Aktionsraum Gießen

BLICKE HINTER DIE MAUERN

Berichte aus dem Gießener Gefängnis (Gutfleischstraße)


1. Informationen zum "Leben" im Knast
2. Berichte vom Umgang der Knastleitungen mit politischen Engagement und Solidarität
3. Berichte von eingesperrten Polit-Aktivistis
4. Leben, Gesundheit und Sterben im Knast
5. Pit Scherzls Notizen über die Missstände, die er im Knast erlebte
6. 12 Jahre Knast für Anschlag auf Arbeitsamts-Chef
7. Berichte von Thomas Meyer-Falk
8. Berichte aus dem Gießener Gefängnis (Gutfleischstraße)
9. Gerichtlich geklärte Bedingungen
10. Mehr Knastberichte
11. Rechte Ideologieschmiede Knast

Hier folgen zwei Bericht von eher kurzen Knastaufenthalten in Gießen - aber mit einigen Einblicken in die Abläufe dort.


Blick auf den Gießener Knast (geschlossener Vollzug). Links der Einzelzellentrakt mit Fenstern, die eine Kommunikation mit der Nachbarzelle unmöglich machen soll. Im Hintergrund der alte Trakt, in dem sich auch die Verwaltung befindet. Im Vordergrund der Hof für den Ein-Stunden-Auslauf.

JVA Gießen, 29.8. bis 22.9.1998
29. August 1998, früher Abend: Ich bereite den Versand der neuen Ausgabe der 'Ö-Punkte' vor, die morgen in Druck geht. Kurze Pause. Ein Polizeiwagen fährt vor - die Beamten haben einen Haftbefehl für 29 Tage Knast dabei. Oben drauf steht die Adresse, unter der ich postalisch auch erreichbar gewesen wäre Doch der Staat hat sich nicht einmal die Mühe gemacht, mich zum Haftantritt aufzufordern. Jetzt bleiben mir 5 Minuten, einiges Wichtige zusammenzusuchen bzw. das Wesentliche zu regeln. Schnell ein paar Hinweise für den Druck der Zeitung, zwei Leute anrufen - und tschüß.
Auf der Polizeistation bleibt ca. eine Stunde Zeit. Ich habe meinen Terminkalender dabei und kann so genau erkennen, was durch die vier Wochen Eingesperrtsein alles den Bach runtergeht. Und was vielleicht andere auffangen können. Zwei Seiten lang wird der Brief an die WG der Projektwerkstatt, dem Haus, aus dem heraus ich verhaftet wurde Hinterlegt bei der Polizei klappt der Plan, dass er noch am gleichen Tag abgeholt werden kann. Ich werde in die geschlossene Anstalt nach Gießen verbracht und verschwinde dort erstmal für drei Tage ohne jeglichen Außenkontakt. Was geht schief? Was passiert jetzt draußen? Die völlige Handlungsunfähigkeit nervt. Einiges muss ich auf jeden Fall streichen: Der bundesweite Anti-Atom-Aktionstag wird ohne mich laufen, einige kleinere Treffen und Aktionen ebenfalls. Die neuen Ideen für WGs rund um die Projektwerkstatt, die Vernetzung politischer FreiRäume und der Anti-Expo-Arbeit - wird das trotzdem klappen? Ich schreibe am ersten Tag eine Reihe von Briefen in verschiedene Richtungen. Auch wenn es gefährlich ist, Adresssammlung und Terminkalender in den Knast zu schleppen, weil auch die Falschen darin lesen können - ohne diese Daten hätte ich genau nichts retten können.
