Fiese Tricks von Polizei und Jostiz

STRAFE - RECHT AUF GEWALT

Von Orten der Gewalt und bösen Taten


1. Die Kapitel des Fragend-voran-Büchleins
2. Wieso straft Mensch?
3. Von Orten der Gewalt und bösen Taten
4. Strafe – die gute Gewalt
5. Im Namen des Rechts und der Gerechtigkeit
6. Der offizielle Strafzweck
7. Das grosse Ziel
8. Was ich eigentlich sagen wollte...
9. „Es gibt eine gewisse Eigenverantwortung“
10. „Wenn nichts mehr geschützt ist, kann nichts mehr gelebt werden“
11. „Kriminalität ist ein gesellschaftlicher Prozess“
12. Eine gewaltfreie Welt ... und wie man das nicht erreicht
13. Versuch über Perspektiven
14. Impressum

Die Strafanstalt Schöngrün liegt auf einer leichten Anhöhe, ein paar hundert Meter von der Autobahn A5 entfernt, bereits mitten im Grünen am Stadtrand von Solothurn. Hier gibt es einen Bio-Hofladen, was auf einen Landwirtschaftsbetrieb schliessen lässt. Im Unterschied zu anderen Bauernhöfen öffnet sich hier aber ein grosses, eisernes Schiebetor mit Stacheldrahtwall, bevor der rote Traktor, beladen mit Heuballen, das Gelände verlässt. Das Gelände nämlich ist eingezäunt. Hohe Gitter und jede Menge Stacheldraht lassen darauf schliessen, dass hier entweder ganz wertvolle Objekte vor Dieben geschützt werden müssen – oder eben, dass hier jemand nicht raus darf. Dass hier Menschen leben, die eigentlich nicht hier sein wollen. Der Mann im blauen Overall, der gerade eine Ladung Heu in der Scheune ablädt, ist eigentlich nicht Landwirt. Genauso wenig wie alle anderen auf diesem Betrieb, wo nebst landwirtschaftlichen Produkten und Gemüse auch massangefertigte Holz-Gebrauchsgegenstände verkauft, antike Schränke restauriert und Montagearbeiten erledigt werden. Hier leben und arbeiten diese Menschen, weil sie dazu gezwungen werden. Rund die Hälfte von ihnen sind in diese Situation geraten, weil sie mit Rauschmitteln gehandelt haben. Hierzulande eine verbotene Angelegenheit, ein Unrecht - Verstoss gegen das Betäubungsmittelgesetz. Die meisten der anderen Hälfte haben sich Dinge zu Eigen gemacht, auf die sie laut Gesetz keinen Anspruch haben – Eigentumsdelikte wie Diebstahl, Betrug oder Wirtschaftskriminalität – oder Bussen nicht bezahlt, die man ihnen aufgehalst hat (zum Beispiel eine übliche Folge, wenn man ohne gültige Fahrkarte in einem öffentlichen Verkehrsmittel sitzt). Die letzten 20% teilen sich schliesslich die Tatbestände Tötung, „Gefährdung von Leib und Leben“ und Sexualdelikte.[1] Das sind die Verschulden, die Straftaten und Verbrechen der Menschen, die hier leben und arbeiten müssen. So sieht das zumindest aus juristischer Sicht aus. Ihr wirkliches Verschulden besteht allerdings im Missgeschick, sich dabei erwischen zu lassen. Denn

die Kategorie der Gesetzesbrecher (ist) viel Umfangreicher [...] als die Kategorie derer, die als Verbrecher eingestuft werden, da wir alle schon einmal zu dieser oder jener Zeit gegen das Gesetz verstossen haben.[2]

