immer mehr verschwimmen, bedeutet das, dass die Menschen, welche Musik machen und hören, bestimmte Muster verinnerlicht haben, wie Musik zu sein hat, Muster, welche sich ständig wiederholen. Was fehlt bei MusikerInnen wie HörerInnen ist die Unabhängigkeit vom Bestehenden: Die Fähigkeit, sich vom bewährten Schema zu lösen.

An dieser Stelle noch etwas zu der Überschrift dieses Abschnitts: Der erste Teil ist mit einem Fragezeichen versehen, weil dieser zu linear, vereinfachend und statisch ist: es scheint schon sprachlich so, als würde Abhängigkeit irgendwann durch Unabhängigkeit ersetzt - Problem gelöst, Ende aus. Durch die Abhängigkeit zur Unabhängigkeit soll deshalb vermitteln, dass die scheinbaren Widersprüche miteinander verschränkt sind, dass es sich um eine Wechselbeziehung handelt, die keine Endlösung hat, sondern immer wieder neu ausgetragen werden muss. Hört sich schlau an, oder?

ya feel the funk? auf die zusammensetzung kommt es an

Ich versuche nun, zurück zum Anfang dieses Textes zu springen: Keine schafft das lösgelöste, ganz andere. Alle MusikerInnen - und nicht nur sie - greifen in ihrem Tun auf die Musik, Gedanken und Erfahrungen anderer zurück, ob sie es sich eingestehen oder nicht. Alles Neue baut auf Altem auf - es geht also gar nicht anders. Wer sich dessen bewusst ist, dem eröffnen sich ganz andere Möglichkeiten, Musik zu sehen, hören und zu machen. Aus diesem Grunde verteidige ich das Sampling: es ist der wohl deutlichste, offensichtlichste Ausdruck dafür ist, dass Musik sozial, gesellschaftlich ist - und nicht die private Schöpfung von weltfernen Genies. Es zeigt, wie viel Anteil andere Menschen an unserem Tun haben, wie vermessen das Gerede um das eigene Werk in Wirklichkeit ist.
 Schon deshalb sind alle copyrights und Patente ein Unding und gehören abgeschaft: Musik wie alle anderen menschlichen Produkte sind nichts Privates, sondern nur als Zwischenmenschlich, Gesellschaftlich denkbar. In den Händen weniger befinden sie sich nur, damit sie für Geld verkauft werden können.

»Wer neues ausdrücken möchte, muß mixen; aber er kann nicht irgendetwas zusammenschütten: nur eine bestimmte Mischung funktioniert.« (Cristoph Spehr: Wurmlöcher im Delta-Quadranten) Die entscheidende Fähigkeit besteht darin, Bekanntes so zusammen zu setzen, dass es Neues ergibt, das eigene im anderen aufzuspüren: selber neue Verbindungen einzugehen und solche herzustellen zwischen musikalischen Ideen, Richtungen und Bruchstücken, bei denen der Funk(e) überspringt. Es geht darum, Pfade zu begehen, welche noch unentdeckt sind und gleichzeitig den HörerInnen die Möglichkeit zu geben, diesen zu folgen und diese zu verstehen. Und dazu ist nur fähig, wer es wagt, mit den bewährten Mustern zu brechen.

Für alle, die aus welchem Grund auch immer kein Instrument spielen können, machen es Computer und Sampler möglich, sich in Musik auszudrücken. Dabei kann mensch so viel andere Musik kennen und schätzen lernen, zum Bestandteil der eigenen machen und die Grenzen einreißen, die zwischen den verfeindeten Szenen und Subkulturen zu stehen scheinen. Alles kann zur Musik werden - hier nur ein paar Anregungen: Geräusche von Autoreifen, knarrenden Türen oder das unscheinbare Zischen einer Sprudelflasche, Schreie von Lebewesen, der Regen oder loderndes Feuer erhalten eine neue Bedeutung, wenn sie bewusst in ein musikalisches Kunstwerk eingebunden werden. Der Soundtrack eines Tierfilms über Delphine, Töne aus einer Werbung - es gibt nichts, was ich mir nicht aneignen könnte, um mich auszudrücken.

 Espi