Welt ohne Strafe

ANALYSEN IN POLITGRUPPEN: OFT AUCH VEREINFACHEND BIS POPULISTISCH

Finanzkapital und Zinstheorien


1. Einleitung
2. Finanzkapital und Zinstheorien
3. Anti-Amerikanismus
4. Sozialneid und Diskriminierung
5. Mehr Gut und Böse
6. Andockpunkte nach rechts

Die Grenzen zwischen "Verschwörungstheorien" und allgemein verbreitetem Denken verschwimmen auch deshalb, weil es viele, z.T. bedeutende NGOs und Parteien gibt, die an solchen Vereinfachungen mitbasteln. Dazu gehören die KritikerInnen des spekulativen bzw. Finanzkapitals. Die größten von ihnen heißen Attac und Die Linke. Gebetsmühlenhaft wird dort (zum Glück nicht von allen) das überbordende Finanzkapital als Ursache von Wirtschaftsproblemen gegeißelt und deren Regulierung gefordert. Mini-Reförmchen wie die Finanztransaktionssteuer (Tobin Tax) oder die Schließung von Steueroasen (Regionen oder Staaten mit Niedrigsteuersätzen) sollen die eigentlich gute, kapitalistische Welt retten. Doch die Zweiteilung in Finanzkapital und Investionen hinkt. Kapital sucht immer den Ort der größten Rendite. Es lässt sich steuern, wohin es fließt, aber das eigentliche Problem, der Drang nach maximalem Profit und maximaler Rendite, bleibt. Die werden durch die Ausbeutung von Mensch, Rohstoffen und Natur erzielt. Der Profit steigt, wenn sie möglichst billig erfolgt oder ausgedehnt werden kann. Das ist keine Besonderheit des Finanzkapitals, sondern des kapitalistischen Wirtschaftens insgesamt. Wer das ändern will, muss für eine andere Ökonomie kämpfen und nicht für eine Verlagerung innerhalb des Schreckens ständiger Verwertung. Davon begreifen Leute wie Sven Giegold (Mitbegründer und für lange Zeit wichtigstes Aushängeschild von Attac, heute grünes MdEP) nichts. Sie träumen, es "würden schon die Verwirklichung von Forderungen wie Schuldenstreichung oder eine Steuer auf Devisenspekulationen reichen, um die extremsten Formen von Armut zu beseitigen. Für mich wäre das eine andere Welt." (Interview in der Zeitschrift "Neon"). Ähnliche Selbstbeschränkungen auf Minireförmchen treffen die FreiwirtschaftlerInnen. Sie beschränken ihre Forderungen auf die Abschaffung des Zins und wollen damit die echte Marktwirtschaft sogar stärken. Etliche weitere Gruppen benennen solche Einzelursachen und können damit AnhängerInnen finden in einer Gesellschaft, die nach einfachen Erklärungen lechzt, weil ihr das eigenständige Denken längst zu anstrengend geworden ist. Eine der Gründergruppen von Attac hatte das am 17.5.2000 sogar strategisch vorgedacht: "Eine tiefergehende Kritik der Dominanz des Ökonomischen ist zwar auch unser Thema, soll aber nicht Teil unserer Kampagnenarbeit werden", weil mit komplexen Analysen keine UnterstützerInnen gewonnen werden könnten.

Im Original: Raffendes und schaffendes Kapital
Aus Ann Pettifor, "Schulden" in: Christine Buchholz u.a., 2002, "Handbuch für Globalisierungskritiker", KiWi in Köln (S. 125)
Wir leben heute in einem globalen Wirtschaftssystem, das wieder, wie schon in den 20er Jahren, vom internationalen Finanzkapital beherrscht wird.

Aus Susan George, "Die Globalisierung der Konzerne" in: Christine Buchholz u.a., 2002, "Handbuch für Globalisierungskritiker", KiWi in Köln (S. 50)
Wir leben in einer Zeit der von Unternehmen geführten, von Konzernen diktierten Globalisierung.

