AUTONOMIE UND KOOPERATION: WO EIGENNUTZ UND GEMEINNUTZ SICH GEGENSEITIG FÖRDERN!
Beziehungskisten: Auf die Art der Kooperation kommt es an
1. Eigennutz und Gemeinnutz
2. Autonomie und Kooperation
3. Beziehungskisten: Auf die Art der Kooperation kommt es an
4. Voraussetzungen für „Autonomie und Kooperation“
5. Der Weg zu Autonomie und Kooperation
6. Links und Lesestoff
Menschen können auf sehr unterschiedliche Weise zueinander stehen. Das hat erheblichen Einfluss darauf, ob das Kooperative oder das Konkurrierende gestärkt werden. Beides führt in selbst verstärkende Prozesse, den Kooperation und Selbstentfaltung steigern die Möglichkeiten, Konkurrenz und Horten von Handlungsmöglichkeiten als eigenes Privileg steigern ständig die Notwendigkeit von Kontrolle und Hegemonie.
Fangen wir mit der konkurrierenden Beziehung zu Menschen an. Da es nicht möglich ist, sich aus der Gesellschaft herauszunehmen, führt ein konkurrierendes Verhältnis zu einer andere und sich selbst einschränkenden Beziehungsform, nämlich der Instrumentalbeziehungen. Ich betrachte andere Menschen als Instrument (oder Konkurrenz) meiner Ziele, Interessen und Bedürfnisse, die ich in der Folge auf ihre Kosten durchsetze. Diese Form ist nicht nur für andere einschränkend, sondern auch für mich selbst beschränkend, weil die anderen Menschen in umgekehrter Weise genauso mich zum Instrument ihrer Interessenerreichung machen, wie ich umgekehrt sie. Es ist leicht vorstellbar, dass ich mein Bestreben, die anderen zu instrumentalisieren, nur durchsetzen kann, wenn ich stets etwas “besser” bin als diese. Doch da die anderen in der Abstiegsspirale der Zersetzung menschlicher Beziehungen ebenfalls reagieren, schlagen meine “Anstrengungen” wieder auf mich zurück, oder anders formuliert: Ich werde mir selbst zum Feind! Diese Handlungsweise darf jedoch keinesfalls zum individuellen Defekt erklärt werden, der einem selbst “nicht passieren könne”: Instrumentelle Beziehungen sind die in der kapitalistischen Gesellschaft nahegelegte Beziehungsform, da sie den Konkurrenzkampf innerhalb der ökonomischen Wertmaschine widerspiegelt. Der Kapitalismus kennt nur instrumentelle Beziehungen und die dazugehörigen Partialinteressen und kann auch nur solche hervorbringen. Der Kampf der einen Partialinteressen gegen die anderen wird dann “Demokratie” genannt.
Die Alternative von Beziehungen kann der Kapitalismus nicht hervorbringen: Er kennt weder allgemeine Interessen noch den Sinn allgemeiner, also nicht durch Preise, Leistungsanforderung und andere Schranken verwehrter Zugriffe auf Errungenschaften. Subjektbeziehungen, wie wir die Alternative nennen (Holzkamp 1985, 370), basieren auf verallgemeinerbaren Interessen. Verallgemeinerbare Interessen sind solche, die nicht auf Kosten anderer, sondern nur im Interesse aller erreicht werden können. Subjektbeziehungen müssen in der heutigen, kapitalistischen Welt aktiv gegen die nahegelegten Tendenzen zur Instrumentalisierung durchgesetzt werden - und das ist nicht einfach. Auch wohlmeinende Worte wie “Freiheit “ und “Emanzipation” schützen vor Instrumentalisierung nicht: “Die meisten von uns haben gelernt..., dass Emanzipation die Freiheit bedeute, den Anderen und die dingliche Welt auf deren Nützlichkeit für die Befriedigung der eigenen Interessen zu reduzieren” (Baumann 1992, 247)
Es gäbe kaum Hoffnung, wenn die Instrumentalisierung tatsächlich dem “natürlichen menschlichen Wesen” entspräche. Zur radikalen Veränderung der Gesellschaft, wie wir sie anstreben, gehört unbedingt eine Entfaltung der Subjektivität des Einzelnen, die die Entfaltung der Subjektivität der anderen notwendig mit einschließt. Subjektbeziehungen sind in allgemeinen Interessen gegründet: “Subjektbeziehungen sind Beziehungen zwischen Menschen, in denen das gemeinsame Ziel der Beteiligten prinzipiell mit allgemeinen gesellschaftlichen Zielen zusammenfällt” (Rudolph 1996, 45).
