Religionskritik

TEXTE ZU ORGANISIERUNG VON UNTEN

Organisierung an Hochschulen


1. Einleitung und Links zu Strategietexten
2. Strategiepapier der Gruppe Landfriedensbruch
3. Teil 2: Wie weiter ...
4. Medien und Kommunikationswege
5. Utopien weiterentwickeln und Praxisansätze finden
6. G8-Mobilisierung
7. Organisierung an Hochschulen
8. Buchvorstellungen zum Themenbereich

Opposition 2.0: Virtuelle Simulationen

VON DANIÉL KRETSCHMAR

Das gesellschaftliche Trendpendel schlägt nach rechts aus. Wenig überraschend trifft das auch die Hochschulen und die dort verweilenden Studierenden. Warum es trotzdem noch linke ASten gibt? Vodoo?
Als im vergangenen Jahr das Studierendenparlament (StuPa) und damit der Allgemeine Studierendenausschuß (AStA) der Technischen Universität Berlin (TU) durch eine Mehrheit erkennbar rechts der Mitte gestellt wurde, sollte es ungemütlich werden. Während der Ring Christlich Demokratischer Studenten (RSCD) seinen ersten Berliner Sieg seit fast 40 Jahren feierte, leckten die Linken ihre Wunden und nur einige ahnten, wie viel Verbandsmaterial noch benötigt werden würde. In der Huch! und anderswo wurde bereits ausführlich über den Versuch der totalen Zerschlagung jeglicher Formen studentischer Selbstverwaltung berichtet, ein Verweis auf den traurigen Höhepunkt des Dramas - die Aufgabe sogar der Räumlichkeiten des AStA - soll an dieser Stelle deshalb genügen. Denn der Kern des Geschehens ist nicht die wenig überraschend zutage getretene destruktive Energie des Rechts-AStA, sondern die Art der Ausführung: Sie war hektisch, unvorbereitet und unprofessionell und offenbarte damit erstens, dass jene Berserker kaum selbst mit einem Wahlsieg gerechnet hatten. Wie konnten sie das auch: In Berlin scheint schließlich ein ehernes Gesetz zu bestehen, ein Bann geradezu, der die studentischen Vertretungsorgane sicher in linker Hand hält, Verzeihung, hielt. Oder doch im Präsens: hält? Denn zweitens machte es den Eindruck, die CDU-Nachwuchsstars von der TU hätten bereits im Amt ihr Glück nicht so ganz glauben konnten und die Wiederholung ihres Wahlerfolges nicht für möglich gehalten. Warum sonst zerstörten sie in dieser unglaublichen Eile noch grundlegendste Arbeitskapazitäten, die jeden AStA, ob links oder Nchts, völlig funktionsunfähig zurücklassen musste? Der Beweis des Nimbus' linker Überlegenheit an den Universitäten wurde ja auch prompt angetreten. Die für ein Jahr in die Opposition gedrängten "AStA-AbonnentInnen" gewannen die StuPa-Wahl 2007 mit einer Zweidrittelmehrheit. Und die Welt war, von einigen kleinen Schönheitsfehlern abgesehen, wieder in der Ordnung.
Bedenken wir nun den medial permanent beschrieenen Fetisch um die gesellschaftliche Mitte, in Wirklichkeit handelt es sich um einen fortgesetzten Rechtstrend, drängt sich die Frage auf, wie es kommt, dass die Hochschulen (gemeint sind in diesem Falle die Studierendenschaften), als Ort der Spiegelung gesellschaftlicher Verhältnisse, diesen Trend zumindest in Berlin partout nicht bestätigen wollen.

