Aktionsraum Gießen

GEWALT: NOTWENDIG ODER FETISCH?

Gewalt - Ja oder nein?


1. Fetisch Militanz
2. Jammern auf hohem Niveau: Militante Macker jammern über militante Fascho-Macker
3. Zur Bedeutung von Militanz als Protestform
4. G8-Militanz: Identitäre Mackerei - am Beispiel
5. Gewalt - Ja oder nein?
6. Links

Satz aus dem Song „Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt“ (Danger Dan)
Wenn du friedlich gegen die Gewalt nicht ankommen kannst, ist das letzte Mittel, das uns allen bleibt, Militanz.

Aus einer Rede von Hambacherforst-Besetzis am 30.9.2018 auf dem Waldspaziergang dort
In vielen Solidaritätsbekundungen und freundlich gesinnten Presseartikeln ist vom „gewaltfreien Protest“ im Hambacher Forst die Rede. Wie gesagtm ich störe nur ungern – aber das ist ein Bisschen Unsinn. Was stimmt ist: Die Gewaltexzesse der Polizei standen nie in irgendeinem Verhältnis zur teilweise militanten Gegenwehr, die es im Wald immer wieder gab.
Der Punkt ist: Wenn die Besetzungen von Anfang an konsequent friedlich gewesen wären, dann hätten sie die ersten drei Jahre nicht überlebt. Ihr habt gesehen, wozu die Polizei und die RWE-Sicherheitsdienste fähig sind – und das war von Anfang an so.
Die Besetzungen im Hambacher Forst hatten bewusst nie einen gewaltfreien Aktionskonsens. Die letzten Wochen haben hoffentlich allen hier den Grund dafür verdeutlicht:
Wir leben ja auch nicht in einem gewaltfreien Staat. ...
Diesen Staat, der mit solch einer Gewalt an seinem rasanten Kurs auf den Abgrund festhält, werden wir nicht allein mit untertänigen Appellen zum Umdenken kriegen.
Dieser Staat erlaubt relativ viele Demonstrationen einzig deshalb, weil sie ihn nicht allzu sehr stören. Aber dieser Staat wird nur dann seinen Kurs wechseln, wenn wir ihn mit Entschlossenheit, langem Atem, und allen sinnvollen Mitteln dazu zwingen.


Momente, die es ohne Gewalt gegen Menschen nicht gegeben hätte
Acht Beispiele für Gewalt gegen Menschen, die Geschichte schrieben (größer durch Klicken):
Alle Bilder als Ausstellungstafeln (PDF).

Auslöser einer intensiven Debatte war ein Beitrag von Günther Anders, in dem er militante Aktionen befürwortete (dokumentiert im Buch von Günter Anders, 1987: "Gewalt - Ja oder nein", Knaur München)

