KNÄSTE MACHEN ALLES NUR SCHLIMMER!
Je höher die Strafe, desto mehr fördert sie Kriminalität
1. Einleitung
2. Je höher die Strafe, desto mehr fördert sie Kriminalität
3. Illusion von Sicherheit
4. Knast-Zahlen
5. Zwangsarbeit
6. Engagement hinter Gittern? Perspektiven linker & antifaschistischer Politik hinter Gittern
7. Knast und Gewalt
8. Links
9. Buchvorstellungen zum Themenbereich
- Link zur Studie (downloadbar!), Link zu derselben Studie (auf Server der Hess. Landesregierung)
Im Original: Zusammenfassung der Studie
1. Was will die Rückfallstatistik?
Rückfallverhinderung ist eine der wichtigsten Aufgaben des Strafrechts. In welchem Maße dies gelingt, ist in Deutschland indes weithin unbekannt. Mit der hier vorgelegten Rückfallstatistik wird erstmals für Deutschland die Forderung nach einer alle strafrechtlich Sanktionierten einbeziehenden Rückfallstatistik erfüllt. Dazu werden alle in einem Basisjahr (hier: 1994) strafrechtlich Sanktionierten oder aus der Haft Entlassenen (insg. knapp 1 Mio. Personen) während eines vierjährigen Rückfallzeitraums (hier: bis 1998) weiterverfolgt, um zu erkennen, ob sie wieder straffällig werden. Datenbasis hierfür sind die personenbezogenen Eintragungen im Zentral- und Erziehungsregister, die in der Regel mindestens fünf Jahre erhalten bleiben. Mit diesem Ansatz unterscheidet sich die Rückfallstatistik grundlegend von den herkömmlichen Rechtspflegestatistiken. Können diese nur für das jeweilige Basisjahr die betroffenen Personen erfassen - ohne die geringste Möglichkeit zu erfahren, was aus ihnen später wird, erlaubt es die einzigartige Datenquelle des Bundeszentralregisters (BZR), die justiziell erfassten Personen weiterzuverfolgen. Allerdings kann es nicht darum gehen, die einzelnen Personen in ihrem individuellen Verlauf abzubilden; vielmehr muss die Vielfältigkeit der Daten für die Zwecke einer Statistik zurückgeführt werden auf wenige handhabbare und aussagekräftige Kritierien und Kategorien. Dies bedeutet nicht eine endgültige Festlegung auf ein bestimmtes Auswertungsmuster im Sinne einer Statistik; das Datenmaterial (in Form von Individualdatensätzen) ist grundsätzlich auch für andere Auswertungsmöglichkeiten offen.
2. Aussagemöglichkeiten
Aufgrund der Daten des BZR ist es möglich, umfassend über die Rückfallraten in Abhängigkeit von Sanktion, Delikt, Vorstrafen, Alter und Geschlecht der Sanktionierten zu informieren. Aus den vielfältigen Aussagemöglichkeiten seien hier einige besonders markante Ergebnisse zusammengefasst: Für die meisten strafrechtlich in Erscheinung tretenden Personen bleibt die Straffälligkeit (im Beobachtungszeitraum) ein einmaliges Ereignis. Nur etwa jeder dritte strafrechtlich Sanktionierte bzw. aus der Haft Entlassene wird innerhalb des Rückfallzeitraums von vier Jahren erneut straffällig (siehe Abbildung A1). Sofern eine erneute strafrechtliche Reaktion erfolgt, führt dies überwiegend nicht zu einer vollstreckten Freiheitsentziehung; die meisten Rückfälle werden milder geahndet. Die zu einer freiheitsentziehenden Sanktion Verurteilten weisen ein höheres Rückfallrisiko auf als die mit milderen Sanktionen Belegten. Die Bewährungsstrafen schneiden gegenüber vollzogenen Freiheits- und Jugendstrafen deutlich besser ab. Die Strafgefangenen werden zwar überwiegend erneut straffällig, die Mehrheit kehrt jedoch nach Entlassung nicht wieder in den Strafvollzug zurück.
