Kritik der Konsumkritik

KOMMENTARE ZU DEN INTERPRETATIONEN VON "TERROR, GEDENKTERROR UND KRIEG"

Wer kein Ziel hat, kann es auch nicht verfehlen! (aus Ö-Punkte 4/01)


1. Vorher geschrieben ...
2. Wer kein Ziel hat, kann es auch nicht verfehlen! (aus Ö-Punkte 4/01)
3. Brot, Bomben und Lügen
4. gegen eine vermeintlich antideutsche relativierung von auschwitz (von der gruppe sinistra)

Gibt es auch irgendetwas Positives an den Anschlägen vom 11. September und dem dann einsetzenden gesellschaftlichen Gedenk"terror", des Zivilisations-Patriotismus und dem hilflosen, oft peinlichen, aber auch teilweisen rassistischen bis faschistischen
Gestammel aller Großmäuler dieser Republik - von PolitikerInnen über Medien und NGOs bis zu den Mackern linksradikaler Protest"kultur"? Die Antwort lautet: Ja! Es hat selten einen gesellschaftlichen Erregungskorridor gegeben, in dem soviel klar wurde. Die
Bilanz ist schlimm. Sie zeigt die volle Manipulierbarkeit öffentlicher Wahrnehmung und damit auch politischer Entscheidungsfähigkeit der Gesellschaft und die totale Leere politischer Bewegung hinsichtlich von Zielen, Grundpositionen und Strategien.

Die Stunden danach ...
Kaum waren die vier Flugzeuge und das Leben in ihnen mit unterschiedlicher Wirkung zerschellt, setzte geschäftiges Geschnatter ein. Die Palästinenser waren da, hieß es zunächst, obwohl eigentlich niemand überhaupt irgendwas wußte. Nach ca. 10 Stunden
waren die Palästinenser dann so schnell wieder aus dem Rennen, wie sie hineingekommen waren. Die NATO-Staaten hatten entschieden, lieber einen anderen Gegner zu finden. Irgendetwas, was mensch getrost und am besten auch noch nutzbringend bombardieren
könne. Irak? Nein, denn das hieße, daß alle ständigen Bombardierungen dort mit den Hunderttausenden von Toten pro Jahr erfolglos (aus Sicht der Bombenden) gewesen wäre. Zum Glück gab es dann noch den Ex-CIA-Mann Bin Laden und das Land Afghanistan mit
seinem religiös-faschistischen Regime der Taliban (deren Widerlichkeiten aufzuzählen hier den Rahmen sprengen würde, das aber natürlich auch selbst mit Hilfe der NATO an die Macht gekommen war). Zwar lagen auch weiterhin keinerlei Daten vor, aber der
Truppenaufmarsch in Richtung Afghanistan startete schon einmal.

"Linke" Politik I: Gute gegen Böse
Unzufrieden war nur eine Gruppe - die Antideutschen. Sie hatten gehofft, daß es endlich ihrem Lieblingsfeind, dem von ihnen so genannten "palästinensische Selbstmordkollektiv", an den Kragen gehen könnte. Standhaft versuchten sie, die Anschläge als Fortsetzung der Intifada zu bezeichnen und forderten, daß nicht nur gegen Afghanistan Krieg zu führen sei, sondern Ziel sei die "militärische Bezwingung des Islamismus" insgesamt. Alles sei eine Sache von "barbarischem Angriff und notwendiger Gegenwehr".
Ein einfaches Weltbild. Wer gegen den Krieg sei, sei Antisemit, andere Gründe für eine Ablehnung von Krieg scheiden aus.
Bei soviel Einteilung der Welt in "Gut" und "Böse" seitens der NATO und der Antideutschen, bei beiden mit der Konsequenz des Traumes eines Heiligen Krieges von Christen gegen Nicht-Christen (Zivilisation gegen den Rest), bei den Antideutschen in einer Kampfkoalition mit dem Judentum, was zu konstruieren als Einheit der Guten auch eine Spezialität der Antideutschen und anderer Antisemiten ist, wollten andere nicht nachstehen ...

"Linke" Politik II: Rassistisches Gedenken
Aus dem üblichen Spektrum der sanften Politgruppen wurde zunächst wochenlang dem Gedenken gefrönt. Sonntagsspaziergang in Ahaus - mit Gedenkminute. Presseinformationen und Flugblätter von Friedensgruppen, Umweltverbänden, Parteien, Attac oder wie sie alle heißen - nirgends fehlten die seierigen Worte. "Wir sind mit den Menschen in den USA in ihrem Schock und Leiden uneingeschränkt solidarisch", schrieb beispielsweise die Aktion "Gewaltspirale durchbrechen" vom Friedensnetzwerk und aus Attac-Umfeld.
"Innere Identifikation mit den Opfern" empfand der offenbar schwer senile Horst-Eberhard Richter im Leitartikel der attac-Zeitung. Welch eine rassistische Logik. Wenn in den armen Regionen Menschen durch Hunger, Vertreibung, sexuelle Gewalt oder Umweltzerstörung auf qualvolle Weise sterben, regt sich kein Gefühl. Solche Zahlen werden schnell vergessen oder nüchtern in Statistiken gepreßt. Zerfetzte Israelis nach Selbstmordanschlägen von Palästinensern auf Marktplätze, versehentlich abgeschossene Flugzeuge, absaufende Flüchtlingsboote unter militärischem Druck - all das verursacht nirgendwo direkte Betroffenheit. Aber jetzt die zunächst 6.000 Toten in New York (inzwischen ist die Zahl, auch bemerkenswert, deutlich gesunken). Eine solche Zweiteilung trägt klar rassistische Züge. Fast alle politischen Gruppen haben sie vollzogen.