Allgemeine Ziele sind dabei weniger inhaltlich bestimmt, sondern dadurch, “dass sie sich nicht gegen die Interessen bestimmter Personen oder Gruppen richten können” (Holzkamp 1980, 210). Dabei muss sich der Einzelne keinem Ganzen unterordnen, sondern sein ganz individuelles Sein - wie das der anderen - schafft die Gesellschaft. Wenn er sich ganz für sich und seine Interessen einsetzt, setzt er genau damit das Stückchen Gesellschaftlichkeit in die Welt, das seiner Individualität entspricht. Die individuelle Subjektivität ist die
“Gewinnung der bewußten Bestimmung der eigenen Lebensumstände in gleichzeitiger Überschreitung der Individualität, da durch Zusammenschluß mit anderen unter den gleichen Zielen die Möglichkeiten der Einflußnahme auf die eigenen Lebensbedingungen sich potenzieren” (Rudolph 1996, 45).
Subjektbeziehungen und Instrumentalbeziehungen können wir dementsprechend wie folgt skizzieren (Rudolph 1996, 46):
Subjektbeziehungen
Instrumentalbeziehungen
Die konkrete Utopie intersubjektiver Beziehungen beschreibt Iris Rudolph so: “Ich möchte eine Welt, in der die Menschen sich nicht gegenseitig benötigen, in der sie einfach durch das, was sie tun und alles lassen, für sich tun und lassen, gleichzeitig auch das Beste für alle anderen tun” (Rudolph 1998, 78).
Es ist einsichtig, dass das Ziel der Erringung der “Epoche der Menschen” auf Grundlage intersubjektiver Beziehungen niemals auf dem Wege instrumenteller Ausnutzung erreicht werden kann. Kein noch so “positives Ziel” rechtfertigt die Durchsetzung individueller Interessen auf Kosten anderer. Ein Ziel, dass auf Kosten anderer erreicht oder angestrebt wird, ist kein allgemeines, sondern in Partialinteressen begründet, und die Durchsetzung von Partialinteressen ist immer mit Instrumentalbeziehungen verbunden. Die Übereinstimmung von Weg und Ziel ist damit keine moralische Forderung, sondern eine immanent logische! Verstoße ich dagegen, ist das kein Grund für ein schlechtes Gewissen oder moralische Verdammnis, sondern ein Anlaß, die Gründe für das Durchschlagen partieller Interessendurchsetzung auf Kosten anderer anzusprechen. Dabei ist der selbstschädigende Charakter solcher Handlungen offenzulegen. Dass hierbei Angstlosigkeit, Freiheit und Offenheit eine Voraussetzung für die Klärung von Konflikten bilden, ist deutlich. Es wird klar: Subjektbeziehungen kann man nicht erzwingen, sie sind dennoch unhintergehbar die Voraussetzung auf dem Weg in eine herrschaftsfreie Gesellschaft.
Grundsätzlich können wir kaum vorschreiben, wie diese neue Gesellschaft ihre Kooperation zu organisieren hat. Eins jedoch muss gewährleistet sein: Die Einzelnen müssen die Möglichkeit haben, wählen und neu schaffen zu können. Sie müssen aus dem jeweils Gegebenen auch “herausgehen” können. Dies ist die einfachste und grundlegendste Voraussetzung für Freiheit: “Nur das macht freie Kooperation aus: dass man sie aufkündigen oder einschränken kann, um Einfluß auf ihre Regeln zu nehmen.” (Spehr 1999, 236).
Wenn dies unserem grundlegenden Ziel entspricht, entsteht eine Übereinstimmung mit den Wegen, auf denen wir dahin gelangen können. Die Forderung, dass der Weg dem Ziel entsprechen müsse, ist hier also hochaktuell. Es ist jedoch nicht damit getan, die bisherigen Herrschaftsmittel fortzuräumen. Damit die geschaffenen Freiräume auch wirklich durch die Menschen im emanzipatorischen Sinne genutzt werden, müssen Erfahrungen von Subjektbeziehungen in den Freiräumen möglich sein. Die Möglichkeit intersubjektiver Beziehungen muss praktisch als real besser, angenehmer, herausfordernder und perspektivreicher erlebt werden als die alltäglichen Erfahrungen mit instrumentellen Beziehungen, die wir alle immer wieder machen. Dabei gilt, dass Subjektbeziehungen nicht aufgrund einer neuen “political correctness” den neuen moralischen Anpassungsmaßstab für individuelles Handeln bilden - das wäre absurd, ja geradezu kontraproduktiv: Subjektbeziehungen sind niemals vorstellbar als Resultat einer Anpassung an den “Gruppendruck” oder was auch immer. Subjektbeziehungen sind das Gegenteil der Übernahme des Nahegelegten, ob im Verhältnis zur gesellschaftlichen Wertmaschine oder zu einer Initiative, Gruppe etc. Jede Kritik, die im vorgeblichen Interesse der Gruppenharmonie unterbleibt, ist eine verlorene Chance - für die Gruppe und für mich.
