Martin Luther

VERFASSUNGSKLAGE WEGEN VERSTOSS GEGEN VERSAMMLUNGSRECHT

Verstoß gegen Art. 8 GG (Versammlungsfreiheit)

Zum Geschehen
Am 11.1.2003 erhielten – wenige Stunden nach den entsprechenden Geschehnissen – Personen aus verschiedenen Gießener politischen Gruppen durch die Betroffenen die Information über die Festnahmen am 9.1.2003 und die Hausdurchsuchung mit umfangreichen Beschlagnahmen am 10.1.2003 in der Projektwerkstatt in Saasen. Es entstand der spontane Beschluss, dagegen eine Demonstration in der Gießener Innenstadt zu machen (beide Polizeimaßnahmen sind inzwischen auch formal als rechtswidrig eingestuft worden, was für Fragen des Versammlungsrechts unerheblich ist, aber deutlich macht, dass hier offensichtlich ein spontaner Grund vorlag). Für die Demonstration verwendet wurden ein ohnehin vorhandenes Transparent „Freiheit stirbt mit Sicherheit“ und ein Megaphon. Die Demonstration startete am nahegelegenen Selterstor und zog von dort durch die zentrale Fussgänger*innenstraße (Seltersweg) Richtung Marktplatz. Dabei kam die Demonstration zunächst an einem Parteistand der SPD vorbei. Dort und auf dem Weg wurden einzelne Durchsagen gemacht. Schließlich führte die Demonstration auch am CDU-Stand vorbei, der auf dem Seltersweg stand.

Da es sich um eine Demonstration handelte, war offenbar auch offensichtlich. Nicht nur die Presse be-richtete so („Bei einer Art Demonstration... “, Gießener Anzeiger, 14.1.2003; „Demonstration gegen die Gefahrenabwehrverordnung in der Fußgängerzone“, Gießener Allgemeine, 13.1.2003), sondern auch die Urteile in den Gerichtsverfahren stellen das nicht in Frage.
Die Anklage der Staatsanwaltschaft enthält eine klare Formulierung: „Am 11.1.2003 gegen 13.15 Uhr wurde der Angeschuldigte Bergstedt im Zusammenhang mit einer nicht angemeldeten Demonstration im Seltersweg von mehreren Polizeibeamten vorläufig festgenommen.“ Später wird in der Anklage-schrift weiter ausgeführt: „Der Anlass für die zweite vorläufige Festnahme des Angeschuldigten Bergstedt am 11.1.2003 war seine Teilnahme an einer nichtangemeldeten Demonstration ...“.
Im Protokoll und im Urteil der ersten Instanz (Amtsgericht) ist ebenfalls von „Versammlung“ die Rede, die aufgelöst werden sollte. Im Protokoll beschreibt der Zeuge POK Walter laut Protokoll den Ablauf wie folgt: „Es kam zu Lautsprecherdurchsagen von Herrn Bergstedt, der Polizeimaßnahmen und Durchsuchungen der Projektgruppe anprangerte. Es wurden Transparente ausgerollt. Da die Ver-sammlung nicht angemeldet war, sollte sie aufgelöst werden, das forderten sowohl Herr Bouffier und auch Herr Meise. Es wurden noch 7-8 Kollegen dazubeordet. Das Transparent konnte den Trägern abgenommen und sichergestellt werden. Wir näherten uns Bergstedt, forderten ihn auf, das Megaphon abzugeben. Wir sagten, wir dürften es ihm abnehmen. Dagegen wehrte er sich insofern, als er eine passive Haltung einnahm.“ (Protokoll des Verfahrens am 15.12.2003, Seite 14). Deutlich ist zu erkennen, dass selbst der Einsatzführer der Polizei von einer Versammlung ausging. Sein Bericht vor Gericht enthält jedoch wie seine Niederschrift vom gleichen Tag keinerlei Hinweis auf Anwendung von Versammlungsrecht. Eine formale Auflösung erfolgte nicht, sondern wie im Bericht weist auch das Gerichtsprotokoll aus, dass die Sicherstellung des Transparentes der erste Schritt gegen die Demonstration war – ohne Auflösung, ohne Vorwarnung, ohne Prüfung anderer niedrigschwelligerer Mittel und ohne Rechtsgrundlage nach Versammlungsrecht.
Entsprechend stellt das Gericht im Urteil diesen Ablauf auch fest: „Am 11.1.2003 fand in der Gießener Fußgängerzone eine angemeldete Wahlveranstaltung der CDU statt, an der u.a. der hessische In-nenminister Bouffier teilnahm. Der Angeklagte Bergstedt begab sich mit mehreren Personen, die der Projektwerkstatt angehörten oder nahe standen, zu dem dort aufgebauten Stand der CDU und beschwerte sich in dessen unmittelbarer Nähe mittels eines von ihm mitgebrachten Megaphons über po-lizeiliche Maßnahmen, insbesondere eine kürzlich vorgenommene Durchsuchungsaktion in Saasen. Ein Transparent mit der Aufschrift "Freiheit stirbt mit Sicherheit" wurde entrollt.
Als der Angeklagte seine kurz unterbrochene Rede mittels Megaphon fortsetzte, wollten mehrere Poli-zeibeamte auf Geheiß des Herrn Bouffier, der sich durch das Verhalten des Angeklagten gestört fühlte, und des ebenfalls anwesenden Polizeipräsidenten die Versammlung auflösen und insbesondere das Megaphon sicherstellen.“ (Aus dem Urteil vom 15.12.2003).
Nicht viel anders liest es sich im Urteil der zweiten Instanz, dem Landgericht Gießen: „... fand am 10. 1.2003 in der Projektwerkstatt in Saasen eine Durchsuchung durch die Polizei statt. Unter anderem wurden Teile der dort benutzten PC's beschlagnahmt und von der Polizei mitgenommen. Dadurch veranlasst entschlossen sich der Angeklagte Bergstedt und andere zu einer Aktion auf dem Seltersweg in Gießen. Mit einem Spruchband mit der Aufschrift "Freiheit stirbt mit Sicherheit" und einem Megaphon ausgerüstet, traf sich die Gruppe von 10 bis 12 Personen am späten Vormittag des 11. 1. 2003 in der Fußgängerzone der Giessener Innenstadt und zwar in Höhe der Einmündung der Plockstraße in den Seltersweg bei den "3 Schwätzern", einer allseits bekannten Skulptur.“ (Aus dem Urteil vom 3.5.2005). Hier fehlt nur die Phase, die schon vor dem vom Gericht beschriebenen Zeitpunkt lag. Die Lage am CDU-Stand ist so beschrieben, wie es für eine Versammlung typisch ist.
Schließlich hat auch die dritte Instanz, das Oberlandesgericht Frankfurt das Geschehen eindeutig als Demonstration gewertet: "Am 11.1.2003 versammelten sich der Angeklagte Bergstedt und etwa 12 weitere Personen - eine Genehmigung nach dem Versammlungsgesetz lag nicht vor – in der Innenstadt von Gießen“ (Aus dem Beschluss des OLG vom 29.3.2005, Az. 2 Ss 314/05).

