Kritik der Konsumkritik

ANTIREPRESSION: GERICHTSVERFAHREN

Spaßguerilla


Einleitung · Beispiele und Ideen · Spaßguerilla · Links

Bericht von einem Prozess gegen Aktivisten der Kommune 1 aus dem Buch "Spaßguerilla" (S. 564-68)

DIE AKTEN-DES GERICHTS (nachtdepesche, 5.9.1968)
und was anderes als 'schwarzer humor' war das folgende flugblatt, das die 'kommune l' am 24.5.1967 herausbrachte?
hintergrund: der vietnamkrieg, gegen den artig und moralisch empört demonstriert wurde. den sich aber die mehrheit der leute abends beim fernsehen reinzog. und da ereignete sich '67 ein großbrand in einem brüsseler kaufhaus. ein unglück, nichts weiter ...

wann brennen die berliner kaufhäuser?
bisher krepierten die amis in vietnam für berlin. uns gefiel es nicht, daß diese armen schweine ihr cocacolablut im vietnamesischen dschungel verspritzen mußten. deshalb trottelten wir anfangs mit schildern durch leere straßen, warfen ab und zu eier ans amerikahaus und zuletzt hätten wir gern hhh in pudding sterben sehen ... (hhh - der us-vizepräsident humphrey. das 'puddingattentat' ist eine der vielen spaßaktionen der 'kommune l') ob leere fassaden beworfen, repräsentanten lächerlich gemacht wurden - die bevölkerung konnte immer nur stellung nehmen durch die spannenden presseberichte. unsere belgischen freunde haben endlich den dreh heraus, die bevölkerung am lustigen treiben in vietnam wirklich zu beteiligen: sie zünden ein kaufhaus an, dreihundert saturierte bürger beenden ihr aufregendes leben und brüssel wird hanoi. keiner von uns braucht mehr tränen über das arme vietnamesische volk bei der frühstückszeitung zu vergießen. ab heute geht er in die konfektionsabteilung von kadewe, hertie, bilka oder neckermann und zündet sich diskret eine zigarette in der ankleidekabine an. dabei ist nicht unbedingt erforderlich, daß das betreffende kaufhaus eine werbekampagne für amerikanische produkte gestartet hat, denn wer glaubt noch an das 'made in germany'?
wenn es irgendwo brennt in der nächsten zeit, wenn irgendwo eine kaserne in die luft geht, wenn irgendwo in einem stadion die tribüne einstürzt, seid bitte nicht überrascht. genausowenig wie beim überschreiten der demarkationslinie durch die amis, der bombadierung des stadtzentrums von hanoi, dem einmarsch der mariners nach china. brüssel hat uns die einzige antwort darauf gegeben:
burn, ware-house, burn!


für dieses flugblatt wurden langhans und teufel vor gericht gestellt. (siehe dazu langhans, teufel (1977)) und dort zogen sie eine show sondersgleichen ab. ihr trick bestand darin, den prozeß - statt ins schlottern zu kommen, weil ihnen der knast drohte - als theater aufzufassen. das betont langhans in seinen schlußwort:

