Wahlquark

UMWELT- UND MENSCHENFREUNDLICHE MOBILITÄT: DIE KONKRETEN VORSCHLÄGE

Politik der kurzen Wege


1. Grundsätze einer umweltfreundlichen und sozial gerechten Mobilität
2. Verkehrsmittel Nr. 1: Bis zu 60 Prozent aller Wege mit dem Fahrrad
3. Verkehrsmittel Nr. 2: Bahnen und Busse
4. Verkehrsmittel Nr. 3: Seilbahnen als Ergänzung
5. Fuß statt Auto - Ortszentren, sensible Zonen und barrierefreie Fußwege
6. Politik der kurzen Wege
7. Gute Anbindung bis in kleinste Gehöft/Dorf
8. Lasten- und Güterverkehr
9. Verkehrssysteme verknüpfen und intelligent steuern
10. Verkehrswende, Arbeitsplätze und Transformation der Autokonzerne

Rekorde bei Autozulassungen, immer mehr Stau auf der Autobahn - und das, obwohl immer mehr Fahrradfahrer*innen unterwegs sind und auch die Bahn jährliche Passagierrekorde meldet. Flughäfen und Schiffsverkehr werden auch ausgedehnt. Huch? Wo kommen denn die ganzen Menschen und Güter her, die da transportiert werden?

Rechts: Zunahme Verkehrs nach Gründen (aus der Studie "Mobilität in Deutschland 2008 - Ergebnisbericht: Struktur – Aufkommen – Emissionen – Trends")

In der Tat: Es wächst alles. Immer mehr Menschen fahren herum, zum Arbeitsplatz, zum Einkaufen, einfach nur so oder reisen in nahe oder ferne Gegenden. Und immer mehr Güter werden um den Erdball transportiert, um die billigsten Produktionsstätten anzusteuern, das stetig angekurbelte Wirtschaftswachstum zu befeuern oder den ausufernden Konsum zu befriedigen. Die wachsende Mobilität ist eine Folge unserer Lebensweise, vor allem aber der Art des Wirtschaftens - so wie der wachsende Rohstoff- und Energieverbrauch. Einige Mobilität wird dabei gesellschaftlich erzwungen, z.B. durch Zentralisierung von Einkaufsmärkten und Kulturangeboten oder die Zumutung größerer Entfernungen zum Arbeitsplatz.

Verkehr hausgemacht: Die meisten Autos stammen aus der Umgebung
Laut Pendlerstudie der IHK von 2019 pendeln werktäglich 32.544 Menschen allein wegen der Arbeit in den Kreis Gießen, 33.419 verlassen aus gleichem Grund den Kreis. Allein das macht über 120.000 Fahrbewegungen. Arztbesuche, Schüler*innen und Studierende, Einkaufs- und Freizeitverkehr sind ebensowenig mitgerechnet wie der Binnenverkehr im Kreis, also Pendlerströme zwischen den Gemeinden, insbesondere in die Stadt Gießen und aus der heraus. Eine weitere Studie zeigt: Die arbeitende Bevölkerung Gießens tauscht sich jeden Tag zur Hälfte aus - eine Hälfte haut ab, ebensoviele kommen in die Stadt. Ebenfalls nicht in der Statistik drin: der besonders lärm-, schadstoff- und unfallintensive Güterverkehr.

