Fiese Tricks von Polizei und Jostiz

GEFAHR, MACHT UND ANGEMESSENE HANDLUNG
IST DER WIDERSTAND GERECHTFERTIGT?

Interviews mit Feldbefreier*innen


1. Einleitung
2. Interviews mit Feldbefreier*innen
3. Wann ist eine Feldbefreiung ein angemessenes Mittel?
4. Das Feld in Gießen: Warum ist der konkrete Gengerstenversuch rechtswidrig?
5. Fragen zum Gentechnikrecht
6. Notstandsregelungen und Urteile in anderen Ländern

Interview "Einkaufen im Bioladen hilft nicht"
Interview mit einem der angeklagten Gießener Feldbefreier, in: ND, 14.10.2009 (S. 5)
Jörg Bergstedt, 45, hat gentechnisch veränderte Gerste auf einem Versuchsfeld in Gießen ausgerissen und soll wegen Hausfriedensbruchs und Sachbeschädigung für ein halbes Jahr ins Gefängnis gehen. Jens Herrmann befragte den Umweltaktivisten und Buchautor zu seiner Bewertung des Urteils und zur künftigen Gentechnikpolitik.

ND: Am Freitag wurden Sie vom Gießener Landgericht zu sechs Monaten Haft für die Zerstörung eines Gen-Gerste-Versuchsfeldes der Universität Gießen verurteilt. Was bedeutet dieses Urteil für den Widerstand gegen die Gentechnik in Deutschland?
Bergstedt: Das ist schwer zu sagen. Einerseits fürchte ich, dass das Gericht erreicht, was es will: Einschüchtern. "Rückgrat raus" - dieses Gemälde hatte ich dem Gericht im Plädoyer vorgehalten. Offenbar will es das. Andererseits wurden wir verurteilt, weil so eine Feldbefreiung nicht reicht.[1] Das sehe ich auch so. Der Widerstand muss offensiver werden und aus den vornehmen Lokalitäten und Bioläden an die Felder und Laborstandorte verlagert werden.

Sie berufen sich auf den Paragraf 34 des Strafgesetzbuches (rechtfertigender Notstand), der Straffreiheit vorsieht, wenn Leib und Leben des Täters in Gefahr sind. Der Richter verwarf diese Argumentation, obgleich er die Kritik am konkreten Gentechnik-Versuch weitgehend teilte. Warum?
Weil er ausgerechnet unsere Argumente von der Gefährlichkeit und Unkontrollierbarkeit der Gentechnik als "Tatsachen" im Urteil festgestellt hat - und daraus ableitete, dass auch eine Feldbefreiung nichts mehr hilft. Nach Paragraf 34 muss eine Handlung aber "geeignet" sein, die Gefahr abzuwenden. Das heißt also: Wenn die Scheiße richtig schlimm ist, darf mensch sich dagegen nicht mehr wehren.

Zahlreiche Beweisanträge zu den Hintergründen des Gen-Gerste-Versuches wurden im Verfahren vom Richter abgelehnt. Warum?
Das wird sicherlich sehr spannend in der Revision. Wir haben ungefähr 270 Beweisanträge zur Gefährlichkeit der Gentechnik, zu Schlampereien beim konkreten Versuch und zu Korruption und Seilschaften in Behörden, Forschung usw. gestellt. Sie sind alle abgelehnt worden - und zwar immer, weil sie "ohne Bedeutung" seien. Das Gericht hatte nämlich den Plan, den Paragraf 34 ganz wegzuschieben. Nach dem umfangreichen Plädoyer, warum das rechtlich nicht geht, haben sie sich offenbar hektisch umentschieden.

Wird die Justiz künftig generell härter gegen Gentechnik-Gegner vorgehen?
Das ist Spekulation. Wir gehen jetzt in die Revision. In der Justiz gewinnt, wer das letzte Tor schießt. Ich finde es wichtig, dass die Bio-Tomaten von den Augen der GentechnikgegnerInnen fallen und klar wird: Gentechnik ist unkontrollierbar - und von denen, die sich an der Quelle der Auskreuzung, nämlich den Feldern, engagieren, sitzen und saßen die ersten schon im Knast. Die nächsten folgen. Daumen drücken, im Bioladen einkaufen und grün wählen hat gegen die Gentechnik noch nie geholfen - jetzt ist es klarer denn je.