Über den weiteren Verlauf der Handlungen (bis zu den vermeintlichen Widerstandshandlungen von mir gegenüber einem Polizisten, die ich weiterhin ebenso bestreite wie die Mehrzahl der Zeugen im Verfahren) liegen weitgehend übereinstimmende Berichte, Zeug*innenaussagen und Formulierungen in den Urteilen vor. Letztere erwähnen nur die Sicherstellung des Transparentes nicht. Dieser Vorgang ist aber völlig unstrittig, er wird von allen Zeug*innen geschildert, ist in der sofortigen Niederschrift des Zeugen Walter noch am 11.1.2003 erwähnt und den Gerichtsakten somit beigefügt, zudem existiert ein Sicherstellungsprotokoll, in dem das Transparent aufgeführt wird (Anlage 6).
Nach übereinstimmenden Schilderungen hat die Demonstration auf dem Seltersweg, d.h. in einigen Metern Entfernung vom CDU-Wahlstand eine Zwischenkundgebung abgehalten. Dabei war ich Redner und schilderte mit einigen Unterbrechungen die Festnahmen und die Hausdurchsuchung in der direkt davor liegenden Zeit.
Wie der Zeuge Walter, der Einsatzführer vor Ort war, in seinem am gleichen Tag gefertigten Bericht festhält, war der Ablauf zeitlich so, dass zuerst das Transparent angegriffen wurde ohne jegliche Vorwarnung: „Aus polizeitaktischen Gründen wurden durch Unterzeichner zusätzliche Kräfte angefordert. Bei deren Eintreffen (eine Streife der Pst. Gießen-Nord - drei Kollegen -, eine Streife der Pst. Gießen-Süd und eine weitere Streife des KDD) sollte zunächst das Transparent sichergestellt werden. Man nähert sich dieser Personengruppe und forderte die beiden Träger auf, das Transparent auszuhändigen.“ (Aus dem Bericht des Polizeiführers vom 11.1.2003, Gerichtsakten Bd. II, Abt. 07, Blatt 15, siehe Anlage 7). Gegenüber dieser Schilderung gibt es zwar abweichende Zeug*innenaussagen, die schilderten, dass die Polizeibeamten sofort nach dem Transparent griffen. Für die Frage der Ver-fassungswidrigkeit spielt das aber keine Rolle. Aus dem Bericht des Polizeiführers geht hervor, dass dieser als erste Handlung die Sicherstellung des Transparentes durchführte. Es gab weder eine War-nung noch eine Auflösung der Demonstration noch den Versuch, Auflagen zu erteilen. Eine Rück-sprache mit der Versammlungsbehörde fand nach dem Bericht auch nicht statt.
Nach der weiteren Schilderung von Rangeleien um das Transparent und dessen schlussendliche Sicherstellung wird der Bericht mit ähnlichen Worten in Sachen Megaphon fortgesetzt: „Vor der Sicherstellung des Megaphons wurde der Beschuldigte darüber in Kenntnis gesetzt, dass er mit diesen seinen lauten Durchsagen Geräusche in einer Lautstärke verursache, die die Allgemeinheit erheblich beeinträchtigen würde. Eine behördliche Genehmigung für die Benutzung desselben konnte er nicht vorlegen. Deshalb wurde er von dem Unterzeichner darauf hingewiesen, dass das mitgeführte Megaphon nun sichergestellt werde, um ein weiteres ordnungswidriges Verhalten zu unterbinden. Er habe somit das Megaphon unverzüglich an uns auszuhändigen. Im Falle der Weigerung wurde ihm die Anwen-dung einfacher körperlicher Gewalt unsererseits angedroht.“ (a.a.O., Blatt 16).
Weiterhin ist auch hier klar: Es gab immer noch keine Warnung, keine Erteilung von Auflagen, keine Auflösung der Demonstration. Folglich wurden auch keine Gründe für solche Maßnahmen genannt, die auch schwer hätten gefunden werden können. So gab es u.a. keinerlei Anzeichen für Eskalation, Gewaltanwendung oder ähnliches. Es hatten sich bis zu diesem Zeitpunkt keine Personen aus der Demonstrationsgruppe gelöst, etwa um sich dem CDU-Stand oder dem Innenminister zu nähern. Das wird auch von niemandem behauptet – weder der Einsatzführer vor Ort noch die Staatsanwaltschaften in ihren Anklagen oder Plädoyers noch die Urteile benennen irgendeine Gefahr, die von der Demonstration ausging. Lediglich auf die Lärmbelästigung wird verwiesen, was erstens ein nachrangiges Schutzgut ist, zweitens in der konkreten Form typisches Merkmal von Demonstrationen ist, die ja nach außen Meinungen kundtun wollen, also gehört werden müssen, und drittens immer noch kein Grund ist, ohne Vorwarnung, Auflösung und dergleichen sofort die zwangsweise Zerschlagung der Demonst-ration durchzuführen.
Aus dem Zugriff der Polizei heraus entstand ein Tumult, an deren Ende meine Festnahme und zwangsweise Verbringung in ein Polizeiauto stand. Der Einsatzführer Walter behauptete dann, dass ich ihn getreten haben soll im Zuge dieser Festnahme aus der Demonstration heraus, wobei in den Urteilen, in seinen Aussagen und vor allem im Vergleich zu seinem Bericht vom 11.1.2003 (a.a.O.) sehr große Unterschiede zu sehen sind, wann und wie das geschehen sein soll. Das ist allerdings für diese Beschwerde nicht von Belang. Zwar bleibe ich bei meiner Darstellung, dass der Tritt eine freie Erfindung des Zeugen Walter ist, der Verfassungsbruch liegt aber in dem Angriff auf die Demonstration. Anders als die Anklageschriften und alle benannten Urteile und Beschlüsse war dieser Polizeieinsatz einschließlich meiner Festnahme im Moment einer Rede auf der Demonstration rechtswidrig, weshalb selbst dann, wenn ich Widerstand geleistet hätte (was ich bestreite), dieser nicht strafbar gewesen wäre.
Das Urteil in erster Instanz schildert den weiteren Ablauf so: „Als der Angeklagte seine kurz unterbrochene Rede mittels Megaphon fortsetzte, wollten mehrere Polizeibeamte auf Geheiß des Herrn Bouffier, der sich durch das Verhalten des Angeklagten gestört fühlte, und des ebenfalls anwesenden Poli-zeipräsidenten die Versammlung auflösen und insbesondere das Megaphon sicherstellen. Zu diesem Zweck forderte der Polizeibeamte Walter den Angeklagten zur Hergabe des Megaphons auf. Dies verweigerte der Angeklagte. Der Zeuge und ein weiterer Beamter versuchten daraufhin, dem Ange-klagten das Megaphon, das er über die Schulter gehängt hatte, abzunehmen, wogegen sich der An-geklagte durch Wegdrehen wehrte.
Der Zeuge Walter erklärte dem Angeklagten daraufhin die vorläufige Festnahme und forderte ihn auf, ihn zum Funkwagen zu begleiten. Da der Angeklagte dem nicht Folge leistete, wollte ihn der Zeuge Walter dorthin bringen. Dabei wurden er und ein Kollege, der Beamte Ernst, von Sympathisanten des Angeklagten gestört, es kam zu tumultartigen Szenen, in deren Verlauf der Zeuge mehrfach strauchel-te oder stürzte, ohne sich allerdings zu verletzen.“ (Aus dem Urteil vom 15.12.2003). Im Urteil wird, wie zu sehen ist, mir keinerlei aktiver Anteil an den „tumultartigen Szenen“ zugesprochen, was im Prozess mehrfach auch auf Nachfrage von allen Zeug*innen einschließlich der Polizisten bestätigt wurde. In jedem Fall aber zeigt auch die Niederschrift im Urteil, dass keinerlei Begründungen nach Versammlungsrecht erfolgten oder irgendwelche Vorschriften des Versammlungsrechts angewendet oder beachtet wurden. Stattdessen ist nur zu finden, dass die Polizei „auf Geheiß des Herrn Bouffier“ (Innenminister) „... die Versammlung auflösen“ wollte. Sie tat das nicht durch irgendeine Durchsage oder Warnung, sondern sofort und als erste Handlung durch den Angriff auf die Demonstration.
Im Urteil der zweiten Instanz wird der weitere Ablauf sehr ähnlich beschrieben: „Gleichzeitig begann Bergstedt, durch das Megaphon u. a. die Durchsuchung der Projektwerkstatt durch die Polizei als unerhörten, rechtswidrigen Übergriff staatlicher Gewalt darzustellen. Er stand dabei in einer Entfernung von etwa 10 - 12 m direkt vor dem CDU-Stand und sprach in Richtung des Stands und der sich dort aufhaltenden CDU - Anhängern und interessierten Bürgern. Er redete mit Unterbrechungen mehrfach hintereinander, insgesamt mindestens 10 Minuten lang. Währenddessen meinten sowohl der Innen-minister als auch der Polizeipräsident Meise gegenüber dem Zeugen Walter, der als Einsatzleiter der Polizei für Sicherheit und Ordnung vor Ort verantwortlich war, dass man sich "das", gemeint war die Aktion des Angeklagten Bergstedt, nicht bieten lassen wolle. Dann rief der Zeuge Walter, der nur mit einem weiteren Kollegen vor Ort war, Verstärkung herbei. Als kurz darauf etwa 8 - 9 weitere Beamte eingetroffen waren, wollte der Zeuge Walter das Tun des Angeklagten und seiner Begleiter beenden. Er trat deshalb zusammen mit weiteren Polizeibeamten an den Angeklagten Bergstedt heran. Der Angeklagte wusste sofort, dass er aufhören und am besten mit seinen Mitstreitern weggehen sollte. Dem wollte er sich jedoch nicht beugen. Er umklammerte daher mit beiden Händen und Unterarmen augenblicklich das Megaphon. Mit der Androhung, es werde dem Angeklagten abgenommen, wenn er es nicht freiwillig herausgebe, griff der Zeuge Walter sodann nach dem Megaphon, weil der Angeklagte dieses weiter umklammerte und seinen Oberkörper schützend darüber beugte. Da auch das Abnehmen nicht gelang, erklärte der Zeuge Walter dem Angeklagten mit knappen Worten, er (der Ange-klagte) werde in Gewahrsam genommen, wenn er weiter die Herausgabe des Megaphons verweigere. Nachdem auch diese Androhung wirkungslos blieb, ergriffen der Zeuge Walter und der Zeuge Ernst den Angeklagten an den Oberarmen, um ihn zu einem unweit abgestellten Polizeifahrzeug zu bringen, das ihn zur zuständigen Polizeistation transportieren sollte. Aus dieser Situation heraus entwickelten sich sodann tumultartige Szenen.“ (Aus dem Urteil des Landgerichts Gießen vom 3.5.2005).
Auch hier ist klar ersichtlich, dass es keinerlei Aufforderungen nach Versammlungsrecht gegeben hat-te und bezüglich der dann erfolgten Festnahme keinerlei niedrigschwelligere Maßnahmen geprüft wurden. Da eine Auflösung der Demonstration nie erfolgte, muss mensch davon ausgehen, dass die „tumultartigen Szenen“, also das Herumzerren der Polizei an Demonstrationsteilnehmer*innen, das Festnehmen und Wegtragen des Redners auf der Kundgebung und die Beschlagnahme des Transparentes während (!) der laufenden Versammlung erfolgten. Nicht nur dieses offensichtlich rechtswidrige Vorgehen plus der direkten Herbeiführung solchen Rechtsbruch durch einen für die Rechtssicherheit zuständigen Ministers ist erschreckend, sondern auch die dann folgenden Anstrengungen zuständiger Gerichte, diese Offensichtlichkeiten zu vertuschen und durch sichtbare Rechtsbeugungen in ein Licht zu rücken, dass sie doch noch rechtmäßig erscheinen lässt.

Die grundgesetzwidrigen Vorträge und Entscheidungen durch Polizei, Staatsanwaltschaft und Gerichte im Verlauf des Verfahrens
Wie geschildert wurde, haben alle Instanzen die auch von Zeug*innen und Presse wiedergegebene Auffassung, dass es sich um eine Versammlung handelte, geteilt. Durch mich als Angeklagten wurde auch in mehrfacher Form, u.a. in den Zeug*innenbefragungen wie auch in umfangreichen Ausführun-gen jeweils im Plädoyer auf die Rechtswidrigkeit des Polizeieinsatzes gegen mich als Redner auf der Demonstration hingewiesen. In der Folge haben auch alle Instanzen sich mit dieser Frage beschäftigt und in den Urteilsbegründungen ihre Rechtsauffassungen dargelegt, wieso der Angriff der Polizei auf die gesamte Demonstration (vor mir wurden ja noch die Besitzer*innen des Transparentes angegriffen und das Transparent entrissen) nun rechtmäßig gewesen sein soll.

