Religionskritik

ARBEIT, BETRIEBE, ZWÄNGE

Arbeit für alle?


1. Arbeit, Arbeit, Arbeit
2. Arbeit für alle?
3. Macht- und Verwertungslogiken in Betrieben
4. Grundeinkommen & Existenzsicherung
5. Arbeitsethos von links
6. Internetseiten gegen Arbeit, Modernisierung und Wettbewerbsstaat, Hartz&Co.

Der folgende Text stammt aus der "Zeitung für stürmische Tage".
Download ...

Das Jahr 2004 steht im Zeichen der größten Sozialabbauwelle in der BRD. Der fordistische Spuk, wo wachsende Märkte für immer mehr Beschäftigung sorgten, ist endgültig vorbei und so werden auch alle "zivilisatorischen Errungenschaften" die an den Fordismus gebunden waren allmählich wieder kassiert. Für die Betroffenen hat dies weitreichende Konsequenzen. Das neue Schlagwort Flexibilität bedeutet im entsicherten Kapitalismus nichts anderes, als den Verlust aller individueller Sicherheit. In einer Welt in der alles "zumutbar" ist, wird das Leben selbst zur Zumutung.
In einem sind sich die Reformregierung und viele ihrer sozialstaatlichen Kritiker einig. Die Lösung für das Dilemma liegt im Wachstum, das neue Arbeitsplätze schaffen soll.
Die einen setzen dabei eher auf die Stärkung der Angebotsseite, in der Hoffnung die kaufkräftige Nachfrage im Ausland schon irgendwo zu finden, während die anderen eher auf die Stärkung des inländischen Konsums setzen. Beide klammern jedoch eine Frage aus. Wofür ein mehr an Arbeit? Das die meiste Arbeit nur wenig mit Selbstentfaltung zu tun hat, dürfte heute kaum jemand bezweifeln. In Deutschland werden 65 Krankheitstypen offiziell als Arbeitskrankheiten anerkannt. In Japan ist der Stresstod am Arbeitsplatz so verbreitet, dass ein spezielles Wort dafür entwickelt wurde: Karoschi. Haben wir - zumindest in der westlichen Hemisphäre - tatsächlich eine Güterknappheit, die mehr Arbeit nötig macht? Das Gegenteil ist der Fall. Zwar gibt es eine Menge Tätigkeiten, wie die Pflege alter Menschen, Kinderbetreuung, Umweltschutz o.ä., in die noch viel mehr Energie gesteckt werden müsste, doch tatsächlich ist die aktuelle Krise gerade auf ein gewaltiges Wachstum der Produktivität zurück zu führen. Diese ist derart rasant gestiegen, dass die menschliche Arbeitskraft immer weniger gebraucht wird. Für eine vernünftig eingerichtete Welt würde dies als Möglichkeit erscheinen, sich endlich von dem Fluch, sein Brot nur im Schweiße seines Angesichts zu essen, zu erlösen. Für eine kapitalistisch eingerichtete Welt erscheint es jedoch vielmehr wie das Nahen des Armageddons. Das zeigt, dass Arbeit nicht verwechselt werden darf, mit allgemein nützlicher menschlicher Tätigkeit. Vielmehr muss Arbeit verstanden werden als die entmündigte Produktion für einen anonymen Markt, die von jeder sinnlichen Eigenschaft des Produktes und der Arbeit abstrahiert solange sie verwertbar bleibt. Der Sinn kapitalistischer Produktion besteht eben nicht in der Befriedigung menschlicher Bedürfnisse, sondern in der Verwandlung menschlicher Energie in Geld. Deshalb versuchen die Fanatiker der Marktwirtschaft die menschliche Arbeitskraft zunehmend in eine verkäufliche Ware zu verwandeln, gerade in einer Zeit, in der der Verkauf der Arbeitskraft genauso erfolgversprechend erscheint, wie der Verkauf von Tofuwürstchen auf der Jahresfeier der Metzgerinnung.
Wer sich also mit der Regierung darüber streiten möchte, was der beste Weg "für Wachstum und Beschäftigung" (DGB) ist, kann das gern tun. Ein Kampf gegen die aktuellen und noch kommenden Zumutungen wird damit nicht gewonnen. Dieser muss vielmehr ein Kampf gegen und nicht für die Arbeit sein. Der Ruf nach mehr Leistung muss mit einer Politik der aktiven Verweigerung beantwortet werden, nicht mit alternativer Konzeptheckerei. Der Widerstand v.a. auch gegen Repressionen denen mensch sich in der Arbeitslosigkeit ausgesetzt sieht, ist in diesem Sinne ein wichtiges Feld des anstehenden Widerstandes. Für viele ist dies bereits tägliche Realität. Trotzdem wird es auch von vielen sozial engagierten Menschen noch immer als Nebenschauplatz abgetan, da auch für sie noch immer die Lohnarbeit die einzig denkbare Form gesellschaftlicher Teilhabe ist. Alles andere gilt als bedauernswertes Unglück dem abgeholfen werden muss - durch Wachstum und Beschäftigung. Dieses Denken muss überwunden werden, die Konzepte einer neuen sozialen Bewegung müssen jenseits der Arbeit liegen.