"Linke" Politik III: Die Maßstäbe kippen ... der Super-Holocaust
Hiroshima, der Holocaust, Kreuzzüge, Weltkriege - alles Peanuts gegen die Anschläge. "Mordaktion ohnegleichen" schrieb wiederum Horst-Eberhard Richter bei attac," beispiellos brutalen Terroraktion" stand bei www.gewaltspiraledurchbrechen.de. Phantasievoll
suchten die Antideutschen ebenfalls nach Begriffen und fanden derer viele: "Grauen von New York und Washington"

"Linke" Politik IV: Antisemitismus: World Trade Center als Judenturm
Was alle Gruppen, die auf ihre Art Gewalt und Rassismus hegten und pflegten, einte, war die Reduzierung der Anschläge auf das World Trade Center. Daß auch das Pentagon getroffen wurde, ist fast gänzlich aus den Berichten verschwunden. Das hat System und
wird benutzt. So konnten die Antideutschen die Anschläge zu einem Angriff auf das Judentum umwerten - und bemerkten nicht ihren eigenen, penetranten Antisemitismus, ständig das Finanzkapital mit dem Judentum gleichzusetzen. Was könnte antisemitischer sein als die Behauptung, daß getroffene Gebäude sei eine jüdische Einrichtung gewesen oder das Judentum stehe für das Finanzkapital. Attac & Co. phantasierten einen Verzweifelungsschlag von unterdrückten Menschen in die Anschläge. Und die NATO sah den Kampf Zivilisation gegen Barbarei. Für alle war wichtig, nur New York zu thematisieren. Die Attacke auf das Pentagon war für die US-Streitkräfte nicht nur äußerst peinlich, sondern weist auch auf andere oder zumindest weitergehende Ziele der AttentäterInnen hin. Das Pentagon steht nicht für Kapitalismus oder Judentum, sondern für Militarismus und Herrschaft.
"Selbstverständlich müssen die Schuldigen ermittelt und mit rechtsstaatlichen Mitteln zur Verantwortung gezogen werden", stand im bundesweiten Aufruf zu den Demonstrationen in Berlin und Stuttgart. Was ist hier selbstverständlich und warum? Daß Staaten alles kontrollieren und regeln? Daß sie sich dabei ihrer Armeen, Polizei und Gerichte bedienen? Ist das neue politische Ziel: Weniger Krieg durch mehr Knast? Der internationale Gerichtshof wurde immer wieder benannt - welche eine Aufwertung einer Einrichtung, die ausschließlich von wenigen Führungsnationen der Welt kontrolliert wird. Besonders deutlich wurden die Antideutschen - sie bezeichnen das Taliban-Regime als "Anarchie" und bringen damit auf eine besonders deutliche Art ihre Vorliebe für geordnete Verhältnisse zum Ausdruck.

"Linke" Politik VI: Mehr Toleranz für Intoleranz
Religionen sind immer Herrschaftssysteme, denn sie schaffen übermenschliche Wertsysteme und sind mit mehr oder weniger harten Durchsetzungsformen verbunden - von den Bestrafungsformen der Scharia oder der Bibel bis zu den Drohungen auf einen sozialen Abstieg im nächsten Leben reichen die Gewaltformen der Religionen. Das thematisierte kaum jemand. Gegenüber anderen Religionen solle Toleranz geübt werden - und die eigene ist ohnehin ein Teil des "Guten" auf der Welt.
Aber auch anderes wurde legitimiert - die Antideutschen wollten mehr Krieg und bezeichneten Bomben auf Dörfer als Gegenwehr und Befreiung. Vergeltung sei "berechtigte Abwehr". Auch die "sanften Linken" aus bürgerlichen Milieu fanden, daß Gewalt jetzt
wieder korrekt sei. Mit den Worten, "alle Welt erkennt Amerikas Recht an, die Schuldigen und ihre Drahtzieher unnachsichtig zur Rechenschaft zu ziehen", zeigte attac das typische Gesicht: Gewalt des Staates ist legitim (gegen den Staat natürlich nicht, wie die ständigen Haßtiraden seitens attac gegen Militante zeigen). Und sprach wie immer für "alle Welt".

