Wahlquark

Ö-PUNKTE 4/2001 ("WINTER")

Die Entsorgung eines Pharma-Skandals
LIPOBAY: Kaum Nebenwirkungen für BAYER


1. Rubrik Chemie: Gefahr für Umwelt und Gesundheit
2. Bayer-Gifte in Guatemala
3. Die Entsorgung eines Pharma-Skandals LIPOBAY: Kaum Nebenwirkungen für BAYER
4. Krieg im Kongo: Schwarzbuch BAYER

War da was, irgendwann einmal in uralten Zeiten, im fernen Sommer 2001? Ach ja, der LIPOBAY-Skandal! Damals war die Aufregung groß. BAYER und das gesamte konzern-freundlichen Arzneiwesen standen in der Kritik. Inzwischen haben sich die Wogen geglättet. Der Leverkusener Chemie-Multi ist wieder zur Tagesordnung übergegangen.
Nach dem Anfang August verkündeten LIPOBAY-Verkaufsstopp infolge der 31 bis dahin bekannt gewordenen Todesfälle sahen sich der Leverkusener Chemie-Multi und bald auch das gesamte bundesdeutsche Arzneiwesen mit massiven Vorwürfen konfrontiert. MedizinerInnen prangerten die exorbitant hohen Verordnungszahlen des Medikamentes an (weltweit 6.000.000 PatientInnen) und rieten stattdessen dazu, den Cholesterin-Spiegel durch Sport und bewusste Ernährung zu regulieren. Der Vorsitzende des Bundestags-Gesundheitsausschusses, Klaus Kirschner, und der stellvertretende Leiter des Medizinischen Dienstes in Baden-Württemberg, Peter Schwoerer, legten in einem Zeit-Artikel dar, mit welch manipulativen Methoden von der Industrie bezahlte ForscherInnen die medizinischen Grundlagen für die Pillen-Schwemme in der Bundesrepublik legten: Die WissenschaftlerInnen orientierten sich bei der Bestimmung eines medikamentös behandlungsbedürftigen Cholesterin-Wertes nicht mehr länger an den Blutfett-Durchschnittszahlen und senkten die Schwelle für einen medikamentös behandlungsbedürftigen Cholesterin-Wert einfach ?marktgerecht? ab.
Den Rest erledigten die Pharma-Drückerkolonnen. Mit der Aussicht auf Reisen im Orient-Express verlockten sie ÄrztInnen zum Zücken des Rezept-Blocks. Die Höhe des bald darauf eintretenden Reise-Fiebers zeigte sich den Krankenkassen ebenso exakt an wie andere kostspielige Folgen der Vertriebsförderung von BAYER & Co.. Sie konnten nach Aussage des AOK-Vizepräsidenten Hoberg ?aufgrund der Verordnungen der Ärzte genau nachvollziehen, in welchen Gebieten die Werber der Pharma-Industrie unterwegs waren.? Um das Todes-Risiko für die so mit allen Mitteln künstlich erhöhte PatientInnen-Gruppe zu bestimmen, das bei ca. 1: 11.000 lag, reichten LIPOBAY-Tests mit nur 2.500 ProbandInnen natürlich nicht aus. Der Medizin-Statistiker Klaus Heilmann forderte aus diesem Grunde Medikamenten-Prüfungen mit mindestens 200.000 TeilnehmerInnen.
Capital enthüllte derweil, dass BAYER die empfohlene Dosis in den USA gegen den Rat der eigenen ForscherInnen auf 0.8 mg erhöhte, um die Wirksamkeit des Cholesterin-Senkers gegenüber Konkurrenz-Präparaten zu erhöhen. Als dieses Konglomerat von Risiko-Faktoren dann schließlich wirklich zum ?worst case? führte, übte sich BAYER in profit-schonender Schadensbegrenzung. Ein ?völlig inakzeptables Informationsverhalten? warf der Staatsekretär im Gesundheitsministerium, Klaus Theo Schröder, dem Pharma-Riesen daraufhin vor und das ?Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizin-Produkte? (BfArM) eröffnete deshalb ein Bußgeld-Verfahren gegen BAYER.
