KULTURELLES CHAOS, POLITIX UND WARPZONEN
Umtausch nicht gestattet. - Die Menschen verlernen das
Schenken. Der Verletzung des Tauschprinzips haftet etwas Widersinniges
und Unglaubwürdiges an; da und dort mustern selbst Kinder mißtrauisch
den Geber, als wäre das Geschenk nur ein Trick, um ihnen Bürsten
oder Seife zu verkaufen. Dafür übt man charity, verwaltete Wohltätigkeit,
die sichtbare Wundstellen der Gesellschaft planmäßig zuklebt.
In ihrem organisierten Betrieb hat die menschliche Regung schon keinen
Raum mehr, ja die Spende ist mit Demütigung durch Einteilen, gerechtes
Abwägen, kurz durch die Behandlung des Beschenkten als Objekt notwendig
verbunden. Noch das private Schenken ist auf eine soziale Funktion heruntergekommen,
die man mit widerwilliger Vernunft, unter sorgfältiger Innehaltung
des ausgesetzten Budgets, skeptischer Abschätzung des anderen und
mit möglichst geringer Anstrengung ausführt. Wirkliches Schenken
hatte sein Glück in der Imagination des Glücks des Beschenkten.
Es heißt wählen, Zeit aufwenden, aus seinem Weg gehen, den
anderen als Subjekt denken: das Gegenteil von Vergeßlichkeit. Eben
dazu ist kaum einer mehr fähig. Günstigenfalls schenken sie,
was sie sich selber wünschten, nur ein paar Nuancen schlechter. Der
Verfall des Schenkens spiegelt sich in der peinlichen Erfindung der Geschenkartikel,
die bereits darauf angelegt sind, daß man nicht weiß, was
man schenken soll, weil man es eigentlich gar nicht will. Diese Waren
sind beziehungslos wie ihre Käufer. Sie waren Ladenhüter schon
am ersten Tag. Ähnlich der Vorbehalt des Umtauschs, der dem Beschenkten
bedeutet: hier hast du deinen Kram, fang damit an, was du willst, wenn
dir's nicht paßt, ist es mir einerlei, nimm dir etwas anderes dafür.
Dabei stellt gegenüber der Verlegenheit der üblichen Geschenke
ihre reine Fungibilität auch noch das Menschlichere dar, weil sie
dem Beschenkten wenigstens erlaubt, sich selber etwas zu schenken, worin
freilich zugleich der absolute Widerspruch zum Schenken gelegen ist.
Gegenüber der größeren Fülle von Gütern, die
selbst dem Armen erreichbar sind, könnte der Verfall des Schenkens
gleichgültig, die Betrachtung darüber sentimental scheinen.
Selbst wenn es jedoch im Überfluß überflüssig wäre
- und das ist Lüge, privat so gut wie gesellschaftlich, denn es gibt
keinen heute, für den Phantasie nicht genau das finden könnte,
was ihn durch und durch beglückt -, so blieben des Schenkens jene
bedürftig, die nicht mehr schenken. Ihnen verkümmern jene unersetzlichen
Fähigkeiten, die nicht in der Isolierzelle der reinen Innerlichkeit,
sondern nur in Fühlung mit der Wärme der Dinge gedeihen können.
Kälte ergreift alles, was sie tun, das freundliche Wort, das ungesprochen,
die Rücksicht, die ungeübt bleibt. Solche Kälte schlägt
endlich zurück auf jene, von denen sie ausgeht. Alle nicht entstellte
Beziehung, ja vielleicht das Versöhnende am organischen Leben selber,
ist ein Schenken. Wer dazu durch die Logik der Konsequenz unfähig
wird, macht sich zum Ding und erfriert.
Theodor W. Adorno: Minima Moralia, S. 46 - 47
Theodor W. Adorno war Mitgründer des Frankfurter Instituts für Sozialforschung und hat zusammen mit Max Horkheimer, Herbert Marcuse und anderen die kritische Theorie entwickelt, der Versuch, einen undogmatischen Marxismus, Soziologie, Philosophie und Psychologie zusammen zu denken. Die Ansichten dazu gehen sehr auseinander, kann yeder nur raten, sich selbst damit auseinanderzusetzen. Weiterer seiner Werke: Studien zum autoritären Charakter, Negative Dialektik, Dialektik der Aufklärung, Erziehung zur Mündigkeit.