Wahlquark

WAS DIE GENTECHNIK-BEFÜRWORTER*INNEN VERSPRECHEN UND WAS DAVON ZU HALTEN IST ...

Mythos 5: Fortschritt, Arbeitsplätze und die gerettete Nation


1. Einleitung
2. Mythos 1: Gentechnik hilft gegen Hunger und Armut
3. Mythos 2: Gentechnik hilft den Landwirt_innen
4. Mythos 3: Gentechnik schützt die Umwelt
5. Mythos 4: Gentechnik fördert Nahrungsqualität und Gesundheit
6. Mythos 5: Fortschritt, Arbeitsplätze und die gerettete Nation
7. Mythos 6: Alles unter Kontrolle - noch keine Schäden oder Unfälle
8. Mythos 7: Alles normal - Gentechnik ist auch nur Züchtung
9. Schwätzer, Hetzer, Bauernfänger
10. Links und Materialien

Sind Hunger-, Öko- und andere Argumente verpufft oder widerlegt, greifen die Gentechniklobbyist_innen gerne zu unwiderlegbaren, weil rein ideologischen Phrasen. Dann geht es wahlweise um die Zukunft, Arbeitsplätze oder das Wohl der Nation. Doch das Gerede von Arbeitsplätzen war immer schon mit dem Geruch neoliberaler Ideologie behaftet - wird es doch selten benutzt, weil da jemand tatsächlich bedürftigen Menschen eine Einnahmequelle verschaffen will. Meist geht es um Neuansiedlungen von Firmen, Kürzungen der Sozialhaushalte oder bessere Rahmenbedingungen für rücksichtslosen Profit. Was mit der scheinbaren Sorge um Arbeitsplätze begründet wird, ist regelmäßig das Gegenteil. Denn Investitionen in Konzernstrukturen sind meist verbunden mit Rationalisierungen oder dem Wegfall arbeitsintensiverer Werkstätten an anderen Orten.
Ungeschminkt kommt die Ideologie herüber, wenn nicht mehr arbeitssuchende Menschen als Scheinargument vorgeschoben werden, sondern gleich das Wohl der Nation, wahlweise auch einer wie auch immer abgegrenzten Heimat, mitunter verklärt als Region, oder "Ostdeutschland" beschworen wird. Wird zuwenig in "Biotechnologie ... Atomenergie ... Stammzellforschung" investiert, setzt "die Zukunftsfähigkeit unseres Landes auf’s Spiel", jedenfalls wenn es nach Wolfgang Clement geht und dieser auf dem wichtigsten Treffen der deutschen Agro-Gentechnikseilschaften spricht, dem InnoPlantaforum 2009.

Im Original: Wachstum, Standort, Deutschland
SPD-Minister will Gentechnik nur wegen Wirtschaftswachstum, auf: topagrar am 25.5.2009
Zwar stehe außer Frage, dass dem Schutz von Mensch und Umwelt oberste Priorität eingeräumt werden müsse, sagte der Minister. Darüber hinaus dürfe man jedoch jetzt nicht Wege verbauen, aus denen in Zukunft neue Möglichkeiten für Wachstum und Beschäftigung resultieren könnten, betonte der SPD-Politiker. Vor allem in Ostdeutschland könne der Einsatz der Biotechnologie Impulse für die weitere wirtschaftliche Entwicklung geben.

Standort, Standort, Standort ... Gentechnik, Atomkraft - alles super!
Wolfgang Clement (Ex-Bundeswirtschaftsminister) in seiner Rede auf dem InnoPlanta-Forum 2009 (lt. Newsletter-Sonderausgabe)
Deutschland wird sich jedenfalls nur dann als eine der stärksten Volkswirtschaften der Welt behaupten können, wenn wir auf den zukunftsträchtigen Feldern von Wissenschaft und Wirtschaft auch künftig eine international führende Rolle einnehmen. In der Biotechnologie wie auch auf anderen Feldern von Wissenschaft, Forschung und Entwicklung - nehmen Sie nur die Atomenergie, die CO2-freie Kohleverbrennung oder, um eine ganz andere Disziplin anzusprechen, die Stammzellforschung - ist dies zur Zeit nicht gewährleistet. So setzen wir die Zukunftsfähigkeit unseres Landes auf’s Spiel! ...
Auf den Weltmärkten werden deutsche und europäische Landwirte auf etwas weitere Sicht nur bestehen können, wenn sie solchermaßen innovative Produkte und Techniken nutzen.