Nach und nach geriet das gesamte unternehmensfreundlich ausgerichtete Arzneiwesen auf den Prüfstand. Die BUKO PHARMA-KAMPAGNE monierte die viel zu laxen Zulassungsprüfungen für Medikamente. Der Bremer Pharmakologe Peter Schönhöfer schockte die Öffentlichkeit mit der Zahl von 210.000 Fällen schwerer Arzneimittel-Nebenwirkungen und forderte marktbegleitende Langzeit-Studien sowie ein Erfassungssystem für unerwünschte Pharma-Effekte. Die ?Arzneimittel-Kommission der deutschen Ärzteschaft? klagte darüber, nicht rechtzeitig vor den LIPOBAY-Folgen habe warnen können, weil sie eine Klage von BAYER befürchtete und sich erst mittels einer langwierigen juristischen Prüfung gegen mögliche Schadensersatz-Ansprüche wegen Geschäftsschädigung habe absichern müssen. Ein großer Handlungsbedarf bestand also nach Meinung der unterschiedlichsten Akteure im Gesundheitswesen.

1000 mal nix passiert
Ein halbes Jahr später ist nichts passiert. Der LIPOBAY-Skandal folgte der Dramaturgie unzähliger Skandale vor ihm: Große Aufregung im 1. Akt, die viel action verheißende Ankündigung umfassender Maßnahmen im 2. und anschließend ein langsames Abflauen des Spannungsbogens bis zum sang- und klanglos kommenden Ende des Stücks.
Der BAYER-Konzern hat als Souffleur das Happy End in eigener Sache natürlich kräftig vorangetrieben. Das Unternehmen schaltete in allen großen Tageszeitungen eine 1-seitige Anzeige mit einem Offenen Brief des Vorstandsvorsitzenden Manfred Schneider. Er schrieb, dass es ?derzeit keine Beweise gibt? für einen Zusammenhang zwischen der LIPOBAY-Einnahme und den Todesfällen und wies die anstehenden Klagen deshalb als unbegründet zurück. Die Schuld am Pharma-GAU lastete er bequem den MedizinerInnen und ihrer Verschreibungspraxis an. Und den AktionärInnen, die fürchteten, mit den 52 Toten auch ihre Gewinn-Erwartungen begraben zu müssen, besänftigte er mit den Worten: ?Wir werden auch 2001 im Umsatz trotz der Ausfälle zulegen?. PR-Profis sahen in dieser Flucht nach vorn ein gelungenes Krisen-Management. Der Sprecher der bundesdeutschen Werbewirtschaft, Volker Nickel, nannte die Anzeige ein probates Mittel, ?die eigene Position ungefiltert zu kommunizieren? und der am Kieler Institut für Betriebswirtschaft tätige Krisen-Forscher Frank Roselieb bescheinigte dem Konzern, den schwierigen Spagat geschafft zu haben, gleichzeitig die Medien, die Finanzmärkte und die KundInnen zu befriedigen.
Geleitschutz kam auch von Claqueuren wie dem NRW-Standort-Vater Wolfgang Clement. Bei einem Besuch in Leverkusen sicherte er Schneider zu: ?Die Landesregierung wird alles in ihrer Macht stehende tun, um BAYER in dieser schwierigen Situation zu stützen? und ermunterte den BAYER-Chef: ?Bleiben Sie auf Kurs!? - ungeachtet der vielen Pharma-Leichen, die diesen Weg pflasterten. Irgendwann machte auch das BfArM mit dem Fallenlassen der Klage einen unspektakulären Abgang. Schließlich reduzierte sich mit der Kontroverse um die computer-lesbare PatientInnen-Karte alles auf eine nur wenig ergiebige Nebenhandlung. Und sogar die endete im Nirvana. Auf eine Anfrage der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG), welche konkrete Konsequenzen auf politischer und organisatorischer Ebene das Bundesgesundheitsministerium aus dem LIPOBAY-GAU zu ziehen gedenkt, kam nur eine unverbindliche Antwort mit dem Schlusssatz: ?Die Stärkung der Arzneimittelsicherheit wird sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene weiter diskutiert und ausgearbeitet werden müssen.? (siehe Dokumentation) ?Wirklich Pech gehabt?, wie der Spiegel seine LIPOBAY-Geschichte überschrieben hatte - das wurde mehr und mehr zum Konsens.
