Umwelt und Macht

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Agenda 21/Nachhaltigkeit

Aus Christina Halmi, 2000: Global denken - lokal handeln?, Studienarbeit an der FU Berlin
Meinem Eindruck nach ist die Grüne Liga in Berlin der für die Lokale Agenda 21 am stärksten engagierte Verband (jedenfalls im Vergleich zu den anderen hier behandelten Organisationen).

Im Original: Interview mit Iri Wolle
Aus der Grüne-Liga-Zeitung "AlLIGAtor", Nr. 6/05 (S. 6)
"Ich versuche, den 'Wächter' zu spielen und mich einzumischen"
Über §29-Arbeit, Sozialpolitik und die GRÜNE LIGA
Alligator: Bist Du fotoscheu?
Iri Wolle: Ja
Alligator: Konntest Du was mit den letzten Alligator-Interviews anfangen?
Iri Wolle: Ja, sie sagen einiges über die jeweiligen Menschen aus.
Alligator: Was ist für Dich die GRÜNE LIGA?
Iri Wolle: Ein in den meisten Bundesländern fast unbekannter Umweltverein, der mit seinen vielen Bundeskontaktstellen und seinen kaum noch vorhandenen Mitgliedern einem riesigen Kopf ohne Körper gleicht.
Alligator: Was waren die Gründe, Dich in der GRÜNEN LIGA zu engagieren?
Iri Wolle: Die Hoffnung, hier auf Gleichgesinnte zu stoßen, mit denen gegenüber der Öffentlichkeit wichtige gemeinnützige Ziele vertreten wer den können. Denn allein lässt sich so etwas nicht durchsetzen.
Alligator: Nenne bitte fünf Attribute, welche die GRÜNE LIGA nicht besitzt, aber haben sollte!
Iri Wolle: Vorurteilsfrei, offen, kameradschaftlich, uneigennützig, sozial.
Alligator: Nenne bitte fünf Gründe, die die GRÜNE LIGA gegenüber den anderen Verbänden auszeichnet!
Iri Wolle: Die GL hat die wenigsten Mitglieder, ist nur noch in den Bundesländern Berlin, Brandenburg, Sachsen und Thüringen als ordentlicher Landesverband vertreten und finanziert sich hauptsächlich über staatliche Projektmittel, wodurch der Kontakt zu den Vertretern staatlichen Bewilligungsbehörden für Projekte wesentlich enger als zu den einfachen Mitgliedern der GL ist. Zwar könnte die GRÜNE LIGA als sehr kleiner Verein über flachere Hierarchien verfügen und für einfache Mitglieder wesentlich überschaubarer sein, als die großen und bundesweit agierenden Verbände. Doch dazu bedarf es mehr Transparenz über den Inhalt der bei den Bundeskontaktstellen auftaufenden Projekte.
Alligator: Ist die GRÜNE LIGA zu wenig spirituell?
Iri Wolle: Nein, so etwas hat nach meiner Auffassung nichts in einer Umweltbewegung zu suchen.
Alligator: Gibt es außer Umwelt- und Naturschutz Themenbereiche außerhalb der Umweltbewegung, die Dich interessieren bzw. für die Du Dich engagieren würdest?
Iri Wolle: Ja, mich interessieren humanistisch ausgerichtete Kunst und Literatur sowie Geschichte und Denkmalspflege.
Alligator: Du hast auf der Mitgliederversammlung im Bereich Stadtentwicklung in der BKSt. Verkehr Interesse signalisiert, Dich dort einzubringen. Was ist daraus geworden?
Iri Wolle: Nichts, was mich sehr ärgert. Obwohl ich mehrfach gebeten hatte, mir per E-Mail entsprechende Informationen zu übersenden, habe ich bis heute nichts erhalten. Bin ich jetzt etwa wieder schuld, weit ich nicht ständig nachgefragt habe, so wie mir auf der Jahresmitgliederversammlung der GL die Schuld dafür zugesprochen wurde, dass die Konfliktkommission nicht ordentlich ihre Aufträge abgearbeitet hatte?
Alligator: Welche Probleme siehst Du im aktuellen Trend der Städteent wicklung in Ostdeutschland?
Iri Wolle: Die zumeist erst in den letzten Jahren geförderte Altbausanierung ist noch nicht abgeschlossen, doch die bisherigen Geldmittel werden künftig auch als Folge der EU-Osterweiterung nicht mehr so üppig wie bisher fließen. Außerdem wirken sich inzwischen die anhaltende wirtschaftliche Stagnation und deren soziale Folgen in Form von Arbeitslosigkeit und Abwanderung ebenfalls sehr nachteilig auf die Stadtentwicklung aus.