Die erste Nacht verbringe ich in der Zugangszelle, ein leerer, kahler Raum mit Bett, Stuhl, Tisch, Waschbecken, Klo und Lautsprecher. "Zugang' heißen die neuen Gefangenen und werden von den Beamten auch so bezeichnet. Am Tag drauf werden wieder die Klamotten gewechselt und ich komme auf die Zelle 234 in der Station A2. Ich bin der dritte dort. Da es Sonntagmorgen ist, schlafen die beiden anderen ,noch. Das setzt schnell Aggressionen frei, und zwar gegen mich - als könnte ich etwas dafür, dass ich um diese Uhrzeit in diese Zelle gesperrt wurde. Überhaupt: Wie es zwischen vielen Gefangenen abgeht, spüre ich sehr schnell. Es gibt klare Hierarchien, Machtfaktoren sind körperliche Kraft oder andere Abhängigkeitsstrukturen. Auch wenn es auf der Drei-Mann-Zelle (12qm, worin auch noch Waschbecken und Klo untergebracht sind) gar nichts zu gewinnen, herrscht ständig Aggression. Der stärkste von uns dreien, ein kaum deutschsprechender Aussiedler, setzt seine Position mit Prügel durch. Draußen beim täglich einstündigen Freigang im Hof oder bei anderen Kontakten spüre ich noch mehr Formen der Unterdrückung: Zwischen den Nationalitäten, zwischen Menschen unterschiedlicher Kulturen sowie, ohne dass ich dafür eine richtig überzeugende Erklärung finde, gegenüber Vergewaltigern und 'Kinderfickern', wie die bezeichnet werden, die Kinder missbraucht haben. Einiges passt nicht zusammen, z.B. die Ausgrenzung der Vergewaltiger und die bei fast allen vorhandene Betrachtung der Frau als Sexobjekt. In meiner Zelle, in der kaum Platz zum Stehen ist, liege ich den ganzen Tag auf dem Bett, umgeben von Wänden voller Pornobilder. Blicke in offene Türen der Nachbarzellen bei Essensausgabe oder Freigang zeigen: Es sieht überall so aus. Hauptbeschäftigung überall: Fernsehen. Und Rauchen. Letzteres schafft eine weitere, irre Situation. Die Gier nach Tabak ist eine der wichtigsten Triebfedern, um an Geld zu kommen, Viele arbeiten deshalb im Knast. 9,17 DM lautet der Tages(!)verdienst. Das Geld geht zu einem großen Teil für Zigaretten drauf. Und an diesen verdient dank hoher Tabaksteuer wiederum der Staat. Gefangene arbeiten so fast kostenlos.
Im Gießener Knast sitzen Leute in Untersuchungs-, Straf- und Abschiebehaft bunt gemischt. Am dritten Tag rede ich mit einem Kurden, der noch einen Tag bis zum Abschiebedatum hat und nichts weiß vom Stand seines Widerspruchsverfahrens. Kontakt nach draußen ist nur sehr schwer möglich - und ich weiß auch kaum Rat, da ich selbst mitgefangen bin.
Noch am Montag holt mich der Gefängnispfarrer zu einem Gespräch, ein alter Bekannter, der meinen Namen als "Zugang' gelesen hat. Von ihm erfahre ich einige wichtige Dinge über die 'Innereien' des Knastes. Schließlich hatte ich mir vorgenommen, meinen ersten Knastaufenthalt auszunutzen, um genau zu schauen, wie diese Unterdrückungseinrichtung funktioniert, was sie bewirkt und welche Rolle sie in der Gesellschaft spielt. Weitere Gespräche mit anderen Insassen. Am Dienstag dann ist der geschlossene Vollzug dann schon zuende. Nach etlichen Gesprächsrunden durch die Verwaltungsetagen des Knastes werde ich am Abend in den offenen Vollzug verlegt. Die Gespräche aber bieten mir Chancen, etliche Fragen zu stellen. Wenig überraschend ist, dass alle Bediensteten im Vollzug die gleiche Meinung wie ich haben, was den Erfolg des Instruments Gefängnis ist: Es bringt nichts, 'Aber es ist ein Wirtschaftsfaktor geworden', führt einer an. Zweimal kann ich am Dienstag sogar eine Debatte über ein anarchistisches Gesellschaftsbild ohne Knast anbringen und spüre, dass auch die Beamten im Knast solche Debatten gerne führen - und sei es nur als Abwechselung im grauen Knastalltag (den sie aber mitverschulden). So kreiere ich den Spruch: 'Die Schließer sitzen lebenslänglich!'. Überraschend ist aber das Eingeständnis eines Beamten ob meiner Frage, wie die Knastleitung mit Rassismus, Sexismus und Gewalt zwischen Gefangenen umgeht. 'Ohne die Unterdrückung zwischen den Gefangenen wäre ein Knast gar nicht zu führen', gibt er offen zu. Das heißt, denke ich mir meinen Teil, dass Solidarität unter den Insassen einiges bewegen könnte Aber nichts ist unwahrscheinlicher als das ..
