Kritik der Konsumkritik

DIE WIKING JUGEND

Ruft uns fern alte Heimat im Osten ...[1]

"Flamme empor", so lautet der Ruf des Anführers der Wiking Jugend (WJ). Die Szenerie ist gespenstisch. Ca. 80 Neonazis treffen sich in Hilders in der Rhön und demonstrieren für ihre neofaschistischen Ziele. Es ist Silvester-Abend, und die beleuchteten Tannenbäume auf dem Rathausplatz in Hilders umrahmen das Schauspiel. Wolfgang Nahrath, der Führer der WJ, hält eine Rede, die in Haßtiraden gegen Andersdenkende mündet. Er ist zum größten Teil nicht zu verstehen, da die Gegendemonstranten ziemlichen Lärm machen. Das Bild wird nicht nur von den uniformierten (häufig schon älteren) "Jungmädels und -burschen" der WJ bestimmt, sondern auch von der antifaschistischen Initiative, die zur Gegendemonstration aufgerufen hat. Die Sprechchöre "Nazis raus" und die Trillerpfeifen sind lautstark zu vernehmen. Die Situation ist brenzlich - hier die WJ, z.T. Kinder und Jugendliche, aber auch die Schlägertrupps der ehemaligen Aktionsfront Nationaler Sozialisten (ANS), an ihrer Spitze Thomas Brehl und Arndt-Heinz Marx und dort die DemonstrantInnen der Initiative "Kein Nazitreffen in der Rhön und anderswo". Die Polizei ist ebenfalls zahlreich vertreten und "sorgt für einen reibungslosen Ablauf". VertreterInnen der antifaschistischen Initiative machen deutlich, daß im nächsten Jahr dieser Aufmarsch der Neonazis in Hilders so nicht mehr stattfinden wird.[2]

So lautet der Bericht einer Teilnehmerin der antifaschistischen Demonstration am 31. Dezember 1985 gegen die Treffen der "Wiking Jugend" (WJ) in der Rhön. Seit Ende der 60er Jahre traf sich die neofaschistische Wiking Jugend zu ihrem Winterlager in Hilders/Rhön. Ende der 70er Jahre protestierte erstmals die Bevölkerung gegen den jährlichen Aufmarsch.

Wer war diese Organisation, die 1994 als neonazistisch verboten wurde" Gegründet wurde die Wiking Jugend von Raoul Nahrath, der als führendes Mitglied der in den 50er Jahren wegen faschistischer Umtriebe verbotenen Sozialistischen Reichspartei (SRP) bekannt war. Mit der Wiking Jugend institutionalisierte sich 1952 eine neue Jugendorganisation, die annähernd die gleiche faschistische Ideologie wie die SRP verbreitete.[3] Die Wiking Jugend arbeitete von Beginn an mit anderen rechtsradikalen Gruppen zusammen, z.B. mit dem "Kameradschaftsring Nationaler Jugendverbände" (ab 1954), mit der "Aktion Widerstand" (1970), die wegen ihres menschenverachtenden Schlagwortes gegen den damaligen Bundeskanzler "Brandt an die Wand" berüchtigt war, mit dem "Freiheitlichen Rat" des Gerhard Frey (Herausgeber der "National Zeitung"), der "Aktionsfront Nationaler Sozialisten/Nationale Aktivisten (ANS/NA)" des Michael Kühnen bzw. der "Freiheitlichen Arbeiterpartei" (FAP).[4] Die WJ orientierte sich auch im organisatorischen Aufbau an ihrem Vorbild "Hitlerjugend".

Ihre "Fronteinheiten" und "Stabsstellen" wurden unterteilt in "Jung- und Mädchenschaft, Gefährtenschaft und Fähnlein", in "Horst, Gau, Bund". Die Führer auf allen Ebenen besaßen alleinige Befehlsgewalt und forderten absoluten Gehorsam. Auf die Befehle mußte sofort reagiert werden, Verstöße und Verzögerungen wurden mit Tritten und Schlägen geahndet. "Pimpfe und Jungmädel" waren die üblichen Bezeichnungen für die Mitglieder.[5]