3. Ertrag
Erstmals wird der Politik repräsentatives Material über die Rückfallwahrscheinlichkeit nach Strafrechtssanktionen an die Hand gegeben. Der rückfallstatistisch ausgewertete Datenbestand des BZR ist geeignet, empirisch begründete Antworten zu geben zu den tatsächlich registrierten Rückfallraten, etwa bei den wegen Gewaltdelikten bestraften Tätern. Fragen der Rechtspolitik z.B. hinsichtlich unterschiedlicher Rückfallraten nach verschiedenen Sanktionen können auf einer abgesicherten Grundlage mit diesem Datensatz beantwortet werden, ohne auf mühsame Einzeluntersuchungen angewiesen zu sein (siehe auch Periodischer Sicherheitsbericht, Kapitel 3.8.3).
Aus wissenschaftlicher Perspektive werden für alle Sanktionierten insgesamt wie auch nach verschiedenen Deliktsgruppen differenzierbar erstmals deskriptive Daten über die Rückfallraten nach Sanktionsart und -höhe, Alter, Geschlecht und strafrechtlicher Vorbelastung geboten. Mit diesen Basisraten wird ein breites Fundament geschaffen, um spezielle, regional und zeitlich begrenzte Rückfallstudien einordnen zu können. Darüber hinaus bietet das Datenmaterial Auswertungsmöglichkeiten z.B. unter einem quasi-experimentellen Ansatz (soweit nach dem Gesetz verschiedene Rechtsfolgen möglich sind) oder hinsichtlich der Analyse von Verlaufsmustern in der Abfolge von Sanktionen.
4. Zur Zukunft der Rückfallstatistik
Aus der Sicht der Bearbeiter ist es unbedingt lohnenswert, das Vorhaben einer Rückfallstatistik weiter zu verfolgen. Für die künftige Gestaltung ist zu überlegen, wie weit die bisher aufgetretenen Beschränkungen aufgrund der Eigenart der Bundeszentralregisterdaten und der Untersuchungsanlage behoben werden können, indem man z.B. zusätzliche Daten, etwa aus dem Strafverfahrensregister, heranzieht. Eine längerfristige Konzeption der Rückfallstatistik als periodische Statistik hätte den Vorzug, dass sich die Datenauslese nicht nur auf ein bestimmtes Bezugsjahr bezieht, sondern der weitere Verlauf im Längsschnitt beobachtet werden kann.
Haft macht alles schlimmer
Aus Kropotkin, Peter (1985): "Gesetz und Autorität", Libertad Verlag in Berlin (S. 23)
Man gehe in die Gefängnisse und studiere, was aus den Menschen gemacht wird, welchen alle Freiheit entzogen, die eingesperrt mit schon Verdorbenen werden, die sich gegenseitig mit allen Lastern anstecken, wie sie heute durch alle Mauern durchsickern; und man erinnere sich nur, daß, je mehr man daran reformiert, sie nur desto verwerflicher werden. Unsere modernen Muster-Strafanstalten sind tausendmal korrumpierender als die mittelalterlichen Turmverließe.
Im Original: Anfrage im Bundestag
Aus der Bundestagsdrucksache 16/7967 vom 1.2.2008 mit Anfrage und Antwort (PDF)
Nach den Ergebnissen der vom Bundesministerium der Justiz in Auftrag gegebenen Untersuchung „Legalbewährung nach strafrechtlichen Sanktionen“ (...) lag die Rückfallquote nach einer Jugendstrafe ohne Strafaussetzung zur Bewährung bei 77,8 Prozent, nach einer Jugendstrafe mit Strafaussetzung zur Bewährung bei 59,6 Prozent (...).