Erst eine veritable Räuberpistole vermochte das Publikum dann noch einmal aus dem Theater-Schlaf aufzuwecken. Der Faz-Redakteur Udo Ulfkotte stellte die Verschwörungstheorie auf, US-amerikanische Pharma-Firmen hätten dem BAYER-Pech durch eine Intervention bei der Aufsichtsbehörde ?Food and Drug Administration? (FDA) nachgeholfen. Seiner Meinung nach ist der Leverkusener Chemie-Multi Opfer eines zwischen den USA und Europa ausgetragenen Handelskrieges geworden. Zum Hauptverdächtigen erkor er PFIZER. Seine Indizien-Beweise: Der VIAGRA-Hersteller hat die Konkurrenz durch die bald auf den Markt kommende Potenz-Pille von BAYER zu fürchten und konnte aufgrund des LIPOBAY-Rückzugs zudem die Umsätze seines Cholesterin-Senkers LIPITOR steigern. Ulfkotte traute den bösen nordamerikanischen Kapitalisten sogar einen Einbruch zu. ?Ist es Zufall, dass just auf dem Höhepunkt der BAYER-Krise trotz höchster Sicherheitsvorkehrungen der noch streng geheime VIAGRA-Konkurrent VARDENAFIL aus einem BAYER-Labor verschwunden ist??, spekulierte der Journalist und Hobby-Kriminalist munter drauflos.
Anders konnte er sich die Eilfertigkeit der FDA angesichts der 31 bis dahin bekannt gewordenen LIPOBAY-Toten nicht erklären, wo sie doch die 893 infolge einer VIAGRA-Einnahme registrierten Todesfälle nicht zum Einschreiten animierten. Damit verkennt er aber die Verfahrenswege der Arzneimittel-Aufsicht. Schwer wiegende Nebenwirkungen an sich stellen für sie - bedauerlicherweise - nämlich noch keinen hinreichenden Grund zum Handeln dar. Sie schreitet vielmehr erst ein, wenn bei einem Medikament auffällig mehr unerwünschte Pharma-Effekte auftreten als bei einem Präparat mit demselben Anwendungsgebiet. Und das war bei LIPOBAY im Vergleich zu anderen Cholesterin-Senkern der Fall. Eine im Gewand des VerbraucherInnen-Schutzes auftretende Standort-Politik, die besonders nicht-amerikanischen Pillen-Produzenten das Leben schwer macht, ist der FDA ebenfalls nicht vorzuwerfen. In den vergangenen Monaten forderte sie unter anderem AMERICAN HOME PRODUCTS, JOHNSON & JOHNSON, SCHERING-PLOUGH und PFIZER zum ?freiwilligen? Rückruf ihrer Arzneien oder Medizin-Produkte auf. Deshalb behagt das Vorgehen der Aufsichtsbehörde in- und ausländischen Pharma-Bossen gleichermaßen wenig. Seit 1999 habe es ?eindeutig auf ganzer Ebene eine Verlangsamung gegeben?, beklagte sich beispielsweise PFIZER-Chef Henry McKinnell über die peniblen Zulassungsprüfungen. Und die Diskussion über die Gefahren von Cholesterin-Hemmern im Allgemeinen, die nach dem BAYER-Fiasko einsetzte, dürfte ebenso wenig in seinem Interesse gewesen sein. So hat die VerbraucherInnenschutz-Organisation PUBLIC CITIZEN in einer Eingabe an die FDA deutlichere Hinweise auf gefährliche Nebenwirkungen auf den Beipack-Zetteln von allen Cholesterin-Senkern angemahnt, und die Behörde sicherte zu, diese Forderung eingehend zu prüfen.
Der Leverkusener Pillen-Riese hat die abenteuerliche Komplott-These weder bestätigt noch dementiert. Sie kam ihm aber zweifellos gelegen, da sie von der eigenen Schuld ablenkte. Die Verschwörungstheorie wie alle anderen, immer verhaltener werdenden Reaktionen, nachdem der erste Theater-Donner verhallt war, bewogen BAYER zu einer Strategie des Aussitzens. Hatte der Vorstandsvorsitzende Manfred Schneider zu Hochzeiten der Krise noch von einem möglichen Verkauf der Pharma-Sparte oder dem Eingehen eines Joint Ventures, an dem der Konzern nur noch die Minderheitsbeteiligung halten würde, gesprochen, war davon bald nicht mehr die Rede. Da aber die Finanzmärkte aufgrund des danieder liegenden Aktien-Kurses Taten erwarteten, entschloss man sich zu der ?kleinen Lösung?, Pharma- und Landwirtschaftsbereich künftig als selbständige Konzern-Einheiten zu führen. Bei der Gesundheitsabteilung nimmt das Unternehmen zudem noch eine Zweiteilung in ?Pharma? und ?biologische Produkte? vor. Mit der neuen Organisationsform will der Chemie-Multi ?eine größere Flexibilität für strategische Partnerschaften? erreichen. Welche unternehmensrechtliche Form das Konstrukt annehmen sollte, blieb allerdings vage. Entsprechend zurückhaltend fiel die Reaktion der Finanz-MaklerInnen aus, sie werteten die Umstrukturierung als eine rein kosmetische Operation. Die KOLLEGINNEN UND KOLLEGEN FÜR EINE DURCHSCHAUBARE BETRIEBSRATSARBEIT, eine alternative Gewerkschaftsgruppe im Leverkusener BAYER-Werk, fürchten dagegen reale Konsequenzen wie Arbeitsplatzvernichtung, falls es zu Kooperationen mit anderen Pharma-Riesen kommt und protestierten in einer Presseerklärung gegen diesen Schritt.

