Fiese Tricks von Polizei und Jostiz

KURZNACHRICHTEN ZU REPRESSIONSTHEMEN

2016


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Dezember 2016
Leerfilme zum Umgang mit Repression
Auf dem Klimacamp im Rheinland 2016 wurden mehrere kurze Theaterstücke zum Umgang mit Repression mitgeschnitten. Die kurzen Lehrfilme sind jetzt, neben weiteren Einführungen in kreative Aktionstechniken, auf im Direct-Action-Kanal der Projektwerkstatt auf Youtube zu finden.

Klage gegen verdeckte Ermittler_innen
Am 29. August 2016 reichte eine Person, die von den verdeckten Ermittlungen der LKA-Beamtin Böhmichen betroffen ist, Klage gegen diesen Einsatz ein. Der AK „verdeckte Ermittlungen abschaffen“ begrüßte die Klage. Aus dessen Presseinformation: „Es ist nicht nur dieser Einsatz, in dem massiv in die Privatsphäre von vielen Personen eingegriffen wurde. Das Überschreiten von Grundrechten ohne jede Verhältnismäßigkeit hat System und ist vielmehr ekelhafte Normalität des Polizeialltags verdeckt Ermittelnder. Allein die Veröffentlichungen zu den drei Hamburger Ermittler_innen Iris Plate, Maria Böhmichen und Astrid Oppermann der vergangenen zwei Jahre zeigen das Ausmaß von Bespitzelungen und wie weit die Eingriffe ins Privatleben von Aktivist_innen drangen. Unter falscher Identität und mit dem Auftrag der „Gefahrenabwehr“ wurden jahrelang Freundschaften und gar sexuelle Beziehungen eingegangen, mit dem Ziel möglichst viele Erkenntnisse über die linke Szene zu sammeln. Der Repressionsapparat behauptet der Einsatz der Beamtin Böhmichen hätte ausschließlich zum Zwecke der Gefahrenabwehr stattgefunden und sich ausschließlich gegen Strukturen aber nicht gegen konkrete Personen gerichtet.“ Mehr auf veabschaffen.blogsport.de/

Arrogantes Anwaltshandeln
Krasser Fall in Nürnberg: Verhandelt wurde über eine Person, die wegen der vermeintlichen Tat schon ein Jahr in der forensischen Psychiatrie festgehalten wurde. In den Gerichtssaal wurde sie mit Fußfessel und an den Bauch gefesselten Händen geführt. Der Pflichtverteidiger blieb in einer anderen Reihe sitzen und würdige den, den er verteidigen sollte, kaum eines Blickes. Als das Gericht dann entscheiden wollte, den Angeklagten aus seinem eigenen Verfahren auszuschließen, stimmte der Anwalt sogar zu. Einen Laienverteidiger, den der Angeklagte einforderte, lehnte das Gericht ab – und wieder blieb der Anwalt stumm. So geht Dienst nach Vorschrift – menschenverachtend wie das ganze Justizwesen. Sicherlich agieren nicht alle Anwält_innen so, aber die Tendenz, die eigenen Mandant_innen nicht ernst zu nehmen, ist weit verbreitet.

Ergänzung oder Alternative: Laienverteidigung
Was wenig bekannt und von Anwält_innen bzw. vielen Rechtshilfegruppen systematisch verschwiegen wird: Um eine_n Andere_n im Strafverfahren verteidigen zu können, muss mensch nicht Anwält_in sein. Nach § 138, Abs. 2 der Strafprozessordnung (StPO) kann das jede Person. Das Gericht muss allerdings zustimmen und sich vorher von Rechtskunde und Vertrauenswürdigkeit überzeugen. Das ist inzwischen aber oft gelungen und schafft Qualitäten, die in der Standardverteidigung nicht möglich sind: Unterstützung durch eine Person (oder sogar durch mehrere, bis zu drei sind möglich), die die angeklagte Tat selbst kennt oder dabei war. Unkontrollierter Briefverkehr und Zugang in Gefängnisse und Psychiatrien durch persönliche Bekannte. Aktenzusendung an die_en Laienverteidiger_in mit der Möglichkeit, diese zu kopieren oder einzuscannen. Intensive Vorbereitung eines Prozesses durch intensiveren Kontakt zur betroffenen Person.
In den letzten Monaten hat es etliche Laienverteidigungen im Zusammenhang mit Prozessen wegen Braunkohleprotesten, Aktions-Schwarzfahrten und Containern gegeben. Erstmalig gelang es, den freien Zugang zu einer forensischen Psychiatrie durch ein (Laien-)Verteidigungsmandat zu erkämpfen und damit sogar ein Besuchsverbot zu pulverisieren. Mehr Informationen auf www.laienverteidigung.siehe.website.

Gefängnisse abschaffen? Ein Gefängnisdirektor sagt: Ja!
Inzwischen ist er von etlichen Magazinen interviewt und seine Thesen im Fernsehen vorgestellt worden: Thomas Galli, Gefängnisdirektor im sächsischen Zeithain, sieht im Knast eine „überholte gesellschaftliche Institution“. Und fügt im Vorwort zu seinem Buch „Die Schwere der Schuld“ (2016, Verlag Das Neue Berlin, 191 S., 12,99 €) an, im Gefängnis „manifestiert sich eine ungerechte, unvernünftige und oft unmenschliche Verteilung der Schuld“. Seine Position unterstreicht mit etlichen Fallbeispielen der inhaftierten Menschen, die er kennengelernt und dabei bemerkt hat, wie wenig Gefängnisse ihren Insassen und der Welt draußen helfen kann. Die Geschichten sind sehr persönlich geschrieben und kommentiert – eher ein Lese- denn ein Sachbuch, aber mit deutlich kritischer Positionierung. Einige Medien haben die Position von Galli bereits aufgegriffen und teilweise noch deutlichere Formulierungen von ihm veröffentlicht. Deutlich drückte sich der gefängnisleitende Knastkritiker in einer Rede am 2.2.2014 in Tutzing aus. Er habe gelernt, „dass ein Ausleben des Vergeltungsdranges auf staatlicher Ebene oft keine Probleme löst, sondern neue schafft“. Die Probleme lägen woanders: „Mancher Straftäter hat einen besseren Charakter als mancher Mensch, der nie gegen das (Straf-)Gesetz verstößt, sondern sich vielleicht die Gesetze zu Eigen macht, um seine Interessen auf Kosten Anderer durchzusetzen.“

Zwangsräumung in Berlin verhindert
Am Morgen des 24. November 2016 konnte im Wrangelkiez dank der Solidarität von 150 Nachbar_innen und Aktivist_innen die Zwangsräumung eines Mieters verhindert werden. Der Mieter wohnte bereits 31 Jahre in der Wohnung. Vor einem Jahr hatte die „Düsseldorfer und Berliner Grundvermögen GmbH“ das Haus gekauft und sofort ein Räumungsverfahren eingeleitet, um die Wohnung anschließend teurer weiter vermieten zu können. Das wurde nun zumindest vorläufig verhindert. Der gesamte Bericht mit Fotos hier.