Aus einer Pressemitteilung von Christel Happach-Kasan am 17.9.2010:
Deren Nutzung ist ethisch vertretbar und ökonomisch sowie ökologisch geboten und somit eine Chance für Deutschland.

Hans-Joachim Frank, Deutsche Bank, auf einer Tagung der Landesregierung Rheinland-Pfalz am 4.5.2005 (Dokumentation, S. 46)
Grundsätzlich sind Innovationen der zentrale Treiber für volkswirtschaftliches Wachstum. Gerade in Deutschland als rohstoffarmem Hochlohnland mit schrumpfender und alternder Bevölkerung muss Innovation die Kernkompetenz sein. Die Gentechnik kann m. E. dazu beitragen, die deutsche Position im internationalen Innovationswettbewerb zu verbessern.

Doch jenseits der Frage, ob Arbeitsplätze oder Deutschland überhaupt etwas sind, was das Leben besser macht und folglich als Argument zählen kann: Die Wahrheit sieht sowieso ganz anders aus. Denn die Agro-Gentechnik ist ein Faß ohne Boden. Sie lebt fast komplett von den Steuermillionen des Staates und verpulvert diese ziemlich wirkungslos. Nur die ständige Auskreuzung gentechnischer Konstrukte in die Landschaft ist von längerer Dauer. Ansonsten verpufft die ökonomische Wirkung schnell. Denn wo keine Nachfrage, da auch keine eigenständige Wirtschaftlichkeit.

Im Original: Pleitegeier trotz Millionensubventionen
Gentechnik vernichtet Arbeitsplätze
Aus einem Interview mit der ehemaligen NRW-Umweltministerin, Bärbel Höhn, in: FR, 19.8.2006, S. 12:
Die Agro-Gentechnik ist kein Innovationsmotor, sondern eine Risikotechnologie. Sie kostet Arbeitsplätze, bringt Bauern um ihre Absatzmärkte und gefährdet den boomenden Ökolandbau massiv.

Weitere Texte zu den ökonomischen Auswirkungen der Agro-Gentechnik:

Aus "Leere Labore", in: Spiegel 41/2008 (S. 93 f.)
Um das IPK herum setzte der langjährige sachsen-anhaltische Wirtschaftsminister Horst Rehberger (FDP) großzügig Fördergelder ein: Knapp 150 Millionen Euro machte er 2003 für die Biotech-Offensive locker, um Firmen in die Region zu holen. Die „Mitteldeutsche Zeitung“ sah die Pflanzenbiotechnologie zwischen Harz und Magdeburg auf dem Weg in die „Weltklasse“. Um diesen Mythos zu verkaufen und die Initiative zu lenken, holte Rehberger Jens Katzek. Der Biochemiker hatte beim BUND jahrelang gegen Gentechnik gekämpft, bevor er zum Saatguthersteller KWS wechselte. „Ich hab die Ideologie irgendwann mal ausgeschaltet und fand viele Antworten der Industrie überzeugend“, sagt Katzek. Sein Seitenwechsel wurde ihm hoch angerechnet: Bei der Bio Mitteldeutschland GmbH verdiente er fast so viel wie der Ministerpräsident. ...
Mit mehreren Millionen Euro hielt die landeseigene Investitionsbank IBG jahrelang eine Firma am Leben, die eine Antikörper produzierende Freilanderbse gegen Schweinedurchfall entwickelt hatte, die keiner haben wollte. "Geld verdienen wir mit Q-Cells", sagt Haseloff leicht sarkastisch, einer inzwischen weltbekannten Solarfirma, die das Land mitbegründet hat. ...
Im hinteren Teil des Gaterslebener Biotech-Zentrums ist vor gut einem Jahr ein neues Gelände eingeweiht worden. Doch in diesem „Biopark“ herrscht Leere. Erst zwei Firmennamen stehen auf dem großen Schild. „Wir hatten uns da mehr erhofft“, gibt Katzek zu. Offenbar hat hier nicht mal der Beistand von oben geholfen. An der 35-Millionen-Förderung des Bioparks hatte sich neben dem Land auch das Bistum Magdeburg über die kircheneigene Gero AG mit 3 Millionen Euro beteiligt. Die Gentechnik-Begeisterung ihres zuständigen Seelsorgers stieß vielen Gläubigern damals bitter auf. Doch der ließ sich nicht beirren und besprenkelte das Gebäude bei der Einweihung sogar mit Weihwasser.