Arbeitsplatzvernichtung
Alles andere als nur Kosmetik stellt auf jeden Fall der von BAYER angekündigte massive Stellen-Abbau dar. Nach den Worten des Finanz-Chefs Werner Wenning will der Global Player binnen der nächsten vier Jahre in der Gesundheitssparte 1.250 Arbeitsplätze vernichten (im ganzen Konzern werden es ca. 10.000 sein). Allein im Wuppertaler Pharma-Zentrum stehen 200 Jobs zur Disposition. Da der ?Standortsicherungsvertrag? bis 2004 betriebsbedingte Kündigungen ausschließt, beabsichtigt der Chemie-Multi, die MitarbeiterInnen innerhalb des Konzerns zu versetzen oder sie vorzeitig in Rente zu schicken. Rund fünfzig Beschäftigte sollen in den Vorruhestand gehen, auch Belegschaftsangehörige unter 55 Jahren, falls sich diese ?Sondermaßnahme? durchführen lässt. Für BAYER ist die Frühverrentung der MitarbeiterInnen die billigste Lösung - die Rentenkassen hingegen kommt sie teuer zu stehen.
Wie der Pillen-Riese die Betroffenen über diese Maßnahmen in Kenntnis setzte, daran zeigte sich seine Geringschätzung der Belegschaft noch einmal besonders krass. Nachdem Pharma-Leiter Dr. Tilo Burkhardt den Verzicht auf eine Möglichkeit, die das Unternehmen laut ?Standort-Vertrag? gar nicht hatte - betriebsbedingte Kündigungen - als Gnadenakt ausgegeben hatte, polterte er drauflos, ganz so, als hätten die Beschäftigten das Pillen-Fiasko zu verantworten: ?Die Mitarbeiter werden sich bewegen müssen, keiner kann in seinem gemachten Bett liegen bleiben.?
Auch das ehemals BAYER-eigene und nun einer internationalen InvestorInnen-Gruppe gehörende TROPON-Werk ist von dem LIPOBAY-Skandal in Mitleidenschaft gezogen, da dort rund ein Viertel der 280 Arbeitsplätze von der Herstellung des Cholesterin-Senkers abhängt. Zuerst hat die Direktion die Aushilfen und ZeitarbeiterInnen vor die Tür gesetzt, wie die Entwicklung weitergeht, ist noch nicht abzusehen.
Bei BAYER selbst hat der Pharma-GAU Auswirkungen auf alle Bereiche, von der Forschung & Entwicklung, über die Herstellung bis zu Vermarktung und Vertrieb. Der Vorstand hat so genannte War-Rooms eingerichtet, in denen die Abteilungschefs zusammenkommen, um über Kostensenkungsprogramme für solche Materialien und Dienstleistungen zu beratschlagen, die nicht direkt mit der Produktion in Zusammenhang stehen. Dazu zählen unter anderem Telekommunikationsbedarf, Betriebsmittel, Verbrauchsmaterial, Werbemittel, Dienstreisen und Gäste-Bewirtungen. Die DURCHSCHAUBAREN stoßen sich nicht nur am martialischen Namen des exklusiven Spar-Klubs. Sie fürchten auch um die Arbeitssicherheit, wenn z. B der Einkauf von Labor-Bedarf wie Einmal-Handschuhe strenger reglementiert wird. Ob wirklich der LIPOBAY-Produktionsstopp der Grund für die beschlossenen Maßnahmen ist, zweifeln die DURCHSCHAUBAREN an. Sie vermuten eher, er gab dem Vorstand die günstige Gelegenheit, bereits ausgearbeitete Rationalisierungspläne aus der Schublade zu holen. ?Auch heute macht BAYER unter dem Strich keine Verluste?, schreiben sie in ihrem LIPOBAY-Flugblatt und weisen darauf hin, dass der Leverkusener Chemie-Multi weiterhin ein hoch profitabler Groß-Konzern ist.