Aus "Bundesregierung: Wegsperren hilft nicht", in: Junge Welt, 11.8.2008 (S. 5)
In ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage der FDP-Fraktion mußte die Bundesregierung zugeben, daß das Wegsperren von jugendlichen Straftätern zu besonders hohen Rückfallquoten führt. Nach einer Haftstrafe ohne Bewährung werden demnach 78 Prozent der Verurteilten erneut straffällig. Dagegen werden mit 60 Prozent deutlich weniger Jugendliche rückfällig, die zu einer Bewährungsstrafe verurteilt wurden. Völlig kontraproduktiv erscheint auch der Jugendarrest. Mit diesem Begriff wird eine Inhaftierung für die Dauer von einem Wochenende bis zu vier Wochen bezeichnet. 70 Prozent der damit bestraften Jugendlichen wurden erneut straffällig. Die ehemalige Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) erteilte am Wochenende jeder Verschärfung des Jugendstrafrechts eine Absage.
Aus dem Text der Nachrichtenagentur AP auf Yahoo!Nachrichten (10.2.2008)
Kriminelle Jugendliche mit Bewährungsstrafen werden deutlich seltener rückfällig als solche, die tatsächlich hinter Gitter müssen. Dies geht aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der FDP hervor.
Demnach werden von den Jugendlichen, die zu einer Haftstrafe ohne Bewährung verurteilt werden, 77,8 Prozent wieder straffällig. Beim Jugendarrest liegt die Rückfallquote bei 70 Prozent. Die Vergleichszahl für Jugendliche mit Bewährungsstrafen liegt bei 59,6 Prozent.
Aus Thomas Meyer-Falk, "Knast und Resozialisierung" auf Indymedia (Juli 2008)
Wie sehen nun die Rückfallzahlen in Deutschland, unter Berücksichtigung des erwähnten „Resozialisierungsvollzuges“ aus? Zum Stichtag 31.03.2006 (Stat. Bundesamt, Tabelle 4 „Strafvollzug“ der Fachserie 10 Reihe 1 „Ausgewählte Zahlen für die Rechtspflege“) waren 65% der Gefangenen vorbestraft. Von diesen wiederum hatten 64,7% als schwerste Vorstrafe eine Freiheitsstrafe. Wer einmal in Haft sitzt wird also nicht nur mit hoher Wahrscheinlichkeit wieder dorthin zurück kehren (mancher kennt Falladas Satz „Wer einmal aus dem Blecknapf frisst, das Wiederkommen nicht vergisst“), er /sie hat auch nur geringe Chancen vor Ende seiner Haft auf Bewährung frei zu kommen (nur ca. 30% der Gefangenen kommen vor Vollbüßung der Strafe frei; vgl. Tröndle/Fischer, StGB-Kommentar, 54.A., § 57 Rz. 1).
Scheinbar fördert die Knastzeit weder Angst vor weiter Haft, noch die „Einsicht“, dass die Befolgung von Gesetzen einem „gedeihlichen Zusammenleben“ förderlich sein soll. Was könnte eine Erklärung hierfür sein?
Strafe ist auch Ausdruck des Unwert-Urteils einer Gesellschaft.
Hessischer Justizminister Jürgen Banzer, in: FR, 18.3.2006 (S. 6)
Im Original: Knacken und Brechen
Aus einer Studie zu Einbrechern, ihren Motiven, den sozialen Rahmenbedingung und dem (Un-)Sinn von Knast/Strafe (von Tobias Müller-Monning)
Aus dem Vorwort (S. 5)
Wir erleben zur Zeit einen Anstieg der Haftpopulation im geschlossenen Vollzug. Von Seiten der Öffentlichkeit ist ein Bedürfnis nach mehr Strafe zu verspüren. Die Gefängnisse sind überfüllt, der Einstieg in die Privatisierung von Haftanstalten ist vorgezeichnet. Damit ist der Weg vorgezeichnet für ein Prison as Industrie-System: für ein System, in dem die gesellschaftliche Kontroll- und Sanktionsinstanz Gefängnis als Geschäft betrieben wird.