Als Vorbild hatte sich die WJ ihren "Führer Adolf Hitler" erkoren, der ihnen vom "Himmel zuschaute" . Ihre Ideologie war beherrscht von der Idee des "Nordlandes", einem Europa der "nordisch-arischen Rasse", die gegen den "Panslawismus in Gestalt des Bolschewismus" ankämpft.[6] Das ist exakt die Wortwahl von Himmler und der SS-Division "Wiking". Ihrem Vorbild "Hitlerjugend" nacheifernd, probten die Jugendlichen und Kinder in ihren Zeltlagern den Krieg. Sie stürmten gegnerische Gräben, robbten durchs Gelände, übten sich im Scharfschießen. Dazu gehörte auch, daß ihre "Uniform" dem Militär nachempfunden war.[7] Für ihr rücksichtloses und menschenverachtendes Vorgehen war die Wiking Jugend berüchtigt. Mitglieder der Organisation waren bereits wegen schweren Landfriedensbruchs und versuchten Totschlags an einem WDR-Kamerateam angeklagt. 1987 überfielen WJ'ler in Fulda ein Auto mit vier Leuten vom Antifaschistischen Arbeitskreis und verletzten sie zum Teil schwer.[8] Welche Bedeutung die WJ für den NS-Terrorismus hatte, zeigt auch das Hervorgehen der "Hansa-Bande" Michael Kühnens - der Vorläuferin der ANS/NA - aus einer Wehrsportgruppe innerhalb der WJ (bzw. damit nahezu deckungsgleich den Landesverbänden Hamburg und Schleswig-Holstein der Jungen Nationaldemokraten). Die "Karriere" zahlreicher NS-Terroristen begann bei der WJ. So trat der Anführer der neonazistischen "Borussenfront", Siegfried Borchardt, lange Zeit als Mitglied und Anführer der WJ auf. [9]

Die WJ brannte jedes Jahr zu Silvester ihr "Mahnfeuer" an der Grenze zur DDR ab und veranstaltete danach seit Mitte der 80er Jahre eine Kundgebung in Hilders, bei der der Berufsjugendliche Wolfgang Nahrath, seines Zeichens damals "Bundesführer", ausgiebig Gelegenheit hatte, seine Hetzreden gegen alle Demokraten zu halten.

1979 riefen zum ersten Mal zahlreiche Organisationen zu einer Gegendemonstration auf. Bis 1990 fanden fast durchgängig Aktionen gegen das Treffen statt. 1980 gelang es erstmals, das Mahnfeuer der WJ zu verhindern, indem der Stadtjugendring Fulda und zahlreiche andere Organisationen den Platz besetzten. "Es war schon mutig, was wir uns zutrauten - im Dunkeln am Silvesterabend mit nur ca. 100 Leuten eine Wiese zu besetzen, die auch noch außerhalb der Ortschaft lag. Wir konnten ja nicht wissen, ob und mit wievielen Leuten die WJ ankam", beschreibt eine damalige Schülerin. Verboten von den politisch Verantwortlichen - für die Genehmigung war in erster Linie CDU-Landrat Fritz Kramer zuständig - wurde das Treffen der WJ erst 1985, nachdem es im Jahr davor zu Ausschreitungen gekommen war: Ein rechtsradikaler Schlägertrupp verprügelte Jugendliche aus Simmershausen. Seit dieser Zeit wurde auch das Bündnis zwischen der damals schon verbotenen ANS/NA und der WJ "offiziell".

Thomas Brehl und Dieter Weißmüller - beide aus Fulda - und Gründer der Nationalen Aktivisten (NA) - nahmen schon seit Jahren an den WJ-Veranstaltungen teil. 1984 schlossen in der Rhönhalle von Tann WJ-"Führer" Wolfgang Nahrath und Kühnen-Stellvertreter Brehl ein "Bündnis" zwischen der traditionellen terroristischen WJ und den neueren neonazistischen Schlägertruppen der "Volkstreuen Außerparlamentarischen Opposition".[10]

In den nachfolgenden Jahren wurde das Treffen an Silvester immer wieder verboten, was auch durch die Gerichte nach mehreren Anläufen bestätigt wurde. Das hinderte die WJ und andere neofaschistische Organisationen nicht daran, bis 1990 immer wieder an Silvester in die Rhön zu fahren und unter Tarnnamen angeblich "Geburtstagsfeiern" und sogenannte "Kameradschaftsabende" abzuhalten. Allerdings konnten sie das nicht mehr ungestört tun. Mit ebensolcher Regelmäßigkeit wurden Gegendemonstrationen und Kundgebungen in Hilders und in Fulda durchgeführt. Seit 1984 gab es ein breites antifaschistisches Bündnis, in dem sogar die Junge Union Hilders mitarbeitete. Ab 1985 kam es regelmäßig zu Festnahmen von Neonazis an Silvester in Fulda, zumeist wegen Waffenbesitz und tätlicher Angriffe.[11] Seit dem Wegfall der Grenze 1990 traf sich die WJ nicht mehr in der Rhön.