November 2016 (Schwerpunkt "Zwangspsychiatrie")
Aktionsaufruf der Arbeitsgruppe „Aktionsvernetzung“ (BPE-Jahrestagung, 8.10.2016)
Wir starten Anfang 2017 mit einer Massenzeitung, in der unsere Kritik an der Zwangspsychiatrie deutlich zu lesen ist. Außerdem wird dort für einige Termine und Aktionen geworden, die von Januar bis Oktober liegen. In diesen 10 Monaten wollen wir uns langsam steigern, bis dann vom 6. bis 8.10. in Berlin erst die BPE-Jahrestagung und ab 8.10. das Weltpsychiatertreffen stattfindet. Letzteres wollen wir zum Ziel klarer Forderungen und Proteste machen – mit Demonstrationen rund um den Versammlungsort (CityCube in Berlin, direkt am Messegelände).
Vorher gibt es weitere Termine, für die wir zu gemeinsamen Aktionen laden – etwa der sog. „Behindertentag“ am 5. Mai oder die Mad-pride-Umzüge in verschiedenen Städten. Wir würden uns freuen, wenn zu diesen ausgewählten Terminen (Liste wird in der Massenzeitung veröffentlicht) dann zunehmend mehr anreisen als bisher. Denn: Wir müssen uns sichtbarer machen, müssen lauter unsere Stimme gegen die Folter und Menschenrechtsverletzungen hinter Mauern und Zäunen erheben!
Doch wir setzen nicht nur auf große Events. Wir wollen Euch unterstützen, dass Ihr bei Euch vor Ort auch immer öfter zumindest kleine Aktionen durchführen könnt: z.B. ein Infostand in der Fußgänger_innenzone, eine kleine Kundgebung, Theater oder Protestlieder dort oder vor den Zwangspsychiatrien, vor den dazugehörigen Institutionen, bei Parlaments- oder Parteisitzungen. Dafür wollen wir eine Anlaufstelle schaffen, die Euch berät, was Ihr dürft, wie Ihr was durchführen könnt oder was das Versammlungsrecht hergibt. So sind Kundgebungen und politische Meinungskundgabe aller Art im öffentlichen Raum immer erlaubt. Dazu gehören auch die Gelände, auf denen Zwangspsychiatrien zu finden sind, aber ebenso Fußgänger_innenzonen, Straßen oder Bahnhöfe.
Zudem wollen wir ein Aktionspaket schnüren, welches Ihr für Eure Ideen leihen könnt. Darin sollen sich ausreichend Exemplare der Massenzeitung zum Verteilen, aber auch Liedtexte zum Mitsingen, Theaterstücke und kleine Redetexte für Demonstrationen befinden, zudem passendes Theatermaterial, ein Megafon und was Ihr so brauchen könnt für Eure Aktionen. Der Ablauf ist dann am besten so: Ihr ruft in der Anlaufstelle an, könnt ein Beratungsgespräch zu Euren Aktionen führen und bekommt dann das zugeschickt, was Ihr braucht. Wenn Ihr es danach schnell zurückschickt, kann die nächste Gruppe die Hilfen bekommen.
Außerdem soll es eine Liste geben aller Menschen, die sich vorstellen können, zu Aktionen zu fahren. Wenn dann irgendwo was los ist, werden alle informiert. Diese Liste haben wir auf dem BPE-Treffen schon angefangen – Ihr könnt Euch jederzeit auch eintragen, am besten mit einer Email-Adresse; wenn Ihr keine habt oder nutzen könnt, aber auch mit Telefonnummer.
Einen besonderen Tipp für alle Aktionen haben wir noch: Baut Pippi Langstrumpf in Eure Aktionen ein – in ein Theaterstück, in Eure Veröffentlichungen oder nachgestellte Fixierszenen. Warum? Weil ein leitender Arzt einer forensischen Psychiatrie in Hessen in einem Vortrag gemeint hat, Leute wie Pippi Langstrumpf müsse mensch einsperren. Der Vortrag war natürlich nicht öffentlich, aber wir haben die Folien, die er gezeigt hat. Er projizierte ein Pippi-Bild auf die Leinwand, als er erklärte, wie typische Psychiatrieinsass_innen so drauf sind. Das ist so unglaublich, dass wir das nutzen sollten – auf dass es ein PR-Supergau für die Psychiatrie werde!
Es ist ein fantastisches Fundstück und bietet viele Anknüpfungspunkte für Aktionen, Veröffentlichungen, Lieder, Texte und Theater (ein Lied gibt es sogar schon ohne unser Zutun ). Aber Pippi wird nicht das einzige sein, mit dem wir 2017 in ein aktionsreiches Jahr gehen wollen.
Also … redet, wenn Ihr eine Selbsthilfe- oder andere Gruppe seid, darüber, ob Ihr 2017 eigene Aktionen ausprobieren wollt oder an Aktivitäten anderer mitmacht. Lasst Euch, wenn nötig, beraten. Merkt Euch die überregionalen Termine für die größeren Aktionen – und seid dabei! Entwickelt eigene Ideen, Lieder, Theaterstücke, Lesetexte … und schickt uns die! Bereiten wir der Zwangspsychiatrie ein heißes Jahr 2017!!!
Kontakt: BPE, 0234-68 70 55 52 und 0234-640 5102, kontakt-info@bpe-online.de und Projektwerkstatt, 06401-903283, saasen@projektwerkstatt.de

Sterbehilfe: Selbstbestimmung oder moderne Euthanasie?
Eine Vielzahl gesellschaftlicher Gruppen diskutiert leidenschaftlich über die Frage, ob Sterbehilfe gerechtfertigt ist und wie es mit der Selbstbestimmung am Lebensende aussieht. Die Positionen stehen sich diametral gegenüber. Die einen reklamieren das eigene Entscheidungsrecht auch über den Tod, die anderen sehen in der Vielzahl anwendbarer Machtstrategien die Gefahr, dass aus der Möglichkeit ein fremdbestimmter Druck wird. Hans Wehrli u.a. haben ein Buch mit dem Titel „Der organisierte Tod“ herausgegeben (2015, Orell Fueslli in Zürich, 296 S., 19,95 €), in dem aus der Vielzahl von Blickwinkeln jeweils zwei Personen (einmal auch drei) zu Wort kommen – konsequent aufgeteilt in eine Pro- und eine Contra-Position. Justiz, Polizei, Betroffene, Angehörige und viele weiteren haben jeweils einen solchen zweier Block. So schafft das Buch einen guten Einblick in die Debatte.

Aktion gegen Integrationsgesetz
Eine Aktion in Nürnberg am 15.10.2016 richtete sich gegen das von der CSU-Regierung geplante Integrationsgesetz. Es soll die BewohnerInnen Bayerns nach rassistischen Kriterien beurteilen, zudem Presse und Erziehungswesen der „deutschen Leitkultur“ unterwerfen. Bei der Aktion kontrollierten AktivistInnen als Beamte einer fiktiven „Bayerischen Integrationsbehörde“ PassantInnen, um „Integrationsdefizite“ festzustellen. So wurden unter anderem abgefragt ob sie das Bayerische Brauchtum pflegen oder ob die (Groß-)Eltern der betroffenen Person nach 1955 nach Deutschland eingewandert sind. Danach wurde die Situation über eine Lautsprecheranlage aufgeklärt.