Strafe in Form der Haft führt nicht unbedingt dazu, dass menschliches Miteinander sicherer wird. Wir wissen letztendlich nicht, was genau Haft bewirkt. Nach dem Stand der Forschung können wir davon ausgehen, dass diese Form des Strafens für die Gesellschaft negative Folgen hat. Haft provoziert weitere Brüche, auch wenn manche sich in die Haft flüchten, weil ihnen die Welt außerhalb der Mauern unwirtlicher erscheint als innerhalb. Möge die Arbeit dazu beitragen, nach Alternativen im Bereich von Strafe und dem Umgang mit Straftätern in unserer Gesellschaft zu suchen. Nach Alternativen, die soziale Arbeit und sozialtherapeutisches Handeln nicht der völligen Ökonomisierung menschlicher Beziehungen überlassen und den Menschen als das begreifen, was er ist: ein soziales Wesen, ein Wesen das trotz seiner Taten seine Würde nicht verlieren darf.
Aus "Um was es geht" (S. 6)
Überführte und inhaftierte Einbrecher gehören zu den Verlierern. Der Inhaftierte ist in einem doppelten Sinne eingebrochen, beim Zweiten Mal durch die dünne Decke des sozialen Netzes hindurch. Viele gelangen überdies in einen nicht mehr von Ihnen selber zu steuernden Ablauf von Einbruch und Haft im Wechsel. Für sie gehören Brechen und Knacken (von Knacki, Inhaftierter) zusammen. Einbruch und Haft werden zu einem Bestandteil der Persönlichkeit, die den weiteren Lebensweg definieren.
Aus "summary"
- Dem Einbruch geht im übertragenen Sinne ein Einbruch in der Lebenssituation des Täters voraus. Der Einbruch gibt Auskunft über die Persönlichkeit des Einbrechers und seines gesellschaftlichen Umfeldes.
- Der Einbruch ist tätertypspezifisch und hängt nur mittelbar ab von der Anmutungsqualität der Objekte, in die eingebrochen wurde. Jeder Täter sucht das Objekt nach seiner subjektiven Erfahrung, seiner Sozialisation und seiner aktuellen Lebenssituation aus.
- Der Zusammenhang von Einbruchsmotivation und Lebenslage liegt im Scheitern von Normalität. Der Einbruch wird gewählt, um dieses Scheitern zu beheben. Als Gründe für den Einbruch können benannt werden:
- der Erhalt des eigenen Selbstwertes und der eigenen Identität,
- der Erhalt von Normalität, der Einbruch bekommt den Charakter einer Selbsthilfe.
- Haft wird von dem Täter als ein extremer Lebenseinbruch erlebt. Sie fördert die Delinquenz. Ihre Wirkung ist konträr zum Vollzugsziel.
- Die gesellschaftliche Behandlung der Sucht fördert unter der geltenden Gesetzgebung und Rechtslage den Einbruchsdiebstahl.
Aus "Nachwort"
Das gesellschaftliche Konfliktpotential wächst. Ein Rückgang sozialstaatlichen Handelns ist zu beobachten. Das verleitet dazu, die Krise mit ordnungspolitischen Mitteln lösen zu wollen: „Zu den bevorzugten Objekten der Diskriminierungskampagnen zählen neben Flüchtlingen und Migranten jene sozialen Klassen, die aus dem vorherrschenden Produktivitäts- und Leistungsmodell herausfallen.“ (Jahn et al. 2000, S.10). ...
Im Umgang mit den Außenseitern und den Herausgefallenen zeigt sich das Gesicht einer Gesellschaft. Grenzen wir aus, grenzen wir auch immer uns selber aus, sperren wir ein, sperren wir immer auch einen Teil unsere kollektiven Möglichkeiten ein.