Aus dem Interview mit Günther Anders, erstveröffentlicht in "natur" (Interviewer: Manfred Bissinger)
A.: Also, ich will erst einmal - und das mag Sie vielleicht erschrecken oder auch nicht - gestehen: Obwohl ich sehr häufig als Pazifist angesehen werde, bin ich inzwischen zu der Überzeugung gekommen, daß mit Gewaltlosigkeit nicht mehr zu erreichen ist. Verzicht auf Tun reicht nicht als Tun.
B.: Ist das eine neue Überzeugung?
A.: Es ist seit Tschernobyl deutlicher geworden ... Wir sind - das kann wohl nemand bestreiten - wirklich in einem Zustand, der juristisch als "Notstand" bezeichnet werden kann. Nein, muß. Millionen von Menschen, alles Leben auf der Erde, das heißt also auch das künftige Leben, sind tödlich bedroht ...
Von allen Gesetzbüchern, selbst vom kanonischen Recht, ist Gewalt im Zustand des Notstandes nicht nur erlaubt, sondern empfohlen. Zum Beispiel Strafgesetzbuch Paragraph 53, 1 bis 3. Das muß man den Mitmenschen klarmachen. Es ist nicht möglich, durch liebevolle Methoden, wie das Überreichen von Vergißmeinnichtsträußen, die von Polizisten gar icht in Empfang genommen werden können, weil sie ja Schlagstöcke in der Hand halten, effizienten Widerstand zu leisten. Ebenso unzulänglich, nein: sinnlos, ist es, für den atomaren Frieden zu fasten. Das erzeugt nur im Fastenden selbst einen Effekt, nämlich Hunger; und vielleicht das gute Gewissen, etwas "getan" zu haben. ... Das sind alles wirklich nur "Happenings". Unsere heutigen, angeblich politischen Aktionen ähneln diesen Schein-Aktionen, die in den sechziger Jahren aufkamen, wirklich aufs erschreckendste. ... Die diese durchführten, glaubten zwar, die Grenze des Nur-Theoretischen überschrietten zu haben, aber sie bleiben doch "akores" nur im Sinne von "Schauspielern". Sie spielten nur Theater. Und zwar aus Angst vor dem Wirklichhandeln. ...
Gewalt wird so lange nicht nur erlaubt, sondern gilt als moralisch legitimiert, als sie von der anerkannten Macht gebraucht wird. ... Auf Befehl der Macht darf man nicht nur gewalttätig sein, man soll und muß es sogar. ...
Ziel darf Gewalt für uns niemals sein. Aber daß Gewalt - wenn mit ihrer Hilfe Gewaltlosigkeit durchgesetzt werden soll und nur mit ihrer Hilfe Gewaltlosigkeit durchgesetzt werden soll und nur mit ihrer Hilfe durchgesetzt werden kann - unsere Methoden sein muß, das ist wohl nicht abstreitbar.
... sobald hunderttausend zusammen sind, wird automatisch ein lustiges Volksfest daraus. Dann gibt es Würtschl, Tschernobyl mit Würschtl. Und dann kommen die Gitarren. ...


Zum Vergleich: Bericht "Gorleben umzingelt" in: Junge Welt, 30.4.2012 (S. 5)
Von einem Wagen steigen hundert weißer Luftballons mit einem schwarzen Punkt in die Luft. In den Wipfeln von zwei Kiefern zeigen Kletterer ihr Können und spannen unter dem Beifall der Umstehenden ein weiteres Transparent über die Straße. Unten drunter auf den Asphalt haben andere Aktivisten mit gelber Farbe "Diamonds are forever, Atommüll noch viel länger" gepinselt.
Nach der Kundgebung machen sich die Demonstranten auf zu einer "kulturellen Umzingelung" des Bergwerksgeländes. Auf einem Waldweg spielt das zehnköpfige "Wendland Hippie Ohrkestra" mit Geige, Gitarre, Contrabaß und Klarinette Tanzmusik. Ein paar hundert Meter weiter intoniert ein Chor widerständige Lieder zum Mitsingen. Auch Clowns und Feuerschlucker treten auf. Eine Volxküche bietet Suppe, Tee und belegte Brote gegen eine Spende an. Biobetriebe aus dem Wendland offerieren Bratwurst und Apfelsaft. Ein paar junge Leute verteilen kleine Zettel: Sie wollen die sechs Tore des Bergwerks blockieren, und dafür suchen sie noch Mitstreiter. Die Blockaden sollen das ganze Wochenende andauern.


Im Original: Texte von Günter Anders an anderen Orten
Aus "Reicht der gewaltlose Protest, in: Konkret 6/1987 (S. 89)
Gegen die bedrohlichen Monstra, die, während die Bäume absterben, in den Himmel wachsen, um die Erde morgen zur Hölle zu machen - gegen diese Monstra hilft kein "gewaltloser Widerstand", die können nicht fortgeschwatzt oder fortgebetet oder fortgefastet oder fortgestreichelt werden. Dies um so weniger, als ja diejenigen, die diese Monstra befürworten und installieren, die "Zimmermänner von heute" , in jedem Widerspruch unsererseits, auch im loyalsten, schon Widerstand sehen und in jedem Widerstand, auch im symbolischsten, Gewalttätigkeiten.
Nein, nun müssen wir damit beginnen, die bei uns installierten Monstra, die eine pausenlose, dinggewordene Angriffsdrohung gegen uns, gegen die Menschheit, also einen globalen Notstand darstellen, da sie ein Charos schaffen würden bzw. die Welt in ein Chaos zurückzustoßen drohen - nun müssen wir damit beginnen, diese Monstra in physischer Notwehr anzugreifen und systematisch unverwendbar zu machen. ...
Voll Schmerz, aber entschlossen erkläre ich daher: wir werden nicht davor zurückscheuen, diejenigen Menschen zu töten, die aus Beschränktheit der Phantasie oder aus Blödheit des Herzens vor der Gefährdung und Tötung der Menschheit nicht zurückscheuen.