Fähigkeiten und Bedürfnisse entwickeln sich permanent, das gilt auch für intersubjektive Beziehungen. Die praktischen Erfahrungen in der Kooperation mit anderen, bei der Aktion, beim Streik, bei der Blockade oder beim Flugblattschreiben bilden eine wichtige Grundlage. Widerstand ist deshalb auch Subjektwerdung wie sie z.B. Peter Weiss im Roman “Ästhetik des Widerstands” (1983) ausführlich beschrieb. Hier haben auch so begrenzte Formen wie Zukunftswerkstätten, das Konzept “New Work” (nur das tun, was ich “wirklich, wirklich” tun will) oder Tauschringe, die Fixierungen auf Lohnarbeit und Geld aufbrechen, ihren berechtigten Platz. Voraussetzung ist, dass sie nicht die Integration in den gegebenen Kapitalismus befördern, sondern Widersprüche hervorrufen, die zu weiteren Auseinandersetzungen beitragen. “Soziale Erfindungen” sind unverzichtbar, doch die Inhalte dürfen dahinter nicht zurückbleiben.
Kooperation beschränkt sich nicht auf die materielle Ebene. Ganz im Gegenteil werden in einer herrschaftsfreien Welt die immateriellen Dinge eine ganz herausragende Rolle spielen. Wissen wäre frei zugänglich. Da alle Menschen mangels Abschottung durch Eigentumsbildung an neuen Erkenntnissen, Erfindungen, Maschinen usw. teilhaben können, entsteht ein unmittelbares, durchaus eigennütziges Interesse daran, dass auch die anderen Menschen sich weiterentwickeln. Egoismus schafft und sichert Kooperation.
Um selbst Wissen für sich gewinnen zu können und weil mehr Wissen und Können der anderen Menschen dem eigenen Vorteil dient, wird Kraft dafür entstehen, den Wissensbildungsprozess zu organisieren und voranzubringen. Es bedarf keiner kontrollierten Metaebene, sondern die Menschen selbst sind aus eigenem Interesse am Austausch von Wissen interessiert. Sie werden dafür die Räume schaffen – vom Internet über Orte des freien Lernens (ersetzen die Schulen) bis zu „Erfindungsstudios“, d.h. experimentellen Räumen. Im Vordergrund ihres Drängens nach Wissen, neuen Fähigkeiten und neuen Möglichkeiten wird ihr eigenes Leben stehen, weil der Drang nach einem besseren Leben die entscheidende Motivation ist, wenn Zwang und Profit wegfallen. In der Folge werden Erfindungen, Maschinen und neues Wissen vor allem für das Leben der Menschen entstehen, während heute Technik, Wissen usw. vor allem dem Profit und der Sicherung von Herrschaft dient. Ein ungeheures Potential an Innovation wird in eine menschlich-emanzipatorische Richtung verändert.
Aus ganz egoistischen Motiven wird es für einen Menschen in der Regel keinen Sinn ergeben, Wissen und Können für sich zu behalten. Das würde zwar bedeuten, durch Androhung der Entziehung z.B. eines nur mit Spezialwissen zu handhabenden Geräts Verhalten von Menschen zu steuern, aber die Nachteile einer solchen Strategie überwiegen deutlich. So wäre eine Maschine durch unsachgemäße Bedienung häufiger kaputt, andere Menschen können sie nicht mit weiterentwickeln und die Vorteile durch den Gebrauch kämen seltener vor. Ähnliches gilt für andere Bereiche. So wird der Alltag fast überall durchzogen sein von Lernen. Dieses Lernen geschieht vor allem für das Leben und den Alltag, dort sind folglich auch die passenden Orte des Lernens. Jedes Haus, jede Werkstatt, jeder Experimentierraum und vieles mehr werden zu "Laboren", in denen Wissen ausgetauscht wird. Einen Zwang zu hoher kurzfristiger Produktivität wird nur in Ausnahmefällen vorhanden sein. Es gibt keine Dienstvorschriften, die Menschen auf ihre Arbeitskraft reduzieren und diese ausbeuten. Dadurch entsteht die Freiheit, sich die Zeit zu nehmen, Informationen auszutauschen und sich ständig gegenseitig weiterzubilden.