Aus "Biopark in der Krise", in: Mitteldeutsche Zeitung, 3.7.2009
Eigentlich sollten sich hier auf rund 2600 Quadratmetern Fläche möglichst viele innovative Biotechnologie-Firmen ansiedeln und dem Land zu Fortschritt und Arbeitsplätzen verhelfen. Dafür zahlten die EU, der Bund und das Land insgesamt rund 13 Millionen Euro an Fördermitteln. Zweifel an der Seriosität des Ganzen waren nicht angebracht. Neben der zur Gemeinde gehörenden Gaterslebener Wirtschaftsförderungs GmbH (GWG) beteiligte sich auch die der schwer angeschlagenen Gero-Gruppe (...) zuzurechnende Futura GmbH mit einem Anteil von 49 Prozent als Gesellschafterin an BGI. Das war im Dezember 2003. Seitdem hat sich das Projekt in einen Flop verwandelt. Die verfügbaren Bilanzen der Parkbetreiberin BGI belegen für die vergangenen Jahre hohe Verluste. Die Verbindlichkeiten hatten sich trotz des Einsatzes erheblicher Fördergelder Anfang 2008 auf rund fünf Millionen Euro summiert. ...
In der ersten Etage sitzt eine Sekretärin. Hier arbeitet auch die ehrenamtliche Bürgermeisterin als Repräsentantin ihrer Gemeinde. Sie ist bei der Parkbetreiberin BGI angestellt und gleichzeitig noch in deren freiwillig gebildetem Aufsichtsrat. Einige Schritte weiter, auf der anderen Seite des Flures, hat BGI-Geschäftsführer Eric Schreyer sein Büro. Hier firmiert, neben den Betreibern oder Gesellschaftern praktischerweise auch die Mittelstandsberatung Eric Schreyer. Innovative Biotechnologiefirmen sind hier in diesem Gebäude nicht zu finden. ...
Mit den bereits ausgezahlten 13 Millionen Euro Fördermittel sind hier bisher 15 Arbeitsplätze entstanden. Ein Blick in die Bilanzen bestätigt den Eindruck. Zum 31. Dezember 2007 musste die Gesellschaft einen "nicht durch Eigenkapital gedeckten Fehlbetrag" von 1,1 Millionen Euro ausweisen. Die rechnerischeÜberschuldung, heißt es in der Bilanz, sei durch stille Reserven beseitigt. Die Verbindlichkeiten waren vom Vorjahr um rund 1,6 Millionen auf 5,29 Millionen Euro gestiegen. In dieser Bilanz steht vermerkt: "Das Unternehmen befindet sich in der Krise."
Die Lage dürfte in absehbarer Zeit kaum besser werden. Zwar will die BGI jetzt die eigene, ursprünglich knapp drei Millionen Euro teure Energiezentrale verkaufen. Dann allerdings muss die BGI Fördermittel für die Anlage in Höhe von einer Million Euro zurückzahlen. Gleichzeitig ist noch ein Rechtsstreit mit dem Land anhängig, das wegen angeblich fehlender Verwendungsnachweise rund zwei Millionen Euro Fördermittel zurückfordert.



Aus der Volksstimme im Februar 2010:
"Meyer bezifferte das aktuelle Defizit auf mehr als 40 Millionen Euro. Davon gingen laut Meyer allein 15 Millionen Euro durch defizitäre und inzwischen liquidierte Biotechnologie-Firmen verloren. Das katholische Bistum ist derzeit noch am Biopark Gatersleben, einem Vorzeigeprojekt des Landes, beteiligt. Dieser war zwischenzeitlich in Schwierigkeiten geraten, eine Insolvenz konnte letztlich jedoch verhindert werden. " Wir sind jetzt dabei, uns von dieser Beteiligung am Biopark zu trennen ", sagte Meyer. Das Bistum werde sich zudem um einen Verkauf der eigenen Biogasanlage bemühen."

