Martin Luther

PROJEKTWERKSTATT ODER WURFZELT?
GEDANKEN ZUR SCHWIERIGKEIT DES LEBENS ...

Rückblicke


1. Einleitung
2. Viele Wege führen in die Projektwerkstatt - und wieder aus hier heraus
3. Widerstandsnomadisch leben ... und die Projektwerkstatt nutzen!
4. Rückblicke
5. Einfach nur wohnen oder als Gruppe tagen? Nein danke!
6. Seiten zum Thema

Die Projektwerkstatt war immer eine Aktionsplattform. Sie ist nie etabliert, hat sich nie von äußeren Einflüssen (z.B. Förderungen) abhängig und auch nie eine gut laufende Idee zum dauerhaften Label oder Geschäftsinteresse gemacht. So war sie bereits mehrfach in ihrer Zeit Ort des Neubeginns politischer Widerständigkeit, weil sie bereitstand, als Neues wuchs. Normalerweise setzt sich das Alte in geschaffenen Strukturen fest, sichert über Förderanträge oder die Aufblähung als Verband das eigene Überleben und ist irgendwann vor allem nur noch Selbstzweck.
Das sollte die Projektwerkstatt nie sein. Bislang erlebte sie ein ständiges Kommen und Gehen, viele spontane Aktivitäten und drei große Phasen der Aktivität, denen dann Phasen der Leere folgten.
  • Hochphase I: Die Projektwerkstatt begann 1993 im Haus in Saasen. Es gab einen kleinen Vorläufer, nämlich die Projektwerkstatt im "Alten Bahnhof Trais-Horloff" (Gemeinde Hungen). Zu dieser Zeit standen öko-anarchistische Projekte im Vordergrund. Zeitungsprojekte, Seminare, der Widerstand gegen Golfplätze, Industriegebiete und die ersten Genversuchsfelder von Hessen (erst in Melbach, dann in Rauischholzhausen und Iba) sind Beispiele für die damalige Orientierung. Die Aktion stand immer im Vordergrund, dennoch wurde in der Zeit auch viel am Haus gebaut. Nach drei Jahren war der Ausbau weitgehend vollendet. Seitdem prägen Umbauten und Verschiebungen der Raumnutzungen in den folgenden Hochphasen für immer neuen Renovierungsbedarf.
  • Zwischenphase: Doch spätestens 1997 war es vorbei, der Zusammenhang zerfiel. Saasen war leer, wurde von manchen WGs oder Einzelpersonen bewohnt, die sich um das Haus aber gar nicht kümmerten und es hätten verfallen lassen. Deutlich wurde spürbar, dass es immer mehr die Ausnahme, dass Menschen ihren Alltag selbstorganisiert bewältigen konnten und sich auch darum kümmerten, dass die Strukturen, auf denen ihr Alltag fußte, auch erhalten blieben. Um den Erhalt des Hauses kümmerte sich eine Person, die zu dieser Zeit das Haus nicht bewohnte, sondern ständig unterwegs war.
  • Hochphase II: Im Expo-2000-Widerstand bildete sich ein Umweltschutz-von-unten-Netzwerk, danach entstand die Direct-Action-Vernetzung "Hoppetosse". Aus beiden kamen ein paar Menschen in und um die Projektwerkstatt zusammen, die fortan einen Mittelpunkt des weiteren Geschehens bildete - als Treffpunkt, Materiallager, Planungsort und Trainingsraum. Im August 2002 starteten vermehrt auch Aktionen im Raum Gießen und Umgebung - nun wurde die Projektwerkstatt immer häufiger Treffpunkt von Aktionsvorbereitungen. Selbst die Polizei wählte das Haus als Zweitwohnsitz, so häufig waren Hausdurchsuchungen, während AktivistInnen aus dem Umfeld der Projektwerkstatt öfter bei der Polizei übernachten mussten. Diese Direct-Action-Phase brachte wieder eine bunte Nutzung in das Haus und viel Aktion auf die Straße. Um 657% stiegen linksextreme Straftaten laut Polizeistatistik Mittelhessen innerhalb eines Jahres, die die Polizei der Projektwerkstatt zuordnete (aber tatsächlich keine Ahnung hat, wer da was gemacht hat).
  • Zwischenphase: Ab 2004, langsam dahinbröselnd, ging auch diese Phase zuende. Übrig blieben eine sehr lose Vernetzung, einzelne Aktionen und jede Menge Gerichtsverfahren, mit denen Polizei und Justiz die Aktivitäten einzudämmen versuchten. Im Nachhinein lässt sich eher sagen, dass sie den Zerfall damit verzögert haben. Die Hochphase II zeigte nämlich deutlich, dass 1-3 Jahre Aktivitätszeit die übliche Sturm- und Drangphase sind und danach eine Rückkehr in bürgerliche Biografien ansteht, weil das nötige Knowhow für ein selbstorganisiertes Leben nicht angeeignet wurde und auch der Willen dafür fehlte.
  • Hochphase III: Die ist kürzer und schwächer als die anderen. Sie drehte sich vor allem um die Besetzungen auf Genfeldern, Flughäfen, Schlachthöfen, um Castorblockaden und etliches mehr. Die Projektwerkstatt wurde vor allem zum Trainingszentrum, Materiallager und Planungsort. Auslöser war die - im ersten Anlauf gescheiterte - Genfeldbesetzung 2007 bei Groß Lüsewitz, die ab Sommer 2006 geplant wurde. In dieser Zeit kam die Idee der Widerstands-NomadInnen auf, weil sich einige Beteiligte sehr viel Knowhow nicht nur für Aktionen, sondern auch im täglichen Überleben aneigneten. Allerdings ging eine Schere auf: Die meisten, vor allem junge AktivistInnen, begriffen solche direkten Aktionen als Form des Widerstandes, aber nicht als selbstorganisierte Lebenskultur. Sie verschwanden meist nach einiger Zeit wieder und trugen mangelns Willen und wegen einer dramatischen Unkenntnis von Alltagsabläufen wenig bis nichts zum Aufbau von Infrastruktur bei. Die Zusammenhänge waren intensiv geprägt durch Nachkommen bildungsbürgerlicher, reicher und materiell bestens versorgter Häuser.
  • Zwischenphase: Ab 2010 wurden es allmählich immer wengier solche Aktionen, erst recht entstand kaum Neues. 2011 waren die Gentechnikanbauer_innen in Deutschland weitgehend gescheitert, ihre Felder zerstört, ihre Firmen und Netzwerke aufgerieben. Das war ein schöner Erfolg, doch die stärke des Protestes hielt sich nicht. Die Schere zwischen hochorganisierten Widerstands-NomadInnen, deren Vernetzung aber zerfiel, und Cliquen sehr junger, vielfach schlecht organisierter AktivistInnen ging weiter auseinander. An anderen Themen und Orten verliefen die Aktivitäts"kurven" anders, z.T. gab es gerade ab dieser Zeit viele Aktionen an Tierlaboren, Mastanlagen und Schlachthöfen. Doch die Aktionen und Besetzungen - politisch durchaus interessant umgesetzt - hatten mit dem Leben der Beteiligten oft immer weniger zu tun. Herbst und Winter 2010 boten dann für die Projektwerkstatt einen Schock. Als der bisherige Hauptorganisator des Hauses wegen einer Genfeldbefreiung für sechs Monate inhaftiert wurde, wollten jüngere Aktivist_innen den Laden weiterführen. Sie scheiterten sehr schnell. Alberne Affären und Eifersüchteleien im zwischenmenschlichen Bereich summierten sich mit dem Unwillen, tatsächlich praktisch tätig zu werden im Haus. Schon nach wenigen Wochen gaben sie das Haus auf - und es wäre heute nicht mehr da, wenn nicht zwei Menschen aus älteren Aktivengenerationen für die Monate nach Saasen umzogen, z.T. unter Aufgabe ihrer bisherigen Jobs. Das war ein peinliches Erlebnis. Die Akteur_innen, die damals versagten, blieben zu guten Teilen auch bei im Haus - aber groß gekümmert haben sie sich um die meisten Sachen auch anschließend nicht mehr. Leer stand das Haus zwar nicht mehr, aber große Impulse gingen aus ihm nicht mehr aus. Neue Themen, die auch seitdem immer wieder entstanden (z.B. Antipsychiatrie oder die Schwarzstrafen-Kampagne), wurden von den meisten Leuten im und am Haus nicht mehr beachtet.