Aus Susan George, "Die Globalisierung der Konzerne" in: Christine Buchholz u.a., 2002, "Handbuch für Globalisierungskritiker", KiWi in Köln (S. 58)
Täglich werden allein auf den Devisenmärkten 1,5 Billionen US-$ umgesetzt und ein großer Teil davon ist rein spekulativ und hat mit der realen Wirtschaft nichts zu tun.

Aus Attac-Manifest 2002 "Mit ATTAC die Zukunft zurückerobern"
Frankreich und Europa haben wie alle OECD-Staaten das große Problem der Arbeitslosigkeit, das verschiedene Ausprägungen annimmt. Die Wurzel des Übels liegt in der zunehmenden Ausrichtung der Wirtschaft auf die Finanzmärkte. Das führt zu einem verhängnisvollen Teufelskreis: die spekulativen Blasen an den Finanzmärkten profitieren zwar von Produktivitätszuwächsen, die Gewinne daraus werden aber nicht an die Arbeitnehmer weitergegeben.

Aus dem Selbstdarstellungstext von Share am 17.5.2000)
Entscheidend sind dabei wichtige BündnispartnerInnen. Dazu gehören neben Umwelt- und Sozialverbänden besonders Gewerkschaften und kirchliche Gruppen. Um diese Unterstützung gewinnen zu können, müssen wir unsere Forderungen auf möglichst klare, erreichbare Ziele beschränken. Eine tiefergehende Kritik der Dominanz des Ökonomischen ist zwar auch unser Thema, soll aber nicht Teil unserer Kampagnenarbeit werden.

Aus dem Memorandum "Wege zu einer Alternativen Weltwirtschaftsordnung (AWWO)", Positionen in Attac Deutschland (Dritter Entwurf, September 2004)
Angesichts der Tatsache, dass nicht Geld, sondern Menschen arbeiten, ist ein Ziel von Attac, alle Instrumente zu verwirklichen, welche Renditeerwartungen von spekulativen Geschäften schwächen.

Einige weitere Zitate aus der Internetseite von SHARE e.V. (Gründerverein von Attac):
"Die täglichen Devisenumsätze auf den Weltkapitalmärkten sind von ca. 80 Mrd. US-Dollar im Jahr 1980 auf rund 1,5 Billionen US-Dollar pro Börsentag angewachsen. Rund 97% dieses Betrags dienen nicht mehr produktiven, sondern rein spekulativen Zwecken, und haben sich damit weitgehend von ihrer primären Funktion - der Finanzierung von Investitionen und Handel mit Waren und Dienstleistungen - entfernt. ...
Internationale Finanzmärkte müssen wieder ihrer primären Funktion, der Finanzierung von Investitionen und Handel, zugeführt und angemessen besteuert werden, um eine weltweit sozial gerechte und nachhaltige Entwicklung zu ermöglichen. Diese Ziele können nur durch eine stärkere politische Regulierung erreicht werden.



Die Überbetonung der Finanzmärkte und die Behauptung, diese seien strukturell von anderen Wirtschaftsbereichen trennbar, führten zu zahlreichen Andockpunkten antiemanzipatorischer Ideologien an die Positionen von NGOs, Initiativen und "linken" Parteien. Die Übergänge zu dem, was viele als "Verschwörungstheorien" bezeichnen, sind fließend - sowohl inhaltlich wie auch personell.

Bei den Argumentationsketten um das Finanzkapital geht es meist um vereinfachende Mechanismen, weniger um klare Personenkreise. Viele Theorien klingen erstmal irgendwie kritisch und plausibel.

  • Beispiel Raubtierkapitalismus: Die Banken und Firmenbosse werden immer reicher. Mit ihrem Kapital kaufen sie Firmen, Firmenanteile oder Grundstücke und regieren schon auf diese Weise die Welt. Sie sind in vielen Aufsichtsräten vertreten und sogar mit Regierungsinstitutionen direkt personell verflochten. Von den Spekulationen an Börsen sind ganze Wirtschaftszweige und Nationen abhängig - ein Börsencrash oder Währungsverfall bedroht Volkswirtschaften und schließlich auch die Menschen in ihnen.