Kooperation ist ein weitreichender Begriff. Auch Streit gehört dazu, denn positiv gedeutet ist Streit ebenfalls ein Vorgang, der die Weiterentwicklung von Menschen, Ideen und Wissen nach sich zieht. Das ist allerdings nur dort der Fall, wo Streit nicht zum Ziel hat, der einen oder anderen vorhandenen Position zum Sieg zu verhelfen, wie es bei Streit mit Entscheidungsvorgang (Abstimmungen, Wahlen ...) regelmäßig der Fall ist. Dort geht es nicht um Erkenntnisgewinn und Weiterentwicklung, sondern um das Durchsetzen gegen andere. Daher verhalten sich die Beteiligten meist taktisch, verschweigen Schwächen ihrer Position und Stärken der anderen. Eigene Unsicherheiten werden überspielt, populistische Verkürzungen sollen Stimmen fangen. Eine solche Auseinandersetzung nach Sieg-Niederlage-Orientierung, die bei Entscheidungsgängen immer dominiert, ist Kooperation ohne Autonomie. Daran ändert sich auch nichts, wenn die Entscheidungsmodalitäten z.B. durch basisdemokratische Regeln oder Konsens tatsächlich oder scheinbar etwas gleichberechtigter organisiert werden. Der Wille zum Sieg verbleibt und prägt das Kommunikationsverhalten.
Die Menschen agieren zwar zusammen und erzeugen auch ein gemeinsames Ergebnis, aber sie verlieren ihre Autonomie, d.h. sie können nicht individuell entscheiden, was sie aus einer Debatte an neuen Erkenntnisse für sich herausnehmen, was sie umsetzen, wo sie eigene Akzente setzen wollen o.ä. Das geht besser: Ein Zusammenspiel von Autonomie und Kooperation entsteht im Streit dann, wenn die Diskussionsform des Streites selbst gleichberechtigt organisiert wird (Zugang zu allen Fakten offen gestalten, gleiche Relevanz aller Beiträge, kommunikativer Prozess) und die Autonomie der Einzelnen gesichert ist, d.h. keine kollektive Entscheidung fällt. Hierarchische Strukturen, privilegierte Gremien oder entscheidungsbefugte Plena, Versammlungen u.ä. haben in einem System von Autonomie und Kooperation nichts mehr verloren. Streit ist erwünscht. Er ist eine besondere Form der Auseinandersetzung, des Informationsaustauschs und im günstigen Fall der Weiterentwicklung von Theorie und Praxis. Er tritt auf, wenn unterschiedliche Interessen oder Meinungen aufeinandertreffen, weil sie sich gegenseitig behindern, blockieren oder berühren. Er kann aber auch offensiv, d.h. ohne konkreten Anlass organisiert werden als Streit-Treffpunkt, weil Streit ohne Herrschaft eben als kommunikatives und voranbringendes Mittel begriffen wird. Niemals jedoch wird er mit Entscheidung verbunden. Die Streitenden sind immer frei darin, was sie aus dem Streit ableiten, ob sie weiter kooperieren oder wieder getrennte Wege gehen wollen, ob sie Konfliktkurs beibehalten oder z.B. Unterschiedlichkeit strategisch so geschickt organisieren wollen, dass sich alle Formen entfalten können.
Fangen wir mit der konkurrierenden Beziehung zu Menschen an. Da es nicht möglich ist, sich aus der Gesellschaft herauszunehmen, führt ein konkurrierendes Verhältnis zu einer andere und sich selbst einschränkenden Beziehungsform, nämlich der Instrumentalbeziehungen. Ich betrachte andere Menschen als Instrument (oder Konkurrenz) meiner Ziele, Interessen und Bedürfnisse, die ich in der Folge auf ihre Kosten durchsetze. Diese Form ist nicht nur für andere einschränkend, sondern auch für mich selbst beschränkend, weil die anderen Menschen in umgekehrter Weise genauso mich zum Instrument ihrer Interessenerreichung machen, wie ich umgekehrt sie. Es ist leicht vorstellbar, dass ich mein Bestreben, die anderen zu instrumentalisieren, nur durchsetzen kann, wenn ich stets etwas “besser” bin als diese. Doch da die anderen in der Abstiegsspirale der Zersetzung menschlicher Beziehungen ebenfalls reagieren, schlagen meine “Anstrengungen” wieder auf mich zurück, oder anders formuliert: Ich werde mir selbst zum Feind! Diese Handlungsweise darf jedoch keinesfalls zum individuellen Defekt erklärt werden, der einem selbst “nicht passieren könne”: Instrumentelle Beziehungen sind die in der kapitalistischen Gesellschaft nahegelegte Beziehungsform, da sie den Konkurrenzkampf innerhalb der ökonomischen Wertmaschine widerspiegelt. Der Kapitalismus kennt nur instrumentelle Beziehungen und die dazugehörigen Partialinteressen und kann auch nur solche hervorbringen. Der Kampf der einen Partialinteressen gegen die anderen wird dann “Demokratie” genannt.