Der offene Vollzug bietet zunächst ebenfalls viel Langeweile Es dauert 9 Tage, bis ich erstmals tatsächlich rauskann. Immerhin ist eine Telefonzelle im Haus. Alle Türen im Haus sind offen. Ich könnte alle anderen Gefangenen dort besuchen - aber die sind nicht da, sondern arbeiten außerhalb, haben dann einige Freistunden und kommen nur zum Schlafen ins Haus. Nur sechs Leute sind in der gleichen Lage wie ich (Anfangsphase im offenen Vollzug ohne Ausgangsrecht) oder haben gerade als Strafe Ausgangsverbot erhalten - wegen Schlägereien, Alkoholkonsum oder Kiffen. Meine endlich aus der Gefangenenbibliothek ausgeliehenen Bücher muss ich bei der Verlegung in den offenen Vollzug wieder abgeben, so dass die Langeweile noch mehr nagt. Ich nutze die Zeit für intensive Gespräche über Haftbedingungen, Herrschaftsstrukturen und Erfahrungen. Fast alle im offenen Vollzug haben mehrjährige 'Knastkarrieren' hinter sich, kennen verschiedene Knäste, die Beamten dort und viele andere Gefangene, von Dealern oder Mörder bis zu Terroristen. Sie berichten über den Vollzugsalltag, aber auch den Umgang der Knasties miteinander: Unsolidarisch und voller knallharter, geschäftsorientierter Hierarchien. Tabak, Kaffee, aber vor allem Drogen sind heiß begehrte Ware. Geld ist im Knast genauso verboten wie Rauschgift. Aber beides gibt es nicht nur in Massen, sondern die Gefängnisse sind stationsweise in Einflußsphären eingeteilt. Wer diese ungeschriebenen Gesetze nicht anerkennt, findet sich oft zusammengeschlagen oder gar mit Schraubenzieher oder Scheren durchlöchert in der Ecke der Gemeinschaftsdusche oder anderen Räumen. Die meisten Gefangenen bilden Banden, nach Nationalitäten oder anderen Kriterien. So sind sie etwas sicherer - Abschreckungsprinzip.
Zum Knastalltag gehört das Verhandeln mit der Knastleitung. Zuckerbrot und Peitsche wirken auch hier. Im offenen Vollzug überwiegt das 'Zuckerbrot'. Sonderausgang für einen Vortrag, vorzeitige Entlassung aus wichtigem Grund, besondere Rationen fleischloser Kost - der Knastalltag ist ein Training, selbst aus schlechter Lage noch etwas rauszuholen. Dafür müssen die Gefangenen aber selbst auch zurückstecken. Ich musste meine Arbeitsverweigerung aufgeben (mit 'für dieses System arbeite ich nicht' hatte ich angefangen), sonst hätte ich vier Monate vom Bett die Wand angucken können. Die Arbeit selbst ist dümmlich und langweilig. Im Innendienst/Außenkolonne gehe ich mit vier bis sechs anderen rund um Knast und Gerichtsgebäude auf die Jagd nach krumm gewachsenen Grashalmen oder allzu forschen bzw. sich gar selbst ansiedelnden Büschen und Bäumen. Schon aus Umweltschutzgründen eine Zumutung, schlimmer aber wirkt auf mich noch der Umgangston. Zwei Mitgefangene wachen über den Arbeitstrupp. In Baustellenmanier kommandieren und pöbeln sie herum. Revolution dagegen ist schwierig. Ich werde wieder weggesperrt und die haben Ruhe vor mir - schwieriges Handeln in den Krallen des Staates. Also Reden mit den Leuten selbst. Das klappt teilweise Einen Tag rastet der 'Vorarbeiter'-Gefangene aus, brüllt rum und meldet meinen 'Widerstand' bei der Knastleitung. Debatten dort folgen, mit mir und ohne mich. Am Ende: Die Außenkolonne soll teammäßiger organisiert werden. Reformismus im Kast? Irre, aber die folgenden Tage laufen tatsächlich besser. Auch im Knast ist Politik möglich.