Entscheidung vor Ort durch POK Walter
Der Zeuge Walter war Einsatzführer der Polizei vor Ort. Er sagte als Zeuge aus, dass er die Demonstration für einen „Verstoß gegen die Gefahrenabwehrlärmverordnung“ gehalten habe. Eine solche aber gibt es gar nicht.
Zudem führte er aus, dass er die Demonstration für unrecht gehalten habe, weil sie nicht angemeldet gewesen sei. Auf entsprechende Vorhaltung ergänzte er, dass er der Meinung sei, dass alle Demonst-rationen 48 Stunden vorher angemeldet werden müssten und es Ausnahmen davon wie z.B. Spontan- oder Eilversammlungen nicht geben würde.
Amts- und Landgericht haben diese Ausführungen mitbekommen, da POK Walter sie als Zeuge im Verfahrensverlauf machte. In der ersten Instanz wurde der Zeuge auf Antrag von mir als Angeklagten aufgeklärt, dass seine Rechtsauffassung irrig sei. Dennoch wiederholte er sie in der zweiten Instanz.
In seinem Bericht, der den Gerichtsakten beigefügt ist, formuliert POK Walter: „Da davon ausgegan-gen werden mußte, dass der Beschuldigte keine behördliche Erlaubnis zur Benutzung eines Megaphons hatte, sollte dieses sichergestellt werden. Ferner sollte auch das Transparent mit den Holz-stangen nach dem HSOG sichergestellt werden“. Die Annahmen von POK Walter sind rechtlich falsch. Das Versammlungsrecht und nicht das Polizeirecht (HSOG) kommen bei Demonstrationen zur Anwendung. Dass der Einsatzleiter Walter das völlig anders handhabte, zeigt das Sicherstellungspro-tokoll selbst (Anlage 6). Dort wird als Grund „gemäß § 40 HSOG, sonstige OWi“ benannt, was zeigt, dass die Polizei hier nach Polizeirecht handelte und das Versammlungsrecht missachtete. Dass die Festnahme auch nach Polizeirecht nicht zulässig gewesen wäre, weil niedrigschwelligere Mittel wie Platzverweise u.ä. gar nicht probiert wurden, steht bei dieser Verfassungsbeschwerde leider nicht mehr zur Prüfung an – die Ablehnung der Revision als „offensichtlich unbegründet“ ist angesichts der Offensichtlichkeit der Begründetheit allerdings schlicht ein Skandal. Für die Prüfung der Verfassungs-mäßigkeit ist entscheidend, dass die Polizei hier das Versammlungsrecht vollständig unberücksichtigt ließ.
Die Formulierung „Da davon ausgegangen werden mußte“ zeigt zusätzlich, dass POK Walter nach der Aufforderung durch den Innenminister, die Demonstration zu beenden, offenbar auch keinerlei Erkundigungen eingeholt hat über die Gefahrenlage. Er agierte, wie er selbst hier zeigt, freischwebend ohne Bezug auf vorhandenes Recht oder irgendwelche tatsächlichen Annahmen, Informationen u.ä., die eine Demonstrationsauflösung rechtfertigen könnten (die dann aber auch anders ablaufen müßte). Zudem hat er gar nicht geprüft, welche Mittel in Fragen kommen und nach dem „Gebot des mildesten Mittels“ vielleicht zu bevorzugen sind.
In seiner späteren Zeugenaussage vor Gericht wird zu POK Walter laut Gerichtsprotokoll festgehalten (auf meine Fragen hinsichtlich Versammlungsrecht, die bis dahin für Gericht und Staatsanwaltschaft ebenso keine Rolle spielte wie für den Einsatzführer und Zeugen): „Ich habe Ihnen die Festnahme er-klärt, weil Sie gegen das Versammlungsverbot verstoßen haben. Sie traten als Rädelsführer auf und störten als einziger maßgeblich die Kundgebung“. Die Ausführungen zeigen, dass POK Walter offen-bar erst auf Vorhaltungen hinsichtlich Versammlungsrecht sich Gedanken über dieses macht und nun (ganz anders als in seiner Niederschrift) plötzlich ein Versammlungsverbot erfindet und gleichzeitig den CDU-Wahlstand als „Kundgebung“ klassifiziert. So wird das Versammlungsrecht hier gleich mehr-fach durcheinandergewirbelt – und plötzlich bin ich als Redner auf einer Versammlung der Rädelsführer einer Störaktion gegenüber einer anderen Kundgebung. Erklärbar ist diese Konfusion nur aus der sich im Prozess deutlich zeigenden völligen Ahnungslosigkeit des Polizeiführers über das Versamm-lungsrecht. Ist es schon verwunderlich, dass die Polizeileitung diese Entscheidung trifft, eine in der Rechtsmaterie völlig unwissende handelnde Gruppe zu einer Versammlung zu schicken, so sind die folgenden Abläufe aber weitaus gravierender, da hier ausgebildete Jurist*innen aus Staatsanwaltschaften und Strafkammern das Versammlungsrecht umfangreich beugen und die rechtliche Fehleinschät-zung des Polizeiführers zu stützen beginnen – offensichtlich um die gewünschte Verurteilung errei-chen zu können.

Anklage
In der Anklage wird, wie oben beschrieben, von „einer nichtangemeldeten Demonstration“ gespro-chen. Es entsteht der Verdacht, dass die Staatsanwaltschaft der Meinung sei, dass die Versammlung deshalb rechtswidrig gewesen und der Polizeieinsatz deshalb rechtmäßig sein könnte. Genauere Ausführungen dazu erfolgen nicht. Auch in den zwei Instanzen hat die Staatsanwaltschaft dazu nie Stellung bezogen, auch im Plädoyer nicht, obwohl ich als Angeklagter sehr umfangreich die Rechtswidrigkeit des Polizeizugriffs nachgewiesen hatte.
Hinsichtlich der Frage, wieweit der konkrete Ablauf rechtmäßig war oder andere Mittel zu bevorzugen gewesen seien, hat die Anklagevertretung sich ebenfalls nie geäußert.

Urteil 1. Instanz
Dem Richter der ersten Instanz war zwar (wie geschrieben) die Fehlerhaftigkeit der Rechtsauffassung des Zeugen, der immerhin Leiter der Polizeigruppe war, die bei einer Demonstration eingesetzt war, selbst klar. Im Urteil fanden sich dann aber andere Ausführungen, warum trotzdem alles rechtmäßig gewesen sein sollte: „Die Diensthandlung des Zeugen Walter (Verbringung zum Polizeibus) war rechtmäßig. Dabei kann dahinstehen, ob die Versammlung des Angeklagten und seiner Anhänger als Spontandemonstration erlaubt war oder nicht. Denn jedenfalls störte der Angeklagte eine angemeldete Wahlveranstaltung durch lautstarke Ansagen mittels Megaphon. Dies durfte durch die Polizei mit den von ihr gewählten Mitteln unterbunden werden, unabhängig davon, wer letztlich die Anordnung zum Polizeieinsatz gegeben hatte.“ (Aus dem Urteil der 1. Instanz vom 15.12.2003)
Mit dieser Formulierung zeigt das Gericht ein seltsames Rechtsverständnis. Es sei unerheblich, ob die Demonstration rechtens war oder nicht, die Polizei durfte in jedem Fall angreifen. Danach dürfte die Polizei also jede Demonstration auflösen, wenn nur irgendwelche anderen Rechtsgüter betroffenen sein könnten, nicht nur gleich- oder höherrangige. Zudem erwähnt das Urteil an keiner Stelle eine formal gültige Auflösung der Demonstration, den Versuch von Auflagenerteilung oder die Anwendung niedrigschwelligerer Mittel gegen die vermeintliche Störung, z.B. einen Platzverweis. Es ist daher da-von auszugehen, dass das Gericht die von mir geschilderte Auffassung teilt, dass hier ein Angriff auf eine laufende Demonstration erfolgte, ohne dass diese vorher aufgelöst wurde, ohne dass Auflagen existierten, die ein Megaphon oder ein Transparent untersagten, ohne jegliche Vorwarnung und ohne jegliche Prüfung, ob mildere Mittel für den gewünschten Effekt ausreichend gewesen wären.

Urteil 2. Instanz
Im Urteil geht das Gericht nur oberflächlich auf die Frage der Rechtmäßigkeit der Diensthandlung ein, das Versammlungsrecht wird dabei trotz intensiver Vorbringung u.a. im Plädoyer des Angeklagten gar nicht benannt. „Die vom Zeugen Walter vorgenommene Diensthandlung war im Sinne von § 113 Abs. 3 StGB rechtmäßig. Der Zeuge Walter war zuständig für die Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung im Bereich der von der Stadt Gießen genehmigten CDU-Wahlwerbung mit einem Stand. Bei der gegebenen Sachlage entschied er sich angesichts der ihm zur Verfügung stehenden Erkenntnis-quellen zu Recht zum Einschreiten. Ob dabei die Wünsche des Innenministers und des Polizeipräsi-denten eine Rolle spielten, war daher ohne Belang. Sein Verlangen, das Megaphon herauszugeben, war nach der nicht zu beanstandenden Einschätzung der Lage durch den Zeugen Walter auch not-wendig, um weitere Durchsagen zu unterbinden. Da sich der Angeklagte allem widersetzte, waren auch seine Festnahme und der Abtransport zum Transportfahrzeug rechtmäßig.
Der Angeklagte handelte rechtswidrig und schuldhaft. Ein Irrtum über die Rechtmäßigkeit der Dienst-handlung war nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme auszuschließen.“
Das fehlende Eingehen auf des Versammlungsrecht ist entweder eine grobe Unterlassung des Ge-richts, dass damit wesentliche Aspekte der Beweisaufnahme nicht beachtet hat, oder eine bewusste Entscheidung in der klaren Erkenntnis, dass das Versammlungsrecht und vor allem der Artikel 8 des Grundgesetzes keine andere Entscheidung möglich machen als die Feststellung, dass die Diensthandlung rechtswidrig war. Wäre das Weglassen jeglicher Prüfung nach dem Versammlungsrecht bewusst erfolgt, läge ein eindeutiger Fall von Rechtsbeugung im Amt vor. Der an die Behauptung der Rechtmäßigkeit anschließende Satz mit der Behauptung, die Rechtsmäßigkeit der Diensthandlung sei mir sogar bewusst gewesen, obwohl ich im Prozessverlauf meinen Kenntnisstand vom Versamm-lungsrecht umfangreich darstellte, ist ein Hinweis darauf, dass das Gericht hier nicht nur fahrlässig handelte, sondern gezielt Recht beugte, um die Verurteilung erreichen zu können. Unabhängig davon ist es schlicht eine Unverschämtheit, mir zu unterstellen, ich hätte bezüglich des Versammlungsrechts die gleiche abwegige Auffassung wie das Gericht und alle intensiven Hinweise auf das Versamm-lungsrecht meinerseits seien folglich nur Ausflüchte gewesen.
Für die Begründetheit einer Verfassungsklage ist das Letztgenannte aber nicht von Belang. Sowohl eine fahrlässige wie eine bewusste Nichtbeachtung des Art. 8 Grundgesetz begründet die Grundgesetzwidrigkeit des Urteils des Landgerichtes.

