Aktionsraum Gießen

ANTIREPRESSIONS-DEBATTE

Woher kommt der Hang zum Normalen?


1. Einleitung
2. Autoritärer Repressionsschutz
3. Erst verschweigen, dann kritisieren, dann ...?
4. Angriffe von links gegen kreative Antirepression
5. Streit um kreative Antirepression oder Schweigen in jedem Fall
6. Woher kommt der Hang zum Normalen?
7. Links zu verschiedenen Seiten zum Thema

Die Schwäche sozialer Bewegung ist kein Zufall, sondern die logische Folge der dominierenden Organisationskultur. Bei der Antirepressionsarbeit ist das besonders absurd, denn eigentlich steht der Kampf gegen staatliche und sonstige autoritäre Repression ja per se in einem oppositionellen Verhältnis zum Unterdrücker. Dennoch gibt es etliche Symmetrien in der Art des Handelns - und beide, staatliche Repression und Repressionsschutzgruppen, scheuen das Gleiche: Unberechenbarkeit und unabhängig-kreative Aktionen. Das ist kein Zufall, sondern Folge der Strategien und der Einbindung in gesellschaftliche Eliten. Soziale Bewegungen, d.h. auch Rechtshilfegruppen und bürgerlich-autoritätskritische Verbände sind Teil derer, die an den Steuerknüppeln der Gesellschaft sitzen und parlamentarisch, ökonomisch oder medial per Macht des Faktischen oder Diskurssteuerung agieren. Es gibt keine messbare soziale Bewegung in Mitteleuropa, deren Kraft sich aus dem Widerstand der Menschen speist. Es herrschen die Apparate - hüben wie drüben.
Schon die Organisierungsform von Verbänden und Zusammenschlüssen deutet das an: Hauptamtlichkeit und/oder Apparate, wohin das Auge blickt. Das allein hat Konsequenzen, denn Apparate ticken anders. Sie sind stets um das Wohl ihrer Organisation bemüht, denn davon hängen ihre Posten, ihr gesellschaftlicher Einfluss und oft schlicht ihr Job ab. Daher: Lieber auf Nummer sicher, lieber an der Seite der Mächtigen und Reichen, lieber rücksichtsvoll in Hinblick auf die Schicht der Wohlhabenden, die als willenlose SpenderInnen neben staatlichen Förderprogrammen die eigentliche Basis der Organisationen darstellen. Zwischen Menschen, die aus eigenem Antrieb, auf "eigene Rechnung" (im wörtlichen und im übertragenen Sinn) und mit eigenen Ideen handeln, und den Apparaten, die an das Wohl des Kollektivnamens (Verbandsimage, Mitgliederwerbeeffekte usw.) und dessen Kontostand denken, klaffen grundsätzliche Gräben. Kooperation wird kaum möglich sein, ohne sich zu verbiegen. Die FunktionärInnen werden Risiken scheuen, die anderen an der Langeweile der Apparate verzweifeln. Praktisch spielt das aber sei vielen Jahren keine Rolle mehr: Es gibt nur noch die Apparate in den prägenden Organisierungsvorgängen sozialer Bewegung. Aus ihrem Blickwinkel sind selbstorganisierte, unabhängige Gruppen und Aktionen immer eine Bedrohung, weil sie unberechenbar sind und die Pfründe gefährden. Den Apparaten von Kollektividentitäten, d.h. die an den guten Namen ihrer Organisation, an Einflussmöglichkeiten und Kontostände denken, wird deshalb daran gelegen sein, alle Nicht-Apparate zu verdrängen und am besten unschädlich zu machen. Ihre Abwehr gegenüber selbstorganisierten Initiativen hat gute Gründe: Angst um die eigenen Vorteile. Um die Sache geht es dabei nie, auch wenn inhaltliche Differenzen ab und zu vorgeschoben werden. Wer nicht um das Überleben seines Kollektiv und damit ja auch um die eigene Stellung fürchten muss, könnte ganz relaxt in eine inhaltliche Kontroverse gehen. Die Apparate aber haben Angst. Sie sind die Hüter des Normalen und sie haben die gleiche Organisationskultur. Apparate in sozialer Bewegung und die Apparate von Behörden, Firmen und Parteien passen einfach besser zusammen. Sie sind berechenbar, verbandsegoistisch, ängstlich und risikoscheu, schwerfällig, langweilig - einfach "norm"al.