Nach dem Interview kam es vielen öffentliche Reaktionen, die dann in einem Buch festgehalten wurden. Einige Auszüge:

Wer öffentlich zur Gewalt aufruft, soll selbst bereit sein, ins Feuer zu gehen. Das wird der von mir sehr ernstgenommene Günther Anders sicher nicht tun. Er trägt nun die Verantwortung dafür, daß sich jeder Terrorist auf ihn berufen kann.
Ich halte seinen Aufruf nicht nur für falsch, sondern für unverantwortlich. Ich werde mich weiter strikt an den Satz halten: "Wer das Schwert nimmt, wird durch das Schwert umkommen." Das gilt für alle Seiten des mörderischen Konfliktes, in dem wir stehen.
(Heinrich Albertz, S. 37)
Gewalt gegen Sachen wird zu "Terrorismus" erklärt, um den vielfältigen, diffusen Widerstand treffen und kriminalisieren zu können zur Durchsetzung des von der Bevölkerung abgelehnten Atomprogramms. Ganz anders, wenn es um die Interessen der Großindustrie geht. Dann bleibt Gewalt gegen Sachen im Werte von vielen hundert Millionen und sogar Gewalt gegen Menschen unverfolgt oder ein Kavaliersdelikt. Die, die gleich tonnenweise und vorsätzlich Gift in den Rhein und damit in unser Trinkwasser schütten sitzen mit dem Minister am Konferenztisch und feilschen darüber, daß sie in Zukunft doch bitteschön freiwillig auf solche Gewalt verzichten.
Für die Regierenden ist offensichtlich nicht Gewalt gleich Gewalt. Es kommt für sie darauf an, wer in welchem Interesse das staatliche Gewaltmonopol verletzt. Es wird Zeit, daß die da oben ihr Verhältnis zur Gewalt überprüfen. Ihre Beteuerungen der Abscheu vor Gewalt klingen so unglaubhaft.
(Hans-Christian Ströbele, S. 80f.)
Gewalt ist nicht Gewalt. Es kommt darauf an, wer wann wo für welche Gewalt ist. Es ist etwas anderes, ob einer, der keine Gewalt hat (außer der sprachlichen) für Gewalt ist, so wie der ehrenwerte Günther Anders, ob ob einer wie der Staat, der vor Gewalttaten strotzt, Gewalt abzulehnen vorgibt. (Joseph von Westfalen, S. 85)

Im Original: Weitere Texte im Buch
Charles Meunier ( Übersetzung durch Günther Anders am 28.9.1986, im Buch auf S. 89)
Keiner von denen - und ich sprech vor allem von Politikern, Generälen, Wissenschaftlern und Journalisten - keiner von denen, die die atomare Massenbedrohung oder den Massenmord vorbereiten, mit diesem drohen oder die Möglichkeit des Massenmordes durch sogenannte friedliche Atomanlagen mindestens in Kauf nehmen - keiner von denen darf mehr oder soll mehr seines Lebens sicher sein. Da sie uns pausenlos programmatisch und professionell in Angst versetzen, sollen nun endlich auch sie in Angst leben müssen. Die uns bedrohen, sollen von uns bedroht werden. Und nicht nur bedroht werden, sondern dadurch, daß wir unsere Drohungen hier und dort wahrmachen, eingeschüchtert, dadurch zu Einsicht gebracht und dadurch zur Umkehr veranlaßt werden. Damit am Ende niemand mehr bedroht sei, nicht wir und auch sie nicht. Ob uns das gelingt, ob wir durch unsere Gegenbedrohung die Gefährdung der Menschheit noch neutralisieren können, das weiß ich nicht. Aber daß wir das ohne unsere Gegendrohung nicht können, das weiß ich.

