Fiese Tricks von Polizei und Jostiz

GESCHICHTE DER DEMOKRATIE

Athen


1. Einleitung
2. Athen
3. Rom
4. Mittelalter & Co.
5. Moderne
6. Deutschland
7. Zusammenfassungen
8. Libertäre Experimente
9. Weitere Links zu Demokratie und Rechtsstaat

"In Athens demokratia übte das Volk die volle Gesetzgebungs-, Regierungs-, Kontroll- und Gerichtsgewalt aus", schreibt Hans Vorländer in seinem Beitrag "Grundzüge der athenischen Demokratie" (Informationen zur politischen Bildung 284, S. 9). Naja - das führt zu Missverständnissen, wenn mensch das Wort "Volk" nicht als Bezeichnung für diejenigen interpretiert, die das gesellschaftliche Leben via Norm, Meinung, Geschichtsschreibung, Zugriff auf Ressourcen usw. bestimmen, sondern mit den Menschen insgesamt verwechselt. Das ist es nämlich nie - und besonders nicht im alten Athen. Dort waren nur sehr wenige, stets männlich und in einer privilegierten sozialen Stellung berechtigt, an der Demokratie teilzunehmen.
Dann aber gab es unter diesen eine interessante Abweichung zu dem, was heute unter Demokratie verstanden wird und im Großen und Ganzen daraus besteht, einen Teil der Privilegierten durch Wählen bestimmen zu dürfen - wobei die Nicht-Privilegierten aufgrund ihrer geringeren Mittel kaum eine Chance haben, gewählt zu werden. Das Besondere der attischen Demokratie war, dass die Posten gelost wurden. So hatten alle die gleiche Chance, ein Amt zu bekleiden. Außerdem war die Amtszeit eng begrenzt, d.h. jede Person musste fürchten, in der nächsten Periode in der Position desjenigen zu sein, über den sie gerade zu entscheiden hatte. Ein sehr interessantes Modelll ...

Los statt Wahl!
Aus Wikipedia zu "Attische Demokratie"
Der unumschränkte Souverän war die Volksversammlung, die tatsächlich eine beinahe drückende Kontrolle über die Beamten und den Rat ausübte. Ein hervorstechendes Merkmal der athenischen Demokratie war das Losverfahren, welches als Garant dafür galt, dass alle Ämter allen Bürgern zugänglich waren!

Aus: David Van Reybrouck (2016), "Gegen Wahlen", Wallstein Verlag in Göttingen
Bei Aristoteles heißt es unumwunden: "Es gilt z.B. für demokratisch, die Staatsämter (arche) durchs Los, und für oligarchisch, sie durch Wahl zu besetzen." ... (S. 74)
Die Position des „Berufspolitikers“, die uns heute allen evident erscheint, hätte ein Durchschnitts-Athener als völlig bizarr und absurd empfunden. Aristoteles knüpfte einen sehr interessanten Gedanken über Freiheit daran: „Grundlage (hypóthesis) der demokratischen Verfassung ist die Freiheit [...] Von der Freiheit nun aber ist zunächst ein Stück, dass das Regieren und Regiertwerden reihum geht." ... (S. 75)
Die athenische Demokratie wird oft als .direkte. Demokratie umschrieben. Verdin erzählte uns von der großen monatlichen Volksversammlung, an der Tausende Bürger direkt teilnahmen. Im vierten Jahrhundert vor unserer Zeit trat sie sogar fast wöchentlich zusammen. Aber das Gros der Arbeit fand in jenen anderen, spezifischeren Einrichtungen wie dem Volksgericht, dem Rat der 500 und den Magistraturen statt. Dort sprach nicht das ganze Volk, sondern eine Zufallsauswahl, die durch das Los zusammengestellt worden war. ... (S. 75)
… Erkenntnis, die Aristoteles zwei Jahrtausende zuvor bereits gewonnen hatte: „Wahl durch Los [le suffrage par le sort] entspricht der Natur der Demokratie, Wahl durch Abstimmung [le suffrage par choix] der Natur der Aristokratie." (S. 83)