- Die gesamte Studie als PDF-Download
Weitere Studien und Texte zur Wirkung von (Haft-)Strafen
- Göttinger Studie über Straftäter: Weniger gefährlich als gedacht (HNA, 8.4.2015)
Wirkung der Haft auf Jugendliche
Aus Daniela Hosser, "Was bewirkt die Strafhaft im Jugendalter? Empirische Erkenntnisse", in: Susanne Benzler (2008), "Jugendstrafvollzug. Neue Gesetze - Neue Perspektiven?", Rehburg-Loccum
Entwicklungsprozesse im Haftverlauf
Ein zentrales Ergebnis der Studie zur Entwicklung junger Männer im Jugendstrafvollzug ist, dass sich, auf Gruppenebene betrachtet, kriminalitätsrelevante Einstellungen und Verhaltenstendenzen im Haftverlauf nicht bedeutsam verändern. Die mangelnde Akzeptanz gesellschaftlicher Regeln und Gesetze, die hohe Aggressivität, die Ablehnung von Verantwortung für das eigene kriminelle Handeln und eine primär am eigenen kurzfristigen Nutzen orientierte moralische Beurteilung krimineller Handlungen bleibt von Haftbeginn bis zur Entlassung weitgehend unverändert bestehen. Die Jugendstrafe scheint den Entwicklungstand bei Inhaftierung geradezu zu konservieren (Zamble & Porporino, 1988). Dass dieser Entwicklungsstillstand dabei nicht in erster Linie auf eine veränderungsresistente Persönlichkeitsstruktur der jungen Männer zurückzuführen ist, sondern auch durch die Haft selbst mitbedingt wird, ist daran abzulesen, dass nach der Haftentlassung eine signifikant positive Veränderung im Bereich krimineller Einstellungen und Verhaltenstendenzen eintritt. Diese Entwicklungstendenz kehrt sich im Fall einer erneuten Inhaftierung jedoch wieder um und führt zu vergleichbaren, in manchen Bereichen sogar ungünstigeren Merkmalsausprägungen als im Verlauf der ersten Jugendstrafe.
Im Hinblick auf kriminelle Einstellungen und Verhaltenstendenzen, die als Risikofaktoren für die weitere Delinquenzentwicklung gelten müssen, ist also zunächst keine resozialisierende Wirkung des Jugendstrafvollzugs festzustellen. ... (S. 83)
Schlussfolgerungen
Entgegen gesellschaftlichen Erwartungen und Hoffnungen ist die Jugendstrafe selbst für das Gros junger Männer kein Anlass für einen tiefgreifenden Einstellungs- und Verhaltenswandel. Die Erfahrung des Eingesperrtseins allein initiiert keine positiven Entwicklungsprozesse. Haft hat vielmehr negative, dem Erziehungsauftrag entgegen wirkende Folgen, wenn sie den spezifischen Entwicklungsbedürfnissen der Inhaftierten nicht ausreichend Rechnung trägt. Der Jugendstrafvollzug ist daher so zu gestalten, dass er dem vermehrten Autonomiebedürfnis der Jugendlichen, ihrem Bedarf nach sozialen Beziehungen und der Übernahme verschiedener sozialer Rollen und Aufgaben gerecht wird, zumindest aber Entwicklungsrückschritte in diesem Bereich vermeidet. Soll die Bevölkerung nachhaltig vor weiteren Straftaten geschützt werden, führt kein Weg daran vorbei, die individuelle Förderung jedes Gefangenen in den Vordergrund aller Bemühungen des Jugendstrafvollzugs zu stellen. Ein hierzu notwendiges, ausreichendes und hinreichend differenziertes Weiterqualifizierungs-, Betreuungs- und Behandlungsangebot ist im deutschen Jugendstrafvollzug jedoch noch lange nicht Realität. (S. 88)
- Text "Harris Lines of Arrested Growth" aus dem Stannington Sanatorium Project (16.2.2015): Stress, soziale Verhältnisse und insbesondere Gefangenschaft führen zu körperlichen Veränderungen
Daten zu Rückfalltätern
Aus Brauneck, Anne-Eva (1974): "Allgemeine Kriminologie", Rowohlt in Reinbek (S. 93 f.)
