Wahlquark

NACHHALTIGKEIT WIRTSCHAFTEN: PROFIT AUF DAUER

Was ist Nachhaltigkeit?


1. Einleitung
2. Was ist Nachhaltigkeit?
3. Nachhaltige Wirtschaft & Konzerne
4. Kritik der Nachhaltigkeitsdebatte
5. Links und Materialien

Hirnstupser - politische Analyse und Nachdenktexte
Hirnstupser am 27.4.2020: Nachhaltigkeit – der verheerende Rückschritt des Umweltgedankens in den 90er Jahren
Ursprünglich war mal klar: Ökologie hat Vorrang vor der Ökonomie. Nicht einmal konservative Parteien hätten in der Umweltdebatte der 70er und 80er Jahre gewagt, Profit und Wachstum als gleichwertig mit dem Schutz der Umwelt und dem Erhalt der Lebensgrundlagen darzustellen. Zwar sah das praktische Handeln in den Spitzen von Parteien, Verwaltungen, Regierungen und Konzernen anders aus, aber das ist heute ja auch so. Das Soziale wurde zwar von Umweltorganisationen fast immer vergessen, aber der Wirtschaft einen eigenständigen und hohen Wert einzuräumen, der dem Schutz der Umwelt und den Bedürfnissen der Menschen ebenbürtig ist – das war erst die Schnapsidee der Nachhaltigkeitsdebatte. Diese wurde in den 90er Jahren mit erheblichem propagandistischen und finanziellen Aufwand aufgezogen. Der Begriff ist allerdings viel älter – und entlarvend. Denn in der Forstwirtschaft, aus der er stammt, beschrieb er rein wirtschaftliche Ziele. Es sollte nicht mehr Holz eingeschlagen als angepflanzt werden. Ziel war, auf Dauer den Wald ausbeuten zu können. Das durften auch gern Fichten- oder Kiefermonokulturen sein, reine Holzäcker eben. Es ist kein Zufall, dass der Nachhaltigkeitsbegriff andere Umweltschutzkonzepte genau in den 90er Jahren verdrängte. Das war nämlich die Hochphase des Neoliberalismus. In allen Politikfeldern wurde privatisiert, auf marktwirtschaftliche Methoden umgerüstet – warum dann nicht auch beim Umweltschutz?
Ausgangspunkt war nach dem Brundtlandreport, der den Begriff erstmals in die globalen Umweltdebatten einspeiste, die Weltumweltkonferenz in Rio. Obwohl sich deren Abschlusspapier „Agenda 21“ wie ein neoliberales Kampfpapier liest (siehe Auszüge hier) und viele nach dem Abschluss 1992 von einem Fehlschlag sprachen, setzte sich Mitte der 90er Jahre die veränderte Betrachtungsweise durch. Zwar hatte sich an den neoliberalen Abschlussdokumenten von Rio nichts geändert, aber – gefüttert von staatlichen Fördergeldern – machten immer mehr Organisationen aus dem Fehlschlag wahlweise einen Aufbruch, ein globales Hoffnungszeichen oder gar einen Mythos. Immer häufiger wurde der „Geist von Rio“ beschworen, alle zehn Jahre finden seitdem Nachfolgekonferenzen statt, die in der Tat ihrem Vorbild gleichen: Es kommt nichts Sinnvolles heraus. Die Nachhaltigkeit ist trotzdem zur zentralen Denkfigur der Umweltdebatte geworden. Der Siegeszug dokumentiert eine geldgetriebene Verflachung umweltpolitischer Positionen bis hin zu korrumpierter Gleichgültigkeit gegenüber Inhalten bei der Jagd nach Spenden und Förderungen. Ab Mitte der 90er Jahre hatte das Nachhaltigkeitskonzept die vorherigen Umweltschutzpositionen verdrängt und war zur federführenden Denkkultur geworden. Damit war Umweltschutz kompatibel mit Profit- und Machtideen. Als Nebenprodukt entstanden massenweise Kooperationen und Fundraising von bisher gemiedenen Konzernen und Umweltschutzverbänden, veränderten die Grünen ihr Wirtschaftsprogramm in eine vermeintlich von ökologischen Innovationen angetriebene Wachstumsideologie, explodierte die Zahl vermeintlich grüner Unternehmen, die mit ihren unter Ökolabeln stehenden Produkten Gewinne zu erzielen versuchten. Über die Ökosteuer wandelten sich Umweltschutzpolitiken bis hin zur modernen Klimaschutzstrategie, innerhalb derer bislang unverkäufliche Umweltgüter wie die Luft auf die mörderischen Werkbänke von Börsen und internationalen Handelsplätzen geworfen wurden. Wenn wir heute über die Folgen stöhnen, so sollten wir immer deutlich im Auge behalten: Die Umweltverbände selbst, nebst Grünen und der damaligen PDS, waren bei der Klimakonferenz 2001 in Bonn, als es um die konkreten Methoden des Klimaschutzes ging, und anderen Anlässen stets verlässlich auf der Seite der Konzerne und ideologische Befürworter*innen marktförmiger, wachstumstreibender Strategien, also einer schlicht kapitalistischer Ideologie. Wer das vergisst und heute im Zuge der Klimadebatte solchen Parteien oder Umwelt-NGOs wieder blauäugig applaudiert, sollte sich schon mal mental darauf vorbereiten, wieder verraten zu werden.

