Wahlquark

DISKURSIVE HERRSCHAFT: WIE SICH TRADITIONEN, NORMEN UND WAHRHEITEN EINBRENNEN

Aufklärung: Demaskieren als Ziel


1. Diskurs, Kategorien, Erwartungen, Standards: Die Herrschaft im Kopf
2. Diskurssteuerung
3. Beispiele für Diskurse und ihre Steuerung
4. Hirnstupser zum Thema
5. Rollen und Zurichtung
6. Aufklärung: Demaskieren als Ziel
7. Links und Lesestoff

Menschliche Gesellschaft ist immer durchzogen von Normen, vor allem verschiedenen Diskursen. Es ist nicht möglich, Diskurse dadurch zu verhindern, dass sie verboten oder für nicht bindend erklärt werden. Letzteres sind sie im formalen Sinn schon jetzt nicht. Aber Diskurse sind wirkungsstark. Zum einen drängt die Fülle an alltäglichen Informationen jeden Menschen zur Bildung vereinfachender Begriffe und verkürzter Zusammenhänge. Zum anderen gibt es kein Gerät, was Informationen, Bilder und Geschichten vom mitschwingenden Gehalt an Wertungen reinigt. Alles, was an Information einschließlich Deutung durch die Welt zieht, ist verbunden mit bestimmten Ideen oder Interessen.

Die einzige Chance ist die der ständigen Skepsis, also einer "permanenten Kritik", wie Foucault es bezeichnete. Die beeinflussenden Faktoren können nicht ausgeschaltet werden, aber ihnen kann ihr hegemonialer Charakter genommen werden. Informationen, Traditionen, Identitäten und metaphysische Moral, andere Menschen oder Gruppen dürfen das eigene Denken nicht erobern. Wer sich nicht vereinnahmen lassen will, muss sich nicht isolieren, sondern lernen, Fragen zu stellen, hinter die Kulissen zu schauen, mehrere Quellen anzuzapfen und sich aus der großen Fülle einer vielfältigen Gesellschaft mit ihrem Wissen, ihren Möglichkeiten und ihren unterschiedlichen Blickwinkeln nach eigener Lust und Überzeugung zu bedienen. Reine Aufklärung ist deshalb zu wenig.

Im Original: Aufklärung
Aus Kappler, Marc (2006): "Emanzipation durch Partizipation?", Marburg (S. 20)
Eine wegweisende Auseinandersetzung führte die Kritische Theorie mit der Aufklärung und folglich mit der bürgerlichen Gesellschaft und dem bürgerlichen Denken. Mit der bürgerlichen Emanzipationsbewegung und dem wissenschaftlich-technischen Fortschritt verschmelze die technische Rationalität mit der Rationalität der Herrschaft. Die ‚technologische Rationalität’ ist für Herbert Marcuse ein eindimensionales gesellschaftliches Organisationsprinzip, das kapitalistisches Profitinteresse und politische Herrschaft verbindet. Nach Horkheimer und Adorno involviert die Naturbeherrschung gleichfalls Menschenbeherrschung. Vernunft und Rationalität, aufklärerische Mittel, eingesetzt zum Zwecke der Emanzipation des Menschen, seien Mittel zur Beherrschung nicht nur der Natur, sondern auch des Menschen. In der bürgerlich-aufklärerischen Geschichte würde Mittel und Zweck vertauscht, was Horkheimer mit ‚instrumenteller Vernunft’ beschreibt. Ihrer Hauptthese nach ist Aufklärung dialektisch, da sie sich in blinde Herrschaft verstrickt habe. „Aufklärung schlägt in Mythologie zurück.“

Aus Kant, Immanuel (1784), "Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung", zitiert in: Massing, Peter/Breit, Gotthard (2002): „Demokratie-Theorien“, Wochenschau Verlag Schwalbach, Lizenzausgabe für die Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn (S. 129)
Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbsiverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung. ...
Faulheit und Feigheit sind die Ursachen, warum ein so großer Teil der Menschen, nachdem sie die Natur längst von fremder Leitung freigesprochen (naturaliter majorennes), dennoch gerne zeitlebens unmündig bleiben; und warum es anderen so leicht wird, sich zu deren Vormündern aufzuwerfen. Es ist so bequem, unmündig zu sein. ...
Zu dieser Aufklärung aber wird nichts erfordert als Freiheit; und zwar die unschädlichste
unter allem, was nur Freiheit heißen mag, nämlich die: von seiner Vernunft in allen Stücken öffentlichen Gebrauch zu machen. Nun höre ich aber von allen Seiten rufen: räsoniert nicht! Der Offizier sagt: räsoniert nicht, sondern exerziert! Der Finanzrat: räsoniert nicht, sondern bezahlt! Der Geistliche: räsoniert nicht, sondern glaubt! ... Hier ist überall Einschränkung der Freiheit. ... der öffentliche Gebrauch seiner Vernunft muß jederzeit frei sein, und der allein kann Aufklärung unter Menschen zustande bringen; ...


Zum nächsten Text im Kapitel über die Geschichte sozialer Organisierung: Vereinnahmung und Stellvertretung

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