Oktober 2016
Fortsetzung der Braunkohledebatte – im Gerichtssaal
Im November und Dezember beginnen mehrere Prozesse rund um den Widerstand gegen die Braunkohle. Sie alle haben eine besondere Bedeutung, denn sie drehen sich nicht um Begleitanekdoten bei Protestaktionen, wie es bei Rangeleien mit Polizei oder vermeintlichen Beleidigungen gegenüber Firmen- oder Staatsbediensteten oft der Fall ist. Stattdessen stehen die Protesthandlungen selbst im Mittelpunkt – in einem Fall sogar die Frage des Betriebs von Braunkohlegewinnungs- und –verbrennungsanlagen. Das ist bei einem terminlich noch nicht genau bekannten, aber für Ende November oder Dezember angekündigten Prozess am Amtsgericht Kerpen der Fall. Zwei Angeklagten wird die Beteiligung an der Kohlezugblockade während des Klimacamps 2012 vorgeworfen. Es war die erste solcher direkten Aktionen in einer dann folgenden langen Reihe von Störaktionen an oder auf der Infrastruktur, die zu Abbau, Transport und Verfeuerung der Braunkohle eingesetzt werden. Insbesondere diese direkten Aktionen haben in den Folgejahren das Thema stark in die Öffentlichkeit gebracht, bis 2015 aus dem Kampf von Waldbesetzer_innen und Einzelinitiativen eine breite Protestbewegung entstand. Solche Aufbauarbeit durch kleine, selbstorganisierte Aktionsgruppen geht stets der Entstehung starker gesellschaftlicher Strömungen stets voraus, gerät aber später schnell in Vergessenheit, weil sie noch nicht in der breiten Öffentlichkeit stand und in den Rückblicken daher oft ganz vergessen wird. Das ändert aber nichts an ihrer Notwendigkeit und Bedeutung. Schon von daher vermittelt sich der Sinn der jetzt angeklagten, ersten Zugblockade sehr klar und macht die Möglichkeit auf, sich über den § 34 des Strafgesetzbuches („Rechtfertigender Notstand“) zu verteidigen, also die – eigentlich strafbare – Handlung durch Verweis auf ein dadurch zu schützendes, höheres Rechtsgut zu legitiieren. Noch Brisanteres ergibt sich aus dem Strafvorwurf, wie er in der Anklage steht. Ein Betrieb der öffentlichen Daseinsvorsorge sei gestört worden. Doch ist die der Formulierung steckende Behauptung mehr als zweifelhaft. Bei geschickter Verhandlungsführung müsste es gelingen, die Anklageseite zum Nachweisversuch zu zwingen, warum die blockierte Braunkohleförderung für die Stromversorgung wichtig sein soll. Gelingt das nicht, müsste ein Freispruch folgen mit der Feststellung, dass Braunkohleverstromung insgesamt oder die betroffene Infrastruktur für die Energieversorgung nicht benötigt wird. Ob das dann auch geschieht, ist angesichts oft willkürlich für Staat und Konzerne agierender Justiz fraglich. Sicher aber wird das für offensiv-politische Gerichtsprozessstrategien bekannte Team aus Angeklagten und Anwälten mit Nachdruck versuchen zu beweisen, dass Braunkohle überflüssig ist. Ein Freispruch hätte dann Signalwirkung und wäre ein schönes Eigentor der Kohlelobby und ihrer staatlichen Helfer_innen.
Der Reigen der Strafprozesse im Herbst 2016 beginnt am Mittwoch, 16.11. um 9 Uhr im Amtsgericht Erkelenz aber mit einem anderen Prozess. Angeklagt sind hier drei Kletterer, wegen derer Aktion die Autobahn zwischen Klimacampgelände und Kohlegrube Garzweiler gesperrt wurde und so viele Aktivist_innen über diese zur Grube kommen konnten.
Sehr viele Betroffene gibt es zudem beim Vorwurf Hausfriedensbruch. Laut einer Mitteilung auf Indymedia „gab es strafrechtliches Vorgehen mit Vorladungen der Polizei und folgenden Strafbefehlen. Dabei wurde und wird den Aktivist*innen vor allem Land- und Hausfriedensbruch vorgeworfen. Einige Verfahren wurden eingestellt (teilweise gegen Zahlung einer Geldauflage an einen gemeinnützigen Verein), einige Verhandlungstermine wegen Landfriedensbruch stehen im Oktober an.“ Bei vielen Verfahren wegen Hausfriedensbruch seien inzwischen Strafbefehle verschickt worden. Zudem bedrohe das private Unternehmen RWE, Aktivist*innen mit hohen zivilrechtliche Strafen, was in der letzten Konsequenz einen Versuch darstellt, eine Wiederholung solcher oder ähnlicher Aktionen zu verhindern. Allerdings betrifft das immer nur die gleiche Person, gilt nur in Bezug auf Flächen oder Einrichtungen von RWE und verbietet oft nur Handlungen, die ohnehin verboten sind, aber nun deutlich stärkere Sanktionen nach sich ziehen würden. Die Gerichtsprozesse sind öffentlich, es wird vorbereitende Prozesstrainings geben, die sich für alle Menschen lohnen, die nicht hilflos der Justizmaschinerie ausgeliefert sein wollen.

Durchsuchung wegen Sticker-Verkauf
Am Dienstag, den 12.07.16 wurde der Vereinssitz vom Trägerverein des Projektes kreaktivisten.org durchsucht. Behauptetes Ziel waren Kund_innendateien, anhand derer herausgefunden werden sollte, wer Sticker bestellt haben könnte, die irgendwo in einem Kaufhaus verklebt wurden. Schon dieser lächerliche Vorwurf im Vergleich zu einer Durchsuchung eines örtlich nicht in Zusammenhang stehenden Versands legt nahe, dass es hier mehr eine allgemeine Verunsicherung geht. Offenbar sollen Menschen abgeschreckt werden, Aktionsmaterialien zu erwerben. Der betroffene Versandhandel informiert über die Abläufe und Handlungsmöglichkeiten unter de.indymedia.org/node/10211.

Neue Internetseitennamen
Der Anbieter von kostenlosen Webseitennamen mit der Endung de.vu ist ausgefallen. Daher sind etliche für wirkungsvolle Antirepression wichtige Internetseiten auf .siehe.website umgestellt worden. Die Seite mit Tipps für wirkungsvolles Wehren im Gerichtssaal ist jetzt unter www.prozesstipps.siehe.website zu finden, allgemeine Rechtstipps unter www.antirepression.siehe.website, die Infoseite zu fiesen Tricks von Polizei und Justiz unter www.fiese-tricks.siehe.website und die Seite zur gegenseitigen Unterstützung auf der Angeklagtenbank unter www.laienverteidigung.siehe.website. Wer gar keinen Redirect will, findet alle Seiten auch auf www.projektwerkstatt.de.

August 2016 (Schwerpunkt "Containern")
Lebensmittelverschwendung ist in aller Munde. Für alle, die sich die weggeworfenen Lebensmittel holen und davon leben, gilt das sogar wörtlich. Diskutiert werden die mit dem Wegwerfen verbundenen Umweltschäden und Folgen für die Ernährung von Menschen. Nur selten steht die rechtliche Frage im Mittelpunkt, warum das deutsche Strafrecht, welches größtenteils noch aus dem Deutschen Reich stammt, die Rettung solch wertvollen Mülls eigentlich unter Strafe stellt. Ausnahmen sind einige Gerichtsverfahren, die gegen sogenannte „Containerer_innen“ angestrengt werden – mitunter von den Supermärkten selbst oder von der Staatsanwaltschaft, die in der Bekämpfung der Lebensmittelrettung ein öffentliches Interesse wittert.

Vorwurf: Diebstahl
Juristisch wird Containern oft als Diebstahl von Waren im Wert von 0 Euro gewertet. Das gilt allerdings nur dann, wenn der Müll als "fremde Sache" gewertet wird. Denn der Paragraph 242 des Strafgesetzbuch lautet: „Wer eine fremde bewegliche Sache einem anderen in der Absicht wegnimmt, die Sache sich oder einem Dritten rechtswidrig zuzueignen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“
Was oft übersehen wird: Für weggeworfene Lebensmittel dürfte dieser Paragraph gar nicht zutreffen. Denn wenn ein_e bisherige_r Eigentümer_in allerdings die Sache aufgibt, so wäre es keine "fremde Sache" mehr, sondern müsste als "herrenlose Sache" angesehen werden. Die wiederum könnte sich jedermensch legal aneignen. Im Moment des Zugriffs würde die auffindende Person dann neue_r Eigentümer_in. Das regelt das Bürgerliche Gesetzbuch in den Paragraphen 958f: „Eine bewegliche Sache wird herrenlos, wenn der Eigentümer in der Absicht, auf das Eigentum zu verzichten, den Besitz der Sache aufgibt“ und „Wer eine herrenlose bewegliche Sache in Eigenbesitz nimmt, erwirbt das Eigentum an der Sache“.
Es gibt sogar Stimmen aus den Supermarktketten selbst, die in diese Richtung gehen und damit durch eigene Aussage, das Eigentum mit dem Wegwerfen aufzugeben, den Diebstahlsparagraphen weiter untergraben. Interessant ist z.B. eine Äußerung eines Supermarktes im Rahmen eines Strafverfahrens in Gießen, in der dieser sich gegen den Prozess aussprach und argumentierte, dass "Containern" ja gar keine Straftat sei. Aus dem Schreiben der von tegut beauftragten Anwaltskanzlei Weiss/Walter/Fischer-Zernin vom 30.12.2015: „Diesbezüglich weisen wir nochmals auf die Strafverfolgungshindernisse nach § 123 Abs. 2 StGB sowie §§ 242, 248a StGB hin. Unsere Mandantin stellte als (vermeintlich) Verletzte keinen Strafantrag, da ein Interesse an einer Strafverfolgung nicht besteht.
Ungeachtet dessen ist die Strafbarkeit des Containerns nach § 242 StGB ohnehin fraglich [vgl. Vergho, DLR 2014, 412 ff., beigefügt als Anlage). Auch geht die Wirkung der Straftat - läge sie denn vor, was zweifelhaft ist - nicht über den Rechtskreis der (vermeintlich) Verletzten hinaus, sodass auch ein öffentliches Interesse an einer Strafverfolgung nicht ersichtlich ist“. In der Schweiz, dessen Recht dem deutschen ähnlich ist, wird die Rechtslage schon länger so eingeschätzt. Laut Wikipedia sagte Markus Melzel, Sprecher der Basler Staatsanwaltschaft: „Was weggeworfen wird und nicht für Dritte bestimmt ist, gehört niemandem mehr. Wenn man nicht über einen Zaun steigen oder ein Schloss aufbrechen muss, um an die Waren heranzukommen, dann ist gegen das Containern nichts einzuwenden.“
Im konkreten Gießener Fall musste die Staatsanwaltschaft den Diebstahlsvorwurf fallen lassen und durch einen absurden Ersatzvorwurf ersetzen, der nun verhandelt wird. Martin Kaul berichtete in einem Artikel "Das ist doch kein Diebstahl" (taz am 24.5.2016), noch umfangreicher die Gießener Allgemeine am 1.6.2016 (siehe auch www.alltagsalternative.siehe.website).