So entsteht die Erzählung vom bösen Teil des Wirtschaften - ehrlich schaffendes und unehrlich raffendes Kapitel, Finanzspekulation gegen Investition, "ein natürliches und ein tödliches" Wachstum (Humanwirtschaft Okt. 2002, S. 52), rheinischen gegen Manchesterkapitalismus, Zocker gegen ehrlichen Mittelstand, Casinokapitalismus gegen "Zivilisierung des globalen Kapitalismus" (Felix Kolb von Attac in Junge Welt, 2.1.2002) und vieles mehr. Gut gegen Böse.

Doch so plausibel das scheint und eine wunderbare Projektionsfläche für den ganzen Hass aufgrund sozialen Elends und Ausbeutung bietet, es ist doch abwegig.

  • Im kapitalistischen Wirtschaftsgeschehen läuft überall ein permanenter Druck zur ständigen Verwertung aller Werte, zur Steigerung von Profit und zur Akkumulation wirtschaftlicher Machtmittel (Kapital, Boden, Patente ...). Konzerne, Banken und Regierungen führen das aus und sichern die Rahmenbedingungen, aber sie sind nicht die Ursache. Spekulative Finanzaktionen unterscheiden sich in dieser zentralen Logik nicht von anderen Wirtschaftsarten.
  • Die These, Spekulation bremse produktives Wirtschaften, ist durch nichts bewiesen und auch unwahrscheinlich. Geld ist prinzipiell in unendlichen Mengen verfügbar, weil es dort, wo genügend Rendite zu erwarten ist, auch eingesetzt, d.h. dorthin umgeleitet oder auch neu "gedruckt" wird (heute meist in bargeldloser Form).
  • Außerdem ist die Grenzziehung nicht klar: Was z.B. sind Immobiliengeschäfte, Geldanlagen in Produktionsmittel oder verzockte Ernten - Spekulation oder Produktion? Was ist, wenn Spekulationen mit Aktien, Devisen usw. der Finanzierung von Investitionen dienen? Werden sie dann plötzlich gut?
  • Und: Wäre der Welt wirklich geholfen, wenn weniger in Devisen und mehr in Rüstung, Atomkraftwerke, Flughäfen und Palmölplantagen investiert würde?

Zinsknechtschaft
Einige verkürzen ihre ökonomische Analyse weiter. Nicht einmal mehr das ohnehin künstlich abgegrenzte und herausgegriffene Finanzkapital sei das Problem, sondern nur noch kleinste Details des wirtschaftlichen Geschehens. Attac schimpft auf die Steueroasen, FreiwirtschaftlerInnen geißeln den Zins und behaupten, der Zwang zur Begleichung des Zinseszinses präge alles ökonomische Geschehen. Dadurch, dass alles oder der größte Teil des Wirtschaftens (ob nun Produktion, Häuslebauen oder Autokauf) über Kredite finanziert wird, stecke überall der Zins drin. In jeder Produktionsstufe werde ein neuer Kredit aufgenommen und so stecke in jedem Produkt hauptsächlich Zins. Der Mensch schuftet also für nichts als den Wucher. Doch auch das ist Unsinn:
  • Wie schon geschildert, sucht Kapital immer den Ort der höchsten Rendite. Das gilt mit oder ohne Zins.
  • Es gibt Volkswirtschaften auf der Welt, in denen der Zins, z.B. aufgrund religiöser Vorgaben, verboten ist. Der Unterschied im kapitalistischen Geschehen ist - erwartungsgemäß - kaum spürbar. Das Profitinteresse wird dann auf andere Art oder mit anderen Begriffen, z.B. als Gebühren, befriedigt
  • Viele ZinskritikerInnen stellen ihre "natürliche Wirtschaftsordnung" als alternative Ökonomie dar. Der Begründer der Freiwirtschaftstheorie, Silvio Gesell, aber formulierte gegensätzlich und sehr deutlich, warum er den Zins abschaffen oder sogar in einen negativen Wert (also den Verfall von Guthaben) umkehren wollte: "Umsatz, Umsatz, Umsatz". Als Unternehmer hoffte er, dass dann alles Geld schneller ausgegeben und so die Wirtschaft angekurbelt würde.
  • Die bedrückenden Berechnungen der FreiwirtschaftlerInnen, wieviel Zins in den Produkten steckt, sind nichts als die Folge eines Rechenfehlers - der allerdings nicht versehentlich passiert. Denn die Annahme, dass jeder Schritt in der Produktion wieder über einen neuen Kredit finanziert werden müsse und sich somit die Zinsen der Beteiligten addieren, ist offensichtlich Unsinn. Denn wenn einer einen Kredit aufnimmt und die anderen damit bezahlen würde, bräuchten diese keinen eigenen Kredit. Also nimmt entweder ein Beteiligter den Kredit auf - dann aber die anderen nicht mehr. Oder jeder nimmt den Kredit für den hinzugefügten Produktionsschritt, also einen kleinen Teil am späteren Gesamtpreis, auf. Dann aber addieren sich die Zinsen nicht, sondern bleiben einmal als Prozentanteil im Preis.