So führt mindere Intelligenz nicht zu mehr Verbrechen, aber zu mehr Verhaftungen. Jene Menschen also, die bei ihren Handlungen gegen das Gesetz erwischt und anschliessend verurteilt wurden, sitzen jetzt hier in Schöngrün. Sie leben in einer Zelle, 5.8m2 gross, knapp zwei Meter breit und drei Meter lang. Laut UNO-Menschenrechtsnorm müssten es 17m2 sein. Eine Toilette, ein Lavabo, ein Gestell, ein Tisch, ein Stuhl, ein Bett und ein Kippfenster. Ein kleiner Fernseher kann gemietet werden. Hier lebt man – eingeschlossen. Der Tagesablauf ist streng geregelt. Man wird geweckt, arbeitet was einem zugeteilt wird („Wünsche der Insassen werden prinzipiell nicht berücksichtigt – es sei denn, jemand macht eine Ausbildung“[3]), isst, was es zu essen gibt, und trägt Normkleidung. Wer die Regeln missachtet oder sich widersetzt, wird bestraft. Bis zu zehn Tagen Arrestzelle steht auf der Sanktionsliste. Eine Beschreibung des gewöhnlichen Disziplinierungs-systems in deutschen Strafanstalten gibt folgende Zusammenfassung:

Um ein gewünschtes Verhalten im Knast zu erreichen, werden Strafe und Belohnung in einem durchdachten System eingesetzt. Vergünstigungen im Straffvollzug können Zugang zu Sportgruppen, Gefangenenbibliothek usw. sein, aber auch Wochenendausgang oder vorzeitige Entlassung auf Bewährung (üblich nach 2/3 der Gesamthaftzeit). Bei Fehlverhalten werden solche Vergünstigungen gestrichen. Als Strafe im Knast wäre all das zu betrachten, was den gewöhnlichen Strafvollzug verschlimmert. Hierzu gehören unfreiwillige Einzelhaft oder die nicht selbstgewählte Zusammenlegung mit Häftlingen, die als Bedrohung empfunden werden. Der tägliche Hofgang kann gestrichen werden. Zudem ist es möglich, Häftlinge in Isolationshaft zu setzen, wo sie keinen Kontakt mehr zu anderen Menschen ausser den Vollzugsbeamten und dem eigenen Rechtsanwalt haben. Das kann über Jahrzehnte verfügt werden. Den Höhepunkt stellt die Einweisung in den knastinternen „Bunker“ dar. Das ist eine Zelle, die in der Regel 24 Stunden beleuchtet ist, aber keine Fenster hat sowie keine Möblierung. Bis zu vier Wochen können Häftlinge in diese Zelle eingewiesen werden, um vermeintliches Fehlverhalten im Knast zu bestrafen. Oft sind die videoüberwachten „Bunker“ einheitlich hell gekachelt und die Häftlinge haben wenig oder keine Kleidung an.[4]

In Schöngrün hat der „Bunker“ immerhin ein Fenster, durch welches man auf das Gefängnisdach, Stacheldrahtwälle und den Himmel blicken kann. Auch kann man hier bloss für maximal drei und nicht vier Wochen eingesperrt werden. Ansonsten dürfte das Disziplinierungssystem aber mit dem Deutschen vergleichbar sein. In einem Gefängnis wird jede noch so kleine Abweichung von Normen hart bestraft. Persönliche Freiheiten sucht man hier vergebens. Mensch lebt hier, isoliert, ohne Kontakt zur Aussenwelt, Tag ein Tag aus in dem selben Raum – eingesperrt. So fristet man hier sein Leben – ein Jahr, zwei Jahre, sieben Jahre, fünfzehn Jahre, dreissig Jahre, sein ganzes Leben kann einem hier genommen werden. Dem Staat ist dieser ganze Aufwand täglich 190.- pro Gefangenem wert. Schöngrün ist eine halboffene Anstalt. Hier kommen nur jene hin, die weder Flucht- noch Rückfallgefährdet sind und bereit sind, am Vollzug ihrer Strafe aktiv mitzuarbeiten. Ansonsten landet man in einer geschlossenen Anstalt – noch weniger Abwechslung, noch mehr Sicherheit, Unfreiheit, Repression. Gefängnisse gibt es 125 in der Schweiz – mit 6609 Haftplätzen. Jeder 3. Mann wird einmal im Zentralstrafregister aufgenommen[5], jeder zehnte von ihnen belegt mindestens einmal im Leben eine dieser Zellen und 9% werden innerhalb von 7 Jahren erneut verurteilt.[6]