Kurz vor der Urteilsverkündung gelangte der Notruf in den Gerichtssaal, dass Bio-Lebensmittel von Gen-Verunreinigungen betroffen sind. Welche Möglichkeiten bleiben dem Verbraucher nun eigentlich noch?
Ich hoffe, dass Bioläden, Hersteller, Umwelt- und Landbauverbände endlich aufhören, die Menschen mit dem Unsinn zu beruhigen, dass durch das richtige Kaufverhalten die Gentechnik aufzuhalten ist. Die Quellen müssen gestoppt werden: Felder, Labore, Firmen. Bislang sind FeldbefreierInnen und -besetzerInnen ziemlich allein gelassen worden. Manche haben sich sogar distanziert. Das ist ein Teil des Problems!

Schwarz-gelbe Spitzenpolitiker haben angekündigt, die grüne Gentechnik stärker fördern zu wollen. Welche Folgen sehen Sie für den Gentechnik-Widerstand und die Bio-Landwirtschaft?
Die neue Regierung gibt nur offener zu, was die alte auch schon immer gemacht hat. Vielleicht hilft das denen, die vorher nicht genau hingeschaut haben. Für mich ändert sich nichts.

Feldbefreiungsprozess Gießen: Interview mit einem der Angeklagten
Der Interviewte wurde zu 6 Monaten Gefängnis ohne Bewährung verurteilt (die er dann auch absitzen musste).

Sechs Monate Knast für eine Feldbefreiung - ist das eine übliche Urteilshöhe?
Nein. Gießen war sichtbar ein Exempelprozess. Hier soll eingeschüchtert werden. Zielpersonen waren also gar nicht die Angeklagten, sondern die unbekannten Anderen, die - so hofft das Gericht - jetzt ängstlich noch weniger tun. Mein Mitangeklagter hat offen zugegeben, dass ihn die harte Strafe aus der ersten Instanz eingeschüchtert hat. In der Sache hätte ihn niemand überzeugt, aber er würde aus Angst vor den Konsequenzen so etwas nicht wieder tun. Das hat das Gericht honoriert und die Strafe für ihn gesenkt. Das entsprach dem üblichen Menschenbild in der Justiz: Rückgrat raus!

Du hast den Nachlass nicht bekommen.
Nein, ich habe in meinem Plädoyer das Rückgrat-raus-Gemälde von A. Paul Weber hochgehalten und die Justiz wegen ihrer herrschaftsstabilisierenden Rolle kritisiert. Darauf hat das Gericht reagiert und mich wegen meiner Ablehnung bürgerlicher Ordnung extra härter bestraft.

Das ist doch Geninnungsjustiz.
Ja. Das haben alle auch so empfunden. Überraschend war vielleicht nur, dass der Richter das offen zugegeben hat. Immerhin wissen wir jetzt die strafrechtliche Relevanz der Anarchie: Ein paar Monate mehr. Allerdings - so mein deutliches Gefühl - dürfte hier auch eine Rolle spielen, dass der Richter sein Ziel verfehlt hat, als souveräner Sieger aus dieser Verhandlung zu gehen. Fraglos zeigte er mehr Geschick und Flexibilität in der Rechtsauslegung, mitunter vielleicht auch eher als Rechtsverdrehung passend zu bezeichnen, als viele seiner VorgängerInnen, die sich an Verfahren gegen uns versucht haben. Doch sowohl im direkten Schlagabtausch wie auch in den juristischen Begründungen musste er ständig den Kürzeren ziehen. Als ich dann noch mit meinem Plädoyer sein Kunstgebilde einer offensichtlichen Nichtigkeit des Genehmigungsbescheides für das skandalöse Genversuchsfeld zertrümmerte, musste er in einer Stunde mit den willfährigen SchöffInnen ein neues Urteil zusammenschustern. Das Ziel einer harten Verurteilung war geblieben, aber gute Gründe fanden sie so schnell nicht. Deshalb kam es zu den absurden Hilfskrücken mit dem Strafzuschlag wegen anarchistischer Gesinnung und mit der absurden Behauptung, ein Widerstand gegen die Gentechnik sei illegal, weil die Gentechnik so gefährlich und unaufhaltsam sei.