Eine Woche später gibt es dann eine von mir angezettelte Anti-Knast-Veranstaltung im Infoladen in Gießen. Diesmal sind die Beamten unschlüssiger, einige locker, einige doch etwas nervös. Schließlich untersagen sie mir jede Werbung im Knast, akzeptieren es aber. Immerhin: Ein zweiter Gefangener kommt mit, ca. 30 Leute besuchen die Veranstaltung. Was daraus entsteht, ist offen. Um 21 Uhr ist der Abend für uns zwei Gefangene gelaufen - Ende des Ausgangs für Knackies im offenen Vollzug. Gebracht hat es aber zweierlei. Zum einen sind allerhand Wissenslücken geschlossen, neue Ideen und Diskussionen eröffnet (z.B.: Kann es eine Gesellschaft ohne Knast geben?). Zum zweiten komme ich mit meinem " Kollegen' in den Folgetagen intensiver ins Gespräch. Er ist alter Hausbesetzer in Gießen und der Hamburger Hafenstraße, bevor er eine 'kriminelle Karriere' begann. Wir tauschen alte Erinnerungen aus und planen für die Zukunft. Da er gut und kreativ zeichnen kann, entwickeln wir Ideen für Ausstellungen, ein kleines Atelier in unserem politischen Zentrum und die gemeinsame Arbeit an eigenen Medien. Am Freitag, wenn ich schon den Knast verlassen haben werde, verabreden wir uns zur Volxküche im Infoladen. Doch daraus sollte nichts werden
Die letzten Tage bringen ein deutlich verschärftes Bild vom Knast. Sichtbar wird auch, wie sich unterschiedliche Menschen auf den Alltag der Gefangenen auswirken. Der Chef ist wieder da, sein Stellvertreter, zugleich auch Sozialarbeiter, hatte in den vergangenen Tagen viel Einfühlungsvermögen für die Inhaftierten gezeigt - soweit das unter diesen Rahrnenbedingungen geht. Auch einige andere verlassen den "Dienst nach Vorschrift' und gestehen den Gefangenen immer wieder kleine Freiheiten zu, die eigentlich verboten sind, angefangen vom Teekochen nach der Bettruhezeit (Beamtin: 'Aber machen Sie bitte das Licht nicht an, sonst sieht es der Chef') bis zu Abmahnungen und Gesprächen statt Bestrafung bei den vielen kleinen Missetaten, sei es eine Beleidigung gegenüber einem engstirnigen Beamten oder der Verstoß gegen das absolut geltende Alkohol- und Drogenverbot. Wieder andere Beamte sind stur und legen die Paragraphen exakt aus -eine Minute zu spät, Anschiss fällig, Und so weiter. Am vorletzten Tag meiner Haft bekommen zwei Mitgefangen den „Abschuss", d.h. sie kommen vom offenen in den geschlossenen Vollzug. Und einen Tag später, kurz vor meiner Entlassung gegen 12 Uhr, erfahre ich, dass es auch meinen Kollegen erwischt hat. Gerade kann ich ihn noch kurz sehen und verabreden, dass wir in Kontakt bleiben. Heroinspuren im Urin haben sie bei ihm gefunden - Abschuss! Jetzt, wo ich dieses in Freiheit schreibe (soweit in diesem Land Freiheit halt herrscht), sitzt er im geschlossenen Vollzug. Strafe statt Hilfe für einen Heroinspritzer. Armes Deutschland! Da finde ich es wenigstens ein bißchen gerecht, dass auch ich mit dem Chef aneinander geriet. Er wollte meinen Entlassungszeitpunkt in Frage stellen, den sein Stellvertreter festgelegt hatte. Da kamen sich sogar die Beamten untereinander in Wut. Und von mir musste er sich das Wort 'Penner' gefallen lassen, was er mir bis zur letzten Sechs Stunden nach der Entlassung: Ich denke an meinen Kollegen, mit dem ich einige Zukunftsträume gesponnen habe, die jetzt erstmal zerbrochen sind. Vielleicht wäre es eine doppelte Freundschaft geworden - politisch und menschlich. Aber eigentlich ist das auch ungerecht an die anderen 160 Knackies im geschlossenen Vollzug Gießens und die Tausende deutschlandweit bzw. Hunderttausende weltweit denke ich nur deshalb nicht, weil ich sie nicht kenne. Nun habe ich einige Tage zu ihnen gehört - und auch gespürt, wie du weg bist aus dem Leben. Schnell vergessen aus den Köpfen derer, die eben noch deine engsten PartnerInnen waren. Diese 'Entsozialisierung' ist das Schlimmste am Knast. Irgendwas Gutes hat er gar nicht.