Im Original: Flugblatt zum 1. Mai 2002 in Osnabrück
ARBEIT oder LEBEN
Unser Leben ist zu einem Großteil die Verwertung durch Arbeit. Im Gegensatz zum Leben ist die Arbeit jedoch kein evolutiv entstandenes Prinzip unseres Planeten und unsere größte Freude, sondern Notwendigkeit eines gesellschaftlichen Systems, welches den einzigen Zweck hat, aus Geld (allgemein akzeptierter Wert der Arbeit) noch mehr Geld zu machen.
Aber durch Arbeit entstehen doch Häuser, Straßen, Computer und all die anderen Sachen, die uns das Leben vereinfachen und bestimmte Aufgaben übernehmen, so dass wir mehr Zeit für die schönen Dinge im Leben haben, könnte mensch einwenden. Dies sei doch der eigentliche Zweck der Arbeit, also unser aller Lebensunterhalt. Wäre er dies, warum hat dann die Arbeit in ihrem über 200-jährigen Feldzug es nicht geschafft, ein auch nur annähernd erträgliches Leben für die Menschen dieses Planeten zu ermöglichen? Tatsächlich ist die Arbeit die Verneinung (in vielen Trikontländern ist Arbeit für viele ArbeiterInnen nur künstliche Verlängerung des Lebens) oder Verdrängung (entfremdete Produktion nach Kriterien des Profits und nicht der Bedürfnisse) des Lebens.
Das Produkt der Arbeit -und auf das scheint es ja nur anzukommen- ist in erster Linie eine Ware und nur wenn es sich rentiert, ein zu gebrauchender Gegenstand. Es ist technisch möglich für alle Menschen der Erde genug Nahrung, Wohn- und Lebensraum und beinahe alle Luxusgüter herzustellen. Hierfür reicht besonders nach der mikroelektronischen Revolution ein Bruchteil der heute aufgewendeten menschlichen Arbeitskraft. Wieso arbeiten denn dann so viele Menschen wie bekloppt und total viel und Millionen andere sind weltweit arbeitslos?
Dazu muss mensch Arbeit als ein gesellschaftliches Zwangsprinzip erkennen, welches nicht freiwillig für eine bessere Welt abdankt. Wir arbeiten alle nur, um die große Mühle der Verwertung in Schwung zu halten, und zwar um ihrer selbst Willen, nicht um des Menschen Willen. Sukzessiv werden alle Lebensbereiche kommerzialisiert. Alles irgendwie Schaffende wird sofort mit einem (Geld-) Wert bemessen, der einzig und allein dafür da ist -oft erst nach simultierter Vergrößerung durch Spekulationen- wieder in menschliche Arbeit getauscht zu werden.
Arbeitslose sind in dieser Mühle zur Zeit nicht zu gebrauchen, nicht zu verwerten. Eigentlich könnte mensch sich freuen. Diesem scheinbar übermächtigen Mechanismus entkommt mensch aber im warenproduzierenden System nicht. Wer nicht arbeiten kann, darf oder will, wird auch vom gesellschaftlichen Reichtum ausgeschlossen. Dass der Großteil dieses Reichtums für das eigentliche Leben keine Bedeutung hat, sondern nur dazu da ist (genau so wie die „Freizeit“) menschliche Energie wiederherzustellen, die während der Arbeitszeit dann in Geld verwandelt wird, ist diesem System objektiv egal, denn es hat geschafft, dass die arbeitenden Menschen subjektiv der Ideologie der Arbeit total verfallen und der Meinung sind, solange ich arbeite, bin ich wer und mache das Beste aus meinem Leben.
Diese ist übrigens die mächtigste und einzige überall widerspruchslos akzeptierte Ideologie in der Geschichte der Menschen. Sie setzt sich über alle politischen Systeme hinweg und wird selbst von Sozialisten und rechtsaußen gehuldigt, und Arbeit wird als zentrales Axiom jeder gesellschaftlichen Organisierung angesehen. Arbeit und Kapital gehören jedoch untrennbar zusammen(Sowohl im westlichen Kapitalismus, als auch im ehem. sowjetischen Staatskapitalismus). Deswegen kann es nicht darum gehen, die Arbeit gegen das Kapital oder die herrschende Klasse zu verteidigen oder zurückzugewinnen. Die Arbeit würde nur von anderen Interessen verwaltet, besser entlohnt oder anders verteilt.
Wenn wir aber das Leben zurückerobern wollen, müssen wir zu aller erst konsequent mit der Verwertung durch Arbeit aufhören, d.h. die Arbeit muss als solches aufhören und mit ihr das Produzieren von Waren und der Zwang, dass Menschen etwas ihren Bedürfnissen (Leben) äußerliches (entfremdetes) tun und dies als zentralen Inhalt ihres Seins begreifen.
„Muße, notwendige Tätigkeit und frei gewählte Aktivitäten müssen in ein sinnvolles Verhältnis gebracht werden, das sich nach Bedürfnissen und Lebenszusammenhängen richtet.“ (Krisis, Manifest gegen die Arbeit)
Für die Freiheit, für das Leben: Arbeit aus den Köpfen fegen!
Statt einzeln vor der Arbeit zu flüchten, gemeinsam gegen die Arbeit kämpfen!
Kooperationen in freien Vereinbarungen von unten aufbauen!