In der Hauptsache hattest Du die Gentechnik angegriffen und Dich auf den Notstandsparagraphen im Strafgesetzbuch gestützt. Damit bist Du offenbar nicht durchgekommen. Warum?
Richter Nink nannte vor allem zwei Gründe. Bei einem, seinem selbsterfundenen Kriterium der Rechtswidrigkeit, das im Gesetz gar nicht zu finden ist, blieb er sehr vage. Offenbar versuchte er, sich nicht festzulegen, um weniger angreifbar zu sein. Schließlich geht es nun in die Revision. Der zweite Grund aber war spektakulär. Der Notstandsparagraph nennt mehrere Kriterien, wann eine Handlung, die Gefahren abwehren soll, straffrei ist. Ich hatte mit vielen Anträgen und im Plädoyer jedes Details nachgewiesen. Aber Richter Nink hat einen unfassbaren Ausweg gefunden. Er erklärte, dass die Gentechnik gefährlich und unkontrollierbar sei. Dass es aber schon zu spät sei, das noch zu ändern: "Der Geist ist aus der Flasche" sagte er wörtlich. Dann leitete er daraus ab, dass es ein Recht auf Widerstand nicht mehr geben könne, weil ja keine Aussicht auf Erfolg mehr bestünde. Das ist in Recht gegossener Fatalismus.

Und was heißt das jetzt für den Widerstand gegen die Gentechnik?
So absurd es klingt: Industrie und, in Deutschland ja auffälliger, Kleinstfirmen und Lobbyverbände werden sich freuen - über die Urteilshöhe und über die formale Bestätigung, dass der Kampf gegen die Gentechnik vorbei ist. Alle schlimmsten Prophezeiungen wurden übertroffen, aber für die Industrie konnte nichts Besseres passieren, als das ihre Technik außer Kontrolle gerät. Das Zeitalter der Gentechnikfreiheit ist vorbei, wöchentlich tauchen neue Meldungen von Funden illegaler Beimischungen in Lebensmitteln auf - inzwischen auch im Bioladen. Die Debatte wird damit überflüssig. Das Zeitalter des großen Geschäfts hat begonnen.

Wirst Du jetzt auch schon fatalistisch?
Ich interpretiere nur, was Richter Nink da geurteilt hat. Ich könnte noch andere Bewertungen finden, z.B. dass die Umwelt- und Biolandbauverbände, viele Bioläden und ihre Verbände, die Naturkosthersteller usw. mit ihrem Schmusekurs und der gebetsmühlenartig vorgetragenen Handlungsanweisung, die richtigen Produkte zu kaufen, sich aber von radikalen Aktionen gegen die Quellen der Verbreitung gentechnischer Pflanzen fern zu halten, schlicht falsch gelegen haben. Sie tragen eine Teilschuld am Desaster. Es wird Zeit, dass sich die Richtung im Widerstand ändert. Wer nur das Richtige kauft, kann Auskreuzung ebenso verhindern wie die Menschen, die mit dem Versprechen politischer Wirkung zu Mausklicks und Unterschriften verleitet werden.
Ich finde es aber auch nicht abwegig, den Richter noch anders zu interpretieren: Ich finde, dass er Feldbefreiungen bescheinigt zu haben, kein ausreichend wirksames Mittel, also im Rechtsjargon "zu milde" zu sein. Die Gentechnik ist ab dem Moment, wo sie die Labore verlässt, nicht mehr kontrollierbar. Die direkte Aktion muss, dieser Logik folgend, also noch einen Schritt vorher ansetzen. Benzin und Diesel gibts an der Tankstelle.

Und juristisch?
Wir gehen in die Revision. Das ist schließlich ziemlich innovative Rechtsprechung, die hier geschehen ist. Der Richter, selbst offen bekennender Gentechnikgegner, hat denen, deren Technik er verbal nicht will, einen guten Dienst getan. Das zu korrigieren, werden wir versuchen. Problem: In der nächsten Instanz, dem Oberlandesgericht Frankfurt, warten wieder RichterInnen. Und die sind einfach darauf trainiert, herrschende Interessen zu bedienen.

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