Bericht aus 2 Tagen Knast in Gießen
Am 14. Mai 2002 wurde ich bei einer Aktion gegen das Atomforum verhaftet (Berichte) und für 8 Tage zur Hauptverhandlungshaft in den Knast Stammheim gesteckt. Der anschließende Prozeß ergab eine Verurteilung zu 30 Tagessätzen (Knast- und Prozeßbericht). Am 16.8. wurde ich erneut und ohne Vorankündigung verhaftet und verbrachte 24 Stunden im Gießener Knast – eine lächerliche Zeit gegenüber den Strafen derer, die ich dort traf*. Aber doch genug, um neue Eindrücke von dem Teil dieser Demokratie zu sammeln, an dem Herrschaft am vollständigsten umgesetzt ist.
„Zahlen Sie bitte den vorstehend berechneten Betrag binnen zwei Wochen nach Empfang dieser Rechnung ein. Andernfalls wird er zwangsweise beigetrieben werden. Bleiben die Zwangsvollstreckungsmaßnahmen erfolglos, so kann hinsichtlich der Geldstrafe die Ersatzfreiheitsstrafe vollstreckt werden“, stand in der Kostenrechnung der Staatsanwaltschaft Stuttgart. Entsprechend erwartete ich ein Mahnverfahren – zumindest aber eine Aufforderung zum Haftantritt. Nicht dergleichen geschah. Am Freitag, den 16.8.2002 rücken sechs Polizeibeamtis* teilweise in schußsicheren Westen auf den Hof der Projektwerkstatt – ca. 40min zu der Abfahrt zur Jubelparade vor der Bergkaserne, wo Politprominenz 40 Jahre Bundeswehr in Gießen bzw. Mord und Totschlag abfeiern wollten. Ob der Zeitpunkt Zufall war, sei dahingestellt. Die Polizei kam ohne Vorankündigung, es gab weder eine Mahnung noch einen Versuch der Zwangsvollstreckung. Die Bullen fragten, ob ich das Geld zahlen könne und als ich verneinte, klickten die Handschellen und fertig.
Das Ganze war schade und es besteht Einigkeit, diese Situation zu trainieren, um mit symbolischen Widerstand Herrschaft besser thematisieren zu können – denn solche Verhaftungen laufen ja öffentlich ab. Denkbar wäre z.B. ein Schild „Hier endet der demokratische Sektor ... und es beginnt die Selbstbestimmung“, das behandeln der Bullen als fremde, widerlich organisierte Macht bis hin zu „Gefechten“ mit Wasserspritzpistolen, Blockaden des Bullenautos usw.