In einer Gruppe von Bestraften pflegen Rückfälle um so seltener zu werden, je länger die Bestrafung zurückliegt. Die meisten überhaupt rückfällig Werdenden tun es in den ersten Jahren, ein unverhältnismäßig hoher Prozentsatz im ersten Jahr, davon wieder ein unverhältnismäßig großer Teil in den ersten Monaten usw. nach der Verurteilung bzw. Strafentlassung.
Je rascher jemand bisher nach einer Verurteilung bzw. Strafentlassung rückfällig wurde, um so wahrscheinlicher wird er überhaupt, und bald, wieder rückfällig.
Je jünger jemand bei der ersten Bestrafung war, um so wahrscheinlicher wird er danach noch mehr bestraft werden. ...
Die Einbruchsneigung pflegt mit dem Älterwerden nachzulassen. Die Täter gehen dann u. U. zu einfachen Diebstählen oder sonstigen kleineren Delikten über, darunter zu sog. asozialen Kleindelikten, mit denen sie andere nicht mehr grob schädigen, die ihnen aber helfen, ihren Unterhalt ohne geregelte Arbeit zu bestreiten. ...
Anders als bei den jugendlichen Sexualtätern ist bei den Erwachsenen die Rückfallgefahr häufig groß, z. T. weil sie sich gerade aus dem Nachlassen ihrer Sexualität und ihrer sexuellen Befriedigungsmöglichkeiten ergibt. Sie ist auch durch die Haft nicht zu beheben, sondern eher noch zu verstärken, es sei denn, daß der Täter speziell therapiert wird.
Zitate zur Normalität des Sinnlosen
Aus "Alles sehen, nichts verhindern", in: taz, 15.10.2008 (S. 16)
Seit den 70er-Jahren feiert das Gefängnis einen gigantischen Siegeszug. Dabei ist längst belegt, dass die reine Inhaftierung vor allem begünstigt, dass der Delinquent weiterhin seinen Lebensunterhalt mit illegalen Mitteln bestreitet.
Aus "Knüppel aus dem Sack", in: Junge Welt, 23.12.2022
Weniger als eine von tausend Straftaten (0,075 Prozent) gegen die sexuelle Selbstbestimmung führt zu einer Verurteilung. Dazu kommt: Nur zehn Prozent der Ermittlungsergebnisse stammen von der Polizei, 90 Prozent liefern Opfer und Zeugen. Das bedeutet: In weniger als einem von zehntausend Fällen führen polizeiliche Bemühungen zur Verurteilung eines Sexualstraftäters. Und schließlich: Noch niemand konnte bisher eine abschreckende, präventive Wirkung dieser Urteile belegen, also einen Schutz der potentiellen Opfer durch sie. Das Thema sexualisierte Gewalt gegen Frauen und Kinder (zwei Drittel der Opfer sind Kinder) belegt wie kein anderes, dass das bestehende System der Strafverfolgung beseitigt und ersetzt werden muss durch andere Systeme, die wirklich Schutz und Sicherheit gewährleisten. ...
Dass Strafe die schlechteste aller Möglichkeiten ist, um das Ausmaß schädigenden Verhaltens zu reduzieren, wurde in der Psychologie und der Pädagogik schon vor mehr als hundert Jahren festgestellt und im Bereich des Strafrechts immer wieder empirisch belegt. Strafverschärfungen hie, Strafmilderungen bzw. Amnestien dort füllen oder leeren die Gefängnisse, beeinflussen aber Kriminalitätsraten, wenn überhaupt, nur kurzfristig.
Im Original: Zum Knast in der BRD
Der Text stammt aus dem Reader "Der Knast hat keine Fehler, er ist der Fehler" (S. 41 f.)