Weitere mögliche Strafvorwürfe und Prozessstrategien
Neben Diebstahl kann beim Containern der Straftatbestand des Hausfriedensbruches erfüllt sein, z.B. wenn eine „Umfriedung“, also ein Zaun, eine Mauer oder ähnliches überwunden, ein Tor geöffnet oder eine eindeutige Verbotsäußerung - mündlich oder per Schild - ignoriert wurde. Ebenfalls gilt es aus Hausfriedensbruch, ein Gelände nicht zu verlassen, wenn mensch dazu aufgefordert wird. Ein Hausverbot kann allerdings nur eine berechtigte Person aussprechen – bei Supermärkten in der Regel nur die_der Filialleiter_in. Schärfer bestraft würde hingegen ein Einbruch, etwa wenn ein Schloss geknackt oder Tür aufgehebelt wurde.
Hausfriedensbruch ist ein absolutes Antragsdelikt, d.h. der „geschädigte“ Supermarkt muss die Strafverfolgung wünschen. Er darf diese Auffassung auch nicht im Laufe des Verfahrens zurückziehen, etwa weil er (z.B. durch Aktionen und Öffentlichkeit) keine Lust mehr auf die Auseinandersetzung vor Gericht hat. Daher ist es wichtig, Öffentlichkeit herzustellen und dem Supermarkt zu vermitteln, dass im Gerichtssaal die Angeklagten die Fragen stellen - wenn sie nicht vom Gericht rechtswidrig oder von eigenen Anwält_innen samt bevormundenden linken Rechtshilfegruppen zum Schweigen gebracht werden. In der Folge würde öffentlich thematisiert, dass viele Lebensmittel weggeworfen werden, der Supermarkt in öffentlichen Äußerungen dazu wahrscheinlich stets anderes behauptet, d.h. lügt, und stattdessen Menschen kriminalisiert, die den Müll aus seinen Tonnen wieder heraushole. Da der Wert der vermeintlich gestohlenen Sachen ermittelt werden muss, lassen sich Fragen zu Geschäftspolitik und Warenflüssen kaum verbieten. Zuschauer_innen und Presse würden erfahren, welche Mengen dort und anderswo regelmäßig weggeschmissen werden – insgesamt vom Acker bis zum Teller über die Hälfte aller Lebensmittel. Im Supermarkt geschieht das oft nur, um die Preise hoch zu halten. Das wird die Kund_innen „freuen“ – und zudem über die Logiken des Kapitalismus aufklären. Insofern spricht einiges dafür, eine mögliche strafrechtliche Verfolgung als Element einer Politisierung des Containers zu sehen und zu nutzen statt sich vor ihr zu fürchten.
Eine Anklage wegen Diebstahl liegt nicht allein in der Hand des Supermarktes, sondern die Staatsanwaltschaft kann ein "besonderes öffentliches Interesse" an der Strafverfolgung formulieren. Dann käme es zum Prozess und die Justiz müsste zeigen, warum sie sich trotz ständig behaupteter Arbeitsüberlastung um solchen "Müll" kümmert (im wahrsten Sinne des Wortes!), nur um ausbeuterische Profitinteressen zu sichern – zumal nicht einmal klar ist, ob Diebstahl überhaupt in Frage kommt. Schwieriger würde es nur, wenn Einbruch vorgeworfen wird oder im Zuge der Auseinandersetzung weitere Delikte hinzukommen - etwa Beleidigung, Sachbeschädigung oder Körperverletzung. Das ist die Sache "Containern" aber eigentlich nicht wert und verlagert die Auseinandersetzung in einen schwieriger politisierbaren Raum.

Fazit
Es gibt keinen Grund, sich einschüchtern oder von Containern vertreiben zu lassen. Wer die Rechtslage und die brutalen Folgen des weltweiten Agrarbusiness auch nur ein bisschen kennt, wird einen Gerichtsprozess gut führen können und dem Supermarkt auch signalisieren, dass ein kooperatives Verhalten auch für ihn besser ist. Das kann die Akzeptanz des Containerns sein, aber auch weitergehend der direkte Kontakt mit Lebensmittelretter_innen (www.foodsharing.de).

Juni 2016 (Schwerpunkt "Gerichte/Strafrecht")
Strafrichter_innen gegen Mitschnitte in Prozessen
Am 16.2.2016 trafen sich ca. 70 Strafrichter_innen aus Deutschland im Landgericht Hannover. Sie sprachen sich dagegen aus, dass Strafprozesse per Video oder Tonband mitgeschnitten werden. Der Präsident des Oberlandesgerichtes Frankfurt am Main trug gegen ein solches Kontrollmittel fairer Prozessbedingungen vor, dass Misstrauen gegenüber der Strafjustiz nicht angebracht sei. In Gerichtssälen gilt bislang ein komplettes Verbot von Aufnahmen. Dadurch sichert sich das Gericht eine willkürliche Definitionsmacht darüber, was Zeug_innen gesagt oder Beweisführungen erbracht hätten. Da Prozessverlauf und –inhalte in Revisionsverfahren nicht überprüft werden dürfen, gibt es kaum Gegenmittel, wenn Gerichte Beweise und Aussagen völlig verdrehen. Ein kritischer Text zum Strafrichtertag findet sich hier.

Supermärkte sagen selbst: „Containern“ ist kein Diebstahl
Überraschung im Zusammenhang mit einer Auseinandersetzung zwischen dem Supermarkt „tegut“ in Gießen und einem Aktivisten aus der Saasener Projektwerkstatt, der von Mitarbeiter_innen beim Lebensmittelretten aus dem Müll gestellt, angegriffen und dann der Polizei übergeben wurde. Angesichts des drohenden Imageschadens durch einen offensiv geführten Strafprozess versuchte der Filialleiter, den Strafantrag zurückzuziehen und die Staatsanwaltschaft zu einer Einstellung des Verfahrens zu bewegen. Dazu beauftragte „tegut“ eine Anwaltskanzlei, die feststellte: „Ungeachtet dessen ist die Strafbarkeit des Containerns nach § 242 StGB ohnehin fraglich [vgl. Vergho, DLR 2014, 412 ff., beigefügt als Anlage). Auch geht die Wirkung der Straftat - läge sie denn vor, was zweifelhaft ist - nicht über den Rechtskreis der (vermeintlich) Verletzten hinaus, sodass auch ein öffentliches Interesse an einer Strafverfolgung nicht ersichtlich ist.“ Den benannten Artikel aus der Deutschen Lebensmittel Rundschau fügte die Kanzlei bei – und auch dort wurde sehr eindeutig die Position vertreten, dass weggeworfene Lebensmittel keine fremde, sondern eine herrenlose Sache seien und deshalb ein Diebstahl ausscheide. Das passt zur Schweizer Rechtslage, denn laut Wikipedia sagte Markus Melzel, Sprecher der Basler Staatsanwaltschaft: „Was weggeworfen wird und nicht für Dritte bestimmt ist, gehört niemandem mehr. Wenn man nicht über einen Zaun steigen oder ein Schloss aufbrechen muss, um an die Waren heranzukommen, dann ist gegen das Containern nichts einzuwenden.“
Container-Aktivist_innen fordern nun eine Klarstellung durch die Ergänzung des Diebstahlsparagraphen mit zwei Absätzen: „(3) Eine fremde Sache nach dieser Vorschrift ist nicht, wenn die Sache zur Vernichtung bestimmt oder ihr ausgesetzt ist und der bisherige Besitzer sie weder weiter als Sache nutzen noch aufbewahren will.
(4) Nimmt der Täter bei Begehung der Tat irrig an, der bisherige Besitzer wolle die Sache weder weiter nutzen noch aufbewahren, und konnte er den Irrtum vermeiden, so kann das Gericht die Strafe nach seinem Ermessen mildern (§ 49 Abs. 2) oder bei geringer Schuld von einer Bestrafung nach dieser Vorschrift absehen. Konnte der Täter den Irrtum nicht vermeiden, so ist die Tat nicht nach dieser Vorschrift strafbar.“

