Kritik der Konsumkritik

DIE MACHT DER RICHTER*INNEN

Freie Beweiswürdigung


1. Die Stellung von Richter*innen
2. RIchterrecht: Richter*innen können sogar selbst Recht schaffen
3. Was soll die Staatsanwaltschaft?
4. Macht-Durchgriffe im Verfahren
5. Freie Beweiswürdigung
6. Unabhängige Justiz? Richter*innen mit Parteibuch ...
7. Das soziale Wesen Richter*in
8. Links

Immer mehr wird der Satz "Im Zweifel für den Angeklagten" durch die sogenannte freie Beweiswürdigung verdrängt. Diese beruht auf § 261der StPO: "Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung." Im Konkreten sagt sie aus, dass jedeR RichterIn eigentlich zu allen möglichen Ergebnissen kommen kann. Es gibt für die Entscheidung keinerlei nachvollziehbare Grundlage mehr. Damit erreichen RichterInnen am auffälligsten gottähnliche Stellungen: Sie verkünden, ja erschaffen das Wahre und Unwahre durch ihr Urteil, teilen in schuldig und unschuldig. Darauf aufbauend verhängen sie Strafen oder Wiedergutmachung. Ihr Urteil wird nie überprüft. Bei kleinen Delikten ist die Berufung eine Wiederholung des Vorgangs mit anderen RichterInnen, höherere Instanzen dürfen die freie Beweiswürdigung nicht mehr hinterfragen.

Bossi, Rolf (2006): „Halbgötter in Schwarz“, Goldmann in München (S . 14)
... das Bundesverfassungsgericht ist keine Tatsacheninstanz. Mit Fehlurteilen, die aufgrund schwerer Mängel bei der Beweiswürdigung zustande gekommen sind, befasst es sich nicht. Selbst dann nicht, wenn ein solches Fehlurteil eine staatlich sanktionierte Freiheitsberaubung darstellt. ...
Wer also korrigiert die Verfahrensfehler, die Irrtümer unserer scheinbar unfehlbaren Gerichtsbarkeit? Und was ist, wenn ein Fehlurteil gar kein Irrtum, sondern eine ganz bewusste Entscheidung war? Zum Beispiel, weil ein Gericht abschreckende Härte zeigen wollte. Dann erfüllt es vielleicht den Straftatbestand der Rechtsbeugung, und wir haben das Recht, den fraglichen "Richter Gnadenlos" anzuzeigen! Versuchen Sie es ruhig, aber glauben Sie mir auch dies: Verurteilungen von Richtern wegen Rechtsbeugung müssen Sie mit der Lupe suchen. Hätte es den inzwischen ausgewanderten Herrn Schill nicht gegeben, die meisten wüssten nicht, dass dieser Straftatbestand überhaupt existiert. Nicht einmal das Gros der Nazirichter, die nach allen verfügbaren Juristischen Maßstäben offen und mit verbrecherischen Zielen das Recht gebrochen haben, ist dafür zur Rechenschaft gezogen worden. Die Mehrheit konnte die Karriere nach 1945 unbehindert fortsetzen und danach friedlich die Pensionen kassieren.


Das sog. "Dichtschreiben"
Ein Urteil ist kaum angreifbar, wenn die RichterInnen nur die Kunst beherrschen, ins Urteil in sich schlüssige Begründungen hineinzuschreiben - und auch zu erwähnen, wie sie abweichende ZeugInnenaussagen, Gutachten, Hinweise usw. bewertet haben. Insgesamt ist es nicht schwierig, wasserdichte Urteile zu verfassen. Dabei kommt es nicht darauf an, dass diese den Prozessverlauf wiedergeben, sondern nur dass sie in sich stimmig sind. JedeR RichterIn kann also mit dem Urteil eine beliebig phantasievolle Story kreiieren. Oft ist es sogar einfacher, etwas frei zu erfinden, weil die Wirklichkeit im Gerichtssaal widersprüchlich ausgefallen ist.