Aus dem imaginären Interview mit Günther Anders (von ihm selbst verfaßt) im gleichen Buch
... Das Recht auf Notwehr tödlich Bedrohter und in jeder Sekunde Angreifbarer ist natürlich natürlich! Selbst das Naturrecht ...
Die Absage an Gewaltlosigkeit nennen Sie "Notwehr"?
Schon wieder dieses "Nennen"! Sie ist Notwehr! Und da die Bedrohung total und die mögliche Vernichtung global ist, hat unser Notwehr total und global zu werden. Zum Verteidigungskrieg aller Bedrohten. Und das heißt: aller Menschen heute und morgen. (S. 91)
Wir Atomgegner kämpfen also, wie gesagt, einen Verteidigungskampf gegen so enorme Bedroher, wie es deren nie zuvor gegeben hatte. Also haben wir das Recht, Gegengewalt auszuüben, obwohl hinter dieser keine "amtliche" und "rechtmäßige" Macht, also kein Staat, steht. Aber Notstand legitimiert Notwehr, Moral bricht Legalität. Diese Regel zweihundert Jahre nach Kant eigens zu begründen, erübrigt sich ja wohl. (S. 93)
"Chaoten" nennen sie uns also deshalb, weil wir das Monopol ihrer auf Gewalt (d.h.: auf Droh- und Schlagfähigkeit) beruhenden Macht nicht anerkennen. Da sie die Macht, ihre Macht, als Ordnung ausgeben, gelten wir eo ipso als "Unordentliche" und als solche eben als "Chaoten", denen sie dann sogar die Haartracht, die für Dürer oder für Schiller noch selbstverständlich gewesenen langen Haare, als Beweis von Verwahrlosung, also von Kriminalität, also von Sowjethörigkeit ankreiden. (S. 94)
Happenings sind nicht genug!
(Befremdet:) Happenings! Dieser Vergleich überschreitet doch wohl ...
Nein. Gar nichts überschreitet er. Und ist auch nicht nur ein Vergleich. Gewaltlose Widerstandsaktionen ähneln nicht nur Happenings. Sie sind Happenings.
Und warum sind sie das?
Deshalb, weil Happinings verspielte Scheinakte sind und Als-Obs, die so tun, als seien sie mehr: nämlich wirkliche Aktionen oder mindestens Bastarde von Sein und Schein, von Ernst und Spiel. (S. 98)
... die Als-Ob-Täter prahlen ja noch mit ihrem Als-Ob. Sie geben ja ihre Harmlosigkeit pompös als "Humantität" oder als Ehrfurcht oder gar als "Geist der Bergpredigt" aus. Nichts schrecklicher übrigens, als wenn sich solche Bravheit und solcher "Mut zur Feigheit" auf Jesus zu berufen wagt. (S. 99)
Unsere Gewaltausübung darf immer nur als Verzweifelungsmittel, immer nur als Gegengewalt, immer nur als Provisorium eingesetzt werden. (S. 102)
Gewaltlosigkeit gegen Gewalt taugt nichts. Diejengen, die die Vernichtung von Millionen Heutiger und Morgiger, also unsere endgültige Vernichtung vorbereiten oder mindestens in Kauf nehmen, die müssen verschwinden, die darf es nicht mehr geben. (S. 104)
Auf Sie als Pazifisten kann man also nicht mehr rechnen.
Doch. Aber Frieden ist mir nicht Mittel, sondern Ziel. Und deshalb kein Mittel, weil Frieden das Ziel ist. (S.108)