Aus "Wahlen sind nicht demokratisch" (Interview mit David Van Reybrouck, in: Spiegel 31/2016, S. 116ff)
Das Losverfahren hat eine lange Geschichte, die im antiken Griechenland beginnt. Die Republik Florenz hat über Jahrhunderte ihre politischen Entscheidungen mit einem komplizierten Losverfahren getroffen. In unserem politischen System gibt es das Losverfahren auch immer noch: bei Geschworenengerichten - die gut funktionieren und verantwortungsvoll schwierige Urteile fällen. Im Grunde heißt Losverfahren nichts weiter, als dass per Los eine repräsentative Gruppe ausgewählt wird, um Entscheidungen zu treffen oder Ratschläge zu geben.
Die athenische Demokratie basierte zu großen Teilen auf dem Losverfahren. Die wichtigsten Posten wurden per Los vergeben - so sollte Machtmissbrauch verhindert werden. Für Aristoteles etwa war das Los demokratisch, die Wahl in ein Amt oligarchisch. Und so sahen das auch Montesquieu und Rousseau, die Vordenker der Demokratie im 18. Jahrhundert. Beide glaubten an das Losverfahren. Doch sowohl in der amerikanischen wie in der französischen Revolution fürchtete man sich vor zu viel Demokratie - um das Regieren möglich zu machen, müsse die Erbaristokratie durch eine Wahlaristokratie ersetzt werden. Und am Anfang des 19. Jahrhunderts taucht dafür dann ein neuer Begriff auf: die ,,repräsentative Demokratie". (S. 119)


Aus "Demokratie" (Informationen zur politischen Bildung 1/2017, S. 10)
Zur Idee der athenischen Demokratie gehörte es weiterhin, dass jeder Bürger als befähigt erachtet wurde, ein Amt zu bekleiden. Die etwa 700 Amtsträger wurden prinzipiell durch das Los bestimmt, bestimmt, ihre Amtszeit war strikt begrenzt, und sie unterlagen lückenloser Kontrolle und Rechenschaftslegung. ... Ansonsten wurden die Ämter durch das Los bestimmt, es war das Symbol für bürgerschaftliche Gleichheit, weil es gesellschaftliche Stellungen, Vermögensunterschiede und unterschiedliche Interessen neutralisierte. Das Losverfahren verhinderte Protektion und andere Formen der Bevorteilung im Prozess der Ämterbesetzung. Nirgends drückte sich das Ideal der gleichen Chance auf Teilhabe und Teilnahme an der Politik so klar aus wie in der athenischen Demokratie.


Aus Hans Vorländer, Grundzüge der athenischen Demokratie, in: Informationen zur politischen Bildung 284 (S. 9)*
Zur Idee der athenischen Demokratie gehörte es weiterhin, dass jeder Bürger als befähigt erachtet wurde, ein Amt zu bekleiden. Die etwa siebenhundert Amtsträger wurden prinzipiell durch das Los bestimmt, ihre Amtszeit war strikt begrenzt, und sie unterlagen lückenloser Kontrolle und Rechenschaftsablegung. ... Ansonsten war das Los das Symbol für bürgerschaftliche Gleichheit, weil es gesellschaftliche Stellungen, Vermögensunterschiede und unterschiedliche Interessen neutralisierte. Das Losverfahren verhinderte Protektionismus und andere Formen der Bevorteilung im Prozess der Ämterbesetzung. Nirgends drückte sich das Ideal der gleichen Chance auf Teilhabe und Teilnahme an der Politik so klar aus

Vorbild oder Schreckensbeispiel?
Aus Hans Vorländer, Grundzüge der athenischen Demokratie, in: Informationen zur politischen Bildung 284 (S. 9)
Vielen galt und gilt deshalb die athenische Demokratie als das Modell einer Demokratie schlechthin, an dem auch moderne Demokratien immer wieder gerne gemessen werden. Vor allem die direkte, unmittelbare Beteiligung der Bürger im Prozess der Entscheidung, in der Ausübung von Ämtern und in der Rechtssprechung war vielen ein Grund für den Vorbildcharakter. Für andere indes war genau jene uneingeschränkte Herrschaft des Volkes ein Schreckbild, denn die Demokratie konnte - demagogischen Einflüssen ausgesetzt - leicht in eine Tyrannei umschlagen. Eine stabile Demokratie war deshalb für diese kritischen Stimmen nur einer gemäßigten, repräsentativen Regierungsform vorstellbar.