Die Alternative von Beziehungen kann der Kapitalismus nicht hervorbringen: Er kennt weder allgemeine Interessen noch den Sinn allgemeiner, also nicht durch Preise, Leistungsanforderung und andere Schranken verwehrter Zugriffe auf Errungenschaften. Subjektbeziehungen, wie wir die Alternative nennen (Holzkamp 1985, 370), basieren auf verallgemeinerbaren Interessen. Verallgemeinerbare Interessen sind solche, die nicht auf Kosten anderer, sondern nur im Interesse aller erreicht werden können. Subjektbeziehungen müssen in der heutigen, kapitalistischen Welt aktiv gegen die nahegelegten Tendenzen zur Instrumentalisierung durchgesetzt werden - und das ist nicht einfach. Auch wohlmeinende Worte wie “Freiheit “ und “Emanzipation” schützen vor Instrumentalisierung nicht: “Die meisten von uns haben gelernt..., dass Emanzipation die Freiheit bedeute, den Anderen und die dingliche Welt auf deren Nützlichkeit für die Befriedigung der eigenen Interessen zu reduzieren” (Baumann 1992, 247)
Es gäbe kaum Hoffnung, wenn die Instrumentalisierung tatsächlich dem “natürlichen menschlichen Wesen” entspräche. Zur radikalen Veränderung der Gesellschaft, wie wir sie anstreben, gehört unbedingt eine Entfaltung der Subjektivität des Einzelnen, die die Entfaltung der Subjektivität der anderen notwendig mit einschließt. Subjektbeziehungen sind in allgemeinen Interessen gegründet: “Subjektbeziehungen sind Beziehungen zwischen Menschen, in denen das gemeinsame Ziel der Beteiligten prinzipiell mit allgemeinen gesellschaftlichen Zielen zusammenfällt” (Rudolph 1996, 45).
Allgemeine Ziele sind dabei weniger inhaltlich bestimmt, sondern dadurch, “dass sie sich nicht gegen die Interessen bestimmter Personen oder Gruppen richten können” (Holzkamp 1980, 210). Dabei muss sich der Einzelne keinem Ganzen unterordnen, sondern sein ganz individuelles Sein - wie das der anderen - schafft die Gesellschaft. Wenn er sich ganz für sich und seine Interessen einsetzt, setzt er genau damit das Stückchen Gesellschaftlichkeit in die Welt, das seiner Individualität entspricht. Die individuelle Subjektivität ist die
“Gewinnung der bewußten Bestimmung der eigenen Lebensumstände in gleichzeitiger Überschreitung der Individualität, da durch Zusammenschluß mit anderen unter den gleichen Zielen die Möglichkeiten der Einflußnahme auf die eigenen Lebensbedingungen sich potenzieren” (Rudolph 1996, 45).
Subjektbeziehungen und Instrumentalbeziehungen können wir dementsprechend wie folgt skizzieren (Rudolph 1996, 46):
Subjektbeziehungen
- Die gemeinsamen Ziele der Einzelnen fallen mit allgemeinen gesellschaftlichen Zielen zusammen.
- Es handelt sich um Beziehungen ohne Unterdrückung.
- Das Interesse an der Subjektentwicklung des anderen Beteiligten ist das Interesse eines jeden.
- Daraus entsteht eine begründbare Grundlage für wechselseitiges Vertrauen.
- Angstlosigkeit, Freiheit, Offenheit und Eindeutigkeit in der gegenseitigen Zuwendung.
Instrumentalbeziehungen
- Ein Zusammenschluß von Gleichgesinnten findet statt unter dem Gesichtspunkt der Durchsetzbarkeit gleicher individueller Ziele gegenüber nicht Gleichgesinnten (oder gesellschaftlicher Partialinteressen gegeneinander).
- Sie werden hergestellt und zusammengehalten über die Vorteile, die die Beziehung dem Einzelnen oder allen Beteiligten gegenüber anderen bringt.
- Sie werden reguliert durch Zwang, Abhängigkeit, Druck, Unterdrückung.
Die konkrete Utopie intersubjektiver Beziehungen beschreibt Iris Rudolph so: “Ich möchte eine Welt, in der die Menschen sich nicht gegenseitig benötigen, in der sie einfach durch das, was sie tun und alles lassen, für sich tun und lassen, gleichzeitig auch das Beste für alle anderen tun” (Rudolph 1998, 78).