Frei gesprochen in der Bibliothek der Projektwerkstatt - als Beitrag auf Youtube und als Podcast:




Der international gebräuchliche ist englischsprachig und lautet "sustainable development". Die Übersetzung ins Deutsche mit Nachhaltigkeit ist breeig. Wörtlich übersetzt hieße es: Aushaltbare, dauerhafte Entwicklung. Das klingt nach dem, was es auch iste: Ein "Weiter so". Im Unterschied zum Raubbaukapitalismus ist also nur neu, dass die Vernutzung von Mensch und Umwelt so geschehen soll, dass sie auch auf Dauer gute Gewinne abwirft. Herrschaft, Ausbeutung und Unterdrückung sollen also fortan nicht mehr maximal, sondern optimal gestaltet sein. Optimal aber nicht für Mensch und Umwelt, sondern für deren (Aus-)Nutzung.

Aus: Hartwig Berger, "Die Welt ist keine Ware" in Stachelige Argumente, 5/1999 (S. 9)
Die Debatte um Nachhaltigkeit ist aus einer leicht begreiflichen Erkenntnis entstanden, die Bauern, Förster und Fischer im einfachen Satz zusammenfassen würden: Es darf nicht mehr geerntet werden als nachwächst. Etwas anspruchsvoller formuliert, können wir auch sagen: Ökologische Teilsysteme wie Gewässer, Landschaften oder Wälder und Gesamtsysteme wie die Meeresströmungen oder das Weltklima dürfen nicht so belastet werden, dass dadurch ihre Funktionen und ihre Funktionsfähigkeit geschwächt oder nachteilig verändert werden. Nachhaltig ist demnach ein Handeln, welches das Funktionieren der Natur als Ressourcenquelle, als Aufnahmemedium für Emissionen und als Lebensgrundlage für die Menschen nicht einschränkt.