Im Original: Flugblatt zum 1. Mai 2002 in Göttingen
5 Millionen Arbeitslose sind 5 Millionen zuviel!
Arbeitslose haben in aller Regel weit weniger Geld als Leute „mit Job“. Und je länger sie nicht arbeiten, um so schlimmer wird diese Situation. Erst Arbeitslosengeld, dann Arbeitslosenhilfe, schließlich Sozialhilfe – und wer weiß, welche Schikane sich die nächste, wie auch immer gefärbte Regierung noch einfallen lässt.
Doch nicht nur das. Arbeitslosigkeit ist auch meist mit einem Verlust von Prestige und Anerkennung verbunden. Und je länger jemand keine Arbeit hat, um so tiefgreifender wirkt sich dieser Ausschluss auf Lebensumfeld und Wohlbefinden aus. Nicht selten beginnen deshalb Langzeitarbeitslose in einem Strudel aus Frust, Hoffnungslosigkeit, Selbstzweifel und einem Gefühl der eigenen Wertlosigkeit zu versinken. Mit der Arbeitslosigkeit, wir sehen das schnell ein, ist das schon eine ziemlich miese Sache.

40 Millionen Erwerbstätige sind 40 Millionen zuviel! Doch selbst wenn alle Menschen Arbeit hätten, wären das keine paradiesischen Zustände: Sicherlich arrangieren sich die meisten mit ihren Arbeitsverhältnissen. Viele aber merken sehr wohl, dass es nichts mit Glück und Selbstentfaltung zu tun hat, sich jeden Tag zu festgelegter Stunde an einen festgelegten Ort zu begeben, um dort Dinge zu tun, die ebenfalls von anderen bestimmt werden.
Erwerbstätige können sich in der Regel weder aussuchen, was sie herstellen oder tun, noch wie sie das machen, geschweige denn was dann damit passiert. Schon gar nicht können sie ihr Produkt einfach nehmen und selbst verwenden. Darüberhinaus schränkt das Arbeitsleben auch die Menge und die Gestaltungsmöglichkeiten der Freizeit ein. Mögliche Zeitpunkte für Treffen mit FreundInnen, sportliche Aktivitäten oder einfach die Zu-Bett-geh-Zeit sind durch den Rhythmus der Arbeit bestimmt. Zudem sind viele sind in ihrer Freizeit zu ausgelaugt, um endlich das tun zu können, was ihnen Spaß macht. Freizeit ist dann nicht viel mehr als ein notwendiges Kräftesammeln für den nächsten Arbeitstag. Nein wahrlich – Erwerbstätigkeit ist auch keine Freude.