Hat man das Pech, zu einem dieser Menschen zu gehören, die letztendlich einen Teil ihres Leben in einer Strafanstalt fristen müssen, so wird man umgehend mit einer Situation konfrontiert, wie sie der Gefangene Michael Diehl aus den Mauern der Justizvollzugsanstalt in Diez an der Lahn beschreibt:

Haft heißt Abbruch oder Entfremdung all deiner Beziehungen. Der Mensch wird entwurzelt. Freundschaften und Ehen zerfallen. Freunde und Bekannte wenden sich ab, du veränderst dich, weil sich dein Umfeld verändert hat.

Du wirst von der Gesellschaft isoliert und dein Lebensraum ist auf Jahre hinaus die unwirkliche Welt einer Haftanstalt. Alles was "draußen" richtig und lebensnotwendig war, kann hier falsch sein. Eigenverantwortung, Höflichkeit und Menschenwürde verschwimmen bis zur Unkenntlichkeit. Gefängnisstrafen, und seien es auch "nur" Monate, können für manche Menschen zum Ende ihres Lebens werden, ihres eigentlichen Lebens. Manchmal wird es sogar dem Phantasielosesten augenfällig: Man findet den Häftling erhängt in seiner Zelle. Justizbeamte, die nur ihre Pflicht getan haben, schütteln verwundert ihren Kopf.

Potentiell gehören diese Menschen zu der Gruppe der Ersttäter, die noch nie im Gefängnis waren. Einige davon sind in Ehren, sagen wir, 50 Jahre alt geworden. Leben und Lebensgewohnheiten waren für sie identisch. Ihren Lebensinhalt haben sie in einem Beruf gefunden, der nach Verbüßung der Haft nicht mehr ihr Beruf sein kann oder darf. Männer, die für ihre Frauen und Kinder gelebt haben - die sich nun abwenden.[7]

In einer Strafanstalt werden Menschen bestraft, wird Menschen bewusst und gezielt Gewalt zugefügt. Die Strafanstalt ist die letzte Instanz eines ganz grossen Systems. Eines Systems zur Durchsetzung von Recht und Ordnung – Polizei, Behörden, Anstalten. Sie alle bestrafen unerwünschtes Verhalten. Sie alle fügen Menschen Gewalt zu – aber was ist eigentlich Strafe?

[1] Durchschnittlich: 50% Betäubungsmittelgesetz; 20% Betrug/Wirtschaftsdelikte; 10% Eigentumsdelikte, Bussen, sonstige; 10% Tötung; 10% Gefährdung von Leib und Leben sowie Sexualdelikte. Schätzung von Direktor Peter Fäh anlässlich eines Besuchs am 1. Februar 2007

[2] Angely Y. Davis. Eine Gesellschaft ohne Gefängnisse? Berlin. 2004 (Are Prisons Obsolete? New York. 2003) Seite 138.

[3] Aussage Peter Fäh, 1. Februar 2007

[4] Gruppe Gegenbilder (Hrsg.), Autonomie und Kooperation, Reichskrichen-Saasen, 2005 S. 128

[5] Geldstrafe >500 Fr. oder Verurteilung

[6] Zahlen bestätigt durch Prof. Dr. Martin Killias (Straf- und Strafprozessrecht unter Einschluss von Kriminologie, Universität Zürich) mit Verweis auf: Grundriss der Kriminologie, Bern 2002, Kap. 8 und 12

[7] Michael Diehl, Ist Strafvollzug sinnvoll?, 2005 [www.knast.net/article.html?id=4061]

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