Revisionsbegründung
Mein Rechtsanwalt hat in der umfangreichen Revisionsbegründung auch den sachlichen Fehler der Rechtswidrigkeit des Polizeiangriffs auf die Demonstration präzise geschildert. Im Wortlaut enthielt die Begründung die folgenden Ausführungen zu diesem Punkt:

Das Urteil enthält ebenso wie das Vorgehen von POK Walter am 11.1.2003 eine falsche Rechtsbewertung der Frage, ob das Polizeihandeln rechtsgemäß war. Das Versammlungsrecht ist eindeutig:
Die Polizei darf eine Demonstration nicht willkürlich angreifen. Solch eine Willkürmassnahme stellt aber dar, wenn eine Demonstration auf Wunsch der kritisierten Politiker attackiert wird.
Zudem ist der Angriff rechtswidrig, wenn er die notwendigen Vorschriften und Regeln bei der Auflösung einer Demonstration nicht einhält.. Danach hätte die Polizei die Einstellung bestimmter verbotener Tätig-keiten (wenn es sie denn gegeben hätte) fordern und bei Nichtbefolgung die Auflösung der Demonstrati-on androhen und dann zunächst verkünden müssen. All das ist zweifelsfrei erwiesen im vorliegenden Fall nicht geschehen. Kein einziger Zeuge, auch der Polizei-Einsatzleiter nicht, berichteten von solchen Vorgängen.
Die Bewertung des Gerichts, dass Redebeiträge auf der Demonstration eine Lärmbelästigung dargestellt hätten, ist vom geltenden Versammlungsrecht her eine unhaltbare Rechtsposition. Das Versammlungsrecht steht über Lärmschutzverordnungen. Eine Unverhältnismäßigkeit der Redebeiträge oder Lautstär-ke des Megaphons wurden weder belegt noch überhaupt behauptet.
Die Rechtswidrigkeit des Polizeieinsatzes zeigt sich zudem in der Behauptung des Polizei-Einsatzleiters, er hätte eine Ruhestörung nach Gefahrenabwehrlärmverordnung ahnden müssen. Eine solche Verord-nung würde erstens nur Ordnungswidrigkeiten beschreiben und erfordert daher nicht einen Einsatz der Polizei, zweitens gibt es eine solche Verordnung gar nicht. Der Polizei-Einsatzleiter hat sie sich schlicht ausgedacht. Darauf ist von Seiten der Angeklagten im Prozessverlauf auch hingewiesen worden.
Dass der Bezug auf eine vermeintliche Ruhestörung ohnehin nur eine Schutzbehauptung ist und es tat-sächlich um die illegale, gewaltsame Auflösung der unerwünschten Demonstration ging, zeigt sich deutlich darin, dass zunächst gewaltsam ein Transparent entfernt wurde – ebenfalls ohne jegliche Aufforde-rung und ohne Auflösung der Demonstration u.ä. Lärmschutz kann hier wohl nicht angeführt werden. Der Zugriff auf das Transparent erfolgte vor dem auf das Megaphon. Da der Angriff auf das Megaphon da-nach erfolgte und nach übereinstimmenden Zeug*innenaussagen der Angeklagte durch das Megaphon zu diesem Zeitpunkt auch den rechtswidrigen Angriff auf das Transparent thematisierte, sind seine Re-debeiträge sogar in doppelter Weise durch das Demonstrationsrecht geschützt, da zum ohnehin vorhan-denen Grund einer Spontandemonstration (rechtswidrige Hausdurchsuchung in der Projektwerkstatt am Tag davor) ein weiterer hinzukam, nämlich der rechtswidrige Angriff auf die Demonstration.
Rechtsfehlerhaft ist, wie bereits genannt, dass das Gericht den Angriff auf die Demonstration als recht-mäßig einstufte, weil vom Megaphon Lärm ausging, denn das Demonstrationsrecht deckt die Nutzung eines Megaphons. Es ist aber auch deshalb rechtsfehlerhaft, weil der Angriff auf die Demonstration ü-berhaupt nicht gezielt gegen die Lärmquelle gerichtet war, sondern zunächst das eindeutig lautlose Transparent attackiert wurde. Der rechtswidrige Angriff auf die Demonstration lief also schon, der Zugriff auf das Megaphon ist nur die Fortsetzung rechtswidriger Angriffe und kann daher nicht als Begründung des gesamten Angriffs auf die Demonstration herhalten, wie es das Gericht im Urteil aber tut.
Alle Zeugen, auch die Zeugen der Polizei, beschrieben in ihren Aussagen das Geschehen eindeutig als Versammlung. Der Polizei-Einsatzleiter behauptete ja gerade, dass es eine illegale, weil nicht genehmig-te Versammlung gewesen sei. Damit irrt er, denn Versammlungen müssen nicht genehmigt werden. A-ber er gibt klar zu erkennen, das Geschehen auch selbst als Versammlung einzustufen.
Dass die Demonstration begründet war und sogar Rechtsauffassungen vertrat, die inzwischen in vollem Umfang vom Landgericht Gießen geteilt werden, ist mit dem Urteilsspruch auch klar. Die Demonstration bezog sich auf die direkt vorhergehende Hausdurchsuchung in der Ludwigstr. 11 in Saasen und auf die Festnahme am 9.1.2003 in Grünberg sowie die Inhaftierung vom 9.-10.1.2003. Die Hausdurchsuchung ist kurz danach vom Landgericht für rechtswidrig erklärt worden, die Festnahme ist im Urteil des Landge-richts im laufenden Prozess als rechtswidrig erklärt worden. Insofern hat die Demonstration am 11.1.2003 nicht nur einen offensichtlichen Grund, der direkt davor liegt, sondern das Landgericht hat selbst zweimal anerkannt, dass es selbst die Position, die in der Demonstration gegen die Polizei sowie das Amtsgericht Gießen benannt wurde, teilt. Umso absurder erscheint, dass dasselbe Gericht dann ei-nen deutlich rechtswidrigen und gewalttätigen Angriff auf genau diesen Protest für rechtmäßig hält.

Sowohl der Polizeiübergriff am 11.1.2003 wie auch das Urteil des Landgerichts Gießen missachten das geltende Versammlungsrecht, das ein Grundrecht ist. Die Verurteilung würde daher, sollte sie Rechtskraft erhalten, nachfolgend Gegenstand einer verfassungsrechtlichen Überprüfung sein.