20 Millionen Hausfrauen und Hausmänner sind 20 Millionen zuviel! Doch auch die, die weder lohnarbeiten gehen noch davon ausgeschlossen werden, haben nicht das große Los gezogen: Hausfrauen und -männer sind stets vom Einkommen ihrer PartnerInnen abhängig. Ihre Aufgabe ist es, die ErnährerInnen arbeitsfähig und bei Laune zu halten. 
Ob sie etwas anderes lieber täten, als tagein, tagaus zu putzen, zu kochen, die Unterwäsche für die ganze Familie zu kaufen und die Kinder zu hüten, steht nicht zu Debatte. Und auch wenn der oder die Erwerbstätige abends heim kommt oder arbeitslos wird, bleiben die genannten Jobs meist an den Hausmenschen hängen. Registrieren tut es niemand. Darüber reden auch nicht. Und auch die völlige finanzielle Abhängigkeit vom anderen Menschen ist kein Thema, über das gesprochen wird. Ganz klar: Auch dies ist bei nüchterner Betrachtung niemandem zu wünschen.

20 Millionen RentnerInnen und SchülerInnen sind 20 Millionen zuviel! Für diejenigen aber, denen die Gnade des Nicht-mehr-länger-arbeiten-müssens endlich zugestanden wird, bricht nun auch nicht gerade das süße Leben an:
Nicht selten sind sie durch die vielen Jahre der Arbeit aufgezehrt und haben mit der Arbeit viele Sozialkontakte verloren. Sie kommen mit der Rente hinten und vorn nicht aus und müssen jetzt „alt“ sein. Oft wird ihnen das Gefühl vermittelt, unproduktiv und damit nutzlos zu sein – und weil sie nicht gebraucht werden, sollen sie gefälligst auch keine Forderungen stellen. Bitter, dass das unbeschwerte Leben nach all dem Gekeule auch mit 66 Jahren nicht anfängt. Und wer sich zudem noch einfallen lässt, krank und gebrechlich zu werden, wird nicht selten zur letzten Aufbewahrung ins Altersheim abgeschoben, wo oft ihre Perspektive nur noch der Tod ist. Und auch die SchülerInnen, die erst noch das Arbeiten lernen sollen, sind nicht zu beneiden: Sie werden mit zig anderen ihrer Sorte, die sie sich nicht aussuchen dürfen, in Räume gezwungen, in denen ihnen dann ein erwachsener Mensch (den sie selbstverständlich ebenso wenig auswählen dürfen) die Kindheit austreiben soll. LehrerInnen nennt mensch die, und ihr Job ist es, das freiwillige Handeln nach fremden Regeln zu lehren, damit alle das dann später im Erwerbsleben auch ausreichend verinnerlicht haben. Und so sind auch Unterrichtsinhalt, Lernmethode und Prüfungstermin stets vorgegeben. Ihren Höhepunkt findet diese Zurichtung bei den Azubis, die schulischer und betrieblicher Fremdbestimmung gleichzeitig ausgesetzt ist. Wir sehen schon – auch Junge und Alte haben es nicht so einfach, in unserer Gesellschaft.

