Fiese Tricks von Polizei und Jostiz

BLICKE VOR UND HINTER DIE KULISSEN: WIE SIEHT DIE PRAXIS DER ANARCHISTINNEN AUS?

Wir sind gut, weil alt - Anarchie als Selbstzweck


1. Einleitung
2. Anarchistische Aktion
3. Anarchistische Organisierung
4. Projekte und Keimzellen
5. Wir sind gut, weil alt - Anarchie als Selbstzweck

Wer Büchertische oder Zeitschriften von AnarchistInnen wälzt, wird feststellen, dass dort eine erstaunliche Zuneigung zu alten Geschichten und Männern herrscht (ausnahmsweise auch mal für alte Frauen). Aus deren Theorien und Leben wird erzählt - seitenlang in Direkte Aktion und Graswurzelrevolution, Veröffentlichungen der anarchistischen Verlage und auf Veranstaltungen. Die Debatte über aktuelle Modelle und Möglichkeiten herrschaftsfreier Gegenwart und Zukunft, z.B. um freies Wissen, Umsonstökonomie oder Direct Action überlassen Anarch@s fast vollständig anderen Diskussionskreisen. Höchstens einzelne Anarch@s, zudem meist aus dem selbstorganisiert-unabhängigen, aber zersplitterten Spektrum, sind dort zu finden. Die große Mehrheit ist theorie-abstinent oder lauscht andächtig den lehrerhaften Erzählungen namhafter AnarchistInnen wie etwa Lou Marin oder Bernd Drücke, die aus der Vergangenheit plaudern - und gerne, wie Lou Marin, in der Graswurzelrevolution sogar Texte zu modernen Herrschaftsanalysen per Veto verhindern.

Aus Mühsam, Erich (1933): "Die Befreiung der Gesellschaft vom Staat", Nachdruck bei Syndikat A und im Internet (mehr Auszüge)
Kein Gedanke wird dadurch richtiger, daß schon ein andrer ihn früher geäußert hat. ... (S. 4)

Aus Schwerdtfeger, Johannes: "Anarchismus und Pädagogik", in: Diefenbacher, Hans (Hrsg., 1996): "Anarchismus", Primus Verlag in Darmstadt (S. 67)
Seit der Zerschlagung der letzten politisch bedeutsamen und revolutionär aktiven anarchistischen Bewegung im Spanischen Bürgerkrieg hat sich das Interesse am Anarchismus weitgehend reduziert auf die literarische Beschäftigung mit Ideen des Anarchismus und den Personen, die diese Ideen öffentlich vertreten haben und revolutionär zu realisieren versuchten.


Aber die Denke ist tatsächlich so: Alt = gut. Wenn die selbsternannt "quicklebendige" Graswurzelrevolution (siehe Abb. aus Heft 2/2006, S. 4) über die Entwicklung des libertären Zeitungsgeschehens im deutschsprachigen Raum berichtet, werden nicht nur neuere Zeitungsprojekte gern vergessen werden, sondern lange Existenz (ob jetzt "quicklebendig" oder dahinsiechend) als Oualitätskriterium gewertet. Warum das eines sein soll, also Überdauern per se gut ist, hat die GWR bislang nicht zu erklären gewusst. Dabei spräche aus der Idee von Selbstorganisierung, evolutionärer Entwicklung und Selbstentfaltung eher einiges dafür, dass Weiterentwicklung und nicht Kontinuität für emanzipatorische Qualität steht. Projekte, die nach der idealistischen Anfangsphase zum Selbstzweck werden (ähnlich den NGOs), verarmen hingegen eher qualitativ. Die GWR mit ihrem Hang zur Nostalgie, immer gleiche Themen und Zensur abweichender Position ist da ja selbst ein deutlicher Beleg für diese These.

Im Original: @-Label
Aus Gordon, Uri (2010): "Hier und jetzt", Nautilus in Hamburg (S. 23 ff.)
Nun gibt es allerdings ein paar ganz offensichtliche Gründe, warum viele von uns sich nicht gerne als Anarchisten bezeichnen, selbst wenn uns das Wort fasziniert. Wie Bob Black feststellt: "Wer sich als Anarchistin oder Anarchisten bezeichnet, zieht damit unweigerlich ein ganzes Bündel von Assoziationen auf sich, eine wilde Mischung, unter der kaum zwei Menschen - das gilt auch für zwei Anarchisten - dasselbe verstehen werden. (Die vorhersehbarste Assoziation ist zugleich die ungenaueste: die Assoziation mit dem Bombenwerfer. Tatsächlich haben Anarchisten Sprengsätze geworfen, und manche tun es immer noch>
Für viele rufen die Worte Anarchie und Anarchismus immer noch automatisch negative Vorstellungen von Chaos, sinnloser Gewalt und Zerstörung hervor, weil libertäre Ideen in den kommerziellen Massenmedien ganz ausdrücklich seit dem "Anarchistischen Schrecken" (anarchistische Bombenattentate in Frankreich und den USA im frühen 20. Jahrhundert) dämonisiert werden. ...
Die verbreitetste Form des Widerstands gegen die Bezeichnung als Anarchist ist jedoch die Abneigung, die viele Anarchistinnen und Anarchisten gegen jedwede Etikettierung hegen. Nicht wenige unter ihnen identifizieren sich mit diversen politischen und kulturellen Strömungen und halten die Umschreibung ihrer Überzeugungen durch irgendeinen Ismus für eine unnötige Einschränkung, die ihnen zudem die Unterstellung einträgt, auf ein paar unumstößliche Dogmen festgelegt zu sein. In den Worten von Not4Prophet: "Ich persönlich stehe nicht auf irgendwelche Titel, Zuordnungen oder Schubladen. Die meiste Zeit meines erwachsenen Lebens habe ich damit verbracht, solche Einschränkungen hinter mir zu lassen. Ich denke, eigentlich sind wir immer besser dran, wenn wir uns kein Label aufkleben und uns auch von niemandem sonst eins aufdrängen lassen. Anarchie oder Anarchismus ist etwas, das wir wirklich anstreben, was wir leben und wofür wir kämpfen, und deshalb ist es auch ohne Belang, als was wir uns bezeichnen (oder nicht bezeichnen), wenn wir mitten drin sind und es tun."


Zum nächsten Text über moderne Hierarchien, dem zweiten im Kapitel über die Praxis der AnarchistInnen

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