40 Jahre Linkssimutation
Da ist zuerst das Phantom der 68er, die so revolutionär nicht waren und schon gar nicht mehr sind. Was aber seit der magischen Jahreszahl Bestand hat, ist die Simulation einer oppositionellen Nische. Simulation deshalb, weil allein ein Blick in die Studien- und Prüfungsordnungen genügt, die Schreihälse mit ihrer Semesterrebellion ganz schnell wieder hinter die staatlich fixierten Schreibtische zu zwingen. Das gilt umso nicht seit der Einführung der Bachelor- und Masterstudiengänge. Wer da noch Zeit für Konspiration und Agitation übrig hat, soll nur machen, die Selbstdisziplinierungsmechanismen regeln den jugendlichen Überschwang früher oder später von ganz allein. Von peinlichen Ausrutschern übereifriger Ermittlungsbehörden (vgl. den Fall Andrej H., der, nebenbei bemerkt, nicht als Student, sondern als wissenschaftlicher Mitarbeiter ins Visier der Staatsschützer kam) abgesehen, bleiben die Hochschulen und ihre Angehörigen vom allzu starker administrativ-repressiver Einflussnahme durch die Organe der inneren Sicherheit verschont. Im Rahmen der vorgefundenen Umstände kann in aller Regel ungestört gelesen, mehr oder weniger fundiert Kritik geübt und bisweilen auch demonstriert werden.

Virtuelle Dominanz
Fine verhältnismäßig kleine, für die Mehrheitsverhältnisse der Wahlen an den Hochschulen aber signifikante Gruppe Studierender nimmt nun gerne in dieser Simulation einer oppositionellen Nische Platz und manifestiert dort Jahr für Jahr eine virtuelle Dominanz, eine linke Dominanz. Virtuell ist sie nicht deshalb, weil eine höhere Wahlbeteiligung die linke Mehrheit brechen würde. Das würde sie nicht. Die einzigen beiden Wahlen an Berliner Hochschulen mit erheblich über dem Durchschnitt liegender Beteiligung (FU 2004, TU 2007) zeitigten genau das Gegenteil, nämlich eine drastische Stärkung der Links-ASten. Virtuell ist die linke Dominanz nur deshalb, weil sie sich lediglich auf ein Bauchgefühl, das besagt, dass Links eben irgendwie besser sei und nicht auf eine klar artikulierte oder gar organisierte Mehrheitsmeinung ihrer Wählerinnen und Wähler stützt. Dieses Bauchgefühl existiert an den Hochschulen in unterschiedlicher Ausprägung, die mit der Fächerstruktur genauso zu tun hat, wie mit der durchaus verschiedenen sozialen Zusammensetzung der Studierendenschaften, zeichnet sich dabei aber an TU, FU und HU im Gegensatz zu vielen westdeutschen Hochschulen dadurch aus, dass es dazu noch basislinks ist. Basislinks heißt in diesem Zusammenhang: im weitesten Sinne links, basisorientiert, staats- und parteifern. Wie sich die Staatsferne damit verträgt, dass die Organe der Studierendenschaft gesetzlich vorgeschriebeneTeile der staatlichen Institution Hochschule sind, ist dabei keine ganz nebensächliche Frage.