Aber...
... brauchen wir denn nicht Menschen, die die Dinge herstellen, die uns umgeben? Brauchen wir nicht Menschen, die Essen zubereiten und für ein angenehmes Wohnklima sorgen? Müssen Kinder nicht lernen, haben ältere Menschen nicht ein Anrecht darauf, sich zurückzulehnen und den lieben Gott – und sich selber –einen guten Menschen sein zu lassen?
Ja, natürlich ist dem so. All dies ist richtig und wichtig. Aber leider sind diese Dinge, so, wie unser Leben derzeit eingerichtet ist, oft nur Nebenprodukt unserer Tätigkeit. Zu viel wird hergestellt, ohne zu fragen, ob es jemand braucht. Zu groß ist die Anzahl der Tätigkeiten, die nur wider Willen und ohne Freude verrichtet werden. Zu viel wird gelernt, was niemanden interessiert. Zu groß ist die Anzahl derer, die mit ihrem Austritt aus dem Erwerbsleben auch aus allem Anderen ausgestiegen zu sein scheinen. Zu viel Zeit muss vergeudet werden, um die eigene Existenz zu sichern. Wir tun Dinge nicht, weil wir sie tun wollen, sondern weil wir müssen – denn ohne Geld kann niemand am gesellschaftlichen Leben teilhaben. Aber mal ehrlich: Das muss doch auch anders möglich sein.

Ja, sicher!
Hören wir auf, Jugend gegen Alter, Erwerbstätigkeit gegen Erwerbslosigkeit, Geld verdienen gegen Hausarbeit aufzurechnen. Hören wir auf, unsere Wahl auf Dinge zu beschränken, die eigentlich alle nicht sonderlich erstrebenswert sind. Machen wir uns Gedanken, wie wir wirklich leben wollen. Stellen wir im Alltag alle Beziehungen in Frage, die uns unsere Zeit, Ideen und Lebensfreude rauben. Gehen wir gegen Institutionen und Regeln vor, denen wir uns bisher selbstverständlich untergeordnet haben.
Lernen wir, Lösungen für Missstände von Scheinlösungen zu unterscheiden. Fordern wir also nicht „Arbeit! Arbeit! Arbeit!“, sondern sorgen wir dafür, dass unser Leben anders wird. Nehmen wir selbstbestimmt, frei und gleich, die Dinge selbst in die Hand.
Wie erste konkrete Schritte auf diesem Weg aussehen können, was uns bisher davon abhält, einfach loszulegen, welche Erfahrungen es mit selbstbestimmten Lebensweisen und Organisierungen gibt, welche momentanen Probleme wahrscheinlich überwunden werden können, welche Schwierigkeiten sich auch später immer neu stellen werden, welche Möglichkeiten in Göttingen vielleicht noch unentdeckt schlummern... Wer Lust und Interesse hat, sich über solche Fragen gemeinsam mit uns auszutauschen, ist herzlich eingeladen, dies in einer offenen Runde am Mittwoch, den 08. Mai, ab 20.00 Uhr in der Gaststätte Junges Theater (Hospitalstrasse, Eingang Wochenmarkt) zu tun!
[schöner leben göttingen]

Wer will, das die Welt bleibt wie sie ist, der will nicht, das sie bleibt! [Erich Fried]


Arbeit?
Der folgende Text stammt aus einem Flugblatt zum 1. Mai 2004 in Gießen mit dem Titel "Arbeit? Europa?Auf was wird sich hier eigentlich positiv bezogen? Gedanken zum 1. Mai 2004"
Jedes Jahr am 1. Mai bekommen die Wir-wollen-mehr-Arbeit-Festspiele ihren internationalen Höhepunkt. Dabei werden etliche sinnvolle Forderungen gestellt, aber auch etliche andere, die bei näherer Betrachtung gar kein besseres Leben bedeuten würden, sondern krampfhaft an alten Zuständen festhalten, Räder der Ge-schichte zurückdrehen wollen in Zeiten, die nur im nostalgischen Blick angenehm erscheinen.
Das ist keine Ausnahme. Fast alle politischen Proteste kritisieren zwar zu Recht die reale Politik von Unternehmen und Regierungen, die Gegenvorschläge lösen sich aber gar nicht aus der Logik von Ausbeutung, Machtausübung, Unterdrückung und einem Leben, in dem nicht die Menschen und ihre Vereinbarungen, sondern Staaten, Gesetze, Normen, Wertschöpfung, Standort und ähnliche Logiken im Vordergrund stehen. Darum möchten wir heute einige dieser heiligen Kühe politischer Bewegung schlachten.