Schwere Vorwürfe gegen Rechtshilfegruppen
Pit Scherzl ist Bundessprecher der Interessenvertretung Inhaftierter. Im Januar wurde er in Koblenz zu einer erneuten Haft mit anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt. Die Revision läuft noch. Im aktuellen Rundbrief der Iv.I. erhebt er nun harte Vorwürfe gegen Rechtshilfe-Funktionär_innen, die ihm jegliche Unterstützung verweigerten und stattdessen öffentlich diffamierten. War das Ziel, einen Kritiker oder vermeintlichen Konkurrenten durch den Staat aus dem Weg zu räumen? Mehr Informationen und der Link zum Rundbrief auf de.indymedia.org/node/9657 und www.ivi-info.de. Linksunten.Indymedia hat den Text über den Knastaktivisten sofort zensiert.

Gegen jegliche Repression – und trotzdem für die Fußfessel (statt Haft)
„Ich selbst bin ein Gegner sämtlicher staatliche Kontrolle“, so beginnt André Moussa seinen Appell für eine konsequente antirassistische Linie und Gefängniskritik – aber gleichzeitig dafür, jeden Schritt raus aus dem ummauerten Leben als Fortschritt zu sehen: „Vorschläge wie eine Fußfessel (also eine elektrische Fußfessel bei Tätern wie z.B. Sexualstraftätern (die freiwillig die Fußfessel wählen sollen) sind hier zu überlegen, es ist doch legitim von mir, dies auch zu fordern! Alle Reformer vom Volljurist bis hin zu KollegInnen, GenossInnen und FreundInnen im Kampf gegen Haft, sind viele nicht selbst von Haft betroffen, da kann man natürlich auch anderes fordern. Doch wer hier in der BRD, wie ich (z.B.) mit Willkür, Repressalien Tag für Tag leben muß, der krank gemacht wird, weiterhin nicht im Liegen schlafen kann, da ich unter solche Schmerzen leide, die nicht einmal mit der Einnahme des Substitut (10 ml Methadon) lindern …“. Der ganze Appell unter de.indymedia.org/node/9421.

Mai 2016
Filmemacher gewinnt Prozess gegen Rechtspopulisten
Das Landgericht Hamburg hat das Zitaterecht gestärkt. In einem Verfahren des weit ins rechtspopulistische und antisemitische Denken abgedrifteten ehemaligen Anti-Atom-Kämpfers Holger Strohm gegen einen Filmemacher gab das Gericht Letzterem Recht. Der hatte einen kritischen Film über Strohms Film „Friedlich in die Katastrophe“ gemacht und dabei als Beleg Originalsequenzen des Filmes verwendet. Darf er – urteilte jetzt das Gericht, wenn es dem Beleg und der Illustration der Kernaussage dient. Der 18-minütige Film ist hier anzuschauen. Inzwischen gibt es auch die Langfassung unter dem Titel „Empörung und Verschwörung“.

Landgericht Gießen: Freispruch für Schwarzfahrer – Richterschelte gegen §265a!
Zwei angeklagte Fahrten - zwei Freisprüche. Diesmal wurde ein Hinweisschild als ausreichend gewertet, um nicht zu „erschleichen“. Das Urteil im neuesten Schwarzfahrprozess öffnet dem straffreien Schwarzfahren die Tür: Wer mit Hinweisschild (und am besten zusätzlich mit Flyern - das ist dann auch politisch wirkungsvoller) fahrscheinlos fährt, riskiert keine Strafe mehr. Sollte das nun massenweise geschehen, könnte das ganze Fahrscheinwesen kippen.
Die Gießener Allgemeine beschrieb das Verfahren vom 18.4.2016 so: „Vollbesetzte Zuhörerreihen im Saal 15 und ein Team des ZDF auf dem Flur: Im Landgericht schien sich am Montag nicht Alltägliches zu ereignen. Und tatsächlich hat die 3. Kleine Strafkammer unter Vorsitz von Richter Dr. Johannes Nink mit ihrem Freispruch für den Gießener Gesellschafts- und Kapitalismuskritiker Jörg Bergstedt womöglich ein kleines Stück Rechtsgeschichte geschrieben. Denn der Entscheidung, der Berufung Bergstedts gegen ein Urteil des Gießener Amtsgerichts vom Juli 2014 stattzugeben, liegt die Auffassung zugrunde, dass sich der Strafrechtsparagraf 265a (Erschleichen von Leistungen) zumindest, was den Nahverkehr betrifft, überholt hat. "Wenn Juristen Kapriolen drehen, um eine Norm zu retten, wird's peinlich und der Schwarze Peter von Gericht zu Gericht weitergereicht", sagte Nink in seiner Urteilsbegründung.“ Damit ist mehr als ein Etappensieg errungen. Nun ist immerhin von einem Landgericht anerkannt, dass jede klare Kennzeichnung reicht, um die Strafe abzuwenden. Da die Staatsanwaltschaft in Revision gegangen ist, wird in einiger Zeit ein Beschluss zu erwarten sein, der dann bundesweite Ausstrahlung hat. Infoseite: www.schwarzstrafen.siehe.website.

Amtsgericht Kerpen: Beleidigter Richter zieht Strafantrag zurück
Es ging um eine Hausbesetzung im Zuge des Klimacamps 2014. Teilnehmer_innen eines dorthin verlegten Workshops (der einzige Workshop, der damals aus seinem Stattfinden gleichzeitig eine Aktion machte) wurden wegen Hausfriedensbruch angeklagt - und zunächst verurteilt. Dabei ging in einem Prozess der Amtsrichter Witzel mit etlichen Verstößen gegen die StPO und bizarren Beleidigungen gegen die Angeklagte vor. Protestierende Zuschauer warf er aus dem Saal. Einer quittierte das mit dem Vorwurf der Rechtsbeugung. Statt nun dazu zu ermitteln, eröffnete die Staatsanwaltschaft ein Verfahren gegen den Vorwurf der Rechtsbeugung. Das sei eine Beleidigung. Ob der Vorwurf stimmte oder nicht, interessierte die Staatsanwaltschaft dabei nie. Wer Justiz kritisiert, begeht per se eine Straftat – die moderne Variante der Majestätsbeleidigung. Doch der beleidigte Richter geriet im Zeugenstand unter erheblichen Fragedruck des Angeklagten. Daraufhin zog er seinen Strafantrag zurück. Der Beschluss, der das Verfahren beendet, steht hier bereit.

Kritik am Recht
Oftmals wird das Recht oder die „Stärke des Rechts“ als Mittel gegen die Willkür von Staaten oder Diskriminierung jeder Art angerufen. Völlig unklar bleibt dabei bereits, wer denn diese vermeintliche Materialisierung des Guten und Menschlichen anwenden soll, wenn es (auch) als Bastion gegen den Staat dienen soll. Noch seltener wird aber über den Sinn, die Entstehungsgeschichte und die gesellschaftliche Bedeutung der Rechtsetzung und –auslegung kritisch nachgedacht. Ein Hauptvortrag auf der Jahrestagung der Psychiatrie-Erfahrenen im Oktober 2015 unterzog das Recht einer grundlegenden Kritik. Der Mitschnitt ist jetzt im Netz zu finden.