Definition auf www.nachhaltigkeit.info, Auszüge:
Im 18. Jahrhundert wurde der Begriff der Nachhaltigkeit geprägt. Dort, wo es offensichtlich war, nämlich in der Forstwirtschaft. Schlage nur soviel Holz ein, wie der Wald verkraften kann! Soviel Holz, wie nachwachsen kann!
So, wie es vielen Wäldern im Mittelmeerraum ging, so kann es der industrialisierten Welt ergehen. Das jedenfalls war - auf einen kurzen Nenner gebracht - der Inhalt der Studie "Grenzen des Wachstums", die heute als eine der Ur-Studien zur Nachhaltigen Entwicklung gilt. Die Studie wurde von einem Team damals junger Wissenschaftlern im Auftrag der deutschen Volkswagen-Stiftung am MIT (Massachusetts Institute of Technologie in den U.S.A.) geschrieben. Dieser erste Bericht an den Club of Rome sagte einen katastrophalen Niedergang des Lebensstandards und der Weltbevölkerung voraus. Gründe dafür waren der ungebremste Raubbau am Kapital des Planeten und die Steigerung der Weltbevölkerung.
Das war letztlich die „Geburtsstunde“ der nachhaltigen Entwicklung, auch wenn sie diesen Namen erst später mit dem Brundtland-Report erhielt und hier noch als „dauerhafter Gleichgewichtszustand“ bezeichnet wird.



Interessant ist, dass die Idee der Nachhaltigkeit schon von der Definition her eher einen Rückschritt beschreibt bzw. selbst einleitet. Denn Soziales, Ökologie und Ökonomie gleichberechtigt zu behandeln, ist weniger als die Position davor. Da war noch klar, dass die Ökologie einen Vorrang gegenüber der Ökonomie haben muss. Die Wirtschaft muss zudem den Menschen dienen (und nicht gleichberechtigt daneben stehen).

Aus der Zeitung "Umwelt" Nr. 7-8/2013 des CDU-geführten Bundesumweltministeriums (S. 94)
Ein ökologisches Wohlfahrtsmodell fordert ein Primat der ökologischen Grenzen gegenüber Wachstumszielen.

Aus den Offenbacher Beschlüssen der F.D.P. Hessen am 21.4.1974
Umweltschädigung ist kriminell, Umweltschutz hat Vorrang vor hemmungslosem Wirtschaftswachstum.

Das Nachhaltigkeitsgefasel unter anderem der Umweltverbände bleibt dahinter zurück.

An dieser Stelle ist aber wichtiger, dass das Konzept der Nachhaltigkeit mit keiner der genannten Logiken kapitalistischen Wirtschaftens bricht. Das Eigentum bleibt unangetastet, der Staat steht als potente Durchsetzungsstruktur jederzeit bereit - und auch das ewige Streben nach maximalem Profit wird nicht in Frage gestellt. Einzig die zeitliche Spreizung der Profiterzielung wird verändert. Nicht mehr möglichst schnell, sondern möglichst viel auf lange Zeit ist nun das Ziel. Das verändert einige Details der Nutzung von Mensch und Umwelt. Sie darf nicht so erfolgen, dass nach kurzer Maximalprofitzeit kein weiterer Profit zu erzielen ist, weil die Quellen des Profits zerstört wurden. Die grundsätzlichen Faktoren Eigentum, gewaltförmige Durchsetzung der Eigentumsrechte und Reichtumsunterschiede sowie hoher Druck zu ständiger Profitmaximierung bleiben bestehen. Um das an einem drastischen Vergleich zu verdeutlichen:

Polemik:
Wäre die Idee der Nachhaltigkeit schon zu Zeiten des Dritten Reiches populär gewesen, so hätte es (neben den unverändert mörderischen) Konzentrationslager gegeben, in denen die dortigen Menschen ein bisschen mehr zu essen und ein Stoffstück zum Zudecken erhalten hätten, damit sie länger ausbeutbar bleiben und nicht so schnell sterben.

Nachhaltigkeit ...
... kommt aus der Wirtschaft
Laut übereinstimmenden Fachartikeln und Definitionen wurde der Begriff erstmals in der Forstwirtschaft genutzt - und zwar in rein wirtschaftlicher Bedeutung. Um eine Holzknappheit zu vermeiden, die Militär, Fabriken und Haushalte betreffen würde, sollte stets nachgepflanzt werden, wenn Bäume gerodet werden.