Es ist einsichtig, dass das Ziel der Erringung der “Epoche der Menschen” auf Grundlage intersubjektiver Beziehungen niemals auf dem Wege instrumenteller Ausnutzung erreicht werden kann. Kein noch so “positives Ziel” rechtfertigt die Durchsetzung individueller Interessen auf Kosten anderer. Ein Ziel, dass auf Kosten anderer erreicht oder angestrebt wird, ist kein allgemeines, sondern in Partialinteressen begründet, und die Durchsetzung von Partialinteressen ist immer mit Instrumentalbeziehungen verbunden. Die Übereinstimmung von Weg und Ziel ist damit keine moralische Forderung, sondern eine immanent logische! Verstoße ich dagegen, ist das kein Grund für ein schlechtes Gewissen oder moralische Verdammnis, sondern ein Anlaß, die Gründe für das Durchschlagen partieller Interessendurchsetzung auf Kosten anderer anzusprechen. Dabei ist der selbstschädigende Charakter solcher Handlungen offenzulegen. Dass hierbei Angstlosigkeit, Freiheit und Offenheit eine Voraussetzung für die Klärung von Konflikten bilden, ist deutlich. Es wird klar: Subjektbeziehungen kann man nicht erzwingen, sie sind dennoch unhintergehbar die Voraussetzung auf dem Weg in eine herrschaftsfreie Gesellschaft.
Grundsätzlich können wir kaum vorschreiben, wie diese neue Gesellschaft ihre Kooperation zu organisieren hat. Eins jedoch muss gewährleistet sein: Die Einzelnen müssen die Möglichkeit haben, wählen und neu schaffen zu können. Sie müssen aus dem jeweils Gegebenen auch “herausgehen” können. Dies ist die einfachste und grundlegendste Voraussetzung für Freiheit: “Nur das macht freie Kooperation aus: dass man sie aufkündigen oder einschränken kann, um Einfluß auf ihre Regeln zu nehmen.” (Spehr 1999, 236).
Wenn dies unserem grundlegenden Ziel entspricht, entsteht eine Übereinstimmung mit den Wegen, auf denen wir dahin gelangen können. Die Forderung, dass der Weg dem Ziel entsprechen müsse, ist hier also hochaktuell. Es ist jedoch nicht damit getan, die bisherigen Herrschaftsmittel fortzuräumen. Damit die geschaffenen Freiräume auch wirklich durch die Menschen im emanzipatorischen Sinne genutzt werden, müssen Erfahrungen von Subjektbeziehungen in den Freiräumen möglich sein. Die Möglichkeit intersubjektiver Beziehungen muss praktisch als real besser, angenehmer, herausfordernder und perspektivreicher erlebt werden als die alltäglichen Erfahrungen mit instrumentellen Beziehungen, die wir alle immer wieder machen. Dabei gilt, dass Subjektbeziehungen nicht aufgrund einer neuen “political correctness” den neuen moralischen Anpassungsmaßstab für individuelles Handeln bilden - das wäre absurd, ja geradezu kontraproduktiv: Subjektbeziehungen sind niemals vorstellbar als Resultat einer Anpassung an den “Gruppendruck” oder was auch immer. Subjektbeziehungen sind das Gegenteil der Übernahme des Nahegelegten, ob im Verhältnis zur gesellschaftlichen Wertmaschine oder zu einer Initiative, Gruppe etc. Jede Kritik, die im vorgeblichen Interesse der Gruppenharmonie unterbleibt, ist eine verlorene Chance - für die Gruppe und für mich.
Fähigkeiten und Bedürfnisse entwickeln sich permanent, das gilt auch für intersubjektive Beziehungen. Die praktischen Erfahrungen in der Kooperation mit anderen, bei der Aktion, beim Streik, bei der Blockade oder beim Flugblattschreiben bilden eine wichtige Grundlage. Widerstand ist deshalb auch Subjektwerdung wie sie z.B. Peter Weiss im Roman “Ästhetik des Widerstands” (1983) ausführlich beschrieb. Hier haben auch so begrenzte Formen wie Zukunftswerkstätten, das Konzept “New Work” (nur das tun, was ich “wirklich, wirklich” tun will) oder Tauschringe, die Fixierungen auf Lohnarbeit und Geld aufbrechen, ihren berechtigten Platz. Voraussetzung ist, dass sie nicht die Integration in den gegebenen Kapitalismus befördern, sondern Widersprüche hervorrufen, die zu weiteren Auseinandersetzungen beitragen. “Soziale Erfindungen” sind unverzichtbar, doch die Inhalte dürfen dahinter nicht zurückbleiben.