Arbeit
Wollen wir wirklich mehr Arbeitsplätze? Ist Lohnarbeit schön? Jeden Morgen der Wecker, ständig vor Dir die Dienstvorgesetzten, schaffen für den Profit anderer? Immer in der Angst, gefeuert zu werden? Was bitte ist daran toll? Lohnarbeit ist eine der beschissensten Formen sozialer Unterwerfung. Das war auch immer klar - nur wurden darauf nie die richtigen Forderungen gestellt. Wer für Lohnarbeit kämpft, organisiert die eigene Unterwerfung! Arbeit als vom Arbeitgeber oder Markt abhängige Beschäftigung ist immer anti-emanzipatorisch, gegen die Menschen und ihre Selbstbestimmung gerichtet.

Deutschland, Europa und die Welt
Nationalstaaten sind komprimierte Herrschaftsformen mit selbstbeanspruchtem Gewaltmonopol, was richtiger mit Machtmonopol bezeichnet würde. Neben dem Staat darf es keine Macht geben - eine Logik wie in religiösen Systemen, nur dass der Staat die Rolle Gottes einnimmt. Unterhalb des Staates darf es nur Macht geben, wie es vom Staat vorgesehen ist, der damit seine Macht treuhänderisch überträgt, z.B. auf Vereine per Ver-einsrecht oder auf LehrerInnen, SchulleiterInnen, EigentümerInnen oder Familienvorstände. Auch das ähnelt religiösen Systemen, wo die Kirche oder Prediger von Gott auserwählt "das Wort" verkünden.
Europa ist da keine Neuerung - und eine Weltregierung wäre es auch nicht. Ein neues Konstrukt mit, langfris-tig gedacht, Machtmonopolanspruch entsteht. Außen herum werden hohe Mauern sein und eine interne, hochgerüstete Sicherheitspolizei wird die Interessen der Herrschenden durchsetzen. Europa wird ein neues Vaterland - fähig zur Neuformulierung von Weltmachtansprüchen ausgehend von diesem Kontinent. Das än-dert sich nicht,wenn es ein "soziales Europa" wird. Die Menschen werden machtlos bleiben. Darum ist jede Forderung nach Europa anti-emanzipatorisch, gegen die Menschen und ihre Selbstbestimmung gerichtet.
Ohnehin ist widersprüchlos, dass bei Konzernen die Monopolisierung, d.h. das Entstehen von ständig weni-ger, aber großen Konzernen als Gefahr, bei Nationen dasselbe aber als Fortschritt betrachtet wird. Wohin flüchtet beispielweise ein Mensch, der mit einer Weltregierung im Streit liegt?

Die besseren Reformen
O.K., wir wollen hier heute nicht die Revolution fordern - auch wenn wir die grundlegende Beendigung aller Herrschaftsverhältnisse, d.h. auch jedes Staates, jeder Institution mit Hoheitsrechten, jeder Firma mit Chefs und ungleichem Kapitalbesitz und jeder Organisation mit internen Hierarchien für nötig erachten. Das wird si-cherlich nicht als Revolutions-Einakter gehen, wie auch die Geschichte beweist. Nötig ist ein dauernder Pro-zeß der Befreiung aus Zwängen, Zurichtungen, Normen und Gesetzen. Aber das, wie gesagt, passt nicht zum politischen Protest, der in Deutschland leider üblich ist. Hier ging es immer, wenn auch manchmal unter dem Deckmantel des romantisch-radikalen Flairs, immer nur um kleine Verbesserungen oder sogar nur um weniger umfangreiche Verschlechterungen.
Doch auch bei Reformen halten wir es immer für wichtig, dass sie einen emanzipatorischen Gehalt haben. Wenn schon kleine Schritte, dann aber in die richtige Richtung! Unsere Reform-Forderungen und Aktionsvor-schläge für die Wirtschafts- und Sozialpolitik sind u.a.:

Keine Verschärfung sozialer Ungleichberechtigungen!
Die Schere zwischen hohen und niedrigen Einkommensgruppen wird immer größer. Angesichts dessen sollte über weitere Vergrößerungen des Abstands gar nicht verhandelt werden. Auch Protest als Appell an die, die solche Politik machen oder fordern, ist falsch. Schließlich sind Hartz, Agenda 2010 und all der Scheiß keine Versehen. Die wissen, was sie tun. Widerstand kann das nur grundsätzlich ablehnen. Kein Fußbreit den Ver-schärfern sozialer Verhältnisse! Keine Debatte um die "soziale Abfederung" u.ä., sondern Widerstand!