Im Original: Zitate aus der Freiwirtschaft
Aus Thomas Seltmann, "Wirtschaftswachstum kontra Klima kontra Wachstum" in: Humanwirtschaft Okt. 2002 (S. 52)
... "Wirtschaftswachstum". Was ist das eigentlich? Dazu sollte als erstes geklärt werden, dass es zwei verschiedene Arten von Wachstum gibt: ein natürliches und ein tödliches. Natürliches Wachstum kennen wir von den Pflanzen, Tieren und Menschen: Als Kinder wachsen wir anfangs sehr schnell und dann immer langsamer, bis wir die "erwachsene" Größe erreicht haben. Bei Flora und Fauna ist es genau so: Es gibt keine Bäume, die in den Himmel wachsen, und es gibt keine Maikäfer, die so groß wie Schildkröten sind.
Anders das tödliche Wachstum. Zwei Stichworte sagen schon genug: Atombombe und Krebs.


Aus Helmut Creutz, "Befreit uns vom Kapitalismus!" in: CGW-Rundbrief Juni 2009 (S. 16)
Es geht also nicht um eine ,Rettung des Kapitalismus', sondern um dessen Unterordnung unter die Marktkräfte und damit um die Befreiung der Marktwirtschaft vom Kapitalismus!"

Aus Günter Hannich, "Der Marionettenstaat", Kopp-Verlag in Würzburg (S. 83 f.)
Ein zentraler Punkt der Effizienz war die Rollenverteilung der Geschlechter. Die ursprüngliche Rollenverteilung orientierte sich dabei zwangsläufig an den biologischen Gegebenheiten. Frauen sind körperlich weniger leistungsfähig und schwächer als der Mann. Da sie zudem die Kinder bekamen und in der Aufzucht der Kleinen auch begabter waren als die Männer, erhielten sie von selbst die Aufgabe, sich um das Wohl der Gemeinschaft zu kümmern, oder kurz: sich um das Steinzeitdorf im Innern zu sorgen. Aus dem gleichen Grund erhielten die Männer die Aufgaben, die ihrer biologischen Prägung am besten entsprach: Jagd und Verteidigung des eigenen Stammes - oder kurz: alles, was es außerhalb des Steinzeitdorfs zu erledigen gab. Da Männer besser strategisch und zukunftsorientiert planen können, während Frauen mehr soziale Netzwerke knüpfen und am Bestehenden festhalten, übernahmen Männer die Planungen außerhalb der Gemeinschaft, während Frauen sich um die sozialen Dinge innerhalb der Gemeinschaft kümmerten. Das alles hatte nichts mit "Unterdrückung" eines Geschlechtes oder damit zu tun, daß einer minderwertiger als der andere angesehen worden wäre. Es entsprach einfach der unter den widrigen Umständen bestmöglichen Organisationsform. ...
Durch diese Rollenverteilung hat sich auch über die Jahrhunderttausende die Denkweise der Geschlechter den Aufgaben angepaßt. Die Denkweise, von Mann und Frau unterscheiden sich dabei grundlegend. Wie sich mit der Computertomographie eindeutig nachweisen ließ, nutzen die unterschiedlichen Geschlechter völlig verschiedene Hirnbereiche bei ihren Aktionen. Die Resultate sind, daß Männer zu logisch-rationalem Denken neigen und Frauen von der Hirnstruktur eher emotional denken. ...
Unsere heutige emanzipierte und durch den Feminismus veränderte Welt ist eine reine "Schönwetter-Welt", die überhaupt nur so lange existieren kann, solange die Verhältnisse einigermaßen stabil bleiben. In der Menschheitsgeschichte ist dies jedoch eine absolute Ausnahmeerscheinung, und angesichts der wirtschaftlichen und politischen Instabilitäten unseres Systems wird sich dies auch sehr bald wieder ändern. Der Feminismus hat also zu einer künstlichen, der natürlichen Entwicklung entgegengesetzten Rollenverteilung geführt. Wie wir weiter sehen werden, geht und ging es dabei auch weniger um eine gerechtere oder zweckmäßigere Aufgabenverteilung, sondern mehr um die Durchsetzung einer Ideologie. ...
Die klassische Aufspaltung der Gesellschaft besteht in der zwischen Unternehmer und Arbeitnehmer. Vergessen wird bei diesem Streit, daß sich beide nur um die Brotkrumen streiten und die eigentlich großen Summen als Zinsgewinn an die kreditgebende Bank gehen. Dabei würde sich in einem stabilen System alles durch Angebot und Nachfrage nahezu von selbst regeln. (S. 146)