Dass die von der Polizei angegriffene Veranstaltung eine Demonstration war, hatte auch die Polizei er-kannt:
POK Walter schilderte den Ablauf als offensichtlich erkennbare Demonstration mit inhaltlichem Bezug zum Vortag, er nannte u.a. die Hausdurchsuchung in der Projektwerkstatt als Inhalt der von B. gehalte-nen Reden.
Die Polizei selbst hat das Demonstrationsrecht anerkannt. Der vom Angeklagten und mehreren Zeugen (u.a. Janitzki, Schmidt und Sauer) beschriebene „Glühwein“-Vorgang, bei dem die Polizei den Bergstedt anmachenden und störenden Stadtparlamentarier Hasenkrug zur Seite drängte, hatte dies deutlich un-termauert. Die Teilnehmer*innen der Versammlung inklusive dem Angeklagten wurden berechtigterweise in ihrer Überzeugung gestärkt, dass ihr vom Grundrecht garantiertes Versammlungsrecht gegen Störun-gen verteidigt wird.
Kein einziger Polizist berichtete davon, dass der Demonstration als solcher die Auflösung der Versamm-lung erklärt wurde. Damit bestand sie weiter als legale Versammlung auch in der Sekunde, wo die Poli-zei das Megaphon entwenden wollte.
Walter bestätigte auch in der zweiten Instanz, dass Innenminister Bouffier den Angriff auf die Demo wünschte. Es war also keine polizeiliche Einschätzung, sondern Wunsch eines Wahlkämpfers. Ein ande-rer Beamter sagte sogar, Bouffier hätte ein zweites Mal nachgefragt und gedrängelt. Das ist ein rechts-widriger Befehl, nämlich von einem Wahlkämpfer, für einen rechtswidrigen Angriff.
„Da die Versammlung nicht angemeldet war, sollte sie aufgelöst werden, das forderten sowohl Herr Bouffier und auch Herr Meise“. So stand es im Protokoll der ersten Instanz, S. 14, 3. Absatz, wurde von den Zeugen in der Berufungsverhandlung bestätigt und findet sich auch im jetzigen Urteil: „Währenddes-sen meinten sowohl der Innenminister als auch der Polizeipräsident Meise gegenüber dem Zeugen Wal-ter, der als Einsatzleiter der Polizei für Sicherheit und Ordnung vor Ort verantwortlich war, dass man sich "das", gemeint war die Aktion des Angeklagten Bergstedt, nicht bieten lassen wolle.“ (Urteil, S. 8). Inhaltlich übereinstimmend sagte es POK Walter auch selbst in der Verhandlung. Die Rechtsauffassung von POK Walter war irrig, aber auch er zweifelte gar nicht daran, dass es sich hier um eine Versammlung handelte.
Der Angriff auf Transparent und Megaphon dagegen war insgesamt und in allen Details unrechtmäßig, da eine spontane Demonstration angegriffen wurde, ohne sie aufzulösen. Dafür hätte auch kein Grund bestanden. Es wurden während des Verfahrens von keinem Zeugen stichhaltige Gründe genannt, die eine Auflösung einer Versammlung gerechtfertigt hätten – wie z.B. Aufrufe zu Gewalt oder von der Ver-sammlung ausgehende Straftaten. Die genannten Begründungen von POK Walter („verbotene Demonst-ration“, „Ruhestörung“) bieten keine Rechtsgrundlage für eine Auflösung einer Demonstration. Insbeson-dere die erwähnte „Ruhestörung“ kann nicht als Begründung für den Zugriff dienen. Zum Wesen von öf-fentlichen Demonstrationen gehört, dass dabei der Protest in einer Form kundgetan wird, die über den Kreis der Versammlungsteilnehmer*innen wahrnehmbar ist – z.B. mit Hilfe eines Megaphons. Es gibt eindeutige Urteile, dass, wer sich wie die CDU in der Öffentlichkeit präsentiert, damit rechnen muss, dass Kritiker*innen diese Öffentlichkeit ebenso nutzen, um ihre Meinung kund zu tun. Es sei ausdrücklich auf ein Urteil des VG Berlins (20. Juli 1998) ins Bezug auf eine Versammlung, die sich gegen ein öffent-liches Bundeswehr-Gelöbnis richtete: Die Versammlungsbehörde wollte die Gegendemonstration in ei-nen durch einen Gebäudekomplex vom Platz der Vereidigung getrennten Bereich abdrängen. Das VG Berlin aber hat die Veranstaltung auf einem Platz zugelassen, von dem aus der Protest bei Verwendung von Lautsprechern auf der Vereidigung zu hören war. Die Entscheidung wurde unter Berufung auf das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) damit begründet, die Bundeswehr müsse, wenn sie die Öffentlich-keit für eine wirkungsvolle Darstellung nutzen will, damit rechnen, daß Kritiker ihre Einwände am selben Ort öffentlich zu erkennen geben. Die Bundeswehr könne nicht beanspruchen, das Gelöbnis auf einem öffentlichen Platz vor einem ihr wohlgesonnenen Publikum durchzuführen. Kritische Äußerungen seien zu ertragen, solange nicht der Ablauf der Veranstaltung konkret beeinträchtigt wird; gewisse Beeinträch-tigungen der angestrebten Würde und Feierlichkeit seien hinzunehmen.
Eine Ruhestörung liegt nur dann vor, wenn aus der Demonstration heraus zielgerichtet und dauerhaft nur der CDU-Stand beschallt worden wäre – eine solche Behauptung hat aber weder Walter, noch ein anderer Beamter gemacht, der die Maßnahmen gegen B. durchgeführt hat. Die Megaphon-Ansprachen haben nach Aussage von POK Walter (Seite 1 der Strafanzeige, Blatt 3) wenige Minuten gedauert und seien nach einer kurzen Pause wiederholt worden. Ähnlich beschreibt der Zeuge Janitzki die Abläufe. Ausführungen zur Zielrichtung der Beschallung sind seinen Aktenvermerken und Aussagen vor Gericht nicht zu entnehmen. Das Gericht stellte selbst fest: „Er redete mit Unterbrechungen mehrfach hinterein-ander, insgesamt mindestens 10 Minuten lang.“ (Urteil, S. 8). Eine 10-minütige Rede ist vom Versamm-lungsrecht in jedem Fall abgedeckt und stellt auch keine Unverhältnismäßigkeit dar.
Hinzu kommt, dass die Benennung des Lärms als Grund ohnehin eine nachträglich vorgeschobene Be-gründung ist, denn damit ist der zeitlich vorhergehende Angriff auf das Transparent gar nicht zu rechtfertigen. Dieser stellt aber bereits den Beginn der rechtswidrigen Handlungen dar, in dessen Verlauf dann auch das Megaphon attackiert wurde.
Dass kein Grund für den Eingriff benannt wurde, lässt sich ebenfalls aus dem Angriff mit dem Transpa-rent ableiten. Denn für dessen Beschlagnahme wurde auch im Prozessverlauf von keinem Polizisten ein Grund genannt. Auch aus den Akten ist keiner ersichtlich. Folglich kann auch keiner vor Ort genannt worden sein, denn es gab schlicht keinen.
Formal bedeutet dass: Der Angriff war rechtswidrig – aus vielen Gründen, die schon allein reichen wür-den. Es liegt auch daher kein Widerstand vor, da die Verhaftung rechtswidrig war (siehe dazu: Urteil des Amtsgericht Frankfurt 31.3.2004) und § 113, Abs. 3 des StGB.
Der Angriff ist nicht nur rechtswidrig, sondern selbst eine Straftat nach Versammlungsgesetz! Dort heißt es im § 21: „Wer in der Absicht, nichtverbotene Versammlungen oder Aufzüge zu verhindern oder zu sprengen oder sonst ihre Durchführung zu vereiteln, Gewalttätigkeiten vornimmt oder androht oder gro-be Störungen verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“
Zudem ist die Festnahme des Angeklagten Bergstedt rechtswidrig und unverhältnismäßig selbst dann, wenn man nicht akzeptiert, dass es eine legale Demonstration war. POK Walter hat in seiner Vernehmung zugegeben, dass er das niedrigschwelligere Mittel „Platzverweis“ nicht angewendet hat, weil er davon ausging, dass „sich eh niemand dran halten würde“. So kann die Polizei nicht vorgehen. Die Polizeigesetze sind ohnehin eine Katastrophe und geben der Polizei unglaubliche Macht. Aber sie muss sich daran halten und kann nicht selbst entscheiden, ob sich jemand an einen Platzverweis halten würde. Darum ist die Festnahme rechtswidrig, weil ein Platzverweis dem Ziel der Ruhe für den CDU-Stand auch gereicht hätte.


All diese Punkte sind vom Angeklagten im Verfahren auch angeführt worden. Zu all dem führt das Gericht nur aus: „Die Tat zum Nachteil des Zeugen Walter ist rechtlich als Widerstand gegen Vollstre-ckungsbeamte gemäß § 113 StGB in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2, 52 StGB zu bewerten. Die vom Zeugen Walter vorgenommene Diensthandlung war im Sinne von § 113 Abs. 3 StGB rechtmäßig. Der Zeuge Walter war zuständig für die Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung im Bereich der von der Stadt Gießen genehmigten CDU-Wahlwerbung mit einem Stand. Bei der gegebenen Sachlage entschied er sich angesichts der ihm zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen zu Recht zum Einschreiten. Ob dabei die Wünsche des Innenministers und des Polizeipräsidenten eine Rolle spielten, war daher ohne Belang. Sein Verlangen, das Megaphon herauszugeben, war nach der nicht zu beanstandenden Einschätzung der Lage durch den Zeugen Walter auch notwendig, um weitere Durchsagen zu unterbinden. Da sich der Angeklagte allem widersetzte, waren auch seine Festnahme und der Abtransport zum Transportfahrzeug rechtmäßig.“ (Urteil, S. 27). Auf die Kernpunkte der Rechtswidrigkeit geht das Urteil damit gar nicht ein. Das Versammlungsrecht ist vom Gericht schlicht nicht beachtet worden.
Das Gericht unterstellte dem Angeklagten sogar, er hätte selbst die Rechtswidrigkeit erkannt: „Aufgrund der äußeren Tatumstände gab es keinen Zweifel, dass sich der Angeklagte bewusst und gewollt den Polizeimaßnahmen widersetzte. Dies geschah nach Oberzeugung der Kammer auch in dem Bewusstsein der Rechtmäßigkeit des polizeilichen Handelns. Es lag nämlmit Lautsprecherdurchsagen aus kurzer Entfernung beeinträchtigt werden darf. Die rechtlichen Bewertungen des Angeklagten in diesem Zusammenhang waren daher als Schutzbehauptungen einzustufen.“ (Urteil, S. 19). Während des gesamten Prozessverlaufes hatte der Angeklagte deutlich die Rechtswidrigkeit des Polizeihandelns zu belegen versucht und dafür umfangrich auf der Hand, dass eine genehmigte Wahlveranstaltung, zumindest nach allgemeinem Polizeirecht nicht minutenlang eiche Quellen, andere Urteile und Vernehmungen eingefordert. Es ist schlicht nicht nachvollziehbar, wie das Gericht auf die Idee kommt, das alles sei nur eine Schutz-behauptung gewesen und der Angeklagte sei selbst sogar der Auffassung, die Polizeimassnahme sei rechtmäßig. Das ist nicht nur reine Spekulation des Gerichts, sondern eine ziemlich unverschämte Behauptung, da sie den Angeklagten sichtbar nicht ernst nimmt und seine vorgebrachten Argumente nicht mehr in der erforderlichen Art würdigt. Der Hinweis auf das Versammlungsrecht ist ein ernstzunehmender und intensiv in der Verhandlung begründeter Tatbestand, der vom Gericht in der Urteilsfindung zu würdigen und nicht als Schutzbehauptung abzutun ist.
Auch die Verweis des Gerichtes auf das „allgemeine Polizeirecht“ (Urteil, S. 19) weist selbst einen Rechtsfehler auf, weil eine Versammlung nach Versammlungsrecht zu bewerten ist und durch dieses die dargestellte Form der Megaphon-Durchsagen gedeckt sind, selbst wenn der CDU-Stand dadurch über-haupt beeinträchtigt worden sein sollte.