Fahrt und „Einchecken“ im Knast
Spektakulär ist weder eine Fahrt im Bullenauto noch die erste Phase im Knast. Ich verweigerte jegliche freiwillige Handlung. Zwar hatte ich keinen Bock, durch die Gegend geschleift zu werden, aber ich ließ mich hochziehen, schieben usw. Ich wurde mehrfach angesprochen, daß das doch auch für mich unangenehmer sei und antwortete darauf, daß es mir wichtig sei, daß sie merken würden, daß hier Herrschaft ausgeübt würde und ich keine Lust hätte, daß alles am Ende noch wie freiwillig aussähe. Im Bullenauto entspann sich eine Debatte über Herrschaft und vor allem den Sinn und Unsinn von Strafe, Knast und Justiz („Was soll denn mit Vergewaltigern passieren?“ und ähnlich Fragen stellten die Bullen – also wie bei linken Veranstaltungen auch). Bei der Übergabe in der Knast-Eingangssschleuse kamen dann zwar Knastwärter und schubsten mich mit den Worten „Hier geht es aber anders ab“ die Treppe hoch, durch einen Gang mit Zellen zunächst in einen Warteraum: „Da kann er sich dran gewöhnen, wie es hier abgeht“. Kurze Zeit später in den Aufnahmeraum: Ausziehen, Anstaltskleidung anziehen, Unterschriften dafür, daß mir alles weggenommen wurde (natürlich verweigert) und dann in Zelle 2 im Erdgeschoß.
Spannend war auch noch die Anrede bei einer Anmache eines Knastbeamten. Die hieß „Herr Bürgermeister“. Damit spielte er offenbar darauf an, daß ich 1995 bei der Direktwahl des Bürgermeistis mitkandidierte mit der Ankündigung, den Posten dann abschaffen zu wollen (selbst die Grünen, die keinen eigenen Kandidati hatten, distanzierten sich damals öffentlich von mir :-). Interessant daran ist, daß ja diese bürgerlichen Kreise uns immer wieder vorhalten: „Macht doch mit statt immer nur zu nörgeln“. Wenn mensch es dann tut, finden sie es auch scheiße ... (hat sie ja damals auch gut geärgert ... das Parlament hat nach der Wahl eine öffentliche Distanzierung von mir als Kandidati gemacht, weil ich das Parlament beleidigt hätte usw.).

Die „Wohn“situation im Knast
Diese Zellen gab es noch nicht, als ich vor fünf Jahren schon mal in Gießen im Knast gab. Der Knast ist total überfüllt. So wurden bisherige Warteräume usw. in Zellen verwandelt. „Meine“ Zelle war 4,50m x 2,50m groß. Darin waren Klo und Waschbecken, ein kleiner Tisch, drei Schränke (für den notwendigen vierten gab es keinen Platz mehr) und zwei Etagenbetten. Vier Menschen waren auf der Zelle. Daß alle gleichzeitig auf dem Boden standen, war nicht möglich, so verbrachte ich fast die ganze Zeit auf dem Bett – die anderen auch.
Einmal am Tag gab es eine Stunde Hofgang ... mehr habe ich in der kurzen Zeit nicht mitbekommen. Die Zeiten wie in Stammheim: 5.30 Uhr Wecken, 6 Uhr Frühstück, vor 12 schon Mittag. Am Samstag gab es das Abendessen auch schon vor 12 Uhr. Kein vegetarisches Essen!

Die Lage der Eingeknasteten
Knastaufenthalt (kann ich nur empfehlen, das mal erlebt zu haben!) ist aus mindestens zwei Gründen interessant. Zum einen das Erleben dieser zugespitzten Herrschaftssituation, der ständigen Kontrolle, der unglaublichen Langeweile, der zermürbenden Monotonie, der dadurch bei den Menschen entstehenden Bedürfnislosigkeit (statt Widerständigkeit), das Verhalten der Beamtis usw.
Zweitens sind die Gespräche mit den „Knackis“ (Eigenbezeichnung der Gefangenen) hochinteressant. Wegen der kurzen Zeit hatte ich nur zwei intensive Unterhaltungen – einmal in der Zelle, zum anderen beim Hofgang Samstagmorgen.