Aus Günter Hannich, "Börsenkrach und Weltwirtschaftskrise", Kopp-Verlag in Würzburg (S. 67f.)
Jedes Lebewesen hat einen Selbsterhaltungstrieb, wovon sich der Eigennutz letztlich ableitet. In der Wirtschaft spielt dieser Trieb die Hauptmotivation: Sieht das Individuum keinen Lohn für seine Anstrengungen, so fehlt die Motivation zur Arbeit und die Leistung sinkt. Im Kapitalismus wird dem Leistungsprinzip durchaus Rechnung getragen, da der einzelne letztlich nur die Wahl hat, entweder im System maximale Leistung zu erbringen oder langfristig zugrundezugehen. Ganz anders ist dies im Staatssozialismus oder Kommunismus: Hier fehlt der Leistungsanreiz völlig, da jede Gewinnausschüttung normiert ist und ein tüchtiger Arbeiter nicht wesentlich mehr erhält als ein fauler. Das führt dazu, dass sich die Arbeitskraft am schwächsten oder faulsten orientiert.

Josef Hüwe über Silvio Gesell mit Zitaten aus dessen Buch "Die Natürliche Wirtschaftsordnung", 1949
"Die Auslese durch den freien, von keinerlei Vorrechten mehr gefälschten Wettstreit wird in der Natürlichen Wirtschaftsordnung vollständig von der persönlichen Arbeitsleistung geleitet, wird also zu einem Sichauswirken der Eigenschaften des einzelnen Menschen. Denn die Arbeit ist die einzige Waffe des gesitteten Menschen in seinem "Kampfe ums Dasein". Durch immer bessere, höhere Leistungen sucht sich der Mensch im Wettbewerb zu behaupten. Von diesen Leistungen hängt es allein ab, ob und wann er eine Familie gründen, wie er die Kinderpflege üben, die Fortpflanzung seiner Eigenschaften sichern kann."
Gesell meint, dass die wirtschaftlich Schwächeren wegen geringerer Einkommen weniger Kinder zeugen werden: "Entsprechend ihrer geringeren Leistungen stoßen sie bei der Familiengründung, bei der Kinderpflege auf größere Hemmungen, die sich in eine geringere Nachkommenschaft umsetzen müssen." Und es steht für ihn "außerhalb jeden Zweifels", dass der freie Wettbewerb den Tüchtigen begünstige und seine stärkere Fortpflanzung zur Folge habe.