Am 10. November 1994 wurde die WJ als größte neonazistische Jugendorganisation durch das Bundesinnenministerium verboten. Zu diesem Zeitpunkt unterhielt sie zwölf "Gaue", besonders aktiv in Sachsen und Schwaben. Seit dem Verbot führt die WJ ihre Winterlager meistens in Belgien durch. [12]

Das besondere Gefährdungspotential durch die WJ war einerseits gegeben durch die "Ausbildung" in ideologischer Hinsicht von Kindern und Jugendlichen. Außerdem war sie das "Kaderreservoir" für andere neonazistische Gruppierungen und eine tragende Säule des militanten rechten Untsergrundes. Auch versuchten immer wieder WJ-Mitglieder, in Behörden Karriere zu machen. Seit dem Verbot wird der Zusammenhalt durch eine dezentrale Organisierung, durch konspirative Treffen und sogenannte private Zusammenkünfte gewährleistet. Außerdem wurde ein Teil der WJ-Aktivitäten ins Ausland verlagert. [13]

Wolfgang Nahrath: geboren 1929, wohnhaft in Stolberg. Der Chemieingenieur, der zu den "grauen Eminenzen" des neofaschistischen Lagers gehört, begann seine politische Laufbahn 1949 bei der Sozialistischen Reichspartei und der Deutschen Reichspartei. 1953 wurde er Mitglied der 1952 gegründeten Wiking Jugend (WJ) und gehörte 1965 zu den Gründungsmitgliedern der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD), deren Bundesvorstand er heute angehört. Außerdem gehört er heute dem Zirkel um den Freundeskreis Ulrich von Hutten an. 1967 übernahm er von seinem Vater Raoul Nahrath die Bundesführung der Wiking Jugend. 1980 wurde ein Lager der WJ in Österreich aufgelöst, gegen Nahrath wurde ein Aufenthaltsverbot ausgesprochen. 1983 führte Nahrath eine Veranstaltung auf dem "Reichshof" von Manfred Roeder in Schwarzenborn durch. 1991 übergab er das Amt des WJ-Bundesführers an seinen Sohn Wolfram Nahrath.Von seinem Amt als Sozialrichter, das er 1992 beim Deutschen Arbeitnehmerverband antrat, wird Wolfgang Nahrath 1994 entbunden. Ausschlaggebend war sein öffentliches Bekenntnis "zum Nationalsozialismus und dem rassistischen Gedankengut Adolf Hitlers" in ein Interview mit der Zeitschrift "Einheit und Kampf". Nahraths Bedeutung wird so eingeschätzt, daß seine 24jährige Tätigkeit als Bundesführer der WJ ihm Ansehen und Einfluß verschaffte, er aber wegen seine autoritären und selbstherrlichen Auftretens nicht immer beliebt war. Nahrath zählt zu den treibenden Kräfte der verstärkten Annäherung der NPD an das rechtsmilitante Lager.

Wolfram Nahrath: geboren 1960, wohnhaft in Berlin. Der Rechtsreferendar wurde 1980 Jugendführer der Wiking Jugend, 1986 trat er in die Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei (FAP) ein. Er beteiligt sich an der Gründung der Berliner Kulturgemeinschaf Preußen und übernahm schließlich von seinem Vater Wolfgang die Funktion des Bundesführers der WJ. 1994 war er bei einem Berliner Staatsanwalt beschäftigt, als seine Tätigkeiten bekannt wurden, schied er auf eigenen Wunsch aus dem Beamtenverhältnis aus. 1995 wurde Wolfram Nahrath stellvertretender Vorsitzender der "Notgemeinschaft für Volkstum und Kultur". Er gilt somit als Vertreter der "jungen Generation", der seit den 80er Jahren in den Kreis um die Deutsche Kulturgemeinschaft und den Freundeskreis Ulrich von Hutten integriert wurde. Seit dem Verbot der WJ und dem gesteigerten öffentlichen Interesse an seiner Person hat er sich in den Hintergrund zurückgezogen.[14]

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