Aus Zuschriften und Reaktionen auf die Texte von Günther Anders (dokumentiert im Buch)
Es ist in der Geschichte der Menschheit noch nie gelungen, den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben. Versuche enden stets im vielfach gesteigerten Chaos und schwerstem Unglück. (Leonore Eckert, Oberursel, S. 113)
Seit Auschwitz sollte eigentlich allen endgültig klar sein, daß die Gewaltlosigkeit der Machtlosen nicht in der Lage ist, die Mächtigen von der amoralischen Ausübung der Gewalt abzuhalten. (Hans-Werner Krauss, Frankfurt, S. 116)
Die Alternative zu den nun leider wenigen wirkungsvollen Demonstrationen ist nicht automtatisch Gewalt, sondern eine nur durch menschliche Phantasie begrenzte Palette von Widerstand.
(Thomas Lang, Sulzbach, S. 121)
... was prinzipiell eher bedeutet, daß ich einem Gegner, der mich mit einem Tötungsgegenstand bedroht, doch zunächst einmal die Waffe aus der Hand schlage, anstatt den Menschen gleich umzuhauen. (Felicia H.H. Molenkamp, Kassel, S. 122)
Die tägliche kliene Sabotageaktion, angefangen von Kaufboykott bestimmter Produkte, über zubetonierte Abwasserrohre, bis hin zum umgeknickten Stormmast - vielfach, phantasievoll und unkontrollliert eingesetzt, gibt uns eine noch lange nicht ausgeschöpfte Kraft. ... Angst machen den Mächtigen nicht einige Gewaltaktionen, sonden die zunehmenden Sympathien hierfür in wachsenden Bevölkerungskreisen.
(K. Lauer, Saarbrücken, S. 123)
Da sitzen wir nun am Tisch, wir Gewaltlosen, schlagen natur auf und beginnen zu blättern. Wir sind zwar für Widerstand, aber gewaltlos muß er sein. ... Gewalt ist moralisch verwerflich und wird schwer bestraft. Außerdem provoziert man damit die Poizei, die einen dann verprügelt. Gewaltos wollen wir werden und gewaltlos auch dorthin kommen.
Doch dann das Gespräch mit Günther Anders über Notstand und Notwehr. Es macht uns neugierig und wir lesen. Was steht da?! Was spricht er da aus? Aber er spricht es aus! Ganz schön mutig, dafür kann man ins Zuchthaus kommen, neuerdings! - Wir meinen, in uns bewege sich etwas, oberhalb des Magens, und ein Kloß im Hals läßt uns den Kopf anheben, um zu schlucken. Ein seltsames Kribbeln durchströmt den Körper, als strahle ein warmer Hoffnungsschimmer auf die verkrämpfte Backe, und wir stellen fest, daß wir kaum zuvor einen Text so verschlungen haben.
Doch - Nein! - Nein, wie sind doch gegen Gewalt, keine Gewalt gegen Menschen und auch nicht gegen Sachen!. Wie kann man nur so etwas schreiben?!
Wir legen den Text weg, stehen auf und sehen zum Fenster raus: Die Fichten auf dem Hügel sind durchsichtiger denn je. Die Autos vor der Ampel unten machen einen Höllenlärm ... auf einem LKW erkennen wir den Schutt des alten Fachwerkhauses aus der Nachbarstraße ... Eine Frau an der Ampel schlägt ein Kind, weil es nicht bei Fuß bleiben will ...
Auf jeden Fall sind wir gegen Gewalt. Wir müssen nur noch zahlreicher auf die Straße! - Nein, nicht für Politiker oder die Bevölkerung, die uns sowieso nicht hören, sondern um Eindruck zu schinden beim großen Gewalo, Schutzpatron der Gewwaltlosen, der hoffentilch bald zu uns kommt und zur Belohung die Atomkraft abschafft und die Raketen und vielleicht auch ein bißchen die Chemie-Industrie und ein paar Autos und ... und ... und ...
(Carl Christian Rheinländer, Kirn, S. 127f.)
Welches Verhängnis, wenn Menschen gutgläubig nachgeben, auf Gewalt verzichten, weil sie an die Gewaltlosigkeit glauben! Sie werden dann nur um so radikaler von der Gewalt überwunden!
(Steffen Sanermann, Mannheim, S. 130)