In der Zelle brandete eine lange und intensive Debatte um Anarchie und Herrschaft auf. Einstieg war das kurze Anfangsgespräch, wer warum drin ist usw. – Kennenlernrunde im Knast. Vor allem einer der drei anderen stieg dann gleich intensiv ein, immer wieder „das System“ verteidigend. Ich fand das kraß: Da sitzt einer in einer Scheißzelle, flucht ständig darüber, muß noch zwei Jahre drin bleiben und findet das System, was das alles verbockt hat, gut. Redet über die bösen Menschen, die sich alle umbringen würden ohne Knast usw. Es war eine lange und hitzige Debatte, die auch immer wieder aufflammte anhand von irgendwelchen Vorgängen. Zum Beispiel wegen der einzigen Zeitung, die im Zimmer war: Eine alte Ausgabe der „Praline“ (widerliches Sex-Magazin). Also blätterten die anderen da ab und zu drin (wirkte so, als wenn sie das zum x-ten Mal taten) und kommentierten einiges. So entspannen sich Debatten über Sexismus, Reduzierung auf Körperlichkeit usw. (z.B. als einer mich fragte, ob ich mehr auf Blondinen, Brünette ... stehe und ich antwortete: „Kommt auch noch eine interessante Frage?“ ... „Warum?“ ... „Ja, das waren alles Haarfarben – Menschen sind irgendwie mehr als Haarfarbe“ usw.).
Auf dem Hof suchte ich Kontakt zu Menschen, die abgeschoben werden sollten – auch wegen dem antirassistischen Aktionstag am 14.9. in Gießen, der zu diesem Knast führen soll. Es waren zur Zeit vier Gefangene da, die abgeschoben werden sollen. Sie verbüßen in Gießen ihre Haft und fliegen dann raus aus Deutschland seitens des demokratischen Regimes. Leider war direkte Kommunikation wegen Sprachproblemen nicht möglich (es war nur einer der vier auf meinem Hofgang dabei – es dürfen nie alle zur gleichen Zeit auf den Hof). Ich redete mit Deutschen, die zwar ein paar Infos gaben, aber gleich ein paar rassistische Sprüche hinterherhängten („es gibt genug Arme in Deutschland“ usw.). Das gab dann gleich Debatten, aber eher oberflächlich bei diesen Kurzkontakten.
Ein Zellenkollege war im Knast, weil er vor einigen Jahren 2/3 seiner Strafe abgesessen hatten und dann das letzte Drittel erlassen bekam mit der Auflage, sich in die Türkei abschieben zu lassen. Als er Jahre später nach Deutschland zurückkam, mußte er nun noch die Reststrafe absitzen.
Viel mehr habe ich nicht zu berichten. Diesmal konnte ich nur wenig erfahren über Knast und das, was hinter den Mauern abgeht, wo auch viele Linke immer wieder Menschen hinwünschen (Nazis, Vergewaltiger usw.). Das alles zeugt von totaler Ahnungslosigkeit, wie Knast wirkt, sozial zerstört und zurichtet. Und von fehlender Herrschaftsanalyse. Wer mit Herrschaft Probleme löst, wie mehr Herrschaft schaffen. Und damit den Hauptgrund für die Probleme, die gelöst werden sollten. Knast ist dabei nur der krasseste Fall. Der Ruf nach einem Internationalen Gerichtshof (von gaaaaaaanz vielen politischen Gruppen erhoben) ist dem sehr nahe. Und der Ruf nach Ökosteuern, Schutzgebieten, Tobin Tax oder mehr Polizeikontrollen bei Nazis ist auch nicht weit weg – immer geht es um mehr Herrschaft, mehr Zwang, mehr Kontrolle, mehr Staat. Und damit mehr von der Scheiße!
Nach dem Ende meines Knastaufenthaltes fand in der Gießener Innenstadt eine kreative Aktion gegen Knäste statt (Bericht wird erstellt und kann erfragt werden).

