SUBVERSIV UND ZEILENSPRENGEND?
Vox Populi
Wir helfen euch aus der Wohnungsnot!
Wir jäten die rote Saat aus!
Wir schaffen euch Arbeit und billiges Brot!
Uns wählt - nur uns in das Rathaus!
In des armen Steuerzahlers Ohren
gellt ein Tuten, Pfeifen, Trommeln, Schreien:
Welche ist die beste der Parteien?
Welcher sei die ewige Treu geschworen?
Vom Denkmalsockel und vom Balkon,
vom Kirchturm und von der Veranda,
vom Automobil und vom Luftballon
braust mächtig die Propaganda.
Betet! Schreit Hurra! Laßt euch nicht impfen!
Wählt nur Demo-, Natio-, Sozial-, Kommunisten!
Himmel! Achtzehn Kandidatenlisten
winken wedeln, werben, höhnen, schimpfen!
Der Bürger sitzt beim fünften Glas Bier
am Stammtisch im "Schummrigen Schoppen".
Sie haben vergessen vor Wahlbegier
den Skat zu Ende zu kloppen.
Ruft der Erste: "Nur die für die Hunde
endlich mit die Steuern runterwollen,
finden mir bereit mit meiner Ollen;
sonst jeht die Jemütlichkeit zugrunde."
Der Zweite wünscht für die Straßenbahn
mehr Haltestellen. Der Dritte
setzt seine Kritik beim Kientopp an
vom Standpunkt der guten Sitte.
Also geeifert und beraten.
Schließlich aber drängt man sich zusammen,
um an Hand von achtzehn Wahlprogrammen
zu erspähen die besten Kandidaten.
Noch einen gehoben, noch einmal geschneuzt -
und überprüft alle Fächer:
Bei welcher Nummer wird angekreuzt? -
"Herr Ober, den Knobelbecher!"
'n bißken röter oder 'n bißken jelber:
Säh man in den Taten eines jeden
nur den zehnten Teil von seinen Reden,
wär Berlin das Eldorado selber.
Erich Mühsam, 1925