Aus "72 000 Berufspendler im Kreis Gießen", in: Gießener Anzeiger, 19.10.2019 (S. 33)
Die Zahl der Berufspendler im Landkreis Gießen hat einen neuen Höchststand erreicht. Auf dem Weg zur Arbeit verließen im vergangenen Jahr rund 72 000 Menschen regelmäßig die Grenzen des Kreises – das sind 24 Prozent mehr als im Jahr 2000. ...
Gewerkschafterin Doris Hammes spricht von einem „alarmierenden Trend“. Eine Hauptursache für den Pendel-Boom sei der Mangel an bezahlbaren Wohnungen in den Groß- und Unistädten. „Eine wachsende Zahl von Menschen kann sich die hohen Mieten und Immobilienpreise in der Stadt nicht mehr leisten. Aber genau dort sind in den vergangenen Jahren besonders viele Jobs entstanden“, sagt die Bezirksvorsitzende der IG Bau Mittelhessen. Die Folge seien immer längere Staus und überfüllte Züge. Strecken von mehr als 50 Kilometern bis zum Arbeitsplatz seien für viele Pendler mittlerweile gang und gäbe, betont Hammes. „Dabei geht nicht nur wertvolle Zeit für Familie, Freunde und Hobbys verloren. Auch die Umwelt leidet unter der Fahrerei.“ Nötig sei eine „drastische Wende“ in der Wohnungsbaupolitik. „Die öffentliche Hand muss viel mehr in bezahlbaren Wohnraum investieren.“ Investitionen seien aber auch bei der Verkehrsinfrastruktur unverzichtbar, um die Pendler zu entlasten.

Die Zahlen fürs Wiesecktal
Die Anwohner*innen an den großen Einfallstraßen Richtung Gießen oder Rhein-Main stöhnen über den Verkehr. Dabei ist vieles hausgemacht: Die, die da stöhnen, sind auch Mitverursacher*innen. Entlang des Wiesecktales sind die Zahlen sehr dramatisch: 84 Prozent = 4143 der beschäftigten Busecker*innen fahren zum Arbeiten an einen anderen Ort, 1714 davon nach Gießen. Fast gleichauf liegt Reiskirchen mit 82 Prozent = 3389 der Beschäftigen, 1108 davon nach Gießen. Schauen wir noch nach Grünberg: 77 Prozent = 4055 arbeiten außerhalb, 982 davon in Gießen. So geht es auch im Vogelsberg weiter: 76 Prozent der Beschäftigen in Mücke pendeln, immerhin noch 481 nach Gießen.
Mensch bedenke: Das ist nur die Hinfahrt, zurückkommen werden die Menschen wohl auch. Hinzu kommen die Menschen, die von Gießen aus in die Gemeinden pendeln, z.B. täglich 461 nach Buseck, 230 nach Reiskirchen und 127 nach Grünberg. Außerdem sind es nur die Zahlen für den Berufsverkehr: Hochschulen, Schulen, Einkaufen - da kommen noch ganz andere Zahlen zustande. Alles ist Ziel- und Quellverkehr - Umgehungsstraßen nützen da nichts, besserer ÖPNV und Fahrradstraßen hingegen viel.

Überregionale Zahlen
Aus Günther Hartmann, "Raum‚ Zeit und Stress", in: ÖkologiePolitik 1/2020 (S. 30)
Pendler gibt es aber nicht nur in Großstädten, sondern überall. Und ihre Zahl steigt in ganz Deutschland kontinuierlich an: von 14,9 Mio. im Jahr 2000 auf 19,3 Mio. im Jahr 2018. Und auch die durchschnittliche Länge der Arbeitswege nimmt zu: von 14,8 Kilometer im Jahr 2000 auf 16,9 Kilometer im Jahr 2018. In dünn besiedelten Regionen liegt die durchschnittliche Fahrstrecke gar bei 30 Kilometern.
Immer mehr Pendler mit immer längeren Fahrstrecken – das rührt daher, weil heute quasi alle Regionen sogenannte „urbane Regionen“ sind. Mit „urban“ ist hier gemeint, dass die Bevölkerung überwiegend Berufen nachgeht, die nichts mit der Landwirtschaft zu tun haben – auch wenn die Raumstruktur aus der agrarwirtschaftlichen Epoche stammt. Das Resultat ist übermäßiger Autoverkehr. Denn selbst wenn ein Ort neue Unternehmen ansiedelt, ist es unwahrscheinlich, dass viele seiner Einwohner dort arbeiten werden. Arbeitsplatzanforderung, Berufsausbildung und Berufswunsch müssen zusammenpassen – und das ist in einer hochgradig arbeitsteiligen Gesellschaft selten der Fall.