Die gewalttätige Demokratie Athens: Herrschaft verstärkt sich selbst
Aus Kamp, Andreas, "Zur Begrifflichkeit von "Macht/Herrschaft/Regierung" zwischen Thukydides und Machiavelli", in: Gebhardt, Jürgen/Münkler, Herfried (1993), "Bürgerschaft und Herrschaft", Nomos in Baden-Baden (S. 40)
Anläßlich der großen Pestepidemie weist Perikles seine Mitbürger darauf hin, sie könnten ihre zur Tyrannis gewordene "Herrschaft" (...) gar nicht mehr aufgeben, es sei denn, sie wollten sich vom mittlerweile angestauten Haß der "Beherrschten" zugrunderichten lassen. Noch schroffer erklärt Alkibiades später, es stünde den Athenern gar nicht mehr frei sich auszusuchen, wie weit sie "herrschen" wollten, vielmehr sei es, nachdem sie die Dinge nun einmal so weit getrieben hätten, notwendig, den einmal eingeschlagenen Weg fortzusetzen, denn sonst würde man sich zwangsläufig von den anderen "beherrschen" lassen müssen. Durch die Art ihrer "Herrschaft" haben sich die Athener folglich selbst ihre eigenen Handlungsspielräume verbaut und jene unsichtbare Linie überschritten, jenseits der objektive Zwänge bzw. ein autonomer Prozeß die Entscheidungsfreiheit der menschlichen Akteure ersetzen; und hinter diese Grenze können die "Herrschenden" nicht mehr zurück, weil schon der bloße Versuch unweigerlich zur Selbstvernichtung führen würde.
Innerhalb des berühmten "Melier-Dialogs" wiederholt die athenische Delegation mit größter Entschiedenheit genau jene These von der Fundierung des Strebens nach "Macht/Herrschaft" in der menschlichen Natur, die 15 Jahre zuvor bereits die nach Sparta gereiste Gesantschaft vorgetragen hatte. Die Athener glaben nämlich "ganz gewiß (..), daß das Menschewesen (...) "allezeit nach dem Zwang seiner Natur, soweit es in seiner Gewalt steht, herrscht".


Mehr Demokratie = deutlicheres Innen und Außen?!
Aus Bookchin, Murray (1992): "Die Neugestaltung der Gesellschaft", Trotzdem-Verlag in Grafenau (mehr Auszüge)
Das Bemerkenswerte an Athen ist die bewußte Umkehr des offensichtlich "normalen" Trends zur Oligarchie, die Solon, Kleisthenes und Perikles durch ihre radikalen Reformen der gesamten institutionellen Strukturen der Polis in die Wege geleitet haben. Die aristokratischen Institutionen wurden stetig geschwächt und bewußt abgeschafft oder zu rein zeremoniellen Körperschaften reduziert, während die Macht der demokratischen Institutionen verstärkt wurde, bis diese schließlich die gesamte männliche Bürgerschaft unabhängig von Besitz und Reichtum umfaßten. Die Armee wurde in eine Infanteriemiliz verwandelt, deren Macht die der aristokratischen Kavallerie bald bei weitem überstieg. Von daher müssen die negativen Momente der athenischen Demokratie im Kontext einer revolutionären Abkehr von dem normalen Trend zur Oligarchie in den meisten Stadt-Staaten verstanden werden. (S. 61) ...
Ich will damit nicht den Eindruck erwecken, als sei dieser gewaltige Schritt - die Entwicklung der Idee von einer gemeinsamen Humanitas - über Nacht getan worden; außerdem wird bald klar, daß er von einigen ziemlich zweifelhaften Veränderungen der Conditio humana begleitet wurde. Selbst die liberalsten Städte, wie die griechischen Poleis und insbesondere das demokratische Athen, verliehen in der perikleischen Zeit an die ansässigen Fremden keine Bürgerrechte mehr. Noch ein Jahrhundert zuvor hatte Solon allen Auswärtigen, die eine für Athen wichtige Fertigkeit besaßen, ohne Bedenken die Bürgerschaft gewährt. Perikles, der demokratischste der athenischen Führer, beendete bedauerlicherweise Solons Liberalität und machte aus der Bürgerschaft ein Privileg für Männer nachweislich athenischer Abstammung. (S. 73)