Im Original: Kooperation und Dezentralität
Aus dem "Potsdamer Manifest 2005 (Infoseite und als PDF)
Die modernen Gesellschaften befinden sich in einem kalten Krieg gegen Vielfalt und Wandel, Differenz und Integration, gegen offene Entfaltung und die Ausgleichsbewegungen durch Risiken und Chancen hindurch: also gegen alles, was die lebendige Evolution in der Natur und mit ihr die Menschen bestimmt, bis hinein in den ‚prä-lebendigen’ Grund, der uns und alles Leben trägt. Die vielen Möglichkeiten einer lebendigen Welt werden ignoriert, die in kreativen Prozessen einer fortwährenden Differenzierung und gleichzeitigen oder nachfolgenden kooperativen Integration des Unterschiedlichen (einem Plus-Summen-Spiel) zu organismisch vielfältigeren Lebensformen aufwachsen, wo das Ganze, in einem sehr umfassenden und differenzierten Sinne, mehr ist als die Summe seiner Teile.
Stetiger Wandel ist ein Charakteristikum kultureller Evolution und ebenso ein Kriterium für kulturelle Zukunftsfähigkeit. Wenn dieser fehlt, ist ein Erstarren eines Kulturmodells bis zum Zusammenbruch vorbestimmt. Ist die Wandlungsfähigkeit, die Fähigkeit zum kulturell evolutiven Prozess, über die kulturinternen Strukturen fest an ökonomische Systeme gebunden und sind diese hauptsächlich an materielle Ausgangsvoraussetzungen geknüpft, dann kann eine kulturelle Weiterentwicklung nur in den Grenzen der materiellen Welt stattfinden. Werden diese Grenzen erreicht, führt dies zum kulturell-evolutiven Stillstand und letztlich zu einem Ausstieg aus der dynamischen Evolution des Lebens. ...
Es ist dringend notwendig, eine integrative Kooperation der vielfältigen wirtschaftlichen Austauschstrategien zwischen Menschen, Gemeinschaften und ihrer natürlichen Mitwelt, sowie der Verteilungsmuster in Produktion, Verwertung und Versorgung zu ermöglichen, um die Verfügbarkeit von Lebensgütern sowie der strukturellen und institutionellen Vorbedingungen sozialökonomischen Austausches zu gewährleisten. Der Entwicklung neuer dezentraler und polyzentrischer Produktions-, Verteilungs- und Entscheidungsstrukturen kommt besondere Relevanz, ja, Priorität zu.
Lernen, Planen, Streiten als Kooperation
Kooperation findet immer dann statt, wenn Menschen zusammen eine Sache herstellen, entwickeln, voranbringen oder einen Prozess organisieren. Emanzipatorisch ist sie in Verbindung mit Autonomie, d.h. die Menschen selbst bleiben die Entscheidenden und sind nicht einer Zwangsstruktur unterworfen.Kooperation beschränkt sich nicht auf die materielle Ebene. Ganz im Gegenteil werden in einer herrschaftsfreien Welt die immateriellen Dinge eine ganz herausragende Rolle spielen. Wissen wäre frei zugänglich. Da alle Menschen mangels Abschottung durch Eigentumsbildung an neuen Erkenntnissen, Erfindungen, Maschinen usw. teilhaben können, entsteht ein unmittelbares, durchaus eigennütziges Interesse daran, dass auch die anderen Menschen sich weiterentwickeln. Egoismus schafft und sichert Kooperation.
Um selbst Wissen für sich gewinnen zu können und weil mehr Wissen und Können der anderen Menschen dem eigenen Vorteil dient, wird Kraft dafür entstehen, den Wissensbildungsprozess zu organisieren und voranzubringen. Es bedarf keiner kontrollierten Metaebene, sondern die Menschen selbst sind aus eigenem Interesse am Austausch von Wissen interessiert. Sie werden dafür die Räume schaffen – vom Internet über Orte des freien Lernens (ersetzen die Schulen) bis zu „Erfindungsstudios“, d.h. experimentellen Räumen. Im Vordergrund ihres Drängens nach Wissen, neuen Fähigkeiten und neuen Möglichkeiten wird ihr eigenes Leben stehen, weil der Drang nach einem besseren Leben die entscheidende Motivation ist, wenn Zwang und Profit wegfallen. In der Folge werden Erfindungen, Maschinen und neues Wissen vor allem für das Leben der Menschen entstehen, während heute Technik, Wissen usw. vor allem dem Profit und der Sicherung von Herrschaft dient. Ein ungeheures Potential an Innovation wird in eine menschlich-emanzipatorische Richtung verändert.