Bossi, Rolf (2006): „Halbgötter in Schwarz“, Goldmann in München
Schreibe aus einem Schriftsatz etwas ab, das dir in den Kram passt. Kombiniere es geschickt mit den „Ergebnissen“ deiner eigenen Beweisaufnahme. Schüttle alles gut durch, und du hast die passende Aussage. Eine ebenso undurchsichtige wie juristisch erfolgreiche Kombinatorik. Denn aus der Zwangsjacke dieser Version kann keine der folgenden Instanzen mehr herausschlüpfen. ... (S. 72)
Was Juristen schelmisch das "Dicht schreiben" von Urteilen nennen, umfasst deshalb zwei Künste: wesentliche Tatsachen, Indizien und Aussagen ausführlich und detailgenau zu schildern und auszuwerten, kontroverse und zweifelhafte Punkte dagegen nach Möglichkeit zu umgehen. ... (S. 97)
Ein erfahrener Vorsitzender Richter wird, sofern unbestreitbare Fakten nicht eine gänzlich andere Sprache sprechen, beinahe jedes Urteil " dicht schreiben ", das seine Kammer zu fällen gewillt ist. (S. 113)


Protokollierung
Was ins Protokoll kommt, entscheidet im Zweifel immer die/der RichterIn. Allerdings ist meist nur das Protokoll die Chance, Fehler des Gerichts nachzuweisen - was schwer werden dürfte, wenn das Gericht das Protokoll selbst verantwortet und verändern kann. Noch absurder ist jedoch die zunehmende Auslegung vor höheren Gerichten, dass ein Protokoll Beweiskraft über den Verlauf des Prozesses hat - außer wenn dadurch Fehler des Richters belegt werden. Dann wird die Aussage des/der RichterIn höher eingestuft. Logik also:
§ 1 RichterInnen haben immer Recht.
§ 2 Wenn sie doch einmal nicht Recht haben, tritt automatisch § 1 in Kraft.

Bossi, Rolf (2006): „Halbgötter in Schwarz“, Goldmann in München
Die Ergebnisse der Beweisaufnahme sind daher einzig und allein in der späteren Urteilsbegründung zu finden. Die aber wird vom Gericht, zumeist vom Vorsitzenden Richter verfasst. Dieser entscheidet also letztlich, wie welche Aussagen wiedergegeben werden oder welche eventuell ganz unter den Tisch fallen. Resultat: Am Ende passt das Ergebnis der Beweisaufnahme immer genau zum gefällten Urteil. Mögliche Fehlinterpretationen, Verdrehungen oder gar bewusste Verfälschungen lassen sich später kaum noch feststellen, geschweige denn korrigieren. ... (S. 21)
Im Prinzip ist damit der Willkür Tür und Tor geöffnet. Richter können Zeugenaussagen ignorieren, missverstehen, verdrehen und in einzelnen Fällen sogar bewusst verfälschen, ohne dass es ihnen nachzuweisen wäre. ... (S. 45)

Das Revisionsgericht habe "nicht zu prüfen, ob die Feststellungen im Urteil mit dem übereinstimmen, was die Sitzungsniederschrift über den Inhalt der Aussagen angibt". (Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 2003). So hat die Tradition der höchstrichterlichen Rechtsprechung zwei Prinzipien in ihr Gegenteil verkehrt, die ursprünglich fortschrittlich waren und der unbehinderten Wahrheitsfindung dienten: Aus der rechtsstaatlichen Unabhängigkeit der Gerichte hat man eine Machtvollkommenheit abgeleitet, die in vielen Fällen zur reinen Willkür entartet. Und die Freiheit der Beweiswürdigung wurde in die Möglichkeit zur Erfindung höchst eigener Wahrheiten verwandelt. (S. 52 f.)


Kein Tonband, keine Kamera darf im Gerichtssaal etwas mitschneiden
Ein Tonband könnte strittige ZeugInnenaussagen klären. Ein Mitschnitt aber ist strengstens verboten. Er würde die gottähnliche Stellung der RichterInnen in Frage stellen. Nachwievor gilt im Gerichtssaal: Wahr ist nicht, was jemand gesagt hat, sondern das die/der RichterIn gehört hat (oder gehört haben will). Insofern überrascht nicht, dass vor allem Richter*innen und Staatsanwaltschaften Gegenmeinung bezogen, als im Jahr 2023 die Einführung der Aufzeichnung von Gerichtsverfahren in der Politik diskutiert wurde.

Bossi, Rolf (2006): „Halbgötter in Schwarz“, Goldmann in München (S. 51)
In vielen ehrwürdigen Gerichtsgebäuden scheint nicht nur die Technik, sondern auch die Gesinnung noch in jenem 19. Jahrhundert zu stecken, dem wir unsere Strafprozessordnung verdanken.

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