Aus der Gentechnik-Werbebroschüre (transkript, S. 58) im Februar 2010:
Finanzlage schwierig
Die BIO Deutschland hieß im Dezember die Pharmicell Europe GmbH als 250. Mitglied willkommen. Der Berliner Stammzellspezialist wurde 2006 als europäische Niederlassung des koreanischen Unternehmens FCB Pharmicell Co. Ltd. gegründet. Peter Heinrich, Vorstandsvorsitzender der BIO Deutschland, freute sich sehr, das junge Kürzlich von der BIO Deutschland zusammengestellte Zahlen zeichnen ein finsteres Bild der Finanzsituation von Biotechnologie-Unternehmen in Deutschland: Bis Ende des 3. Quartals 2009 konnten insgesamt lediglich 37 Mio. Euro eingeworben werden. Das vierte Quartal überraschte hingegen mit guten Nachrichten größerer Finanzierungsrunden. Die bislang investierten Mittel 2009 belaufen sich derzeit auf 219 Mio. Euro. Diese und andere Zahlen hat BIO Deutschland im ersten Verbandsjahrbuch veröffentlicht.
„Die Gesamtfinanzlage bleibt jedoch düster“, so Peter Heinrich, Vorstandsvorsitzender der BIO Deutschland, bei der Veröffentlichung des Jahrbuches. Er fügte hinzu: „Seit 2005 sind die privatwirtschaftlichen Investitionen in die Biotechnologie kontinuierlich gesunken. Lediglich der Anteil an öffentlichen Fördermitteln ist seit vier Jahren konstant geblieben.“ ... Viola Bronsema, Geschäftsführerin der BIO Deutschland, erklärte im Zusammenhang mit der Jahrbuchveröffentlichung, dass innovative kleine und mittlere Unternehmen (die Mehrheit der 500 Biotechnologie-Firmen Deutschlands) in starkem Maße helfen, große Mengen an Eigenkapital für Innovationen zu mobilisieren – wenn die Rahmenbedingungen stimmten. Bronsema sagte: „Die Biotech-Branche benötigt dringend bessere steuerliche Rahmenbedingungen für Investitionen in Forschung und Entwicklung.“

"Wenn wir die Forschung nicht vorantreiben und zulassen, dann werden es andere Länder tun", sagte Kupfer weiter. Wissenschaftler würden dann aus Deutschland abwandern und die Ergebnisse der Forschung müssten teuer eingekauft werden.
Quelle: ddp

Ganz ähnlich kreist die die Debatte um den Mythos des Fortschritts. Dabei sei gar nicht in Frage gestellt, dass der Gebrauch von Werkzeugen, die Reflexion über die Effizienz derselben und deren daraus folgende Weiterentwicklung eine typische Wesensart komplexen Denkens ist, die dem Mensch neben einigen anderen Tierarten eigen ist und daher zu seinem Leben gehört. In der Kulturgeschichte der Menschen ist die Werkzeugentwicklung zu einer ungemeinen Präzision und Fülle gekommen, die heute unser Leben prägt. Daraus zu folgern, dass jede neue Entwicklung gleich auch Fortschritt ist, stellt das Besondere der Werkzeugentwicklung in der Evolution des Lebens aber auf den Kopf. Denn die Reflexion darüber, wofür und wie ein Werkzeug einsetzbar ist, welche Folgen das haben kann und wie eine Fortentwicklung wünschenswert ist, gehört genauso zur Werkzeuginnovation wie die Erfindung selbst. Gentechnikanwender_innen und -lobbyist_innen hingegen argumentieren regelmäßig so, dass neue Technik per se ein Fortschritt ist - unabhängig von Nutzen und Kollateralschäden, die sie hinterlässt. Wer kritisch nachdenkt, zeige nur seine "Bereitschaft, so hohe ideelle Güter wie die Forschungsfreiheit dem Mob zu opfern", veröffentlichte die FAZ einen Text und zog "Parallelen zur "Entarteten Kunst" des Nationalsozialismus. ... Der Vergleich ist nicht abwegig." Derart abwegige Gedankenmodelle scheinen Hochkonjunktur zu haben in der Branche, die am Millionentropf des Staats hängt und mit politischem Widerstand kämpft. Sachsens Umweltminister Kupfer schien nach einer direkten Aktion gegen gv-Apfelbäume in seinem Zuständigkeitsgebiet völlig traumatisiert, als er stammelte, ohne den Geist, der auch die Gentechnik vorantreibt (meinte er Geld?), "würden wir heute noch wie Affen auf dem Bäumen herumturnen". Wäre es nicht so traurig, könnte ein befreiendes Lachen die brauchbare Antwort sein. Der Ursprung des Menschen liegt in der Savanne. Nicht auf Bäumen. Aber wer Forschungsfreiheit mit Geldscheinen verwechselt, muss das nicht wissen ...