Rüge nach materiellem Recht: Der Zugriff der Polizei widerspricht dem geltenden Versammlungsrecht (GG, Art. 8). Er ist daher rechtswidrig. Folglich ist das Verhalten des Angeklagten Bergstedt selbst für den Fall, dass Widerstandshandlungen gegen die Festnahme als festgestellt gelten, nicht strafbar (StGB § 113, Abs. 3).
Antrag auf Sachentscheidung: Ich beantrage, das Urteil zu diesem Punkt aufzuheben und den Angeklagten freizusprechen. Die Verurteilung im Anklagepunkt „Widerstand mit gefährlicher Körperverletzung“ erfolgte, obwohl die Beweiserhebung eindeutig erbrachte, dass der Angeklagte als Redner auf einer Demonstration tätig war. Die Festnahme der Polizei war daher ein Verstoss gegen das geltende Versammlungsrecht. Die Polizei hat alle Formvorschriften im Umgang mit einer Versammlung missachtet, sie hat zudem das geltende Polizeirecht missachtet. Daher ist eine Strafbarkeit etwaiger Widerstandshandlungen nicht gegeben. Das Urteil basiert auf mehrfachen materiellen Mängeln, nämlich der Nichtbeachtung des Versammlungs- und Polizeirechts.


Oberstaatsanwaltschaft zur Revision
Umfangreicher geht die Oberstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme am 13.10.2005, der Gegener-klärung zur Revision, auf die Frage der Rechtmäßigkeit des Polizeieingriffs ein:

Ferner war der vom Angeklagten Bergstedt bei dem Geschehen vom 11.01.2003 gegen den Polizeibeamten Walter sowie die anderen einsatzbeteiligten Polizeibeamten geleistete Widerstand nicht nach § 113 Abs. 3 StGB wegen fehlender Rechtsmäßigkeit der betreffenden DiensthandIung straflos. Denn bei der betreffenden Aktion des Angeklagten Bergstedt handelte es sich nicht etwa um eine auch ohne die nach § 14 Abs. 1 VersammIG vorgeschriebene vorherige Anmeldung zulässige und von den Polizeibehörden zu duldende "Spontandemonstration" aus Anlass der tags zuvor erfolgten polizeilichen Durchsuchung in den Räumen der Projektwerkstatt in Saasen.
Zum einen ist nicht ersichtlich, warum eine Demonstration gegen die vorangegangene polizeiliche Ermittlungsmaßnahme nur im Falle ihrer kurzfristigen Anberaumung unter freiem Himmel einen in dieser Hinsicht denkbaren Sinn hätte erfüllen können und diesen bei Einhaltung der gesetzlichen Anmeldefrist hätte verlieren sollen (vgl. BVerwGE 26, 135). Zum anderen diente die vorangegangene polizeiliche Durchsuchungsmaßnahme dem Angeklagten Bergstedt offensichtlich lediglich als Vorwand dazu, gezielt die ihrerseits angemeldete und genehmigte CDU-Wahlveranstaltung mit seiner Megaphonansprache zu stören, weswegen er diese auch bewusst in der Nähe der Wahlveranstaltung und in deren Richtung hin hielt.
Mithin war der Polizeibeamte Walter zunächst nach § 11 HSOG berechtigt, zur Unterbindung der Störung der Wahlveranstaltung durch den Angeklagten Bergstedt diesen zur Herausgabe des Megaphons unter der Androhung aufzufordern, es ihm abzunehmen, wenn er es nicht freiwillig herausgebe. Nachdem der Angeklagte Bergstedt daraufhin das Megaphon nicht herausgab, sondem fest umklammert hielt und seinen Oberkörper schützend darüber beugte, waren die Polizeibeamten nach §§ 52 Abs. 1, 54 Abs. 1 HSOG befugt, dem Angeklagten Bergstedt durch Anwendung unmittelbaren Zwanges im Sinne des § 55 Abs. 1 HSOG mit körperlicher Gewalt in Form der unmittelbaren körperlichen Einwirkung auf eine Person nach § 55 Abs. 2 HSGO das Megaphon abzunehmen (zu versuchen). Als ihnen dies aufgrund der Umklammerung des Megaphons durch den Angeklagten Bergstedt, der hierdurch schon den Tatbestand des § 113 Abs. 1 StGB verwirklichte, nicht gelang, waren die Polizeibeamten schließlich nach § 32 Abs. 1 Nr. 2 HSOG berechtigt, den Angeklagten Bergstedt in Gewahrsam zu nehmen.


Diese Ausführungen sind zwar im Unterschied zu allen Urteilen und sonstigen erwähnten Texten prä-ziser, sie sind jedoch eindeutig eine jeglicher Rechtsprechung zum Versammlungsrecht und insbesondere den Urteilen des Bundesverfassungsgerichts widersprechende Ausführungen. Zum einen verwehren die gemachten Ausführungen wie die Behauptung, die Störung des CDU-Standes sei das Ziel gewesen, was ich in der Sache zudem bestreite werden, nicht das Recht auf Versammlung. Das Kriterium, dass mensch auch hätte später demonstrieren können, ist für eine Spontandemonstration gar nicht zutreffend, weil es um die sofortige Artikulation von Protest ja gerade geht. Es ist nicht Aufgabe der Versammlungs-Durchführenden, vorher oder nachher Nachweise zu führen, dass bei einem späteren Zeitpunkt der Sinn verfehlt worden wäre (wobei allerdings auch auffällig ist, dass die Einhaltung der 48-h-Frist eine Verschiebung auf einen Werktag erfordert hätte, was auch der Oberstaatsanwaltschaft hätte auffallen müssen). Hier hätte zumindest ein Großteil der Teilnehmer*innen nicht mitwirken können. Das nicht zu beachten, ist seitens der Oberstaatsanwaltschaft ein rechtfehlerhafte Auslegung des Versammlungsrechts.
Der zweite Hinweis ist aber noch interessanter: Die Oberstaatsanwaltschaft verändert den Zweck der Demonstration. Dabei kann sie sich weder auf die Aussagen des Polizeiführers noch auf die Urteile stützen, die allesamt festgestellt hatten, dass die Polizeiattacke auf die Projektwerkstatt direkt vorher das Thema der Demonstration war. Das Protokoll der ersten Instanz berichtet von der Aussage des Polizeiführers vor Ort als Zeugen: „Es kam zu Lautsprecherdurchsagen von Herrn Bergstedt, der Polizeimaßnahmen und Durchsuchungen der Projektgruppe anprangerte.“ Eine abweichende Information lag der Oberstaatsanwaltschaft nicht vor. Es liegt der Verdacht nahe, dass die Oberstaatsanwaltschaft hier sehr bewusst die Fakten verändert hat, um eine Bestätigung der Verurteilung erreichen zu können. Offensichtlich war auch ihr bewusst, dass die Polizeimaßnahme vom 11.1.2003 in der vom Polizeiführer und in den Urteilen beschriebenen Form rechtswidrig war. Die Umschreibung der Abläufe wäre dann eine gezielte Rechtsbeugung.
Allerdings ist das für die Frage der Verfassungsmäßigkeit gar nicht entscheidend, denn die Hinweise der Oberstaatsanwaltschaft rechtfertigen immer noch keine zwangsweise Auflösung der Demonstration. Zudem hat es die gar nicht gegeben. Es hat zwar eine Versammlung gegeben, aber der Angriff der Polizei auf die Demonstration mit dem Ziel der Auflösung erfolgte ohne jegliche vorherige Auflösung – es gab gar keine Aussage der Polizei in diese Richtung. Der erste überhaupt für die Versammlungsteilnehmer*innen erkennbare Akt war der Zugriff auf das Transparent.

Beschluss Revisionsinstanz
Das Oberlandesgericht hat die gesamte Revision als „offensichtlich unbegründet“ abgewiesen. Damit gilt dieser Beschluss auch für jeden Einzelpunkt. Das Revisionsgericht behauptet damit, dass die oben unter „Revisionsbegründung“ zitierten Verstöße gegen das Versammlungs- und gegen das Polizeirecht „offensichtlich unbegründet“ sind. Diese Entscheidung ist verfassungswidrig, weil das OLG damit behauptet, dass eine Nichtbeachtung der verfassungsgarantierten Versammlungsfreiheit als Grund für eine Revision nicht gilt.
Zudem hat das Oberlandesgericht in seinem einleitenden Text mit einem kleinen Einschub eine Rechtsauffassung zum Versammlungsrecht erkennen lassen, die jedoch offensichtlich rechtsfehlerhaft ist und damit ein Verstoß gegen das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit darstellt. Mit dem Satz "... eine Genehmigung nach dem Versammlungsgesetz lag nicht vor ..." stellt das OLG eine implizite Behauptung auf, dass eine solche Genehmigung notwendig sei. Damit wird unterstellt, dass die De-monstration nicht rechtens und der Angriff auf die Demonstration eventuell rechtmäßig war. Allerdings ist für eine Versammlung eine Genehmigung nicht notwendig. Soweit mensch annimmt, dass die Behauptung, eine Genehmigung sei nötig, in der Ausführung des OLG implizit enthalten ist, ist sie nicht nur falsch, sondern offensichtlich als Notlüge erkennbar: Das OLG selbst hat in Form und Ablauf der Demonstration keinerlei Hinweise auf eine Unrechtmäßigkeit erkannt und deshalb durch eine gezielte Falschbehauptung den Eindruck der Unrechtmäßigkeit mit diesem Beschluss erzeugt. Das ist fast unglaublich, dass hier eine ziemlich hohe richterliche Ebene eine derartige gezielte Rechtsbeugung vornimmt und in einem Verfahren zum Zwecke der Aufrechterhaltung einer Haftstrafe hinsichtlich bestehender Rechtsverhältnisse schlicht lügt.
Im weiteren Satz behauptet das OLG selbst, dass "deshalb" die Polizei "eingriff", also die Demonstration angriff und (ohne Vorwarnung oder Auflösung) zerschlug durch Beschlagnahme des Transparentes, des Megaphons und Festnahme des Redners. Das "deshalb" bezieht sich nur auf den vorstehenden Satz, in dem nur das Stattfinden der Demonstration und das Nichtvorhandensein einer Genehmigung geschildert werden. Das heißt: Das OLG behauptet, das Stattfinden einer Demonstration bei feh-lender Genehmigung sei ausreichender Grund für eine Zerschlagung durch die Polizei unter Auslas-sung aller formalen Zwischenschritte und ohne Ausprobieren anderer, weniger die Rechte beschnei-dender Zwangsmassnahmen. Da Genehmigungen vom Gesetz her gar nicht vorgesehen sind, be-hauptet das OLG folglich, dass jede Demonstration, nur weil sie stattfindet, jederzeit (weil ja immer ohne Genehmigung, weil es ihrer nicht bedarf) und sofort von der Polizei auf jede Art zwangsaufgelöst werden kann.