Wer Lebensmittel aus dem Müll rettet, begeht eine Straftat!
Supermärkte und Justiz schlagen wieder zu: In Aachen und in Gießen sollen Menschen vor Gericht gestellt werden, die sich am Müll bedienten statt durch Kaufkonsum die Ausbeutung von Mensch und Natur weiter anzukurbeln bei gleichzeitiger Notwendigkeit, Geld in (meist auch problematischen) Jobs zu verdienen. Kapital und Klassenjustiz nennen das Diebstahl. Der Termin in Gießen steht fest: Mi, 29.6. um 9.30 Uhr vor dem Amtsgericht Gießen (Gutfleischstr. 1, Raum 200A). Rund um den Aachener Prozess ist mehr auf aachencontainert.blogsport.de/ zu finden.

April 2016 (Schwerpunkt "Sich selbst wehren im Knast")
Wie in anderen Politikbereichen auch gibt es in der Anti-Knast-Arbeit Apparate und Funktionärsgruppen, die zwar Solidarität auf ihre Fahnen schreiben, die Betroffenen aber weitgehend außen vor lassen. Aus einer emanzipatorischen Sicht ist das genauso wenig akzeptabel wie bei Eine-Welt- oder karitativen NGOs, die im Namen benachteiligter Menschen reden, aber selten mit denen. Emanzipatorisch ist solch Paternalismus oder Behütung nicht, sondern nur die unterstützende Stärkung der Selbstverteidigungsfähigkeit. Daher sind Gruppen, die ganz oder wesentlich von Gefangenen selbst getragen werden, für eine emanzipatorische Linke wichtiger. Sie sollen hier in loser Reihenfolge vorgestellt werden – beginnend mit der Gefangenen-Gewerkschaft.

Gefangenen-Gewerkschaft / Bundesweite Organisation
Die GG/BO wurde im Mai 2014 von einigen Inhaftierten in der Berliner JVA Tegel gegründet. Aus diesen wenigen sind innerhalb und außerhalb der Haftanstalten etwa 850 Mitglieder geworden. Die GG/BO wurde schnell deutschlandweit und zum Teil über die Landesgrenzen hinweg bekannt. Sie ist durch Art. 9 des Grundgesetzes geschützt, d.h. die Vereinigungs- und Koalitionsfreiheit, u.a. sich in Gewerkschaften zu vereinigen. Hauptthema ist die soziale Frage hinter Gittern. Kein Mindestlohn, keine Rentenversicherung, keine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, kein Kündigungsschutz – das ist die Realität des bundesdeutschen Strafvollzugs. Seit der Gründung könnten zahlreiche Kontakte in das breite Gewerkschaftsspektrum, in die unterschiedlichsten sozialen Bewegungen, aber auch zu fortschrittlichen Parteivertreter_innen geknüpft werden. Das ist wichtig, um Kampagnen vor und hinter dem Knasttor starten zu können. GG/BO-Aktive nehmen regelmäßig an gewerkschaftlichen Mobilisierungen und sozialen Protesten teil, um die Stimme der inhaftierten Beschäftigten und Beschäftigungslosen hörbar zu machen.
Zentral aber bleibt, den eigenen Kräften zu vertrauen. Dazu passt der Appell an die Gefangenen: „Trotz Eurer Gefangenschaft habt Ihr Rechte, habt Ihr Möglichkeiten, „Stopp!“ zu sagen. Freiheitsentzug ist das eine, eine Doppel- und Dreifachbestrafung in der Form einer sozial- und arbeitsrechtlichen Diskriminierung ist das andere. Ihr alle wisst und fühlt es, es kann nicht korrekt sein, wenn Ihr für einen vollen Arbeitstag mit einem Billiglohn abgespeist werdet; es kann nicht korrekt sein, trotz Beschäftigung ohne Rente dazustehen; es kann nicht korrekt sein, als Beschäftigungsloser mit ein paar Cent am Tag auskommen zu müssen; es kann nicht korrekt sein, oft überteuert über einen Monopolisten den externen Einkauf machen zu müssen; es kann nicht korrekt sein, bei Erkrankungen, nicht angemessen versorgt zu werden; und es kann vor allem nicht korrekt sein, als gewerkschaftlich aktiver Inhaftierter, seitens der Vollzugsbehörde schikaniert zu werden.“
Mehr Infos: www.gefangenengewerkschaft.de

Geldentschädigung für überlange Gerichtsverfahren
Wer als Gefangene_r gegen die Justizvollzugsanstalt klagt, muss mitunter lange auf eine Entscheidung warten. Bei „überlanger Verfahrensdauer“ bietet sich an, für die Wartezeit eine Geldentschädigung zu fordern.
Wie kürzlich berichtet warten Inhaftierte mitunter Monate oder gar Jahre auf eine gerichtliche Entscheidung. Da die BRD mehrfach vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wegen „überlanger Verfahrensdauern“ (im Bereich des Zivilrechts) verurteilt wurde, schuf der Gesetzgeber mit den §§ 198 GVG ein Instrumentarium, zumindest im Nachgang zu einem überlangen Verfahren eine Kompensation zu erhalten. Die seit 2011 geltende Regelung setzt voraus, dass man im vorangehenden Gerichtsverfahren eine „Verzögerungsrüge“ (§ 198 III GVG) erhoben hat, also gegenüber dem jeweiligen Gericht eindeutig zu erkennen gegeben hat, dass man die Verfahrensdauer für unangemessen lang erachte. Nach 6 Monaten (vgl. § 198 V GVG) kann beim zuständigen OLG Klage erhoben werden, mit dem Ziel, entweder eine Geldentschädigung zu erhalten oder feststellen zu lassen, dass das Verfahren überlang dauert. Genauer auf de.indymedia.org/node/7390.

Strafprozess: Für Opfer und Täter_innen nachteilig
Strafe hat das Ziel, die Akzeptanz der Rechtsordnung zu erhöhen, schrieb schon vor Jahrzehnten das Verfassungsgericht. Helmut Pollähne und Irmgard Rode haben jetzt die Situation der sog. Opfers im Strafprozess durchleuchtet. Durch etliche prozessuale Maßnahmen sei diese zwar durch die Jahrzehnte verbessert worden. Die Autor_innen des Buches „Opfer im Blickpunkt – Angeklagte im Abseits?“ (2012, Lit in Münster, 186 S., 19,80 €) meinen aber auch: Die Geschädigten wurden entmündigt, ihre Lage sei weiterhin stark belastend. Da das erst recht für Angeklagte gilt, müsste das Fazit lauten, dass Strafverfahren für alle – außer dem Inhaber des Gewaltmonopols - nichts Gutes bedeuten. Das klar zu sagen, fehlt den Autor_innen aber der Mut.

März (Schwerpunkt "Psychiatrie")
Erneuerung der Zwangsbehandlungsermächtigungen
Urteile des Bundesverfassungsgerichts in 2011 hatten die Zwangsbehandlung nach den alten Psychisch-Krankengesetzen der Bundesländer unmöglich gemacht. Doch anstatt auf Zwangsbehandlung zu verzichten, werden in den Bundesländern zur Zeit neue Gesetze erlassen, die eine erneute Legalisierung der laut UN-Hochkommissariat für Menschenrechte folterähnlichen Maßnahmen schaffen. Während in vielen Ländern (z.B. Hessen) die Neuerungen fast geräuschlos durchgewunken wurden, wehren sich in Nordrhein-Westfalen der Landesverband Psychiatrie-Erfahrener (LPE) und in Berlin Aktive aus dem Werner-Fuß-Zentrum gegen die Verabschiedung. Gesetzentwürfe und kritische Stellungnahmen hat der LPE hier zusammengestellt.