Aus Marti, Urs (2006),"Demokratie", Rotpunktverlag in Zürich (S. 83 ff.)
Gemäß der Auffassung, die sich in Athen im fünften vorchristlichen Jahrhundert durchgesetzt hat, ist Demokratie iene Verfassung, in der das Volk die beratende und gesetzgebende Gewalt, die entscheidende und verordnende Gewalt sowie die Gerichtsgewalt ausübt (Aristoteles ...). Tatsächlich ist Athen während knapp zwei Jahrhunderten, von den Reformen des Kleisthenes (509-507) bis zur endgültigen Unterwerfung der griechischen Stadtstaaten durch Makedonien (322), überlängere Zeitspannen hinweg, unterbrochen durchmilitärische Besetzungen und oligarichische Regimes, eine Demokratie gewesen. ...
Vieles jedoch ist an dieser Ordnung, an modernen Maßstäben gemessen, nicht demokratisch. Der Bürgerstatus steht nur freien Männern zu, die waffenfähig sind, Steuern zahlen und deren Eltern beide aus Attika stammen. Nach Schätzungen hatte Atika im fünften und vierten Jahrhundert mindestens zweihunderttausend Einwohner, die Anzahl der Bürger betrug hingegen lediglich zwanzig- bis vierzigtausend (vgl. ...). Frauen, Sklaven und Zugewanderte bleiben ausgeschlossen. Die Bürger sind nicht vollständig gleich, sondern in Zensusklassen - also nach Maßgabe ihres Vermögens - aufgeteilt, denen unterschiedliche politische Rechte zukommen. Überdies werden die Entscheidungen von einer kleinen Minderheit getroffen, genau besehen kann da volk in seiner Mehrheit einer Politik zwar zustimmen, aber es kann nicht wirklich mitbestimmen, es lässt sich, wie zeitgenössische Kritiker eingewendet haben, von Demagogen leicht beeinflussen und wird von skrupellosen Führern für deren eigene Interessen instrumentalisiert. Zu erwähnen ist schließlich, dass Athen in der demokratischen Periode eine kriegerische und imperialistische Macht gewesen ist. Die athenische Demokratie beruht, so lässt sich sagen, auf einer Externalisierung der Herrschaft (...). Frei und tendenziell gleich sind die Bürger Athens; herrschaftsunterworfen sind in unterschiedlichem Grad Frauen, Sklaven, Metöken, das heißt ortsansässige Fremde ohne politische Rechte, sowie Bewohner der eroberten Gebiete.


Sehr naive Vorstellung von Athen: Die Armen hätten das Sagen gehabt ...
Aus einem Interview mit Ellen Maiksins Wood, ehemalige Herausgeber der maxistischen US-Zeitschrift "Monthly Review", in: Junge Welt, 29.1.2011 (Beilage S. 1)
Was ist "wahre Demokratie"? Nehem wir zuerst nur die wörtliche Bedeutung von "Demokratie". "Demos" meint in der griechischen Antike das Volk, die Bevölkerung - und nicht nur in einem abstrakt politischen Sinne, sondern als soziale Kategorie: die einfachen Menschen oder gar die Armen. "Kratos" bedeutet Stärke, Macht, Regierung. Also bedeutet "demokratia" nichts mehr oder weniger als die Macht des Volkes, oder gar die Macht der einfachen Menschen oder der Armen. Ein Historiker der Antike hat sogar behauptet, dass es in der Originalbedeutung - die wahrscheinlich von Gegnern der "demokratia" herrührt - etwas Vergleichbares bedeutet wie die Diktatur des Proletariats. Den Feinden der Demokratie war also, mit anderen Worten, die Macht des Volkes eine auf den Kopft gestellte Klassenherrschaft, die Macht der Bevölkerung über die Eigentümerklasse oder die Unterwerfung der Elite unter die Masse. ...
"Demokratie" ist durch einen langen Prozess der Neutralisierung und Einhegung gegangen, so dass der Begriff, der den herrschenden Klassen einstmals als schmutziges Wort galt, ihnen im heutigen politischen Vokabular als höchstes Wort des Lobes gilt - heute behaupten alle von sich, Demokraten zu sein.


Diese Verdrehung scheint bei MarxiistInnen beliebt zu sein - Demokratierettung von links
Aus Salomon, David (2012): "Demokratie", PapyRossa in Köln (S. 12)
Konträr zur modernen Trennung von ökonomischer und Politischer Sphäre, habe so Wood die attische Demokratie den arbeitenden Klassen (Bauern und Handwerkern) tatsächlich Gestaltungsmacht über die Verwendung des gesellschaftlich produzierten Mehrprodukts eingeräumt. Ohne dass eine klassenlose oder herrschaftsfreie Gesellschaft die Folge gewesen wäre, wurde es den freien Bauern und Handwerkern möglich, die für antike Gesellschaften konstitutiven Formen der Ausbeutung durch Pacht und Steuer, also staatliche Herrschaft, einzuschränken und substanziellen Einfluss auf die Abschöpfung des Surplus zu nehmen: "In diesem Sinne war die Demokratie in Athen nicht nur ‚formal‘, sondern substanziell.“


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