Alligator: Woran liegt das?
Iri Wolle: Nach der politischen Wende wurde bekanntlich verabsäumt, Fördermittel primär für die Sanierung der Innenstädte bereitzustellen. Statt dessen entstanden Großeinkaufszentren und Wohnparks auf der grünen Wiese, alte diese Maßnahmen waren weniger auf Nachhaltigkeit, sondern vielmehr auf schnellen Konsum ausgerichtet.
Alligator: Wie könnte die GRÜNE LIGA hier tätig werden?
Iri Wolle: Vielleicht - wie die GL Berlin es schon lange praktiziert - über solche Programme wie die Agenda 21 auf die wirtschaftliche und soziale Stadtentwicklung einzuwirken versuchen. Ich mache mir allerdings keine Illusionen darüber, dass dies für einen so kleinen Verein wie die GL nicht einfach sein kann. Aber in Leipzig verfügt die GL über regelrechte Experten für Stadtentwicklung, also Leute, die das auch berufsmäßig machen. Deshalb bin ich traurig, dass die sich bisher noch nicht mir gegenüber geäußert haben.
Alligator: An welchen aktuellen Projekten arbeitest Du?
Iri Wolle: Eigentlich ist es immer dasselbe: Ich erfahre über meine Kontakte zum Landesbüro der anerkannten Naturschutzverbände des Landes Brandenburg und auch über die Mitglieder von Regionalverbänden des Naturschutzes von haarsträubenden Vorhaben, bei denen gewöhnlich so ziemlich gegen alle bestehenden Gesetze und planerischen Grundsätze verstoßen wird. Da versuche ich dann, den "Wächter" zu spielen und mich einzumischen.
Alligator: Du schreibst für die GRÜNE LIGA §29 Stellungnahmen. Bist Du damit erfolgreich?
Iri Wolle: Ja, meine letzte große Stellungnahme zur Ableitung von Abwasser in das FFH-Gebiet Müggelspree wurde sowohl von Mitarbeitern des Landesbüros als auch von einigen Behördenmitarbeitern gelobt. Weniger befriedigend finde ich meine Stellungnahmen für die GL bei der Beteiligung von Gesetzesentwürfen, denn ich bin keine Juristin und habe dann das blöde Gefühl, "wie die Sau in's Uhrwerk" zu schauen.
Alligator: Was ist Dein Rezept?
Iri Wolle: Meine Stellungnahmen für die GL gemäß § 29 sind in der Regel gut vorbereitet, da habe ich im Vorfeld mit verschiedenen lokalen Experten gesprochen und kenne mich auch mit den Gesetzen und Verordnungen relativ gut aus. Um die Ent würfe zur Umsetzung von EU-Richtlinien entsprechend beurteilen zu können, brauche ich nicht nur Kenntnisse der juristischen Bedeutung von bestimmten Begriffen, sondern auch den Austausch mit Gleichgesinnten. Das funktioniert auf Bundesebene aber leider nicht und wird möglicherweise niemals funktionieren, wegen der hier wesentlich stärker herrschenden Hierarchien.
Alligator: Was könnte von Seiten der GRÜNEN LIGA hier verbessert werden?
Iri Wolle: Ich hatte Helmut Röscheisen vom Naturschutzring deswegen angesprochen und gefragt, ob es kei ne Weiterbildungsmöglichkeiten für Ehrenamtliche auf diesem Gebiet gibt. Warum soll das, was es schon seit langem im Sozialbereich gibt, nicht auch im Umweltbereich geben? Ich habe aber nicht den Eindruck, dass die derzeitigen Naturschutzfunktionäre eine ehrenamtliche Basisbe teiligung wirklich wollen...
Alligator: Die GRÜNE LIGA tut sich schwer damit, Konflikte konstruktiv beizulegen. Das hat die Vergangenheit und das mangelnde Interesse am entsprechenden Seminarangebot verdeutlicht. Bist Du nachtragend?
Iri Wolle: Ja, besonders dann, wenn mir Klaus Schlüter über Dritte mitteilen lässt, dass ich nun anstelle einer Antwort auf meinen noch immer geklärten Streit an einem Seminar zum Konfliktmanagement teilnehmen könne. Dieses Seminar kostet 30 EURO, hinzu kommen nicht unerhebliche Fahrtkosten zu einem Ort, der hinter Dresden liegt, alles von mir privat zu tragen, obwohl ich kein Einkommen habe, über so ein Angebot werde ich dann wirklich wütend.