Gesamtschau
Offenbar ist weder der vor Ort tätigen Polizei noch den drei Gerichtsinstanzen noch den beteiligten Staatsanwaltschaften klar, welche Rechtsgrundlage am 11.1.2003 eigentlich hätte gelten müssen und wie der in allen Instanzen recht einheitlich beschriebene Ablauf des Polizeieingreifens folglich rechtlich zu bewerten ist. Eine Demonstration fand statt, die klar als solche erkennbar war und auch erkannt wurde. Ohne jegliche Auflösung, ohne vorherige Erteilung von Auflagen, ohne irgendeine Vorwarnung oder Aufforderung stürmte die Polizei plötzlich auf eine Teilgruppe der Demonstration zu und entriß unter Gewaltanwendung das einzige Transparent der Demonstration. Anschließend wiederholte die Polizei dasselbe gegenüber dem Redner auf der Demonstration. Als dieser sich weigerte, seine Rede zu beenden und das Megaphon herauszugeben (weil ja damit das letzte Mittel der Meinungsäußerung durch die Polizei entfernt worden wäre, die Demonstration also faktisch aufgelöst würde ohne dass dieses jemals formal erfolgte), nahm die Polizei den Redner gleich mit dem Megaphon mit.
Auf den ersten Blick schon ist hier nichts rechtmäßig. Es handelte sich um einen in allen Details rechtswidrigen Übergriff auf eine Demonstration. Erklärbar ist dieser unglaubliche Ablauf der Dinge nur aus der Anwesenheit des hessischen Innenministers Bouffier. Dieser war als Wahlkämpfer, also als Privatperson anwesend. Er hat, das haben die Gerichtsverfahren unstrittig ergeben, die Polizei zum Angriff auf die Demonstration aufgerufen. Offenbar hat diese direkte Anweisung des obersten Dienstherrn auf die kleinen Beamten der Wachpolizei so gewirkt, dass sie jegliches Bewusstsein für Recht verloren und nur noch dem Wunsch des Innenministers folgten.
Allerdings muss genau dieses auch den beteiligten Gerichten und Staatsanwaltschaften vorgehalten werden. Die Rechtswidrigkeit des polizeilichen Vorgehens ist derart offensichtlich, dass sich die Frage bewusster Rechtsbeugung bei den verzweifelten Bemühungen, doch noch eine Rechtmäßigkeit in die Handlungen hineinzuinterpretieren, geradezu aufdrängt.
Sowohl die Polizei im direkten Geschehen am 11.1.2003 sowie alle (!) gerichtlichen Instanzen und die Oberstaatsanwaltschaft haben bezüglich des Versammlungsrechts rechtliche Falschbehauptungen aufgestellt. Bis auf den offensichtlich unwissenden Polizeiführer muss allen anderen Instanzen unter-stellt werden, dass sie absichtlich gelogen haben, um eine Verurteilung zu ermöglichen. Denn allen ist durch den Angeklagten die grundgesetz- und versammlungsgesetzkonforme Rechtslage geschildert worden und es muss wegen der Klarheit der Lage angenommen werden, dass ihr Rechtswissen ausreicht, um die Lage eindeutig einschätzen zu können. Dennoch haben sie in Urteilen, Beschlüssen und Stellungnahmen Falschbehauptungen zur Rechtslage gemacht. Das stellt zum einen einen Bruch des Grundgesetzes, Art. 8, dar und zum zweiten bewusste Rechtsbeugung im Amt.

Rechtliche Bewertung
„Die Rechtsanwendungsorgane haben die grundrechtsbeschränkenden Gesetze stets im Lichte der grundlegenden Bedeutung des Art. 8 GG im freiheitlichen demokratischen Staat auszulegen und sich bei ihren Maßnahmen auf das zu beschränken, was zum Schutz gleichwertiger Rechtsgüter notwen-dig ist. Dabei ist zu beachten, daß keineswegs jedes beliebige Interesse eine Grundrechtseinschrän-kung rechtfertigt. Dies bedeutet beispielsweise, daß Belästigungen, die sich zwangsläufig aus der Massenhaftigkeit der Grundrechtsausübung ergeben und sich ohne Nachteile für den Veranstaltungs-zweck nicht vermeiden lassen, Dritte im allgemeinen ertragen müssen (BVerfGE 69, 315 [349/353]).“ (Aus Lepa, Manfred (1990): Der Inhalt der Grundrechte, Bundesanzeiger Verlag in Köln)
Diese Ausführungen treffen das Geschehen in Gießen am 11.1.2003 genau. Die von der Polizei nach entsprechendem Hinweis des politisch an einem Ende der Demonstration interessierten Innenministers festgestellte Lärmbelästigung durch eine lautsprecherverstärkte Stimme ist ein Nachteil, der sich angesichts des Veranstaltungszweckes nicht vermeiden ließ.
Zudem ist direkter Polizeizwang gegen Demonstrationen oder Demonstrationsteilnehmer*innen nach einhelliger Rechtssprechung nur im Anschluss an eine Auflösung der Demonstration möglich. Eine solche Auflösung ist aber am 11.1.2003 in Gießen nie erfolgt. Nach übereinstimmenden Aussagen al-ler dazu aussagenden Zeug*innen hatte die Polizei vom Innenminister Bouffier den Auftrag, zunächst das Transparent mit der Aufschrift „Freiheit stirbt mit Sicherheit“ und dann das Megaphon zu entfer-nen. Diesem kam sie nach. Weder wurde von der Polizei die Auflösung der Demonstration verlangt noch führte sie diese durch.

Das OVG des Saarlandes 1. Senat, am 27.10.1988, Az: 1 R 169/86 sagte dazu:
„1. Vor der Anwendung unmittelbaren polizeilichen Zwangs zur Auflösung einer Versammlung bedarf es einer vorherigen Auflösungserklärung.
2. Zur wirksamen Versammlungsauflösung nach §15 VersammIG steht der Polizei jede Erklärungs-form - etwa Lautsprechereinsatz, Verwendung von Textschildern und Textbändern - zur Verfügung mit Ausnahme des unmittelbaren Polizeizwangs.“


Auch das OVG Bremen 1. Senat am 4.11.1986, Az: 1 BA 15/86 urteilte in diese Richtung bereits bei der Beurteilung eines Platzverweises:
„Ein Platzverweis, der gegen die Teilnehmer einer Sitzblockade verfügt wird, ist rechtswidrig, falls die Sitzblockade nicht zuvor auf der Grundlage des Versammlungsgesetzes aufgelöst worden ist.“

Das LG Hamburg 3. Zivilkammer am 6.3.1987, Az: 3 0 229/86 urteilte sogar speziell zur Frage der Gewahrsamnahme:
„Für eine Gewahrsamnahme und ldentitätsfeststellung der Teilnehmer einer nicht aufgelösten Versammlung enthält das VersammIG keine Rechtsgrundlage.“

All diese Urteile beziehen sich auf Fälle, wo die Polizei Gründe für eine Auflösung angab, aber die Auflösung nicht vorher bekannt gab. Die Ereignisse vom 11.1.2003 in Gießen, die hier Ausgangspunkt der Verfassungsbeschwerde sind, sind viel eindeutiger, weil in allen Instanzen frei zugegeben wurde, dass eine Auflösung nie erfolgte und auch gar nicht nach Versammlungsrecht gehandelt wurde. Ein nach Versammlungsrecht möglicher Grund für den Angriff wurde weder von der Polizei noch in der Anklageschrift noch in einem der Urteile und Beschlüsse genannt. Die Formulierungen wie z.B. des OLG, dass die Demonstration nicht genehmigt gewesen sein soll, erfolgen offensichtlich wider besse-ren Rechtsverständnisses und ebenso offensichtlich in Ermangelung eines überhaupt angebbaren Grundes für die Attacke auf die Demonstration. Hier ist nicht ein zweifelhafter Grund angeführt, son-dern schlicht gar keiner. Dass die gerichtlichen Instanzen den Angriff der Polizei dennoch für recht-mäßig halten, zeigt ihre Bereitschaft zur Beugung von Recht und ihren Willen, die Verurteilung trotz offensichtlicher Verfassungswidrigkeit aufrechtzuerhalten.
Auch die Behauptungen der Polizei und der Oberstaatsanwaltschaft, es sei nach Polizeirecht gehan-delt worden, lassen keine andere Lage entstehen. Polizeirecht (d.h. auch das HSOG) haben hinter dem Versammlungsrecht zurückzustehen. Nach Versammlungsrecht aber ist kein Grund für den An-griff der Polizei erkennbar, es wurde schlicht gar nicht beachtet. Das ist offensichtlich verfassungswid-rig.