In diesem Zustand bietet die Projektwerkstatt wie so oft als Potential. Für neue Ideen und Projekte. Denn dass Menschen nach einiger Zeit immer wieder das Haus verlassen, geschieht ja nicht nur aus der Not. Es ist vielmehr nötig, damit sich nicht formalisierte Abläufe verfestigen, private oder gar kommerzielle Interessen durchsetzen usw. Denn ein leeres oder wenig genutztes Haus kann der Ausgangspunkt neuer Entwicklungen sein. Die Projektwerkstatt war das schon sehr oft. Würden die Leute auch nach ihrer aktivistischen Zeit im Haus bleiben und dort versuchen, aus Politarbeit einen Lebensunterhalt zu machen oder wieder in vorgegebene Lebenskanäle zu springen, wäre die politische Aktionsplattform schnell Geschichte. Der geldgeile Polit-Megakonzern Campact mag da ein warnendes Beispiel sein: Der Kern der Leute dort war auch mal eine Projektwerkstatt, wollte die Kleinstadt Verden anarchistisch unterwandern und die eigene Etablierung vermeiden. Insofern lässt sich mindestens zweierlei richtig Gutes über die Projektwerkstatt sagen: Sie war in der Vergangenheit oft der Ausgangspunkt richtig druckvoller Aktionen und Kampagnen. Und sie ist weiter in einem Zustand (Ausstattung, Unabhängigkeit usw.), dass es jederzeit wieder passieren kann. Ob, wann bzw. was kommt, ist offen. Die verflossenen Phasen sind aus der Projektwerkstatt weitgehend verschwunden und sollen auch nicht zurückkehren, denn ein Selbsterhalt des Vergangenen ist Sache von Organisationen und Parteien, die viel ihrer Kraft in den Selbsterhalt stecken, ohne genau klären zu können, wofür eigentlich. Die Projektwerkstatt soll wieder zum Ort von neuen Ideen werden. Wann auch immer sie entstehen und wie sie aussehen.

Karriere
Einige Ex-Aktive haben in NGOs Karriere gemacht oder das erworbene Know-How in Parteiämter oder Wirtschaftsbetriebe eingebracht. Das ist eine bittere Pille, immer wieder große Enttäuschung und ein Problem, weil dann aus dem anspruchsvollen Aktivismus am Ende etwas entsteht, was selbigem entgegen steht.

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