KULTURELLES CHAOS, POLITIX UND WARPZONEN   



Bedürfnix pt.1

Seit gestern krank geschrieben - puh. Lange habe ich mich nicht mehr so auf Essen gefreut wie heute. Ich denke dass es daran liegt, dass ich mir bewusst Zeit genommen habe, um dem Essen und der Sienährung wieder einen festen Platz in meinem Leben zu geben. Und das ist etwas, was es in der Arbeitsmaschine gar nicht mehr gibt: Essen wird zur Nahrungsaufnahme herab gesetzt, bei der egal ist, was mensch sich in sich hinein stopft, weil die Betriebsamen es eh als lästig empfinden.

Die selbst zubereiteten Bratlinge, die grünen Oliven und ein großes Stück Gurke habe ich neben meine Schlafstelle gelegt. Und dann zog ich mich aus, legte mich auf mein Bett und fing an zu essen. Es war schön so bewusst zu erleben, wie es mir Lust bereitete: der Geruch der warmen Bratlinge, der erste Bissen, der Geschmack auf meiner Zunge. Ich konnte spüren, wie sich Essen und Speichel in mir vermischten - ein angenehmes Gefühl. Und bemerkte ich wie ich mir wünschte, das liebe Menschen mit mir wären. In meiner Phantasie malte ich mir aus, wie wir uns gegenseitig füttern. Wie wir uns mit lebendigen Augen ansehen. Wie wir uns streicheln und berühren, uns aneinander schmiegen. Wie wir einfach da liegen und uns miteinander teilen.

Nur ein kleiner Ausschnitt aus meinem Leben, in dem doch so viel sich bündelt. Es zeigt, wie sich Bedürfnisse verbinden und wie nah sie bei einander liegen: das lustvolle Stöhnen beim Essen ähnelt dem der Menschen, die zärtlich miteinander sind. Dem Wohlgefallen, der Lust Ausdruck verleihen - etwas sehr Wichtiges. Nur sind dazu kaum noch Menschen fähig. Sie können sich, ihre Gefühle nicht raus lassen, weil sie ständig Angst haben vor den Gedanken anderer. Weil Erwachsene ihnen untersagt haben zu schreien, weinen oder lustvoll zu stöhnen.

Es ist bedeutsam, sich mit den eigenen und Bedürfnissen anderer auseinander zu setzen, mögen sie auch noch so tief verschüttet sein. Um heraus zu finden, was ich und du wirklich wollen. Um heraus zu finden, wie unsere Bedürfnisse entstehen. Und um heraus zu finden, wie unsere Bedürfnisse von dieser Gesellschaft manipuliert werden, wie sie selber von Zwängen durchzogen sind:

Die Verbote unserer Eltern, die bösen Blicke von anderen begleiten dich und mich von Geburt an: Kinder dürfen sich nicht beschmieren, dürfen nicht mit ihren Ausscheidungen spielen. Mädchen dürfen nicht auf der Straße schreien, dürfen sich selbst nicht berühren. Kleine Jungen dürfen nicht miteinander zärtlich sein. Nacktsein ist böse und unchristlich usw. So wird uns Angst vor unseren Bedürfnissen gemacht, welche von den Erwachsenen als schmutzig bezeichnet werden. Tag für Tag verdrängen wir unsere Wünsche und Emotionen und begraben damit einen Teil von uns. Immer wieder begegnet uns diese verinnerlichten Ängste: z.B. wenn ich liebe Menschen bei einem Seminar kennen lerne, von denen ich mich angezogen fühle und ich sofort wieder Angst habe, auch nur über meine Wünsche zu reden oder sie einfach so in den Arm zu nehmen.

Dieser Kreislauf von Angst und Unterdrückung kann durchbrochen werden. Doch um uns unsere Bedürfnisse wieder bewusst zu machen sind schmerzvolle Auseinandersetzungen nötig.

Das profitable Geschäft mit der Lust besteht darin, dass diese unerfüllt bleibt. Wären Menschen nicht so unzufrieden mit ihrem Leben, würden sie nicht auf die plumpen Tricks und Versprechungen der Glücksindustrie herein fallen. Über Werbung, Fernsehen und Verhalten anderer werden wir ständig aufgefordert, Sachen zu kaufen, auf welche die Hoffnung auf ein glückliches Leben projeziert werden. Überall die lautlose Suggestion: Greif zu, sei dabei - schnapp dir eine der unendlich vielen Ersatzbefriedigungen, die mich und dich nur noch unglücklicher zurück lassen. Eine Eisenbahn statt Aufmerksamkeit. Ein Auto statt innere Sicherheit. Ein Porno statt menschlicher Zärtlichkeit. Unter dem Kaufzwang sollen wir und unsere Bedürfnisse begraben werden, damit das System weiter bestehen kann.

Auch unsere Bedürfnissen gegenüber ist jeder Zweifel notwendig. Denn es ist nur zu einfach, sie als natürlich und schon immer gegeben hinzustellen, um jedes Hinterfragen abzuwehren: »Männer sind halt schwanzfixiert« oder »Alle Menschen sehnen sich nach einer Zweierbeziehung«. Durch Erziehung und jahrelange Sozialisation hat sich in uns all das eingeschlichen und eingeschliffen, was diese Gesellschaft ausmacht. Unsere Bedürfnisse sind in sich selbst so vorgeformt, dass Erfüllung unmöglich scheint: der Wahn um den perfekten, funktionstüchtigen Körper zersetzt jede Lust beim Essen. Leistungsdenken, Orgasmuszwang machen lust - und liebevolles Miteinander kaputt. Der Wunsch, Macht über andere zu haben duldet keine gleichberechtigte, befriedigende Beziehung. Die schwere Aufgabe ist es, unsere Bedürfnisse gleichsam anzunehmen und zu hinterfragen. will be continued...

  espi

Hinterfragt & verteidigt eure Bedürfnisse!


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