Aktionsraum Gießen

VON DER THEORIE ZUR PRAXIS - WEGE ZUR HERRSCHAFTSFREIHEIT

Gab es schon mal herrschaftsfreie Gesellschaften?


1. Einleitende Gedanken
2. Gab es schon mal herrschaftsfreie Gesellschaften?
3. Links

Erstens: Die Frage ist eigentlich nicht wichtig
Selbst wenn es in der Vergangenheit noch keine herrschaftsfreie Gesellschaft gegeben hat (was mensch nicht wissen kann - siehe Punkt 2), hat das für die Zukunft nichts zu sagen. Es hat vor der Raumfahrt auch keine Raumfahrt gegeben, vor der Sprache keine Sprache, vor dem Menschen keinen Menschen und vor Aldi kein Aldi - um mal beliebige Beispiele aus einer endlosen Liste möglicher Beispiele zu benennen. Evolution ist (auch und gerade) die Evolution der Evolutionsbedingungen. Mensch denke nur an die heute mögliche schnelle Verarbeitung von Daten und deren weltweite Streuung fast in Echtzeit. Dass große Teile der Menschheit daran nicht teilhaben kann, ist kein Naturgesetz, sondern Folge der durch Herrschafts- und Kapitalverhältnisse herbeigeführten Ausbeutung und Unterdrückung. Grundsätzlich ginge es aber. Das sind Bedingungen, die es nie vorher gab. Ob das relevant wäre, käme auf den Versuch an. Von daher: Es ist egal, ob es Herrschaftsfreiheit schon mal gab oder nicht. Alles ist irgendwann das erste Mal mögilch.

Zweitens: Auf den ersten Blick erscheint eine Antwort nicht möglich
Geschichtsschreibung ist Herrschaftsausübung, denn was wie berichtet wird aus der Vergangenheit, unterliegt interessengeleiteter Auswahl. Angesichts der grundsätzlichen Subjektivität aller Menschen ist das auch unvermeidbar. Der günstigste, also herrschaftsärmste Fall tritt ein, wenn alle Menschen die gleichen Möglichkeiten hätten, ihre Geschichte(n) festzuhalten und an zukünftige Generationen weiterzugeben. Haben sie aber nicht. Die heute in westlichen Industrienationen weitergegebene Geschichte ist eine eurozentristische Sicht. Geschichte ist die Geschichte europäischer Kriege, Erfindungen, Dynastien usw. Woanders fängt die Geschichte erst an, als die Europäer*innen das Land überfallen und neben vielen Menschen auch deren Erinnerungen weitgehend auslöschen. Es kann sein, dass es schon mal herrschaftsfreie Gesellschaften gegeben hat. Die eurozentrierte Geschichtsschreibung hätte sich dafür aber nicht interessiert, während die Kolonialarmeen sie niedergemetzelt hätte.
Das geht auch heute noch so. Die Räterepublik auf deutschem Boden in der Endphase des zweiten Weltkrieges ist kein Gegenstand schulischen Geschichtsunterrichts. Und der relativ herrschaftsarme demokratische Konföderalismus in Rojava wird von NATO-Truppen zerlegt.

Drittens: Genauer betrachtet lautet die Antwort "Nein"
Herrschaftsfrei ist ein sehr weiter Begriff. Während institutionelle und ökonomische Herrschaft recht schnell lokalisierbarist, wenn auch wegen ihrer erheblichen Macht fast unbesiegbar scheint, sind andere Beherrschungsformen unauffälliger. Es ist unwahrscheinlich, dass Teile der Menschheit es schon irgendwo geschafft haben, diese vollständig zu überwinden. Wie oft das schon versucht wurde und wie weit die jeweiligen menschlichen Zusammenrottungen dabei kamen ... siehe zweitens.

Viertens: Es reicht aber das Wissen, dass es herrschaftsfreier geht - und besser!
Für eine Praxis des Lebens und des politischen Kampfes sind obige Fragen zwei interessant, aber nicht entscheidend. Denn es reicht, wenn es klare Hinweise darauf gibt, dass schon weniger Herrschaft besseres Leben ermöglicht. Und die gibt es zuhauf. Um gesellschaftlichen Wandel zu wollen, reicht das Wissen, dass das Neue besser ist als das Bestehende. Es muss nicht perfekt sein.

Nachschlag: Alle bekannten Versuche wurden militärisch beendet
Wäre die Geschichte der Menschheit nicht so blutrünstig, wüssten wir vielleicht schon, wie sich Gesellschaften entwickeln, die nach Herrschaftsfreiheit streben. Doch dummerweise wurden sie alle militärisch vernichtet - von den hierarchisch organisierten Mächten in ihrer Umgebung. Ob Machnowiki, die Münchener Räterepublik, die Pariser Commune, Rojava oder die spanischen Republiken - sie alle wären vielleicht auch an sich selbst gescheitert, eventuell aber auch an ihren Fehlern gewachsen. Untergegangen sind sie im Bombenhagel der Diktaturen und Demokratie rundherum.

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