Im Original: Gentechnik oder Steinzeit?
Perverse Vergleiche der FAZ am 19.4.2009: Gentechnik verhindern ist wie der Nationalsozialismus?
Viele Länder erlebten Vandalismus, aber Deutschland sei das einzige demokratische Land, in dem Hochschulen vor den Öko-Strolchen kapitulierten, schreibt Henry Miller, amerikanischer Wissenschaftler der Denkfabrik Hoover. Er warnt, nun würden gewalttätige, technologiefeindliche Aktivisten Blut lecken und Forschungsrichtungen als "entartete Forschung" flächendeckend mobben. Miller zieht Parallelen zur "Entarteten Kunst" des Nationalsozialismus, der damals avantgardistische Künstler vertrieb. Der Vergleich ist nicht abwegig. Die Bereitschaft, so hohe ideelle Güter wie die Forschungsfreiheit dem Mob zu opfern, schockiert dann doch. Forscher berichten, dass sie inzwischen nur noch unter außergewöhnlichen Schwierigkeiten Versuchsfelder finden.

Sachsens Umweltminister Frank Kupfer nach der Aktion gegen Gentech-Bäume in Dresden 2009
Hoffentlich sind die selbsternannten Retter von Mensch und Umwelt zu Fuß nach Pillnitz gelaufen, waren mit einem Fell bekleidet und haben die 270 Bäume mit dem Faustkeil abgehakt. Das ist nämlich die Konsequenz aus Fortschrittsfeindlichkeit. Hätte die Menschheit niemals Neues gewagt, dann würden wir heute noch wie Affen auf dem Bäumen herumturnen.


Was nun ist von dem Fortschrittsgetöse zu halten? Philosophisch, wie schon beschrieben, nichts. Und praktisch wenig. Philosophisch ist Fortschritt etwas anderes als die blanke, unreflektierte Weiterentwicklung von Technik. Effizienteres Töten im Krieg ist schließlich auch nicht per se fortschrittlich. Das gleiche gilt für optimierte Kamera- oder Onlineüberwachung, verdichtete Akkordarbeit oder ausbruchssicherere Gefängnisse. Doch auch ganz praktisch ist die Agro-Gentechnik weit davon entfernt, Fortschritt zu bringen. Zur Zeit tut sie eher das Gegenteil. Denn wegen des ungeheuren Mittelflusses für diese Technik würgt sie andere Forschungszweige ab. An vielen landwirtschaftlichen oder Biologiefaktultäten der Universitäten wird nur noch dem schnöden Mammon in Form der Biotechnologie-Förderprogramme hinterhergehechelt. Willenlos lassen sich ganze Forschungszweige in das nationale Standortprojekt Biotechnologie-Weltführerschaft einsortieren und wirken - willige Vollstrecker_innen wie eh und je - daran kritiklos mit. Angepasste, emanzipatorische, d.h. die Selbstbestimmung der Anwender_innen fördernde Technologie werden in einem solchen Forschungsklima kaum noch entwickelt. Insofern ist die Agro-Gentechnik der Feind von Fortschritt und Technikentwicklung - ihr Siegeszug ist das Ende von Innovation und Weiterentwicklung in vielen Bereichen, deren Nutzen weitaus größer bzw. überhaupt vorhanden wäre.

Im Original: Gentechnik würgt Forschung ab
Aus einer Pressemittelung des BÖLW am 26.1.2009
„Zwar konnten mit im Schnitt jährlich ca. 7 Mio. € aus Mitteln des Bundesprogramms Ökologischer Landbau wichtige Praxisfragen beforscht werden“, lobte Prof. Jürgen Heß von der Universität Kassel, „aber für notwendige Grundlagenforschung und um den Ökolandbau als innovatives System für eine nachhaltige Entwicklung der Landwirtschaft weiterzuentwickeln, gibt es kein Geld.“ Den Mitteln für die Ökolandbauforschung stehen jährlich allein 165 Mio. € für Biotechnologieforschung durch das Bundesforschungsministerium und 26 Mio. € für die Erforschung nachwachsender Rohstoffe gegenüber: „Das ist eine eklatante Ungleichstellung der verschiedenen Ansätze innerhalb der Agrarforschung“, so Felix Prinz zu Löwenstein, Vorstandsvorsitzender des BÖLW. Zusätzlich wird die Agro-Gentechnik-Forschung von der Privatwirtschaft finanziert, BASF investiert jährlich allein 133 Mio. € in diesem Bereich.

