Kritik der Konsumkritik

Ö-PUNKTE 1/1998

Die Entwicklung bis Rio im Überblick17


1. Mittelalterliche Idee als Zukunftsperspektive? Zur Geschichte des Nachhaltigkeitskonzeptes
2. Mittelalterliche Naturvorstellungen4 und Umweltprobleme5
3. Die Entstehung der Idee nachhaltiger Waldwirtschaft 8
4. Bewertung der mittelalterlichen Tradition der Nachhaltigkeitsidee
5. Aus der Idee wird ein aufgeklärtes Wirtschaftsprinzip
6. Bewertung des nachhaltigen, aufgeklärten Forstwirtschaftsprinzips
7. Die Entwicklung bis Rio im Überblick17
8. Bewertung der jüngeren Entwicklung
9. Die Konzeption von Rio22
10. Aufruf zur kritischen Diskussion

Im nachfolgenden 19. Jahrhundert begann sich das Verständnis von Nachhaltigkeit zu erweitern und auszudifferenzieren. So bezog Otto von Hagen, Leiter der Preußischen Staatsforstverwaltung, 1867 das Nachhaltigkeitsprinzip auf "... sowohl die dauernde Bedürfnisbefriedigung in Beziehung auf Holz und andere Waldprodukte, als auch die Zwecke ..., denen der Wald nach verschiedensten anderen Richtungen hin dienstbar ist".15 Nicht mehr nur die reine Rostofflieferung sondern sämtliche für den Menschen wesentliche Wirkungen traten in den Blickpunkt. In der Folgezeit wurden "sehr unterschiedliche Inhalte der Nachhaltigkeit ohne nähere Erläuterung nebeneinander verwendet",18 woran auch das Bundeswaldgesetz von 1975 nichts geändert hat. Es gab Streit darum, ob "Nachhaltigkeit als Wirtschaftsziel" oder "als Mittel zur Erreichung eines Wirtschaftszieles" zu verstehen sei.18

Doch es entwickelte sich noch eine andere Verständniserweiterung. In den zwanziger Jahren wurde im Rahmen des Nachhaltigkeitsgedankens erstmals eine naturnahe Waldgestaltung angeregt, auf die Wichtigkeit ökologischer Stabilität, auf Artenvielfalt und Ungleichaltrigkeit des Waldbestandes hingewiesen.14 Die tatsächliche Entwicklung lief jedoch genau entgegengesetzt. Selbst in der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg haben die Wiederaufforstungsprogramme einseitig auf Fichten- und Kiefernmonokulturen basiert. Gegenüber der Situation 200 Jahre zuvor wurde ein weiterer Fortschritt erzielt, indem man im Namen der Nachhaltigkeit diese Monokulturen nun maschinengerecht anlegte.

Das bereits zitierte forstwirtschaftliche Lehrbuch15 formuliert: "Nachhaltigkeit ist ... ein Prinzip wirtschaftlichen Handelns ... in der Forstwirtschaft, um das Wirtschaftsziel durch intensive Nutzung und Bewahrung der natürlichen Ressourcen zu erreichen". Dabei müßten "die Entscheidungen ... aus volkswirtschaftlicher Gesamtverantwortung getroffen werden". "Nachhaltig zu wirtschaften heißt also nicht, Altes zu konservieren, sondern dem steten Wandel der Zielsetzungen und menschlichen Ansprüche an den Wald zu folgen. ... Dieses Gebot verdeutlicht nochmals die ethische Gesinnung, die der Nachhaltigkeit seit Anbeginn zugrunde liegt: ... Pflicht gegenüber der zukünftigen Menschheit, um die Versorgung künftiger Generationen mit Rohstoffen und ökologischen Leistungen des Waldes zu gewährleisten". In diesem Sinne hat sich Nachhaltigkeit als Grundsatz der Forstwirtschaft seit dem Zweiten Weltkrieg in den westlichen Industrienationen allgemein durchgesetzt.

Daneben bildete sich seit Beginn der siebziger Jahre auf internationaler Ebene eine eigenständige Debatte heraus. Sie versuchte, aus den sich abzeichnenden Ressourcen- und Umweltproblemen sowie dem Entwicklungsbedarf rund um den Globus Konsequenzen zu ziehen. Prägend waren zunächst der 1972 erschienene Bericht "Grenzen des Wachstums" des Club of Rome und eine Forschungsarbeit der United Nations Environmental Programme (UNEP). Sie bezeichnete 1973 die Industrieländer als überentwickelt und für die Unterentwicklung in anderen Teilen der Welt verantwortlich.19 Es wurden Forderungen nach Solidarität, Ressourcen- und Umweltschonung erhoben. Doch das entsprechende Konzept konnte sich nicht durchsetzen. Während die neuen sozialen Bewegungen zur Abkehr vom herrschenden Produktions und Gesellschaftsmodell aufriefen, verstanden Regierungen und Wirtschaftsverbände die Inhalte "im Sinne von Faktoren, die unbedingt bearbeitet werden müssen, damit der bisherige Kurs fortgesetzt werden kann".20 Im Jahre 1975 wurden erstmals konsumbezogene Maximumstandards für Industrieländer gefordert. Ein von der Dag-Hammerskjöld-Stiftung finanzierter Forschungsbericht über die ökologische Tragfähigkeit der Erde betonte, "daß Umweltzerstörung ein Ausdruck spezifischer Interessen und sozialer Ungleichgewichte ist".21 Demokratisierung und Dezentralisierung von Macht sowie die volle Entfaltung des Menschen als Individuum und soziales Wesen sei an Stelle von materiellem Wachstum zu entwickeln. Auch dieser Bericht blieb ohne politische Akzeptanz. Sie zu finden, gelang erst dem Brundtland-Report.

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