"Linke" Politik VII: Inhalte? Fehlanzeige ...
Bei genauerer Betrachtung geht fast allen Texten und Aufrufen eine klare Position ab. Warum sind Menschen gegen den Krieg - aber für (welt)polizeiliche Härte? Warum rufen Antideutsche die NATO zu mehr Krieg auf und halten KriegsgegnerInnen für
AntisemitInnen - während sie selbst fleißig an antisemitischen Bildern (World Trade Center = jüdisches Symbol) werkeln? Wie kommen NGOs wie attac auf so absurde Ideen wie bei ihrer Aktion gegen Steuer-Oasen, daß diese Mitschuld am Terror seien? Die Antwort ist einfach: In politischen Gruppen fehlen die Ziele - oder sie verfolgen solche, die Herrschaft legitimieren oder nutzen würden. Der starke Staat, Religionen, Polizei und Armeen sind für viele bürgerliche GlobalisierungskritikerInnen eher eine Hoffnung gegen den "entfesselten Kapitalismus" denn genau dessen unbedingte Voraussetzung.

Der Irrtum "Markt und Staat"
Mehr Markt ist nur möglich mit mehr Staat, denn die Ausdehnung des Marktes ist kein Kampf gegen den Staat, sondern der Staat bekämpft die Menschen, um mehr Markt schaffen zu können. Eigentlich müßte das klar sein, denn das Zeitalter des Neoliberalismus, fälschlich immer als Stärkung des Marktes einhergehend mit der Ohnmacht der Nationalstaaten beschrieben, ist genau der gleiche Zeitraum, in dem Staaten ihre Handlungsmöglichkeiten gegen die Bevölkerung und andere Staaten stärken (Aufrüstung nach innen und außen).
Das Mehr an Markt ist kein zwingendes Ergebnis eines stärkeren Staates, aber das zur Zeit dominierende. Ausnahmen sind zur Zeit wenige Staaten, die starre Diktaturen, religiöse oder feudale Systeme durchsetzen wollen (wie z.B. die Taliban in Afghanistan).
Selbstbestimmung und das Ende von Herrschaft und Verwertung sind mit Staat und Markt nicht zu machen. Wer mehr Institutionen, Kontrolle oder Regulierung fordert, will den Staat stärken - und damit die Macht, die den Markt gegen die Menschen durchsetzt.
Wer nach mehr Markt brüllt, braucht ebenfalls mehr Staat. Staat und Markt stehen nicht gegeneinander, sondern bilden im Kapitalismus eine Einheit. Darum wollen die Regulierer aus NGOs (attac, Weed usw.) sowie Teilen der Parteien (PDS, sogenannte Linke bei SPD und Grünen) dasselbe wie die Weltbank, die EU und andere Institutionen von Staatsmacht und Neoliberalisierung. Mit der Tobin Tax und Maßnahmen gegen die Offshore-Zentren haben sie inzwischen auch gleiche politische Forderungen - nach den obigen Ausführungen gar nicht so überraschend!

Stattdessen: Emanzipation
Das Ziel politischer Arbeit, die den Menschen befreien will aus den "Klauen" von Macht und Markt, muß alle Formen von Herrschaft abbauen. Dabei geht es nicht um die Alternative zwischen Reform und Revolution, wie in den Debatten von inhaltsleeren angepaßten und verbalradikalen Gruppen immer anklingt. Sondern es geht um die Frage, ob Reformen oder Revolutionen Markt bzw. Macht stärken oder schwächen - andersherum die Selbstbestimmung der Menschen fördern oder abbauen. Als übergreifender Begriff und Maßstab für sinnvolle und rückwärtsgerichtete Formen politischer Aktionen und Forderungen erscheint "Emanzipation" passend. Er könnte der "gemeinsame Nenner" von direkter Aktion und Lobbyarbeit, von Militanz und Gewaltfreiheit, von Reform und revolutionären Strategien sein.
Reformen, die mehr Herrschaftsinstitutionen schaffen (neue Steuern, Kontrollen usw., oktroyierte Inhalte in der herrschenden Von-oben-Pädagogik und mehr Rechtsstaatlichkeit gehören hierzu - also fast alle aktuellen Vorschläge aus NGO-Kreisen), sind ebenso antiemanzipatorisch wie radikale Positionen, an deren Ende nur neue Herrschercliquen bis hin zu Massakern an Andersdenkenden stehen. Und interne Strukturen, die von Zentralismus, Hierarchie, Mackertum und Dominanz bis zur modernen Instrumentalisierung von Basisgruppen durch wenige FunktionärInnen für ihre politischen Konzepte und Karriere (Prinzip bei attac) reichen, sind ebenfalls nicht emanzipatorisch, denn sie weiten Herrschaftsverhältnisse ebenfalls aus - auf die politischen Gruppen selbst.
Eine intensive Auseinandersetzung um emanzipatorische Ziele (Reformen und Visionen), um Kritik an Markt und Macht, um Aktionsformen und Organisierung von unten würde eine politische Bewegung entwickeln, die viele, aber dennoch klare Antworten auf Krieg, Unterdrückung, Ausbeutung und die "Events" dieser Gesellschaft hat. Die aktuellen politischen Gruppen, von Attac bis Antideutschen, sind eher Stützpfeiler von Herrschaft, Verwertung, Rassismus, Antiseminitismus und mehr.

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