Die Einheitlichkeit der Rechtssprechung ist überwältigend. Damit ist die Maßnahme der Polizei gegen den Angeklagten am 11.1.2003 bereits aus dem Grunde grundrechtswidrig, weil die Demonstration vor der Anwendung direkter Polizeigewalt gegen ein Transparent und den Redner auf der Demonstra-tion hätte aufgelöst werden müssen. Dieses ist nicht geschehen.

Rechtswidrig ist die Maßnahme aber auch deshalb, weil ein Grund für die Polizeigewalt zusätzlich nie gegeben war. Das hätte auch für den Fall einer vorherigen Auflösung gegolten. Diese wäre, wenn sie erfolgt wäre, rechtswidrig gewesen. Denn die Auflösung ist nur dann möglich, wenn andere besondere Rechtsgüter zu verteidigen gewesen wären, die dem Freiheits- und Versammlungsrecht als konstitutionellem Teil der freiheitlich-demokratischen Grundordnung gleichwertig gegenübergestanden hätten. Kein solches ist aber jemals behauptet worden – weder von dem Einsatzführer der Polizei noch in der Anklage noch in einem der Urteile.

Dazu hat das BVerfGE 69, 315 am 14.5.1985 im sog. „Brokdorf-Urteil“ Klarstellungen vorgenommen. Aus den Leitsätzen ist zu entnehmen:
„Die Regelung des Versammlungsgesetzes über die Pflicht zur Anmeldung von Veranstaltungen unter freiem Himmel und über die Voraussetzungen für deren Auflösung oder Verbot (§§ 14, 15) genügt den verfassungsrechtlichen Anforderungen, wenn bei ihrer Auslegung und Anwendung berücksichtigt wird, daß
a) die Anmeldepflicht bei Spontandemonstrationen nicht eingreift und ihre Verletzung nicht schema-tisch zur Auflösung oder zum Verbot berechtigt,
b) Auflösung und Verbot nur zum Schutz gleichwertiger Rechtsgüter unter strikter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit und nur bei einer unmittelbaren, aus erkennbaren Umständen herleitbaren Gefährdung dieser Rechtsgüter erfolgen dürfen.“

Präzisierend legte das BVerfG 1. Senat 3. Kammer am 6.4.1990 (Az: 1 BvR 958/88) fest:
„Im Hinblick auf die besondere Bedeutung der Versammlungsfreiheit für das demokratische Gemeinwesen kommt ein Verbot oder die Auflösung einer Versammlung gern § 15 VersammIG nur in Betracht, wenn eine Güterabwägung unter Berücksichtigung der Bedeutung des Freiheitsrechts und un-ter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ergibt, daß sie zum Schutz anderer gleichwertiger Rechtsgüter bzw Gemeinschaftsgüter notwendig sind und daß sie nur - aufgrund konkreter Ge-fahrenprognose - bei einer unmittelbaren Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung statt-haft sind.“

Noch klarer legte das Urteil des BVerfG, 1 BvQ 32/03 vom 5.9.2003 fest: „Ein Versammlungsverbot scheidet aus, solange das mildere Mittel der Erteilung von Auflagen nicht ausgeschöpft ist. Reichen Auflagen zur Gefahrenabwehr nicht aus, kommt allerdings ein Verbot in Betracht, wenn es unter Be-rücksichtigung des Art. 8 GG zum Schutze elementarer Rechtsgüter angemessen ist. Eine bloße Ge-fährdung der öffentlichen Ordnung rechtfertigt im Allgemeinen ein Versammlungsverbot nicht (vgl.BVerfGE 69, 315 (352 f.) ; BVerfG, 1. Kammer des Ersten Senats, NJW 2001, S. 1409 (1410); NJW 2001, S. 2069 (2071); stRspr). Diese Feststellungen des Bundesverfassungsgerichts binden die Fachgerichte gemäß § 31 Abs. 1 BVerfGG.“

Den Ausführungen der Polizei ist zu entnehmen, dass sie das Interesse eines CDU-Wahlstandes vor Ruhestörung durch eine 10 Minuten lange Rede auf einer Demonstration für höherrangig einstufte als das Recht auf freie Versammlung. Dem folgten das Amts- und das Landgericht in ihren Urteilen. Sie verstießen damit gegen das geltende Versammlungsrecht und die Leitsätze und Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts. Danach wäre ein Verbot oder eine Auflösung der Versammlung vom 11.1.2003 mangels Grund bereits grundrechtswidrig. Der konkrete Fall in Gießen unterscheidet sich von den benannten Fällen aber noch zusätzlich dadurch, dass diese Auflösung gar nicht erst verfügt, sondern sofort ohne Vorwarnung durchgesetzt wurde. Damit sind mehrere Grundrechtsverstöße zu erkennen, die jeweils für sich allein schon ausreichen würden, die Polizeihandlung als grundrechtswid-rig zu erkennen und meine Verurteilung wegen vermeintlichem Widerstand gegen diese Polizei-durchgriffe aufzuheben.

Unzulässig ist zudem der konkrete Zugriff auf Einzelpersonen in einer rechtmäßigen bzw. nicht aufgelösten Versammlung. Dieses hat das Bundesverfassungsgericht bereits für jeden einzelnen Teilneh-mer einer Demonstration festgestellt. Es gilt daher auch (und sicherlich noch mehr) für einen Redner auf der Demonstration. Schließlich haben Polizei, Anklagevertretung und erkennende Gericht niemals behauptet, dass ich als Redner z.B. durch den Inhalt der Rede oder andere Taten ein strafrechtlich notwendiges Eingreifen provoziert hätte.
Hierzu hat das Bundesverfassungsgericht im Urteil des BVerfG, 1 BvR 1726/01 vom 26.10.2004, bereits eindeutig entschieden: „Versammlung im Sinne des Art. 8 GG ist eine örtliche Zusammenkunft mehrerer Personen zur gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung (vgl.BVerfGE 104, 92 (104) ). Danach war das Zusammentreffen des Beschwerdeführers und weiterer Personen auf dem Karlsplatz eine Versammlung.“ Dieses ist auf den 11.1.2003 ohne Probleme anwendbar.
Das BVerfG fährt fort: „Unfriedlich ist eine Versammlung erst, wenn Handlungen von einiger Gefähr-lichkeit durch aggressive Ausschreitungen gegen Personen oder Sachen oder sonstige Gewalttätigkeiten stattfinden (vgl.BVerfGE 104, 92 (105 f.)). Für einen unfriedlichen Verlauf der Versammlung in diesem Sinn war vorliegend nichts ersichtlich.“ Auch das gilt für den Gießener Fall.
Die weitere Festsetzung des BVerfG „Der Schutz des Art. 8 GG besteht unabhängig davon, ob die Versammlung nach § 14 VersG hätte angemeldet werden müssen“ macht deutlich, dass selbst dann, wenn mensch annimmt, dass die Versammlung am 11.1.12003 keine Spontanversammlung gewesen sein sollte (wofür es keine Anzeichen gibt und was auch in keiner Urteilsbegründung so behauptet wird), der Zugriff der Polizei rechtswidrig gewesen wäre. Dieses würde dann relevant, wenn man un-terstellen würde, z.B. das Oberlandesgericht hätte sich mit seiner Formulierung einer fehlenden Ge-nehmigung für die Demonstration nur versehentlich geirrt und eigentlich Anmeldung gemeint. Der Be-schluss des BVerfG zeigt, dass auch dann keine andere rechtliche Bewertung als diese möglich ist: Der Polizeizugriff war rechtswidrig.

Die Klarstellung, dass der Polizeizugriff rechtswidrig war hat unmittelbare Auswirkung auf das Urteil im Strafverfahren gegen mich. Im § 113, Absatz 3 StGB heißt es: „Die Tat ist nicht nach dieser Vorschrift strafbar, wenn die Diensthandlung nicht rechtmäßig ist. Dies gilt auch dann, wenn der Täter irrig annimmt, die Diensthandlung sei rechtmäßig.“ Der zweite Satz ist im konkreten Fall nicht einmal nötig, aber deutlich ebenfalls gegeben. Angesichts des umfangreichen Vortrags der Argumente für eine Ein-schätzung der Polizeimaßnahmen als rechtswidrig, die ich ähnlich auch im Prozess gemacht habe, empfinde ich es als eine unverschämte Unterstellung, mir vorzuhalten, ich würde dieses alles nur vorschieben und mir wäre trotz meiner Kenntnis im Bereich des Versammlungsrechts selbst bekannt, dass die Polizei-Handlung gegen mich rechtmäßig gewesen wäre. Mir fehlt jegliches Verständnis da-für, wie die Gerichte auf diese Wertung in Hinblick auf mich gekommen sind. Für eine Verurteilung war es entsprechend dem genannten § 113 StGB allerdings notwendig, mir zu unterstellen, ich würde selbst die Rechtmäßigkeit annehmen. Angesichts der drückenden Beweislage schon im Prozess kann ich nur annehmen, dass mir die Gerichte das wider besseren Wissens untergeschoben haben, um ei-ne Verurteilung zu erreichen. Dieses wäre Rechtsbeugung im Amt.
Für diese Verfassungsbeschwerde ist das jedoch nachrangig, da schon der erste Satz des § 113, Ab-satz 3 StGB offensichtlich erfüllt ist: Der Polizeizugriff war offensichtlich rechtswidrig.

Damit aber ist mein Verhalten selbst dann nicht mehr strafbar, wenn mensch annimmt, ich hätte mich gewehrt (was ich, wie schon gesagt, bestreite – in Übereinstimmung mit den meisten Zeug*innen). Folglich ist die Verurteilung in diesem Anklagepunkt als verfassungswidrig aufzuheben, was ich mit dieser Verfassungsbeschwerde auch beantrage.

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