Aus ganz egoistischen Motiven wird es für einen Menschen in der Regel keinen Sinn ergeben, Wissen und Können für sich zu behalten. Das würde zwar bedeuten, durch Androhung der Entziehung z.B. eines nur mit Spezialwissen zu handhabenden Geräts Verhalten von Menschen zu steuern, aber die Nachteile einer solchen Strategie überwiegen deutlich. So wäre eine Maschine durch unsachgemäße Bedienung häufiger kaputt, andere Menschen können sie nicht mit weiterentwickeln und die Vorteile durch den Gebrauch kämen seltener vor. Ähnliches gilt für andere Bereiche. So wird der Alltag fast überall durchzogen sein von Lernen. Dieses Lernen geschieht vor allem für das Leben und den Alltag, dort sind folglich auch die passenden Orte des Lernens. Jedes Haus, jede Werkstatt, jeder Experimentierraum und vieles mehr werden zu "Laboren", in denen Wissen ausgetauscht wird. Einen Zwang zu hoher kurzfristiger Produktivität wird nur in Ausnahmefällen vorhanden sein. Es gibt keine Dienstvorschriften, die Menschen auf ihre Arbeitskraft reduzieren und diese ausbeuten. Dadurch entsteht die Freiheit, sich die Zeit zu nehmen, Informationen auszutauschen und sich ständig gegenseitig weiterzubilden.
Kooperation ist ein weitreichender Begriff. Auch Streit gehört dazu, denn positiv gedeutet ist Streit ebenfalls ein Vorgang, der die Weiterentwicklung von Menschen, Ideen und Wissen nach sich zieht. Das ist allerdings nur dort der Fall, wo Streit nicht zum Ziel hat, der einen oder anderen vorhandenen Position zum Sieg zu verhelfen, wie es bei Streit mit Entscheidungsvorgang (Abstimmungen, Wahlen ...) regelmäßig der Fall ist. Dort geht es nicht um Erkenntnisgewinn und Weiterentwicklung, sondern um das Durchsetzen gegen andere. Daher verhalten sich die Beteiligten meist taktisch, verschweigen Schwächen ihrer Position und Stärken der anderen. Eigene Unsicherheiten werden überspielt, populistische Verkürzungen sollen Stimmen fangen. Eine solche Auseinandersetzung nach Sieg-Niederlage-Orientierung, die bei Entscheidungsgängen immer dominiert, ist Kooperation ohne Autonomie. Daran ändert sich auch nichts, wenn die Entscheidungsmodalitäten z.B. durch basisdemokratische Regeln oder Konsens tatsächlich oder scheinbar etwas gleichberechtigter organisiert werden. Der Wille zum Sieg verbleibt und prägt das Kommunikationsverhalten.
Die Menschen agieren zwar zusammen und erzeugen auch ein gemeinsames Ergebnis, aber sie verlieren ihre Autonomie, d.h. sie können nicht individuell entscheiden, was sie aus einer Debatte an neuen Erkenntnisse für sich herausnehmen, was sie umsetzen, wo sie eigene Akzente setzen wollen o.ä. Das geht besser: Ein Zusammenspiel von Autonomie und Kooperation entsteht im Streit dann, wenn die Diskussionsform des Streites selbst gleichberechtigt organisiert wird (Zugang zu allen Fakten offen gestalten, gleiche Relevanz aller Beiträge, kommunikativer Prozess) und die Autonomie der Einzelnen gesichert ist, d.h. keine kollektive Entscheidung fällt. Hierarchische Strukturen, privilegierte Gremien oder entscheidungsbefugte Plena, Versammlungen u.ä. haben in einem System von Autonomie und Kooperation nichts mehr verloren. Streit ist erwünscht. Er ist eine besondere Form der Auseinandersetzung, des Informationsaustauschs und im günstigen Fall der Weiterentwicklung von Theorie und Praxis. Er tritt auf, wenn unterschiedliche Interessen oder Meinungen aufeinandertreffen, weil sie sich gegenseitig behindern, blockieren oder berühren. Er kann aber auch offensiv, d.h. ohne konkreten Anlass organisiert werden als Streit-Treffpunkt, weil Streit ohne Herrschaft eben als kommunikatives und voranbringendes Mittel begriffen wird. Niemals jedoch wird er mit Entscheidung verbunden. Die Streitenden sind immer frei darin, was sie aus dem Streit ableiten, ob sie weiter kooperieren oder wieder getrennte Wege gehen wollen, ob sie Konfliktkurs beibehalten oder z.B. Unterschiedlichkeit strategisch so geschickt organisieren wollen, dass sich alle Formen entfalten können.