Vergebliche Klagen?
Der Sozialistische Deutsche Studentenbund (SDS), 1970 vor allem in maoistische Splittergruppen zerfallenes ehemaliges Flaggschiff der sogenannten 68er, stellte schon 1965 ganz richtig fest, dass die Verfasste Studierendenschaft (d.i. StuPa, AStA usw.) einen Ordnungsfaktor innerhalb der potentiell rebellischen Universität darstellt. Folgen wir dieser Auffassung, repräsentieren ihre Organe eine sogar staatlich gewollte (zumindest potentiell oppositionelle) Nische. Und da liegt der Hund begraben: waren in den Anfangsjahren der verfassten Studierendenschaften die Wahlkämpfe zu den Studierendenparlamenten noch geprägt von Miniaturausgaben der "großen" Wahlkämpfe, SPD-Jugend gegen CDU-Jugend usw., installierte die 68er-Bewegung das Bewusstsein, dass besagte Nische auch von jenen, die nicht innerhalb des parteipolitischen, mithin konservativ vermittelten Konsens stehen, besetzt werden kann. Genau das aber war eigentlich nicht vorgesehen und so mussten unter anderem Gerichte eingreifen, um dem bunten Treiben Einhalt zu gebieten. Das Urteil gegen den AStA Tübingen, dem verboten worden war, sich öffentlich zum Tode Benno Ohnesorgs zu äußern (Verwaltungsgericht Sigmaringen 1967: "Nicht jeder Tod eines Studenten ist hochschulbezogen“) war der Startschuss für eine bis heute andauernde Kampagne, die geführt von einer zahlenmäßig kleinen Gruppe Teil der Eindämmungsstrategie gegen die oppositionelle Nische ist.
Die Klagewelle ist nicht zufällig in den 90ern und bis zur Jahrtausendwende wieder angeschwollen: bis dahin hatte man sich im staatstragenden Lager in Geduld geübt, in der irrigen Gewissheit, der gesellschaftliche Rechtsruck würde zügig auch in den Hochschulen ankommen und sich bei den Wahlen zu studentischen Vertretungsorganen bemerkbar machen. Tat er aber nicht - die Mehrheit der ASten blieb links. Also sollte ihnen wenigstens der Mund verboten werden; was auch ganz gut funktionierte. Wer stichprobenartig die Publikationen studentischer Gremien aus den letzten 30 Jahren vergleicht, wird mit fortschreitendem Datum einen zunehmend zurückhaltenderen Ton und eine eingeschränktere Themenwahl bemerken. Nimmt man nun diese Veröffentlichungen als Indiz für die dahinterstehende politische Radikalität, darf den Klägerlnnen wohl ein zumindest teilweiser Erfolg bescheinigt werden. Die ProtagonistInnen basislinker Politik zogen sich vielerorts mangels irgendeiner Arbeitsperspektive aus der Hochschule (oder der Politik) zurück und überließen das Feld weniger gut geschulten und organisierten SachverwalterInnen ihrer Frisurmoden und Parolen, die, mit Maulkorb und ohnehin anerzogener Beißhemmung ausgestattet, ganz gut zu ihren bauchlinken Wählerinnen und Wählern passten. Die Rechten blieben weiterhin draußen.

Des einen Leid ...
Der Vorhang für den nächsten Akt ging bald auf-. die Daseinskrise basislinks geprägter Politik an der Hochschule machte sich im Zerfall der bis dato starken Hochschulgruppen bemerkbar, deren Platz wieder (nach einer fast 30-jährigen Pause) von parteinahen Jugendverbänden eingenommen wurde, die jedoch weiterhin mit der rebellischen Gefühlslage der Studierenden rechnen mussten. Deshalb hatten üblicherweise auch hier mir Gruppen mit wenigstens nominell linkem Programm eine Chance, halbwegs dauerhaft Fuß zu fassen. Es ist kein Zufall, dass kaum ein bundesdeutscher AStA in den vergangenen io Jahren nicht wenigstens zeitweise von Untergliederungen der Bündnisgrünen getragen worden ist.
Die Rückzugskämpfe der Basislinken waren verbittert und meistens zum Scheitern verurteilt, unter anderem deshalb, weil die parteinahen Jugendverbände an einigen Hochschulstandorten schon sehr früh erkannten, dass der für sie wesentliche Kampf nicht zwischen rechts und links, sondern, verkürzt gesagt, angesichts der virtuellen linken Dominanz zwischen unabhängig und parteinah erfolgte. Koalitionen mit offen rechten Listen gehörten so auf einmal zum Handwerkszeug, sind inzwischen aber kaum noch nötig: die wählende Mehrheit fühlt links und nach Beseitigung der Konkurrenz auf jener Seite des Tisches steht der Okkupation der Simulation der oppositionellen Nische nichts mehr im Wege. Die Zusammenarbeit mit den Rechten wird von den entsprechenden Gruppen entgegen anderslautender Unterstellung nicht gern gewählt. Streng jesuitisch "heiligt der Zweck aber die Mittel", und der Zweck ist die Erringung der Macht, die sich für legalistisch-formaldemokratische Gruppen, wie sie zwangsläufig aus Parteijugendverbänden erwachsen, eben in der Besetzung von Wahlämtern konstituiert.