Kartell gegen § 63
Vor allem Anwält_innen haben sich am 15.9.2015 zusammenschlossen, um sich – wie es in ihrer Erklärung heißt – "aktiv für die Abschaffung des § 63 StGB einzusetzen, weil er Unrecht ist." Das ist zwar eine unsinnige Formulierung, weil gerade das Problem ist, dass der Paragraph "Recht" ist (Recht ist halt oft eine eher brutale Sache), aber seine Geschichte ist besonders abstoßend: "Am 24. November 1933 als Teil einer "als ob" Version von Recht geschaffen ist die Willkür einer Diagnose von krankhafter Schuldunfähigkeit bei gleichzeitiger Gefährlichkeit offenkundig geworden, angefangen von Diagnosen als Todesurteilen von 1939-1948 über das Rosenhan Experiment, die von Armin Nack, der Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof war, hochgelobten Gutachten des Laiendarstellers Gert Postel, den gegensätzlichen Begutachtungsergebnissen von Frank Schmökel und Anders Behring Breivik, bis hin zu den aktuellen Skandalen um Gustl Mollath, Ilona Haslbauer, Ulvi Kulac." Die ganze Erklärung findet sich unter userpage.fu-berlin.de/narrwd/kartell.htm

Schmerzensgeld für illegale Zwangsbehandlung
Mit Urteil vom 12.11.2015 (Az. 9 U 78/11) hat das Oberlandesgericht Karlsruhe einem Betroffenen wegen einer rechtswidrigen Zwangseinweisung in einer psychiatrischen Klinik 25000 Euro Schmerzensgeld zugesprochen. Die Ärzte hätten die Unterbringung beim zuständigen Amtsgericht beantragt, dabei aber medizinischer Standards missachtet. Die Leitsätze des OLG-Beschlusses sind für den Umgang von Zwangspsychiatrisierten von Bedeutung: "1. Den Ärzten eines öffentlich-rechtlich organisierten Zentrums für Psychiatrie obliegt die Amtspflicht, bei der Ausstellung von ärztlichen Zeugnissen, die eine Unterbringung rechtfertigen sollen, Fehler in der Diagnose und Fehler in der Gefährdungsprognose zu vermeiden.
2. Die Bejahung von Fremdgefährdung oder von Eigengefährdung in einem ärztlichen Zeugnis setzt voraus, dass konkrete Anknüpfungstatsachen die Gefährdungsprognose des Arztes rechtfertigen.
3. Der Umstand, dass das Vormundschaftsgericht auf der Grundlage der unzulänglichen ärztlichen Zeugnisse eine Unterbringung des Betroffenen nicht hätte anordnen dürfen, hindert die Amtshaftung des Zentrums für Psychiatrie für die Fehler der verantwortlichen Ärzte nicht.
4. Bei einer rechtswidrigen Unterbringung von zwei Monaten in einem psychiatrischen Krankenhaus, die mit einer Zwangsmedikation verbundenen ist, kann ein Schmerzensgeld von 25.000 € in Betracht kommen."

Kopfpauschalen in der Psychiatrie?
Wie in anderen Krankenhäusern schon üblich, sollte nach den Wünschen der Bundesregierung auch in psychiatrischen Kliniken Fallpauschalen abgerechnet werden. Dagegen regte sich Widerstand. Mit Erfolg: Beteiligte am Bündnis "Weg mit PEPP!" (mensch-statt-pauschale.de) begrüßten nun die Einigung auf ein neues Entgeltsystem in der Psychiatrie. Die Einführung des von der vorigen Bundesregierung geplanten Pauschalierenden Entgeltsystems für Psychiatrie und Psychosomatik (PEPP) sei vom Tisch. "Das ist ein Erfolg aller, die seit Jahren gegen PEPP gekämpft haben, ein Erfolg auch des zivilgesellschaftlichen Bündnisses Weg mit PEPP", sagte Dagmar Paternoga vom Attac-Rat und Koordinatorin im Bündnis. "Mit der Einführung eines budgetbasierten Entgeltsystems sind das an den Fallpauschalen in somatischen Krankenhäusern orientierte PEPP-System und die damit verbundenen finanzielle Anreize gestoppt worden. Jetzt gilt es, eine Ökonomisierung durch die Hintertür zu verhindern."

Buchtipp
Walter Röchling, "Betreuung" (2009, Verbraucherzentrale in Düsseldorf, 158 S., 9,90 €)
Wer eine Betreuung hat oder bekommt, verliert die Kontrolle über das eigene Leben. Das kann bis zu Entscheidungen über ein Einsperren, Festbinden, Verabreichung oder Entzug von Medikamenten gehen, Geld und Vermögen betreffen oder sogar die Frage, ob das Leben weiter künstlich aufrechterhalten wird oder nicht. Zwar ist all das in den meisten Lebenslagen nicht bedeutend, wenn es aber wichtig wird, wäre es zu spät, dann noch selbst festlegen zu wollen, welche Wünsche beachtet werden sollen. Daher ist es nötig, sich rechtzeitig mit der Frage zu beschäftigen, um mit Patient_innenverfügung und Vorsorgevollmacht festzulegen, wer wie über das eigene Leben entscheiden soll. Das Buch gibt dafür die nötigen Informationen. Bestellmöglichkeit online (zzgl. 2,50 € Porto) über www.vz-ratgeber.de.

Februar
Bundestagsfraktion DIE LINKE beantragt Streichung des § 265a StGB
Ein Ende der Bestrafung des Fahrens ohne Ticket beantragte DIE LINKE am 27.1.2016 im Deutschen Bundestag. Aus dem Antrag: "Die Härte der Sanktionierung des "Schwarzfahrens" nach § 265a StGB mit den entsprechenden Folgen für die Betroffenen (Eintragung ins Strafregister bis hin zur Einstufung als vorbestraft und ggf. Abschiebegrund von Menschen ohne deutsche Staatsbürgerschaft) ist ein unverhältnismäßiger Eingriff des Staates und widerspricht der gebotenen Zurückhaltung des Gesetzgebers beim Einsatz des Strafgesetzes ...
Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
1. den Tatbestand der Leistungserschleichung aus § 265a des Strafgesetzbuch (StGB) so abzuändern, dass die Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel ohne gültigen Fahrschein auch im Wiederholungsfalle nicht als Straftat geahndet wird. Auch eine Ahndung als Betrug gemäß § 263 StGB ist auszuschließen;
2. sich dafür einzusetzen, dass § 12 der Eisenbahn-Verkehrsordnung (EVO) und § 9 der Verordnung über die Allgemeinen Beförderungsbedingungen für den Straßenbahn- und Omnibusverkehr sowie den Linienverkehr mit Kraftfahrzeugen (BefBedV) so verändert werden, dass das erhöhte Beförderungsentgelt reduziert wird; zu prüfen ist, ob das erhöhte Beförderungsentgelt im Sinne der Verhältnismäßigkeit je nach Tarifgebiet differenziert werden kann und sollte (z.B. die Hälfte der Kosten einer Monatskarte); ..."
Die gesamte Drucksache 18/7374 steht unter dip.bundestag.de/btd/18/073/1807374.pdf.

Illegale Praxis in der Psychiatrie: Heimlich Medikamente verabreicht!
Die Akten einer Klinik beweisen es: Dem Psychiatriepatienten Michael Perez wurden ohne seine Kenntnis und Aufklärung persönlichkeitsverändernde Tropfen verabreicht. Die Klinik wies ihre Bediensteten an, dem Patienten dies zu verheimlichen. Nachdem der Fall öffentlich bekannt wurde, stellte der Betroffene am 23.11.2015 schriftlich Strafanzeige gemäß §§ 224, 225 ff. STGB (Körperverletzung). Die Ausschnitte aus der Akte sind unter
behoerdenstress13.com/2015/11/24/eilmeldung-michael-perez-stellt-strafanzeige-nach-bekannt-werden-geheimer-medikamentengabe/ einzusehen. Von ähnlichen Fällen berichten viele Patient_innen. Ein Nachweis gelingt allerdings selten, so dass die profitable und Menschen gefügig machende Praxis meist ohne Probleme von statten geht.