In der Antirepressionsarbeit hat das in der Vergangenheit eine Vielzahl von Konsequenzen gehabt:
  • Eine Kontaktaufnahme zu den zentralen Apparaten (Vorständen, Geschäftsführungen usw.) war überall nicht möglich. Bürgerlich-humanistische Verbände vom Republikanischen Anwälteverein bis zur Humanistischen Union verkehren in Elitezirkeln, präsentieren auf ihren Tagungen fast nur reiche, titeltragende Persönlichkeiten. Von den "Straßenkötern" dieser Gesellschaft nehmen sie eine Anfrage nicht einmal wahr. Bilanz: Keine einzige Anfrage zu Kooperationen u.ä. wegen der Auseinandersetzungen mit Polizei und Justiz zu den Bundeszentralen wurde je beantwortet. Dabei half auch nicht, wenn Basismitglieder der Organisationen solche Anfragen verfassten. Es ist der kulturelle Beat: Elite redet nicht mit den Menschen außerhalb ihrer Sphären.
  • Das Gleiche gilt für Einzelpersönlichkeiten, die mit Rang und Namen in diesem Themengebiet agieren.
  • Zusätzlich wurde über alles, was mit kreativer Antirepression zusammenhing, eine Zensur gelegt. Es ist schon bemerkenswert, dass selbst ein Sieg vor dem Bundesverfassungsgericht in Zeitungen wie "Rote Hilfe", "Junge Welt" und die meisten weiteren linken Blätter komplett verschwiegen wird. Dabei hatte das BVerfG Justiz und Polizei bescheinigt, Grundrechte missachtet zu haben. Noch deutlicher war ein Urteil des OLG Frankfurt vom 18. Juni 2007 (20 W 221/06). Dort stand schlicht, dass Justiz und Polizei sich Methoden bedient haben, die aus dem Dritten Reich stammen. Titelschlagzeile in "Junge Welt"? Fehlanzeige ... nirgends war davon etwas zu lesen. Das lag nicht am Inhalt, sondern daran, dass diese juristischen Erfolge im kreativ-konfrontativen Stil erstritten wurden - vor dem BVerfG zudem ohne Anwalt. Hätten Anna und Arthur das Maul gehalten, würden in Gießen die Repressionsbehörden jetzt immer noch wüten und ihre KritikerInnen schon lange hinter Gittern sitzen. Das aber sollte nicht mitvermittelt werden.
  • Parteien und Organisationen im Raum Gießen gingen ohnehin auf Distanz. "Die Bürgerrechte eines Herrn Bergstedt interessieren mich nicht" sagte die damalige Grünen-Chefin und heutige Gießener Bürgermeisterin Gerda Weigel-Greilich. Die Linke strich die Projektwerkstatt von ihrer Mailingliste und der aus dem marxistischen Flügel stammende regionale SPD-Boss Torsten Schäfer-Gümbel solidarisierte sich öffentlich mit dem kritisierten Innenminister Bouffier, der die als Methoden aus dem Dritten Reich gebrandmarkten Abläufe initiiert hatte.
  • In mehreren Städten bzw. in linken Zentren wurde die Veranstaltung "Fiese Tricks von Polizei und Justiz" untersagt oder deren Stattfinden verhindern. Auch Training zum offensiven Umgang von Polizei und Justiz wurden lange bekämpft.

Freiheit nur für politische Gefangene?
Den üblichen Streit um die Frage, ob politische Opposition nur die Freiheit für eigene FreundInnen fordern sollte (was in Deutschland dann nur wenige betrifft, da politische Gefangene angesichts der Seichtheit von Widerstand hierzulande) oder das Ende staatlicher Repression einschließlich aller Knäste, gab es mal wieder rund um den 18. März 2012. Während auf den „offiziellen“ Seiten (z.B. www.18maerz.de) nur für 15 Gefangene in Deutschland die Freilassung gefordert wurde (also ca. 0,2 Promille aller Inhaftierten), forderten Anti-Knast-Gruppen rund um die Inhaftierung der Aktivistin Hanna Poddig offensiv das sofortige Ende von Knast und Strafe.


Rote-Hilfe-Liste der politischen Gefangenen in Deutschland, deren Freiheit Rote Hilfe & Co. ja in der Regel nur fordern (zum 18.3.2016 ... der Rest der 60-70000 Eingesperrten soll drinbleiben) - immer wieder wurden auch der Roten Hilfe bekannte politische Aktivist*innen nicht in die Liste aufgenommen, z.B. Hanna Poddig oder Jörg Bergstedt. Wer soll dann eigentlich noch freikommen? Nur stramm marxistische oder gar stalinistische Gefangene? Oder einfach nur "unsere Freunde" (aus Sicht der Roten Hilfe)? Das ist weder knastkritisch noch eine die behauptete strömungsübergreifende Solidaritätsarbeit!



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