Aus Wikipedia zu Nachhaltigkeit
Eine erstmalige Verwendung der Bezeichnung Nachhaltigkeit in deutscher Sprache im Sinne eines langfristig angelegten verantwortungsbewussten Umgangs mit einer Ressource ist bei Hans Carl von Carlowitz 1713 in seinem Werk Silvicultura oeconomica nachgewiesen. Carlowitz fragte, „wie eine sothane [solche] Conservation und Anbau des Holzes anzustellen / daß es eine continuirliche beständige und nachhaltende Nutzung gebe / weiln es eine unentbehrliche Sache ist / ohne welche das Land in seinem Esse nicht bleiben mag“.Das Substantiv Nachhaltigkeit wurde spätestens 1832 von dem deutschen Forstmann Emil André im Titel seines in Prag erschienenen Buches Einfachste den höchsten Ertrag und die Nachhaltigkeit ganz sicher stellende Forstwirthschafts-Methode verwendet.

Die ganze Geschichte findet sich sehr genau aufgeführt in der Broschüre "Aus dem Wald in die Welt" zur "Geschichte der Nachhaltigkeit". Dort wird einige Seiten beschrieben, wie der Wald für gewerbliche und militärische Nutzung zerstört wurde. Jagd und Luxusprodukte taten ein Übriges. Zitat (S. 17): "Gesteigerter Holzverbrauch für Eisenindustrie und Glaserzeugung und exzessive Jagd belasten die Wälder schwer."
Eine Seite weiter dann die Rettung: "Der Begriff Nachhaltigkeit ist mit der Person des sächsischen Oberberghauptmanns Hans Carl von Carlowitz verbunden ... Er fordert die "nachhaltende Nutzung", die planerisch vorgeht, sparsam nutzt, für Baumnachwuchs sorgt und so die Basis einer erfolgreichen Volkswirtschaft ist." Es ist also ein Konzept aus wirtschaftlichen Überlegungen. Tatsächlich erfolgt der Nachbau nämlich durch Aufforstung mit Monokulturen, zunächst mit Kiefern, später mit Fichten. Zitat auf S. 30: "Ähnlich wie weltweit in der beginnenden Plantagenwirtschaft wird auch in der Forstwirtschaft versucht, Effizienzeffekte zu erreichen - durch Konzentration auf eine Baumart und gleichartige Bewirtschaftung. So wird hohe Produktivität bei niedrigen Kosten erreicht."
Das also ist Nachhaltigkeit: hohe Produktivität bei niedrigen Kosten!

Erst über 100 Jahre später kommt mit dem Buch "Der gemischte Wald" von Karl Gayer die Debatte über naturnahe Waldwirtschaft in Gang. Die Nachhaltigkeitsdebatte hat das nicht bewirkt.

... gut für die Wirtschaft
Aus Wolff, Stefan: "Nachhaltigkeit muss nicht öko sein", in: FR, 27.12.2010 (S. 16)
Der weit gefasste Begriff hat den Vorteil, dass Anleger nachhaltige Investments tätigen können, ohne ihre wirtschaftlichen Interessen aus dem Auge zu verlieren.

Auch 2003 noch ... Aus Adelheid Biesecker, "Ökologische und fministische Innovationsanforderungen und -impulse" in: Frank Bsirske, "Perspektiven!", VSA-Verlag Hamburg 2004 (S. 123)
Gutes Leben wird über Nachhaltigkeit gestaltet. Es benötigt somit ökologische, soziale und ökonomische Nachhaltigkeit.

Aus Christoph Spehr, 1999: "Die Aliens sind unter uns", Siedler Verlag München (S. 18)
Der Gedanke ist ebenso einfach wie genial: Man gebe das Problem an die Menschen weiter. Die Erde ist gefährdet! Rettet sie! Nach den Spielregeln der Aliens, versteht sich. Mehr Technik und weniger Konsum; mehr Steuerung und weniger Freiräume; mehr Ärmelhochkrempeln und weniger Gemäkel; und alle müssen mittun. Werdet sparsamer, arbeitet mehr, verbraucht weniger - alles zum Wohle des Planeten.


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