Ausnahme Berlin
Einschränkend muss an dieser Stelle eingefügt werden, dass sich derartige Szenen nicht überall abgespielt haben und sich auch nicht zwangsläufig überall in dieser Form abspielen müssen. Dazu sind politische Hochschulgruppen meistens viel zu lose organisiert, erfahren eine hohe Fluktuation und können relativ leicht durch den Austausch von ein bis zwei Alphatieren völlig überraschende Wendungen vollziehen. Beschrieben wird nur eine Tendenz, die vor allem gegen Ende der 90er Jahre an verschiedenen Hochschulen zu beobachten war. Außer in Berlin.
An allen drei großen Hochschulen der Stadt hat es seit 1990 zwei Mehrheiten nie gegeben: keine offen rechte und keine parteinahe (Die TU-Wahl 2006 widerspricht dieser Beobachtung nicht, war die Mehrheit doch nicht offen rechts, sondern durch Tarnlisten erreicht worden.). Versuche einer Verschiebung der Mehrheitsverhältnisse hat es natürlich immer gegeben, nur haben die einzigen die für eine solche Verschiebung beweglich genug sind, die linken parteinahen Gruppierungen, das Problem, dass sie immer nur in einem Lager uni Zustimmung werben können: dem linken oder dem parteinahen, wovon das eine wie nun oft genug gesagt eine kaum angreifbare Mehrheit hat, das andere aber keine erringen kann. So gelingt es ihnen zwar hin und wieder (UL [heute: SDS.DIE LINKE FU] und Grüne um 2000 an der FU z.B.) kurzfristig in die linke Mehrheit "einzubrechen", von einer dauerhaften Verankerung in den Strukturen der verfassten Studierendenschaft kann aber keine Rede sein.

Das Ende der Fahnenstange
Es entsteht der Eindruck, die basislinken Gruppen müssten lediglich gering Personal für Wahllisten und Ämter sammeln sowie den Wählerinnen und Wählern ihre Existenz zur Kenntnis geben - und bei Erfüllung dieser zwei Bedingungen läuft die Sache.
Vielleicht ist es tatsächlich genau so. Die an allen drei Hochschulen über Jahre gewachsenen Strukturen tragen so eindeutig die Prägung dieser unabhängigen linken Gruppen, dass Studierende, so sie überhaupt ihre Selbstverwaltung zur Kenntnis nehmen, diese mit einem bestimmte Politikverständnis und bestimmten Personen verbinden, die einer basislinken Programmatik zugeordnet werden können. Interessierte jüngere Studierende kommen nach, für die Arbeit in den Gremien durch die tägliche Sacharbeit gewonnen. Es wachsen natürlich zu wenige nach, das ist immer so, aber doch eine hinreichende Zahl, um die vermutete erste Bedingung der fortdauernden basislinken Dominanz zu erfüllen. Wie lange es ausreichen wird, per Plakat und persönlicher Ansprache die zweite Bedingung zu erfüllen, ist schwer abzuschätzen. Gesellschaftliche Veränderungen werden auch an den Hochschulen ihren Tribut fordern und es genügt für die basislinken Gruppen gewiss nicht, sich dauerhaft auf die Größe der bauchlinken Gefühlswallung in der Studierendenschaft zu verlassen. Um aus der Simulation einer oppositionellen Nische und ihrer virtuellen linken Dominanz einen Wirkungsraum mit politischer Ausstrahlungskraft zu machen (so das überhaupt gewünscht ist), bedarf es mehr als der qualifizierten Mitgestaltung in Unigremien und quasigewerkschaftlicher Vertretungsarbeit für die eigene Klientel: es bedarf dafür eines politischen Programms und einem Organisationsgrad, wie er derzeit nur schwer vorstellbar sein dürfte. Solange dieses Programm und diese Organisation nicht in der Lage sind, die Universität als Institution grundsätzlich in Frage zu stellen, wird davon nicht mehr zu erwarten sein als eine (im besten Falle) Wiederholung der 68er, mit ihren kurzlebigen Erfolgen, wie auch ihrer Assimilation durch die Strukturen, gegen die sie vorgeblich angetreten waren. Dann kann eine weitere Generation ergrauter VersagerInnen mit Alan Ginsberg rufen: "You should have seen me reading Marx!"

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