Alligator: Gab es für Dich schon einmal ähnliche Erfahrungen in der Umweltarbeit oder anderen sozialen / politischen Bereichen oder Parteien?
Iri Wolle: Nein.
Alligator: Du engagierst Dich auch für sozialpolitische Themen. Was hältst Du von Münteferings "Kapitalismuskritik"? Ist das strategische Verlogenheit?
Iri Wolle: Ja, ich finde das geteilte Rollenspiel zwischen Schröder und Müntefering schon sehr makaber. Und deshalb stimme ich auch Hans Magnus Enzensberger zu, der in seinem Artikel jer Klassenkampf als Märchenstunde" zu Münteferings Metapher "Heuschreckenschwarm" bemerkt, dass hierzulande kein Börsenliebling befürchten (muss), dass die deutsche Sozialdemokratie ihm mit der chemischen Keule kommt. Schlimmstenfalls kann es ihm passieren, dass er zu einem gemütlichen Abendessen ins Kanzleramt eingeladen wird".
Alligator: Meinst Du, die SPD-Spitze glaubt selbst an soziale Gerechtigkeit?
Iri Wolle: Ja, innerhalb bestimmter Grenzen schon. Wohltätigkeitsbasare und Suppenküchenidyllen gab es aber auch schon früher, das haben wir nur vergessen.
Alligator: . .. und die Grünen / Bündnis 90?
Iri Wolle: Das ist doch die neue Partei der Besserverdienenden, die haben für "Leistungsversager" bestimmt nichts übrig.
Alligator: Wer hätte das Zeug zum Bundeskanzler: Udo Lindenberg, Jürgen Klinsmann, Papst Benedikt alias Ratzinger, Nina Hagen, Hella von Sinnen oder der Sänger von Rammstein? Oder sollte es per Fernsehwettbewerb a la "Deutschland sucht den Super-Kanzler" ermittelt werden?
Iri Wolle: Wozu sollen wir noch einen Bundeskanzler wählen, obwohl wir noch nicht einmal - anders als zum Beispiel die Franzosen - über die EU Verfassung abstimmen dürfen?
Alligator: Es fehlt hierzulande an moralischen Vorbildern. In Berlin soll das Stadtschloss wieder rekonstruiert werden. Der Trend geht zu einer klaren Auftrennung armer und reicher Bevölkerungsschichten. Sollte Deutschland wieder eine Monarchie werden?
Iri Wolle: So ein neues Stadtschloss mit einem Kaiser würde sicherlich den internationalen Tourismus in Berlin noch mehr beflügeln.
Alligator: Wie geht das alles mit der Umweltbewegung weiter? Was sind Deine Prognosen?
Iri Wolle: Zumindest der "symbolische Umweltschutz" ist aktuell in der Bundesrepublik Deutschland sehr erfolgreich. Repräsentative Meinungsumfragen ergaben bisher regelmäßig den unter Bundesbürgern herrschenden Eindruck, dass die derzeitige Bundesregierung zwar auf dem Gebiet der Wirtschaft, des Gesundheitswesens und der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit versagte, aber im Hinblick auf Natur- und Umweltschutz ihre Pflicht mehr als erfüllte. Das verdanken wir zweifellos unseren Statthaltern in den Bundesverbänden. Denn wie heißt es so schön? Wes Brot ich ess', des Lied ich sing. Wer kritisiert denn heute noch einen Bundesumweltminister bzw. dessen Politik?
Alligator: Wird es uns als GRÜNE LIGA in 15 Jahren noch geben?
Iri Wolle: Ja, als Zusammenschluss von so genannten Bundeskontakt und Fördermittelantragsstellen.
Alligator: Wie treibt man Dich zur Verzweiflung?
Iri Wolle: Langweilige Vereinsversammlungen.
Alligator: Wie bringt man Dich zum lachen?
Iri Wolle: Mit ganz gewöhnlich komischen Alltagssituationen, auf die ich mitunter stoße, wenn ich ganz allein durch Berlin schlendere.
Alligator: Wann ist ein Tag für Dich ein schöner Tag gewesen?
Iri Wolle: Wenn ich das Gefühl habe, mein Leben im guten Sinne gestatten zu können, was leider nicht immer der Fall ist.
Alligator: Vielen Dank für das Interview!
Das Interview führte Oliver C. Pfannenstiel