wir empfanden uns als zuschauer, die gelegentlich eingriffen, wenn es uns spaß machte. und das war allerdings häufig. wir bekommen nicht oft solch ein stück zu sehen, besser könnte es kein autor eines absurden theaterstückes erdenken. mitspieler waren wir meist nicht, weil es nicht unser spiel war. wir wären gar nicht auf den gedanken gekommen, daß man solche stücke machen kann. wir wurden es erst, und dann mehr als regisseure, als wir die möglichkeiten erkannten, die uns geboten wurden.
mehr als regisseure: sie drehten die rollen einfach um. spielten nicht die eingeschüchterten angeklagten, wie es erwartet wurde. fragten zurück, wenn sie ausgefragt wurden. immer leicht verwundert, wie das gericht so blöde fragen stellen konnte.
richter: sind sie vorbestraft?
teufel: ja, juristisch hieß es, ich habe bewegliche sachen weggenommen, aus einem selbstbedienungsladen.
richter: also diebstahl? wie kam das?
teufel: das hängt wohl mit meiner einstellung zum eigentum zusammen. ich glaube, daß das privateigentum abgeschafft werden müßte. ich habe aber festgestellt, daß die methode zu individualistisch war, zu unzulänglich.
richter: sie werden sich darin vervollkommnen?
teufel: wenn ich sage 'unzulänglich', dann meine ich nicht, daß ich mich auf diesem gebiet vervollkommnen will, sondern, daß es sinnlos ist, so vorzugehen. ich hatte Ja erwähnt, daß ich für die abschaffung des privateigentums bin.
richter: wie soll das geschehen?
teufel: kollektiv.
richter: was sind denn die ziele der kommune?
teufel: die wesentlichen punkte vielleicht: daß wir zusammen wohnen, daß wir zusammen wirtschaften, daß wir diskutieren.
richter: und die inneren ziele? ich möchte wissen, wie es bei ihnen aussieht.
teufel: besuchen sie uns doch mal. so ist es schwer zu erklären.
richter: nun zu den flugblättern, um die es hier geht. wer hat denn die einzelnen blätter verfaßt?
teufel: wir alle. wir treten ja zusammen als autorenkollektiv dafür ein.
richter: und wie kommt dabei so ein flugblatt zustande?
teufel: da wäre es auch das beste, wenn sie uns besuchen würden ...
richter: sie demonstrieren also gegen vietnam?
teufel: nicht nur, wir demonstrieren auch gegen die saturiertheit und selbstzufriedenheit ...
richter: wer ist denn saturiert?
teufel: man kann es auch anders formulieren: die deutschen sind ein demokratisches, freiheitliches, tüchtiges völkchen. sie haben zwar eine menge juden umgebracht, aber dafür werden jetzt mit deutschen waffen araber umgebracht, das ist eine art wiedergutmachung. es ist doch so: je mehr von den schwarzen und gelben da unten verrecken, desto besser ist es für uns.
richter: das meinen sie aber doch nicht ernst?
teufel: doch.
staatsanwalt: und wenn nun jemand auf den gedanken gekommen wäre, das zu probieren, was in den flugblättern steht, eine zigarette in einer umkleidekabine eines warenhauses anzuzünden?
teufel: ich muß sagen, es ist keiner auf den gedanken gekommen daß man das tun könnte - bis auf den herrn staatsanwalt. der hat es aber auch nicht getan, sondern eine anklageschrift verfaßt.
richter: herr langhans, ich wollte das thema eigentlich nicht behandeln. aber weil sie heute vormittag selbst von sexuellen schwierigkeiten gesprochen haben, was meinen sie damit und auf was bezieht es sich?
langhans: können sie sich das denn gar nicht vorstellen? oder haben sie denn keine? das wäre erstaunlich!
staatsanwalt: sind sie davon überzeugt, daß, wenn in brüssel oder berlin 200 oder 300 menschen umkommen - sind sie innerlich ernsthaft davon überzeugt, daß sich in vietnam dann etwas ändert?
langhans: nein, aber hier.
staatsanwalt: und was?
langhans: stellen sie sich mal vor, wenn die leute, die gegen vietnam was haben, so konsequent reagieren würden, dann würde sich erheblich was ändern.
richter: sie haben mehrfach erwähnt, daß sie die bisherige protestform für wirkungslos halten. welche vorstellung haben sie denn von wirksameren?
langhans: ich habe eben in der pause schon gehört, daß das falsch verstanden wurde, daß derartige dinge wie in brüssel den nächsten schritt darstellen würden. ich halte das nicht für gegeben.
richter: was sonst?
langhans: der 2.juni (1967), der ein mißerfolg war, hat bewiesen, daß es so nicht geht. wir in der kommune glauben, daß es nicht in der aggressiven form, steinewerfen und schießen, in der bürgerkriegsähnlichen form geht. wir versuchen statt dessen die autoritäten, wie zum beispiel sie, lächerlich zu machen ... wir selbst versuchen das in den formen des happenings, wo jedermann nitmachen kann, weg von der sturen marschformation. stellen sie sich mal vor, wenn man da den albertz (damals regierender bürgermeister) hinstellt und da könnte man was drauf werfen. das würde sogar ihnen spaß machen.


(langhans und teufel sollen psychiatrisch begutachtet werden. während der rechtsanwalt mahler eine erklärung gegen die psychiatrisierung der angeklagten abgibt, stellt sein gehilfe einen dicken schwarzen koffer auf den verteidigertisch.)

richter: weim gehört der koffer?
mahler: meiner.
richter: was ist denn da drin, in dem koffer meine ich?
mahler: keine bomben.
richter: was dann?
mahler: surrealistische literatur.


(unter gelächter meldet sich teufel zu wort)

teufel: ich stimme der (psychiatrischen) untersuchung zu, wenn die mitglieder des gerichts und der herr staatsanwalt sich ebenfalls psychiatrisch untersuchen lassen.

(starkes gelächter und beifall)

richter (springt auf): räumen! räumen! alles raus! pause!

12 monate beantragte der staatsanwalt für langhans und teufel. sie wurden freigesprochen. im märz 1982 wurde 'herr müller' in zürich zu 14 monaten verurteilt. schon vor dem prozeß war abzusehen, daß er zum buhmann der bewegung aufgebaut werden sollte. wer aber nicht anwesend war bei der urteilsverkündung, das war - herr müller. wie ein 'komitee 5chauprozesse’ in einer presseerklärung mitteilte, wurde herr müller von 'stammesgenossen entführt'. auf der pressekonferenz führte das komitee einen videofilm vor, in den herr müller munter in den zürcher straßen herumspazierte und unter anderem versuchte, einem kind das strafgesetzbuch als leckerbissen schmackhaft zu machen.

wir entwerten die symbole des gängigen rechtsempfindens, indem wir die rituale umkehren und lächerlich machen, hieß es in der presseerklärung des komitees.

weder 'herr müller' in schweizer fernsehen, noch langhans und teufel in moabit hatten das vertrauen, daß so etwas wie eine argumentative auseinandersetzung im vorgestellten kosmos einer gemeinsamen vernunft noch möglich ist - jenes 'vertrauen', das brückner erst heute, bei den '81-ern, zerstört glaubt. beide kannst du meinetwegen 'sprachlos' nennen - wenn 'sprachlosigkeit bedeutet ‚Rituale umkehren und lächerlich machen'. beide spielten ihr theater. in d i e s e r hinsicht unterscheiden sich die bewegungen von 168 und '81 nicht. was sich dagegen zeigt ist: die spaßaktionen haben wichtige vorläufer. und statt den hickhack '68 gegen '81 mitzumachen (oder auch umgekehrt), wäre es besser, diese vergessene tradition zu befragen.


Vorlage für kleine Aktionen im Publikum: Kopien mitnehmen und während der Verhandlung mit lustigen, satirischen oder sonstigen Kommentaren ausfüllen - dann rumgeben

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