*Anmerkungen:
Bei meinem letzten Bericht nach der U-Haft in Stammheim wurde ich kritisiert, einen solchen Bericht zu schreiben, sei arrogant, weil andere viel länger im Knast seien, und nicht über sich schreiben. Auch wenn klar ist, daß hinter solchen Bemerkungen dominanzorientierte linke Kreise stecken, die mich als Person und meine Herrschaftskritik auch an linken Strukturen scheiße finden, möchte ich diese Position auch politisch kritisieren. Berichte über Repression dienen der Offenlegung von Herrschaftsverhältnissen und nicht sind daher zunächst unabhängig von den jeweiligen Personen, die davon betroffen sind. Repression ist wie jeder Vorgang machtförmiger Gewaltanwendung Schuld der sie ausübenden Personen oder Institutionen! Das anzugreifen, ist immer richtig. Und zum Knast zu schweigen, weil andere noch drin sind, ist absurd. Es würde die fatale politische Bewertung des Systems Knast und seiner Rolle in der Gesellschaft nur festigen. Auch in den meisten linken Gruppen gibt es keine oder extrem gruselige Vorstellungen von Knast und dessen Notwendigkeit als Strafinstanz.
Die Endung „-i“ bzw. in der Mehrzahl „-is“ ist der Versuch, eine geschlechtsneutrale Sprache zu finden, d.h. Sprache auch als Aktionsform zu nutzen. Ob gerade diese Form besonders schlau ist, mag ich nicht zu beurteilen. Mit Entsetzen habe ich jedoch die Reaktionen aus linken Gruppen (z.B. Infoladen Wien) zur Kenntnis genommen, die bereits den Versuch sprachlicher Geschlechterkonstruktion ins Lächerliche zogen. Und das offenbar in ihren Kreisen auch auf kumpelhaft-mackrige Zustimmung stieß.
Ich verzichte auf einige Details des Knastalltags, weil diese identisch sind mit den Abläufen im Knast Stammheim, den ich ja sehr genau zu beschreiben versuchte (siehe den Stuttgarter Bericht).


Bericht in Gießener AllgemeineAusschnitt aus der Gießener Allgemeinen, 9.12.2006 (S. 26) ++ vergrößern durch Klick!

Widerlich: Staatssekretär besucht Weihnachten 2006 den Gießener Knast und denkt nicht an die Gefangenen, in: Gießener Anzeiger, 27.12.2006 ++ Geradezu rührselig wird an die Bediensteten gedacht, er der Gefängnisleiter muss an die Gefangenen erinnern, die gerade an Feiertage wegen der dann niedrigen BewacherInnenzahl durchgehend weggesperrt werden und hinter auch nicht zu ihren Brieftauben gehen können ... Auszug:
Im Justizvollzug werde rund um die Uhr gearbeitet, und man wolle allen Mitarbeitern im hessischen Vollzug für ihren besonderen Einsatz danken, so der Staatssekretär. "Fünf Bedienstete, davon einer im offenen und vier im geschlossenen Vollzug, haben an Heiligabend Dienst in der JVA", berichtete der neue Anstaltsleiter Martin Lesser. "Wir haben es natürlich so geregelt, dass die Mitarbeiter, die eine Familie mit kleineren Kindern zu Hause haben, heute nicht arbeiten müssen". Dennoch sei es für die Leute nicht einfach, gerade für die Schicht bis 20 Uhr und auch für die nachfolgende, die bis zum frühen Morgen dauere, im Gefängnis bleiben zu müssen. Insgesamt arbeiten in der JVA Gießen 72 Bedienstete, die für 130 Gefangene verantwortlich sind. "Für die Gefangenen ist diese Zeit auch schwer", so der stellvertretende Vollzugsdienstleiter Norbert Walden im Hinblick auf den größeren Gesprächsbedarf der Insassen vor den Feiertagen. "Man muss als Gefängnisbediensteter auch immer ein kleiner Psychologe sein und mit den Gefangenen reden können", sagte Walden, der seit 27 Jahren in der JVA arbeitet. Allerdings müsse man auch selbst abschalten können und dürfe nicht alle Probleme mit nach Hause nehmen. "Nach der Arbeit gehe ich immer erst eine Stunde lang zu meinen Brieftauben - dann geht´s wieder gut".


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