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Zitate zu Abstraktion

Bakunin

Die allgemeine Idee ist immer eine Abstraktion und schon dadurch in gewissem Grade eine Verneinung des wirklichen Lebens.

Michail A. Bakunin (1991) : Gott und der Staat. Grafenau: Trotzdem Verlag

Die allgemeine Idee ist immer eine Abstraktion und schon dadurch in gewissem Grade eine Verneinung des wirklichen Lebens. Ich stellte im Anhang als Eigenschaft des menschlichen Gedankens und folglich auch der Wissenschaft fest, daß sie von den wirklichen Tatsachen nur ihren allgemeinen Sinn, ihre allgemeinen Beziehungen, ihre allgemeinen Gesetze erfassen und benennen kann, mit einem Wort das in ihren beständigen Verwandlungen Bleibende wie ihre materielle, individuelle Seite, die sozusagen von Wirklichkeit und Leben vibriert, aber gerade dadurch flüchtig und unfaßbar ist. Die Wissenschaft versteht den Gedanken der Wirklichkeit, nicht die Wirklichkeit selbst, den Gedanken des Lebens, nicht das Leben. Hier liegt ihre Grenze, die einzige für sie wirklich unüberschreitbare Grenze, die eben in der Natur des menschlichen Gedankens selbst, des einzigen Organs der Wissenschaft begründet ist.

Michail A. Bakunin (1991): Gott und der Staat. Grafenau: Trotzdem Verlag

Das Leben ist ganz flüchtig und vorübergehend, aber auch ganz vibrierend von Wirklichkeit und Individualität, Gefühl, Leiden, Freuden, Streben, Bedürfnissen und Leidenschaften.

Michail A. Bakunin (1991): Gott und der Staat. Grafenau: Trotzdem Verlag

Eine Herrschaft der Wissenschaft und der Männer der Wissenschaft, selbst wenn sie sich Positivisten, Schüler Auguste Comtes, nennen oder selbst Schüler der doktrinären Schule des deutschen Kommunismus, kann nur ohnmächtig, lächerlich, unmenschlich, grausam, unterdrückend, ausbeutend und verheerend sein. Man kann von den Männern der Wissenschaft als solchen sagen, was ich von den Theologen und Metaphysikern sagte: Sie haben weder Gefühl noch Herz für persönliche lebende Wesen. Man kann ihnen nicht einmal einen Vorwurf daraus machen, denn es ist die natürliche Folge ihres Berufes. Als Männer der Wissenschaft haben sie nur mit Allgemeinheiten zu tun und interessieren sich nur für solche.

Michail A. Bakunin (1991): Gott und der Staat. Grafenau: Trotzdem Verlag

Die Wissenschaft, welche nur mit dem zu tun hat, was auszudrücken und beständig ist, d.h. mit mehr oder weniger entwickelten und bestimmten Allgemeinheiten, muß sich hier besiegt erklären von dem Leben, das allein in Verbindung steht mit der lebendigen und empfindlichen, aber unfaßbaren und unsagbaren Seite der Dinge. Das ist die wirkliche und man kann sagen die einzige Grenze der Wissenschaft, eine wirklich unüberschreitbare Grenze. Ein Naturforscher, der selbst ein wirkliches und lebendes Wesen ist, seziert beispielsweise ein Kaninchen; dieses Kaninchen ist gleichfalls ein wirkliches Wesen und war, wenigstens vor kaum einigen Stunden, eine lebende Individualität. Nachdem der Naturforscher es seziert hat, beschreibt er es: Nun, das Kaninchen, welches aus seiner Beschreibung hervorgeht, ist ein Kaninchen im allgemeinen, das, jeder Individualität beraubt, allen Kaninchen gleicht und deshalb nie die Kraft zu existieren haben wird und ewig ein unbewegliches und nichtseiendes Wesen bleiben wird, nicht einmal körperlich, sondern eine Abstraktion, der festgehaltene Schatten eines lebendigen Wesens. Die Wissenschaft hat nur mit solchen Schatten zu tun. Die lebendige Wirklichkeit entschlüpft ihr und gibt sich nur dem Leben, das, weil es selbst flüchtig und vorübergehend ist, immer alles, was lebt, d.h. alles, was vergeht oder flieht, fassen kann und in der Tat faßt.

Michail A. Bakunin (1991): Gott und der Staat. Grafenau: Trotzdem Verlag

Die wissenschaftliche Abstraktion ist ihr Gott, die lebenden und wirklichen Individuen sind die Opfer; sie sind die geweihten und patentierten Opferpriester. Die Wissenschaft kann die Sphäre der Abstraktionen nicht verlassen.