Gentechnik-Forschung verbraucht riesige Geldmengen, die bei anderer Forschung fehlen

Aus der Broschüre "Grüne Gentechnik" der KWS (Gentechnik-Werbung!)
Parallel zum praktischen Anbau finden weltweit bereits seit Ende der 80er Jahre zehntausende von Freilandversuchen statt, um mögliche unerwünschte Auswirkungen von gentechnisch veränderten Sorten zu untersuchen. Allein in der EU wurden dafür weit über 100 Mio. € Forschungsgelder aufgewendet.

Würden personelle, institutionelle und finanzielle Reserven in andere Forschungszweige gesteckt, wäre vielleicht schon viel mehr erreicht. Das musste selbst die Universität Gießen, ansonsten sehr einseitig auf die Agro-Gentechnik ausgerichtet, einmal kleinlaut zugeben: "In manchen Fällen hat die konventionelle Züchtung durchaus die Nase vorn: an der Universität Gießen wurde eine neue salzresistente Maishybridsorte gezüchtet - mit konventionellen Methoden und ohne Gentechnik" (Aus "Konventionell schlägt Gentechnik", in: Innovationsreport am 7.4.2010).

Fallbeispiel Amflora: Innovation oder olle Kamelle?
Als nach vielen Jahren politischer Debatten und Verzögerungen die BASF-Kartoffel Amflora im Frühjahr 2010 EU-weit zum Anbau zugelassen wurde, feierten Gentechnikbefürworter_innen. Die Zulassung "sei ein Meilenstein für Innovationen zugunsten einer wettbewerbsfähigen Landwirtschaft in Europa, erklärte BASF-Vorstandsmitglied Stefan Marcinowski" (RP-Online am 2.3.2010). Die agrarpolitische Sprecherin der FDP im Europaparlament, Britta Reimers, jubelt: "Die Wissenschaftler der Kommission haben keine Sicherheitsbedenken beim Anbau der Amflora, höchste Zeit also, die Sorte zuzulassen. Die neue Kommission macht damit deutlich, dass sie in Zukunft auch wissenschaftsbasierte Entscheidungen treffen möchte. Dies ist ein gutes Signal für den Innovations- und Forschungsstandort Europa." Und fügt, immer ehrlich, hinzu, warum es ihr geht: "Die Investitionssicherheit der Unternehmen wird verbessert."
Doch tatsächlich ist die Amflora ein so altes Produkt, dass durch den Anbau Techniken in die Umwelt gelangen, die gar nicht mehr entwickelt werden dürften. "Gegen eine Anbauzulassung für Amflora spricht aus grüner Sicht vor allem das EU-Recht selbst. Amflora trägt ein Gen in sich, das Organismen gegen die Antibiotika Kanamycin und Neomycin resistent macht. Diese Antibiotika werden laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) u.a. zur Bekämpfung von Tuberkulose eingesetzt. Laut EU-Freisetzungs-Richtlinie sind Gentech-Pflanzen mit Resistenz-Genen gegen Antibiotika, die therapeutisch relevant sind, ein Auslaufmodell und dürfen inzwischen weder vermarktet noch freigesetzt werden. Die EU-Kommission verstößt also mit ihrer Entscheidungen gegen geltendes Gentechnikrecht" (Bundestagsfraktion B'90/Grüne am 26.3.2010). Das ficht die Treugläubigen der Biotechnologie nicht an. Schließlich hat ja die EFSA die Kartoffel genehmigt, also muss sie auch gut sein: "Antibiotikaresistenzen sind ein Problem in der Medizin. Biotechnlogische Markergene wie bei der Amflora haben hierauf jedoch keinen Einfluss. Wie die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) feststellte, ist 'eine Übertragung eines Markergens von GV-Pflanzen auf Bakterien [...] bisher weder unter natürlichen Bedingungen, noch im Labor nachgewiesen worden'. Die große Gefahr, die diese Knolle in den Augen der Gentechnikgegner darstellen soll, lässt sich also mit wissenschaftlichen Methoden nicht belegen" (Novo-Kommentar. Novo ist die Zeitung des InnoPlanta-Preisträgers Thomas Deichmann). 2010 gab die BASF selbst bekannt, lieber auf das Nachfolgemodell Amadea statt auf die veraltete Amflora zu setzen - und führte damit die platten Propagandist_innen des vermeintlichen Fortschritts peinlich vor. Allerdings litt auch BASF Schiffbruch, denn das erste, was in den Nachrichten über die neue gv-Kartoffel zu lesen war, war eine illegale Beimischung auf BASF-eigenen Feldern.