Einkommensgleichheit, Existenzsicherung, gesellschaftlicher Reichtum
Es gibt doppelt so viel zu essen wie für die gesamte Menschheit reichen würde. Energie, Rohstoffe ... alles ist im Überfluß vorhanden. Allein aus Profitgründen wird es aber vielen Menschen vorenthalten, vernichtet oder verschwendet. Ohne Probleme wäre machbar: Freie Mobilität, freie Energie freies Wohnen, freies Wissen und freies Essen für alle! Eine erste Sofortmaßnahme auf dem Weg dahin ist das gleiche Einkommen oder die Existenzsicherung für alle - ohne Zwang zur Arbeit!

Druckvoller Widerstand statt lauer Proteste
Aktionen müssen Druck entfalten: Sabotage, Störung des geordneten Ablaufs der Herrschaftsausübung, Be-setzungen von Parteibüros, Arbeitsämtern, PSAs usw. sind sinnvoller als Einmal-Events großer Demonstrati-onen oder gar Bittstellerei der Marken Petition oder Unterschriftensammlung. Zudem sollten Aktionen von unten organisiert werden. Wer auf die Eliten politischer Bewegung und Gewerkschaften wartet, kann lange warten. Ob im DGB oder bei Organisationen - die Eliten sitzen meist selbst in den Runden der Gewinner des Neoliberalismus, auf staatsgeförderten Beraterstellen bis zu den Aufsichtsräten der widerlichen Konzerne. Von denen ist nichts zu erwarten außer Protest, der nicht weh tut.

Aneignung jetzt!
Selbst Streiks gelten inzwischen im Stammland des langweiligen Protestes als zu radikal. Blödsinn - das Ge-genteil ist der Fall. Streiks sind immer noch Appelle an die Mächtigen, die verschärfte Form von Petitionen und Unterschriftensammlung. Streiks stören zwar zeitweise die Profitraten, mehr aber auch nicht. Aneignung ist das Gegenprogramm. Wo Beschäftigte die Firmen, VerbraucherInnen die Warenhäuser, EinwohnerInnen die Rathäuser, Wohnungslose die leeren Häuser und die Menschen insgesamt die öffentlichen Räume über-nehmen, verändert sich gesellschaftliche Macht. Aus BittstellerInnen werden Handelnde!

  • Das Ganze als Download (PDF) auf vier Seiten

Anteil der produktiv Tätigen
Aus Niels Boeing (2015), „Von Wegen“ (S. 86)
Hatten Jobs im verarbeitenden Gewerbe in den späten 1960ern, als Lefebvre seine Thesen zur Stadt entwickelte, noch einen großen Anteil an der Beschäftigung, ist Mitte der 2000er nicht mehr viel übrig geblieben. Hier die Zahlen für ein paar einstige Industriehochburgen: Sheffield - von 55 Prozent aller Arbeitsplätze runter auf 13 Prozent; St. Etienne - von 53 auf 17 Prozent; Berlin - von 36 auf 6 Prozent; Wien - von 33 auf 7 Prozent: New York City - von 29 auf 4 Prozent. Trotzdem verkaufen heute mehr Menschen als damals ihre Arbeitskraft. Was ist passiert? Marx hat es, wie so manches, kommen sehen: »Obwohl die Maschinerie notwendig Arbeiter verdrängt in den Arbeitszweigen, wo sie eingeführt wird, so kann sie dennoch eine Zunahme von Beschäftigung in anderen Arbeitszweigen hervorrufen.«

bei Facebook teilen bei Twitter teilen

Kommentare

Bisher wurden noch keine Kommentare abgegeben.


Kommentar abgeben

Deine aktuelle Netzadresse: 3.16.217.221
Name
Kommentar
Smileys :-) ;-) :-o ;-( :-D 8-) :-O :-( (?) (!)
Anti-Spam