Wie immer ist auch die Geschichtsschreibung Gegenstand der Ränkespiele um Dominanz, hier vor allem der Diskurse, also dessen, was so allgemein gedacht wird. Die MacherInnen verkürzter Wirtschaftskritik berufen sich geschickt auf vermeintlich gute, alte Zeiten, in denen die Regulierung der Finanzmärkte einen guten Kapitalismus geschaffen hätte: "Ursprünglich hatten die Finanzmärkte eine Service-Funktion für Produktion und Handel, also für die Realwirtschaft. Mit ihrer Liberalisierung und Deregulierung nach 1973 setzte ein historischer Umbruchprozess ein." Das sagte Peter Wahl, eine der zentralen Figuren von Attac in den Jahren der dominanten Stellung des Verbandes in politischen Bewegungen ("Eine Welt für alle" in: Publik Forum Dossier Mai 2007, S. 4 f.). Es klingt auf den ersten Blick für Viele plausibel, kann Empörung auslösen und mag sicher manch Medienaufmerksamkeit oder Spendeneingang für Attac gebracht haben. Doch was ist dran?
  • Peter Wahl behauptet allen Ernstes, bis 1973 wären die Finanzmärkte und ihre ProtagonistInnen an der Organisierung und Finanzierung von Kriegen, Kolonialpolitik und Ausbeutung nicht beteiligt gewesen. Wer in die Geschichte der sogenannten "Entwicklungsländer" schaut, bemerkt schnell, dass deren Unterwerfung in den nach Wahls Behauptung noch guten Zeiten äußerst brutal und umfassend war. Imperialistische Eroberungskriege prägten die Tagesordnung der Weltpolitik - und das alles war finanziert aus den Quellen, die heute als "Finanzmarkt" gelten. Peter Wahl aber verschleiert ihre Rolle als "Service-Funktion".
  • Wahl leitet aus dieser gerichteten Geschichtsschreibung dann seine Ideologie ab: Deregulierung führe zum Raubtierkapitalismus. Damit will er die Hoffnung wecken, erneut regulierende Nationalstaaten würden für ein gutes Wirtschaften sorgen. Woher diese Erwartung rührt, wird außer mit der schrägen Geschichtsinterpretation nirgends begründet. Das würde auch nicht gelingen, denn bisher war der Standortkonkurrenzkampf der Industrienationen einer der Gründe und Antrieb für Unterdrückung und Ausbeutung, nicht deren Gegenprogramm.

Im Original: Zitate zu Bankenprotesten
Aus Oliver Nachtwey, "Wir gehen nicht mehr weg", Leitartikel (!) der Freitag am 24.5.2012 (S. 1)
Nicht zuletzt hatte man den Ausnahmezustand inszeniert, weil die Aktivisten von Blockupy ihre Ziele klug gewählt hatten. Sie protestierten nicht gegen die Regierung, sondern gegen ihre eigentlichen Herren: Gegen die Banken und vor allem gegen die neuralgische Pumpstation der europäischen Geldströme, ohne die die Zirkulation auf den Finanzmärkten und die Zahlungsfähigkeit der Staaten akut gefährdet ist - die Europäische Zentralbank. ... In der Postdemokratie bleiben formale demokratische Prozesse bestehen, doch am Ende entescheidet nicht der demokratische Souverän.


Eine Abwandlung der Finanzkapitalkritik ist die Euro-Ablehnung. Auch hier wird ein Teilelement kapitalistischer Praxis herausgelöst und als alles andere auslösend dämonisiert. Das zieht, weil es einfach ist. Die 2013 neu gegründete Partei "Alternative für Deutschland" konnte mit dieser Plattheit schnelle Zustimmungen einfangen, PopulistInnen wie Oskar Lafontaine und teilweise auch Sahra Wagenknecht sprangen auf den rollenden Parolenzug auf. Es verwundert wenig, dass auch die Protagonisten vereinfachter Welterklärungen wie Jürgen Elsässer mit in den Chor einstimmten.


Im Original: Zinsen sind schlimm. Ohne Zinsen auch!
Absurder Artikel in "Stimme&Gegenstimme" Nr. 4/2014: Plötzlich ist das Fehlen des Zinses die böse Verschwörung


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