Mit der im letzten Jahr verabschiedeten Föderalismusreform ist die Zuständigkeit für den Strafvollzug Ländersache geworden. Der Umstand, dass nach fast 140 Jahren die einzelnen (Bundes-)Länder wieder die Zuständigkeit über das Knastsystem erlangen, ist im wesentlichen dem Erfolg der Bestrebungen der rechtskonservativen Landesregierungen Hessens und Hamburgs in den vergangenen acht Jahren geschuldet, die mit Parolen wie „Strafe muss wieder spürbar werden“ und „Wir wollen den sichersten Strafvollzug Deutschlands“ führen über den Bundesrat massiven Druck aufgebaut hatten, um ihnen lästige gesetzliche Mindeststandards aus dem Weg räumen zu können. Im allgemeinen Klima der Sicherheitshysterie rannten sie mit diesen Bestrebungen offene Türen ein. Das bereits von den so genannten Hartz – Reformen bekannte Konzept des „Förderns und Forderns“ hält nun auch im Strafvollzug unter dem euphemistischen Schlagwort „Chancenvollzug“ Einzug: Das mit dem Wohlfahrtsstaat verbundene Konzept der „Resozialisierung“ - gekoppelt an den Knast als Mittel zur Umerziehung und Gefügigmachung von Delinquenten mit dem Ziel einer anschließenden Reintegration in das kapitalistische Verwertungssystem - soll demnach nur noch für einen Teil der Inhaftierten Geltung haben. Vielmehr sehen die meisten neuen Ländergesetze vor, dass inhaftierte Menschen bei Beginn ihrer Knastzeit ab einer bestimmten Mindeststrafe zunächst eine so genannte zentrale Einweisungsabteilung durchlaufen. In dieser werden die Betroffenen nach ihrer „Resozialisierbarkeit“ unterteilt. Menschen mit Migrationshintergrund, Konsument_innen von Drogen und Leute, die wegen so genannter Gewalttaten sitzen, gelten dabei von vornherein als Problemgruppen ohne Resozialisierungspotenzial. Ein Kriterium, dass – über den Einweisungsprozess hinaus auch bei der weiteren Vollzugsplanung entscheidende Bedeutung zukommen wird – ist die Bereitschaft des Gefangenen, „Reue“ zu zeigen, dass heißt, sich innerhalb des Justizsystems zu unterwerfen. Die von der Kommission getroffene Entscheidung wird weit reichende Folgen für die gesamte Knastzeit der Betroffenen haben: Die Einteilung bestimmt über die Sicherheitsstufe der zukünftigen Knastabteilung, über den sog. Vollzugsplan, in dem alle Maßnahmen, denen sich der Gefangene zu unterziehen hat, und vor allem auch über die Zuweisung in den entsprechenden Knast. Die Entfernungen, die Freund_innen und Angehörige der Inhaftierten zurücklegten müssen, vergrößern sich in der Regel erheblich; Kosten- und Zeitaufwand führen dazu, dass die ohnehin spärlich vorhandenen Besuchstermine oftmals nicht mehr wahrgenommen werden können. Wird der Betreffende einer „Problemgruppe“ zugeteilt, stehen zudem die Chancen auf Lockerungen – z.B. begleitete Ausgänge oder Freigang – und Hafturlaub äußerst schlecht. Lockerungen sind jedoch die Voraussetzung dafür, nach 2/3 der Strafzeit eine sog. bedingte Entlassung – dass heißt, Aussetzung der Reststrafdauer auf Bewährung - Beantragen zu können. Die Haftzeiten steigen dadurch erheblich an, was neben der Tendenz, immer härtere Strafen zu Verhängen und einer erheblichen Ausweitung des Straftatenkatalogs ein wesentlicher Grund für die dramatisch angestiegene Zahl der Gefangenen ist: Die Zahl der Gefangenen in der BRD ist seit Mitte der 90er von kapp 60.000 auf nun über 80.000 angestiegen. Für Migrant_innen, die aufgrund des institutionalisierten