Kurzprofil: Iri Wolle
Alter:
61 Jahre
Kinder: keine
Beruf: keinen
Hobbies: Lesen, Wandern, Radfahren
Lieblings-Reiseziel: Mitteleuropa
Lieblings-Pflanze: Klatschmohn
Lieblings-Tier: früher Pferd, heute Sumpfschildkröte
Lieblings-Essen: frische Salate mit Himbeerkompott als Nachspeise
Lieblings-Getränk: Tonicwasser
Lieblings-Musik: Jonny Cash
Lieblings-Film: weiß ich nicht mehr
Lieblings-Buch: Pan (Knut Hamsun)
Was magst Du nicht: bestimmte Arten von Versammlungen
Mitglied der GRÜNEN LIGA (GL) seit: etwa 10 Jahren
Bisherige Posten bei der GL: keine
Schönstes Erlebnis bei der GL: kann mich nicht erinnern
Fragwürdigstes Erlebnis bei der GL: Die offen zur Schau getragenen Gleichgültigkeit von vielen Mitgliedern der GL, wenn einzelne Mitglieder der GL sic brüskiert oder verletzt fühlen. Woraus ich schlussfolgere, dass die Mitgliedschaft in der GL nicht zugleich die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe bzw. zu einem "Netzwerk" beinhalten muss...
Kurzes Statement zur momentanen Situation des Umwelt- und Naturschutzes in der BRD: Die zunehmende Ökonomisierung der Umweltbewegung, die unter anderem auch durch die fast ausschließliche Fixierung auf bezahlte Projektarbeit zum Ausdruck kommt: Während eine institutionelle Förderung den Umwettverbänden nach wie vor autarkes Handeln ermöglicht, bedeutet die inzwischen weit verbreitete Projektförderung bekanntlich, dass staatliche und kommunale Aufgaben zunehmend an so genannte gemeinnützige Trägervereine delegiert werden. Auf diese Art und Weise entsteht eine immer stärker werdende Abhängigkeit von der öffentlichen Verwaltung. Sehr fragwürdig finde ich auch die ziemlich ungeniert betriebene Lobbyarbeit des NABU, die vor allem durch den so genannten "NABU-Salon" unter der Leitung von Leif Miller forciert wurde. Und nun lese ich in der Zeitung, dass sich der Bundesverband des NABU sogar für einen längeren Zeitraum von einer Mobilfunkfirma sponsern lässt...


Grüne Liga und Konzerne

Der Umwelttag 2005 in Berlin ... von Grüne Liga mit Telekom, Energiekonzernen bis hin zum Atomkonzern EnBW (Yello strom), Foto aus "AlLIGAtor", Zeitung der Grünen Liga

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