Beteiligungsrechte und Assimilierung
Moderne Politiken setzen auf Dialog mit denen, von denen Protest zu erwarten ist. Die Hoffnung auf Mediationen, runde Tische und freundliche Gesten der Mächtigen schwächt oft den Willen zum Widerstand – zum Vorteil derer, die Projekte durchsetzen wollen. Michael Wilk und Bernd Sahler berichten in ihrem Buch "Strategische Einbindung" (2014, edition AV in Lich, 170 S.) von solchen Erfahrungen z.B. beim Flughafenausbau Frankfurt, beim Projekt "Stuttgart 21" oder Atomprojekten. Die wichtige Kritik kommt weitgehend jedoch ohne Perspektive aus. Wirksamer Widerstand sei nur möglich, wenn er sich nicht integrieren lässt. Doch wie das gehen soll, bleibt unbenannt. Stattdessen werden die problematisierten Mediationverfahren für politische Bewegungen zur Streitschlichtung und Konsensfindung vorgeschlagen. Doch auch hier dienen sie oft der Unterdrückung von Protest, nur das die beiden Autoren dort eher selbst zur Machtelite gehören. Mathieu Rousselin ist da in seinem Buch "Widerstand" (2014, Westfälisches Dampfboot in Münster, 198 S.) konsequenten. Es beginnt mit einer bemerkenswerten Kampfansage an die Kultur des Konsens. Dieser würde die Zahl von Möglichkeiten einengen. Der Autor fügt dazu aus Texte und Filme mit unterschiedlichen Blickwinkel der französischen Kapitalismuskritik zusammen – und spannend zu lesen.

Rechtsschutz im Knast heißt: warten, warten, warten
Thomas Meyer-Falk hat Fälle von Willkür und diskriminierender Bürokratie im Gefängnisalltag zusammengestellt. Nach seiner Auffassung bekämen solche Einschränkungen des Lebens in einer totalen Institution wie der eines Gefängnisses ein ganz besonderes Gewicht. Immerhin könnten Inhaftierte, so sie sich beschwert und in ihren Rechten verletzt fühlten, hiergegen vor Gericht ziehen. Allerdings benötige man hierfür oft viel Zeit, Geduld und am besten eine lange Haftstrafe, denn zeitnahe Entscheidungen sind singuläre Ereignisse. Auf de.indymedia.org/node/6550 werden als Beispiele ein verhinderter Musik-CD-Besitz und ein Zelleneinschluss beschrieben.

Biologistisches Denken als Grundlage des Strafens
Ein Student der "Erziehungs- und Bildungswissenschaften" (Universität Marburg) hat eine Bachelor-Arbeit zum Thema "Der biologisierende Diskurs in der Kriminologie an Beispiel der Sicherungsverwahrung" verfasst. Auf 46 Seiten bietet diese einen komprimierten Einblick in die Kriminalbiologie aus der Zeit vor 1933, die schließlich zur Einführung der Sicherungsverwahrung unter der Herrschaft der Nationalsozialisten führte. Zudem wird die aktuelle der Debatte um die Aufgabe der Neurowissenschaften im Bereich der Kriminologie analysiert. Die Bachelor-arbeit ist unter ow.ly/WNc9N zu finden.

Januar
Nachträgliche Sicherungsverwahrung durch die Hintertür
Eigentlich war sie vom Tisch. Ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) hatte 2009 die nachträgliche Verlängerung der Sicherungsverwahrung über das damalige Höchstmaß von zehn Jahren als unzulässig verworfen. Es sei eine "Strafe ohne Gesetz". Zahlreiche Straftäter waren freigelassen worden. Da sich aber die strafwütige Justiz in Deutschland und manch Mob auf der Straße formierte, bastelte der Gesetzgeber etwas Neues und legalisierte die eigentlich ja untersagte Praxis im von der Bundesregierung erlassenen Therapieunterbringungsgesetz. Nun konnten die Altfälle weiterhin in Sicherungsverwahrung bleiben, wenn. Laut EGMR-Beschluss vom 7.1.2016 kann die Sicherungsverwahrung in sogenannten Altfällen auch länger als zehn Jahre bestehen bleiben, wenn die Gefährlichkeit der Häftlinge auf eine "psychische Störung" zurückgeht und die Verlängerung der Inhaftierung der "therapeutischen Behandlung" des Täters dient, heißt es in dem Urteil. Die Klage eines 72-jährigen Sexualstraftäters gegen die Regelung scheiterte. Interessant an all dieser Rechtsprechung ist noch, dass die deutschen Gerichte einschließlich des Bundesverfassungsgerichts ohnehin immer auf der Seite derer standen, die Menschen auf Dauer wegschließen wollen. Dauerhafte Aufenthalte sind somit neben den geschlossenen Psychiatrien auch in Gefängnissen ohne weiteres möglich

Die Internationalisierung der Justiz und ihre Schwierigkeiten
Der seltsame Kampf zwischen deutschen Spitzengerichten und über-nationaler Justiz hat schon Geschichte. Richten ist eine Form der Ausübung von Macht. Gegenüber den anderen sogenannten Staatsgewalten ist die Justiz höhergestellt. Urteile sind nur durch höhere Gerichte aufhebbar. Daher versuchen hohe Gerichte, die Schaffung neuer Kompetenzen über ihnen zu begrenzen. In zwei Bänden unter dem Titel "Internationale Strafgerichtshöfe" (Band 1 lautet "Politische Bedingungen und Formen internationaler Strafgerichtsbarkeit", Band 2 "Vom Streit um den internationalen Strafgerichtshof zur Kampala-Konferenz", erschienen 2013 in der 4. Auflage im Verlag für Polizeiwissenschaften in Frankfurt mit 137 bzw. 163 S Seiten zu je 19,80 €) behandelt der Autor Robert Chr. Van Ooyen die Rechtsgrundlagen und die Praxis des Versuchs, Verbrechen z.B. gegen die Menschenrechte weltweit strafrechtlich zu ahnden. Die dabei entstehenden politischen Verwicklungen sind offensichtlich, daher solche analytischen Werke zu begrüßen. Das Buch bietet einen strafbefürwortenden Blick, stellt allerdings auch einige kritische Fragen. Die sind wichtig, denn die Legitimation internationaler agierender Justiz ist nicht nur grundsätzlich schwierig, weil hier Recht angewendet wird, welches für die handelnden Personen konkret gar nicht bestand. In der Praxis zeigen sich zudem Einseitigkeiten. Angeklagt werden vor allem Despoten und Kriegsgeneräle aus Feindstaaten der führenden Industrienationen. Deren Angriffskriege blieben hingegen reaktionslos. Eine Kritik daran fehlt.

Drei Freisprüche im Gießener Schwarzfahr-Prozess
Es dauerte nur etwa eine Stunde, dann war der Prozess gegen den Aktionsschwarzfahrer Jörg Bergstedt am 21.12.2015 zu Ende: Drei angeklagte Fahrten - drei Freisprüche. Damit hat (nach mehreren absurden gegenteiligen Gerichtsurteilen) wieder ein Gericht die Frage bejaht, dass offensiv gekennzeichnetes Schwarzfahren keine "Erschleichung von Leistungen" sei. Das gilt zumindest für das demonstrative Schwarzfahren, also die Fälle, wo neben der gut sichtbaren Kennzeichnung (z.B. Schild(er) am Körper) auch Flyer verteilt werden für Nulltarif, gegen Schwarzfahr-Bestrafung u.ä. Ein weiterer Prozess könnte die Frage klären, ab wann eine Kennzeichnung der Fahrscheinlosigkeit strafbefreiend wirkt. Das Verfahren gegen den gleichen Angeklagten, aber anderen Fällen, ist schon in der zweiten Instanz. Als Verhandlungstermin ist Montag, der 18.4., um 9 Uhr im Landgericht Gießen angesetzt. Rechtliche Hintergründe, Termine und Berichte bisheriger Aktivitäten unter www.schwarzstrafen.siehe.website.

Audiodokumentationen zu Asylverfahren und Bespitzelung
Seit dem 21.11.2015 ist die Dokumentation eines Vortrags zum deutschen Asylverfahren und zur Lagermobilisierung in Berlin online. Der Vortrag fand im Café Cralle statt und wurde vom Bündnis "Hände weg vom Wedding" organisiert. Im ersten Teil der Veranstaltung erläuterte eine Rechtsanwältin die rechtliche Lage rund um das bundesdeutsche Asylverfahren. Im zweiten Teil widmete sich ein Aktivist der Beschreibung von Zuständen und Aktivitäten rund um die Lager (Länge: 58:36 min, mehr Infos und Link).
Schon ein paar Wochen länger im Netz ist der Mitschnitt eines Vortrags zum Thema "Spitzeln für Staat und Kapital" online. Dabei sprach Kate Wilson über ihre Beziehung zu Mark Kennedy. Der Vortrag wurde auf Englisch gehalten (Länge: 33 min).

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