Michail A. Bakunin (1991): Gott und der Staat. Grafenau: Trotzdem Verlag

Bis jetzt war die ganze Geschichte der Menschheit nur ein beständiges und blutiges Opfern von Millionen armer menschlicher Wesen für irgendeine unerbittliche Abstraktion: Götter, Vaterland, Staatsmacht, nationale Ehre, geschichtliche Rechte, juridische Rechte, politische Freiheit, öffentliches Wohl.

Michail A. Bakunin (1991): Gott und der Staat. Grafenau: Trotzdem Verlag

Die menschliche Individualität, ebenso die der unbeweglichsten Dinge, ist für die Wissenschaft gleichfalls unfaßbar und sozusagen nicht existierend. Deshalb müssen auch die lebenden Individualitäten sich gegen sie verwahren und schützen, um von ihr nicht wie das Kaninchen zum Nutzen irgendeiner Abstraktion geopfert zu werden; wie sie sich gleichzeitig gegen die Theologie, gegen die Politik und gegen die Rechtswissenschaft verwahren müssen, die alle gleichfalls an jenem abstrahierenden Charakter der Wissenschaft teilhaben und das unheilvolle Streben besitzen, die Individuen dem Vorteil derselben Abstraktion zu opfern, die nur mit verschiedenen Namen belegt wird; die Theologie nennt sie die göttliche Wahrheit, die Politik das allgemeine Wohl, die Rechtswissenschaft die Gerechtigkeit.

Michail A. Bakunin (1991): Gott und der Staat. Grafenau: Trotzdem Verlag

Die Wissenschaft kann die Sphäre der Abstraktionen nicht verlassen.

Michail A. Bakunin (1991): Gott und der Staat. Grafenau: Trotzdem Verlag

Die Wissenschaft kann ebensowenig die Individualität eines Menschen wie die eines Kaninchens erfassen. Das heißt, sie steht beiden gleich uninteressiert gegenüber. Nicht, daß ihr das Prinzip der Individualität unbekannt wäre. Sie erfaßt es vollständig als Prinzip, aber nicht als Tatsache.

Michail A. Bakunin (1991): Gott und der Staat. Grafenau: Trotzdem Verlag

Ihre Individuen sind, nochmals bemerkt, nur Abstraktionen. Nicht diese abstrakten Individualitäten aber, sondern die wirklichen, lebendigen, vorübergehenden Individuen machen die Geschichte. Abstraktionen haben keine Füße, sie gehen nur, wenn sie von wirklichen Menschen getragen werden. Für diese wirklichen Wesen, die nicht nur in der Idee, sondern in Wirklichkeit aus Fleisch und Blut bestehen, hat die Wissenschaft kein Interesse. Sie betrachtet sie höchstens als Material zu geistiger und sozialer Entwicklung.

Michail A. Bakunin (1991): Gott und der Staat. Grafenau: Trotzdem Verlag

 

Laurent Verycken

Sinnliche Erfahrungen sind primär wortlos. 'Sensa' sind stumm. In den Wörtern ist das Sinnliche abgestreift. Wenn wir etwas beschreiben, bezeichnen wir nicht unsere Empfindungen, sondern wir passen unsere Empfindungen den abstrakten Symbolen an. Subjektive Empfindungen und sinnliches Erleben werden zugunsten der pragmatisch verwertbaren, objektiven Konstrukte vernachlässigt. Im Vorgang des Abstrahierens halten wir immer den Fluss des konkreten Erlebens an.

Verycken, Laurent (1994): Formen der Wirklichkeit. Auf den Spuren der Abstraktion. Penzberg: GrundRiss-Verlag

Das Regellose ist das eigentlich Wirkliche im Wirklichen, ist an den Dingen die unergreifliche Basis der Realität, der nie aufgehende Rest - das, was sich mit größter Anstrengung nicht im Verstand auflösen läßt. Zeit, Raum und Person sind, wie alle anderen grammatischen Hilfskonstruktionen FORMEN der WIRKLICHKEIT, aber nicht die Wirklichkeit selbst. Alle Kategorien sollten deshalb als vorübergehende Ruhepunkte im Denken betrachtet werden und nicht als etwas Endgültiges. In der Natur gibt es keine fertigen Gebilde, nichts Rundes und nichts Abgeschlossenes, wie uns die Abstraktionen gerne glauben machen möchten. Rund und geschlossen sind nur Wörter, Bilder, Zeichen.

Verycken, Laurent (1994): Formen der Wirklichkeit. Auf den Spuren der Abstraktion. Penzberg: GrundRiss-Verlag