Dabei gäbe es bessere Forschungsfelder der Landwirtschaft, die Landwirt_innen, Verbraucher_innen und der Umwelt mehr brächten und die Ernährungssouveränität stärken würden. Sie wären Alternativen zur Gentechnik, sind aber in der heutigen Forschungslandschaft stark in Vergessenheit geraten. Ein Positionspapier des Bundesamtes für Naturschutz plädierte für einen "Ansatz, der für die verschiedenen Regionen angepasste Lösungen entwickelt". Dort wird auch die Welternährungsorganisation zitiert: "Die FAO erwartet nach einer Studie von BADGLEY et al. (2007) sogar, dass eine nachhaltige Produktionssteigerung durch ökologischen Landbau insbesondere in Entwicklungsländern im Durchschnitt zu höheren Erträgen von bis zu 130 % bei gleichzeitiger Ressourcenschonung führen kann und ausreichend ist, um die wachsende Weltbevölkerung zu ernähren." Den prägnantesten Text aber lieferte der Weltagrarbericht - ein starkes Plädoyer für die Entwicklung angepasster Landbaumethoden statt der Fortsetzung des Siegeszugs von Ingenieursdenken in der sozialen Organisierung der Menschen.

Im Original: Alternativen, die vergessen werden
Aus dem Positionspapier des BfN (2009), "Welternährung, Biodiversität und Gentechnik" (S. 6, 10 und 13)
Bt-Mais kann zwar in starken Befallsgebieten, bei denen keine wendende Bodenbearbeitung möglich ist, zu einer Reduktion des Insektizideinsatzes führen. In Deutschland werden allerdings bisher nur auf 2 % der Anbaufläche für Mais Insektizide überhaupt eingesetzt. Ein entsprechendes Fruchtfolgemanagement könnte die Schadwirkungen des Maiszünslers entscheidend und wesentlich naturverträglicher minimieren.
In diesem Zusammenhang ist oft ein Ansatz, der für die verschiedenen Regionen angepasste Lösungen entwickelt, zielführender als der Einsatz einer nicht angepassten Hochtechnologie. In Afrika z.B. ist der Befall mit Stengelbohrern ein Problem der Ertragssicherung. Dieser Schädling kann zwar grundsätzlich mit Bt-Maispflanzen bekämpft werden. Für Afrika befinden sich solche Sorten allerdings erst in der Erprobung. Die Alternative dazu soll hier kurz und beispielhaft skizziert werden: Das internationale Insekten-Forschungsinstitut ICIPE (International Centre of Insect Physiology and Ecology) schlägt eine so genannte Push-Pull-Methode vor. Zwischen die Maispflanzen wird das Bohnengewächs Desmodium angebaut. Desmodium gibt einen Duftstoff ab, der die Stengelbohrer abstößt (push). Durch den Einsatz des Napiergrases, das um die Maisfelder angebaut wird, wird der Stengelbohrer zusätzlich aus dem Mais herausgelockt (pull) und verendet auf den klebrigen Blättern. Vorteil dieser Methode ist, dass die regional vorhandenen und angepassten Maissorten weiterverwendet werden können, die Methode preiswert und einfach anzuwenden ist sowie durch die Kombination zusätzlich hochwertiges Viehfutter erzeugt werden kann. Gleichzeitig ist die Methode frei zugänglich und sofort einsetzbar (ICIPE). Ein Pestizideinsatz ist hierbei nicht erforderlich und in der Summe ist diese Alternative wesentlich zielführender als der Einsatz des GVO. ...
So konnte eine Reihe von Studien aus den letzten Jahren belegen, dass die Erträge einer ökologischen Landwirtschaft bei gutem Management nach einer fünfjährigen Umstellungsphase insgesamt denen einer konventionellen Landwirtschaft entsprechen (PRETTY et al. 2006; PIMENTEL et al. 2005); dies gilt auch für die Industrieländer. Die FAO erwartet nach einer Studie von BADGLEY et al. (2007) sogar, dass eine nachhaltige Produktionssteigerung durch ökologischen Landbau insbesondere in Entwicklungsländern im Durchschnitt zu höheren Erträgen von bis zu 130 % bei gleichzeitiger Ressourcenschonung führen kann und ausreichend ist, um die wachsende Weltbevölkerung zu ernähren. Dies lässt sich dadurch erzielen, dass bereits wenige Verbesserungen, wie z.B. bei der Düngung, zu dramatischen Ertragssteigerungen führen. ...
Das BfN fordert, dass ... die Forschungsförderung auf Projekte konzentriert werden sollte, die auf eine naturverträgliche und nachhaltige Ertragssicherung und Ertragssteigerung auf lokaler und regionaler Ebene ausgerichtet sind. Hierbei sollten eine darauf ausgerichtete Ressourcennutzung, eine angepasste Sortenauswahl und -entwicklung, eine Weiterentwicklung traditioneller Landbauverfahren sowie die Stabilisierung einer kleinbäuerlichen Produktion im Vordergrund stehen.