Ganz legale Steuertricks
Zur zweiten großen Gruppe der Leidtragenden gehören die Städte der bundesrepublikanischen BAYER-Niederlassungen. Sie forderte der Leverkusener Chemie-Multi per Fax lapidar auf, doch bitte alle Gewerbesteuer-Vorauszahlungen zurückzuüberweisen, da die Erträge wegen des LIPOBAY-Debakels und der schlechten Kunststoff-Konjunktur unter den Erwartungen geblieben wären. Leverkusen entgehen so Steuern in Höhe von 90 Mio. Mark, Krefeld 19 Mio., Dormagen 11 Mio, Wuppertal 10 Mio.; und ca. 10 Mio. dürften es auch für Brunsbüttel sein. Der Dormagener Stadtkämmerer Jürgen Alef kündigte sogleich eine Haushaltssperre an, fror Zuschüsse für die Vereine ein und verschob Investitionen und Sanierungsmaßnahmen. Eine Haushaltssperre verhängte auch sein Krefelder Kollege; zudem beschloss die Stadt einen Einstellungsstopp. Der Wuppertaler Kämmerer Alfred Lobers sieht sich gezwungen, weitere Einschnitte ins soziale Netz zu vorzunehmen. Für den Leverkusener Oberbürgermeister Paul Hebbel ist selbst dieser Weg verbaut: ?So viele Schwimmbäder können wir gar nicht schließen, um die Steuerausfälle aufzufangen?. Selbst wenn er alle Museen und Schulen der Stadt zumachen würde, käme die Summe nicht zusammen, klagt der CDU-Politiker. Er will stattdessen städtische Grundstücke und Wohnungen sowei RWE-Aktien verkaufen.
?Ich halte es für ein absolutes Unding, dass der Konzern in solch einer Krise nur ein lapidares Fax schickt?, ereifert sich Robert Krummbein, der stellvertretende Geschäftsführer der sozialdemokratischen ?Gemeinschaft für Kommunalpolitik?. Aber nicht nur die Art und Weise des Vorgehens macht die PolitikerInnen wütend. Sie erbost auch der ganz legale Steuertrick, die globalen LIPOBAY-Verluste lokal zu verbuchen und allein den bundesdeutschen Niederlassungen und ihren Tochter-Gesellschaften anzulasten. ?Die großen Konzerne können ihre globalen Betriebsabläufe so gestalten, dass sie sich aus der Steuer verabschieden können?, moniert Lobers. Schon vor zwei Jahren rechnete sich der Pharma-Riese durch die Umschichtung einer Umsatz-Milliarde in die Kasse der betrieblichen Altersversorgung so arm, dass keine Gewerbesteuer-Mark übrig blieb. Darum trauen die Kämmerer BAYER nicht. ?Dass der Gewinn bei Null liegt, kann mir keiner erklären. Und so lange mir das niemand erklären kann, glaube ich es nicht?, so Alef. Alfred Lobers hat nachgerechnet. Unter Zugrundelegung des Vorjahres-Gewinns von 1,7 Mrd. Euro kommt er, wenn er das LIPOBAY-Minus und die der schlechten Konjunktur geschuldeten Verluste abrechnet, immer noch auf ein Plus von 400 Mio. Euro. ?Wo sind die??, fragt er und kündigt an, Widerspruch einzulegen, falls ein Steuerprüfer seine Zahlen bestätigt.
Prozessieren will auch Wuppertals Oberbürgermeister Hans Kremendahl. Seine Verfassungsklage soll eine Reform der Gemeinde-Finanzierung anstoßen, um die Kommunen finanziell unabhängiger von unsicheren Kantonisten wie BAYER zu machen. Tatsächlich plant der ehemalige BAYER-Finanzchef und jetzige Finanzstaatssekretär Heribert Zitzelsberger auch schon ein entsprechendes Gesetz. Aber wenn es aus dem Munde eines Steuer-Experten der Industrie heißt, die ?finanzielle Beteiligung der Steuerbürger an den Ausgaben ihrer Gemeinde? solle ?auf eine breitere demokratische Basis gestellt? werden, dann ist damit nur beabsichtigt, die Steuerlast, die BAYER & Co. nicht mehr tragen wollen, den abhängig Beschäftigten, Freiberuflern und Kleingewerbe Treibenden aufzubürden.
So ist beim LIPOBAY-Skandal wieder alles seinen kapitalistischen Gang gegangen. Trotz der bisher 52 Toten hat der Fall Konsequenzen nur für die Beschäftigten und die Etats der AG-Städte gehabt. Eine Pharma-Wende hat es ebenso wenig gegeben, wie nach dem BSE-Skandal eine Agrar-Wende. Aber daran hat ernstlich auch niemand geglaubt.

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