Verkehr sparen, Mobilität nicht länger erzwingen, Wege kürzen!
Die Verlagerung der Verkehrsmengen vom Auto auf Fußwege, Fahrräder, Busse und Bahnen ist daher nicht ausreichend. Wie bei der Energie- und Rohstofffrage ist "Mobilität sparen" eine weitere wichtige Forderung - dumm nur, dass diese Frage sowohl bei Mobilität als auch bei Energie und Rohstoffen nicht (mehr) gestellt wird. Der Wachstumsfetisch ist längst auch Credo der (Pseudo-)Umweltbewegung, der Grünen usw. geworden, die mit ihren Ökoideen den Mythos des unendlichen Wachsens selbst bedienen.
Viele Probleme wären aber entschärft, wenn unser Leben und Wirtschaften weniger Rohstoffe, Energie, Flächen verbrauchen und Mobilität nötig machen würde.

Für die Mobilität hieße das unter anderem:
  • Keine Flächen für Supermärkte und anderen Handel außerhalb der Ortschaften.
  • Initiativen für Läden, Kulturangebote, Gemeinschaftsräume auch und gerade in den kleinen Orten.
  • Regionalpolitische Einmischung zugunsten kurzer Wege, gegen neue
    Straßen, Outlet Center und Märkte auf der grünen Wiese.
  • Initiative über den Gemeindebund, den Städtetag, weitere NGOs und
    Parteien zur Umschichtung der Fördermittel für den Autoverkehr und der
    Ausgaben für die Pendlerpauschale für Nulltarif und Radwegeausbau.
  • Veränderung der Zumutbarkeitsregelungen für die Annahme von Jobs, die tägliche lange Fahrten zum Arbeitsplatz oder gar ein eigenes Auto voraussetzen.

Beispiele für den Kampf um lokale Infrastruktur

Längere Wege fressen Zeitgewinne auf - die Spirale der Automobilisierung
Subjektiv spart das Auto für viele Menschen Zeit ein. Tatsächlich ist das aber mehr als zweifelhaft, denn die Zeit, die Menschen durchschnittlich mit Fortbewegung beschäftigt sind, unterscheidet sich im Wandel der Zeit und auch in verschiedenen Regionen der Erde kaum.

Aus "Das konstante Reisezeitbudget"
Das Reisezeitbudget gilt als eine der stabilsten Mobilitätskenngrößen. Es ist global und auch im zeitlichen Verlauf konstant und beträgt etwa eine bis anderthalb Stunden / Tag. In Verbindung mit technischem Fortschritt und der zunehmenden Geschwindigkeit von Verkehrsmitteln prägt es Raumstrukturen und manifestiert distanzintensive Lebens- und Arbeitsweisen.

Und noch etwas: Bei geringen, den typisch innerörtlichen Entfernungen sind Fuß und Fahrrad in der Regel sogar das schnellere Verkehrsmittel gegenüber dem Auto (mit einem Pedelec gilt das sogar bis 10km).

Aus "Reisezeitunterschiede unterschiedlicher Verkehrsarten von Tür zu Tür im Stadtverkehr – Realität und subjektive Wahrnehmungsverzerrung"
Die Reisezeitvorteile des Pkw im Stadtverkehr werden häufig überschätzt. Bis zu einer Distanz von 1,5 km kann das zu Fuß gehen, bis 5 km das Fahrrad fahren und bis 10 km die Pedelecnutzung schneller sein als die Fahrt mit dem Pkw. Grund sind die vergleichsweise lange Parksuchdauer und die langen Wege vom Parkplatz zum Ziel. Da die Reisezeit des Rad- und Fußverkehrs von Nicht-Nutzern signifikant überschätzt und andere Kriterien wie Komfort in der Verkehrsmittelwahl priorisiert werden, kommt es dennoch zu einer starken Nutzung des MIV auch auf sehr kurzen Distanzen.

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