Aus dem Weltagrarbericht (deutsche Übersetzungen auf deutscher Internetseite, Unterseite zu Wissenschaft):
Auch Wissen ist höchst ungerecht und ineffizient über den Globus verteilt.
Auf der einen Seite steht ein Übermaß an Daten und Informationen, das den Blick auf das Wesentliche eher verstellt. Auf der anderen Seite herrscht bitterer Mangel:
An allgemeiner Bildung und landwirtschaftlicher Ausbildung, an BeraterInnen und Landwirtschaftsschulen.
Es fehlen WissenschaftlerInnen, die sich spezifischen Problemen vor Ort widmen.
Und es fehlt an Kompetenz, das verfügbare Wissen unterschiedlicher Bereiche ergebnis- orientiert zusammen zu bringen, und da einzusetzen wo es gebraucht wird. ...
Dort, wo Wissenschaft und Forschung am dringendsten gebraucht würden, wird seit Jahrzehnten am wenigsten investiert. Die kleinbäuerliche Landwirtschaft, deren Probleme sich wesentlich von denen der industriellen Landwirtschaft unterscheiden, fristet in der weltweiten wissenschaftlichen Wahrnehmung ein Schattendasein.
Der Weltagrarbericht fordert eine massive Steigerung der öffentlichen Investitionen in landwirtschaftliches Wissen und dessen Vermittlung auf allen Ebenen. ...
Weltweit konzentriert sich öffentliche Forschung und Entwicklung im Agrarbereich auf immer weniger Staaten. Unter den reichen Ländern entfielen im Jahr 2000 allein auf die USA und Japan 54 % aller öffentlichen Agrarforschungsinvestitionen, unter den Entwicklungsländern 47 % allein auf China, Indien und Brasilien.


Und auf der Unterseite zu Gentechnik:
Die Erfolge der wenigen kommerziell eingesetzten GVO sind nach wie vor umstritten. Umwelt- und Gesundheitsrisiken können weiterhin nicht seriös bewertet werden. Es fehlen bisher Ergebnisse und Konzepte einer langfristigen Sicherheitsforschung. Probleme, die sich aus der Privatisierung und Patentierung von Wissen und Saatgut ergeben, sind in der Gentechnik besonders gravierend. Der Grad ihrer Monopolisierung in den Händen weniger multinationaler Unternehmen ist beispiellos. Weil GVO besonders kapital- und forschungsintensiv sind, werden sie nach Einschätzung des Weltagrarberichtes in absehbarer Zeit für Kleinbauern in Entwicklungsländern und bei der Bekämpfung des Hungers keine besondere Rolle spielen. Aufwändige Sicherheits- und Kontrollbestimmungen, offene Fragen der Auskreuzung gentechnischer Eigenschaften sowie der Koexistenz mit gentechnikfreien Anbaumethoden, stellen gerade ärmere Staaten vor besondere Probleme.

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