Günther Anders im gleichen Buch: "Die Atom-Resistance - neue ausgewählte Stücke zum Thema "Notstand und Notwehr"
Unsere (furchtbarerweise wohl unvermeidbare) Gefährdung von Menschen widerspricht ja nicht - auf diese Tatsache kann man die Mitwelt gar nicht oft und gar nicht eindringlich genug aufmerksam machen - den Prinzipien unserer Gegner. Umgekehrt sind diese ja, da sie glauben, Waffen herstellen zu müssen, grundsätzlich gewaltbereit. Gegen Gewalt als solche haben sie gar nichts. Allein etwas gegen jede Störung ihres Gewaltmonopols, gegen jede (gegen ihre Gewalt eingesetzte) Gegengewalt. (S. 143)

Peter Kafka im gleichen Buch: "In Sachen Gewalt"
Danke, Günther Anders! Wenn Du geschwiegen hättest, wärst Du womöglich Philosoph geblieben. Wir brauchen aber jetzt keine philosophischen Lehren, sondern gesellschaftliche Diskussion. Dein hoffnungslos abenteuerlicher Aufruf gegen die Hoffnung hat diese Diskussion neu entzündet und wird sie hoffentlich weiter anfachen. "Nur Schwärmer überschätzen die Macht der Vernunft", hast Du gesagt; "Gewaltlosigkeit gegen Gewalt taugt nichts". Welcher Vernünftige würde dem zu widersprechen wagen? Doch daß etwa die Gewalt etwas taute, folgt daraus nicht! Nur Schwärmer überschätzen deren Macht. (S. 167)
Warum also nicht auf in den Kampf? Ulrich Klug versucht, es zu erklären: "Wo aber bleibt der unerläßliche Beweis, daß hier und heute gewaltloses Handeln nicht mehr ausreicht, und Gewaltanwendung deshalb erforderlich wird? Ohne den Nachweis dieser akuten Erforderlichkeit gibt es keine Rechtfertigung, weder nach Notwehr- noch nach Notstandsgrundsätzen." Erkennen Sie die Falle? Es ist das alte Problem der Umkehrung der Beweislast. (S. 173)

D.H. Gollwitzer im gleichen Buch: "Dank für die Warnung"
Das Wort "Gewalt" selbst taugt für unsere Problematik so gut wie nichts. Im Englischen kann man deutlich unterscheiden zwischen force, power und violence, im Lateinischen zwischen potentia, potestas und vis. Im Deutschen dagegen: elterliche Gewalt, Staatsgewalt, Gewaltenteilung, Gewaltanwendung - alles ein Wort, bis zur "Vergeistigung" des Gewaltbegriffs durch die Interessen der Herrschenden im Bonner Strafrecht: Gewalt bei gewaltloser Sitzblockade! (S. 181)
... eine Beseitigung des Präsidenten Reagan oder eines Regierungschefs der NATO-Staaten würde an unserer Situation nicht das geringste positiv ändern; alle diese Charaktermasken sind mühelos austauschbar, ohne daß sich die Grundlinien der Politik dadurch ändern würden. (S. 183)
Anders sieht mit Überdruß, wie unsere Demonstrationen zu Händchen-Halten-Happenings verkommen und nur der Selbstbefriedigung dienen, weil noch so große Teilnehmerzahlen und noch so flammende Reden und überzeugende Argumentationen in den Zirkeln der Mächtigen nichts bewirken. Mag bei den gewaltübenden Gruppen im Umkreis unserer Protestbewegung noch so sehr persönlicher Frust und Rachebedürfnis eine Rolle spielen - es muß doch sachlich gefragt werden, ob ihre Aktionen - Steine, Molotowcocktails, Mastensprengungen, Attacken auf Polizisten usw. - vielleicht das Positive an sich haben, daß sie die Machtbesitzer hinsichtlich ihres bisherigen Kurses verunsichern, die Kosten-Nutzen-Rechnung dieses Kurses erschweren ... (S. 184)


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