Rassismus in der BRD weitaus häufiger von Strafverfolgung betroffen sind und die mit in Relation weitaus höheren Strafen zu rechnen haben, bedeutet die Inhaftierung in den allermeisten Fällen eine Doppelbestrafung durch die – meist erst nach Absitzen der Strafdauer – dann zwingend erfolgende Abschiebung mit anschließender Verhängung eines Verbots der erneuten Einreise durch die Ausländerbehörde. Die Chancen, während der Knastzeit als Gefangene/r ohne deutschen Pass Vollzugslockerungen zu erhalten, tendieren zudem gegen Null. Inhaftierte Flüchtlinge ohne Arbeitserlaubnis außerhalb der Anstalt erhalten auch im Knast keinen Arbeitsplatz. Da diese jedoch meist ohne finanzielle Unterstützung von Freund_innen und/oder Angehörigen auskommen müssen, bedeutet dies, sich kein Essen zur Ergänzung des unerträglichen Knastfraßes, keine Zigaretten, keine fremdsprachigen Zeitschriften und Bücher. Knast bedeutet für die Mehrheit der Gefangenen ohne deutschen Pass jahrelanges Wegschließen bis zur Abschiebung. Generell existiert eine Tendenz, den Ausschlusspraxis durch Einsperrung noch weiter zu intensivieren: Sah das alte Strafvollzugsgesetz bislang den offenen Vollzug als Regelfall vor – ein Zustand, der nie erreicht wurde – so haben sich die meisten Bundesländer nun entschieden, den geschlossenen Vollzug als Regelfall festzuschreiben. Knastkapazitäten, die bislang für den offenen Vollzug vorgesehen waren, werden zunehmend in Plätze des geschlossen Vollzugs umgewandelt. Das Konzeptentwurf zur künftigen JVA Heidering, in der das Land Berlin in der Nähe Großbeerens in einem gut 100 Millionen Euro teuren Neubau ab 2012 rund 650 Menschen einknasten wird, sieht dieser Logik folgend keine Abteilung des offenen Vollzugs mehr vor. Die Gefangenen werden sich dort – nach Angaben der Justizverwaltung nicht nur aus Kostengründen, sondern auch aus pädagogischen Gründen – auf beschissene Haftbedingungen einstellen müssen: Die Zellengröße soll noch unterhalb des Durchschnitts der bisherigen (alten) Berliner Knästen liegen, und einen Warmwasseranschluss soll es aus Kostengründen in keiner der Zellen geben. In privaten Unternehmerbetrieben auf dem Anstaltsgelände sollen die Eingesperrten möglichst profitabel zur Zwangsarbeit hinter Gittern herangezogen werden. Unter anderem wird diskutiert, zu diesem Zweck möglichst gut ausgebildete Gefangene aus anderen Berliner Knästen abzuziehen und diese den Privaten – mit möglichst geringem Betreuungsaufwand – zur Verfügung zu stellen. Dennoch wird das Land nach derzeitigem Stand mindestens 17 Millionen Euro jährlich an Betriebskosten für diesen Knast ausgeben. Mit der Errichtung der JVA Heidering verfolgen die Herrschenden nicht nur das Ziel, ausreichend Kapazitäten zur Einkerkerung der auch in Berlin stetig steigenden Anzahl der Menschen, die aus dem kapitalistischen Verwertungssystem herausfallen, zu schaffen. Der Knast soll als Modellprojekt auch – dem Vorbild der hessischen, teilprivatisierten JVA Hünfeld folgend – dazu dienen, einen modernen, dem neoliberalen Zeitgeist entsprechenden Strafvollzug zu erproben. Momentan laufen Vorbereitungen für eine Veranstaltungs- und Aktionswoche zum Knastprojekt, die im Herbst stattfinden soll. Achtet auf Ankündigungen, und beteiligt Euch! Reißen wir die Mauern ein, die uns trennen - für eine Gesellschaft ohne Knäste und Zwangsanstalten! Freiheit für alle Gefangenen!