AKTIONEN PRO FAHRRAD
Critical Mass: Demo, Zufall oder Veranstaltung?
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2. Critical Mass: Demo, Zufall oder Veranstaltung?
Welche Paragrafen kann eine Critical Mass für sich in Anspruch nehmen und wann darf die Polizei einschreiten? Im folgenden Text seien die Rechtsfragen geklärt, soweit es geht. Die Grundlage des Textes war ein Artikel in der ADFC-Zeitschrift „Radwelt“ 5/2020, der hinsichtlich der StVO die Sachlage recht gut schilderte. Beim Versammlungsrecht war er aber unvollständig, teilweise auch falsch. Im Vergleich mit manch anderen Erklärungsseiten, die von Fehlern nur so wimmeln, weil sie das Versammlungsrecht gar nicht beachten, kam der Artikel aber den tatsächlichen Gegebenheiten schon recht nahe. Daher baut dieser Text darauf auf und beginnt unverändert:
Die Beschreibung auf hamburg.adfc.de lässt an eine Fahrraddemo denken: „Die ,Critical Mass' (= kritische Masse) ist eine international verwendete Aktionsform. Dabei treffen sich nicht motorisierte Verkehrsteilnehmer*innen scheinbar zufällig und unorganisiert. Mit ihrer bloßen Menge machen sie durch ihre Protestfahrten durch Innenstädte auf ihre Belange und Rechte gegenüber dem motorisierten Individualverkehr aufmerksam." Eine anonyme Hamburger Internetseite hingegen stellt es so dar: "Eine Critical Mass zeichnet sich unter anderem dadurch aus, dass sie nicht von einer oder einzelnen Personen organisiert wird. Daher gibt es weder einen Veranstalter noch einen Ansprechpartner für die Behörden. Es handelt sich nicht um eine Demonstration [...]“.
Dass die Critical Mass als ,,geschlossener Verband“ eingeordnet wird, ist nicht so eindeutig wie von Befürworter*innen dargestellt. Die Radfahrenden sind zwar gemeinsam mit mehr als 15 Personen unterwegs, aber nach dem Critical Mass-Konzept ohne Anführer*in. § 27 Abs. 5 StVO verlangt nach überwiegender Ansicht eine Verbandsführung: „Wer einen Verband führt, hat dafür zu sorgen, dass die für geschlossene Verbände geltenden Vorschriften befolgt werden.“ Die Interpretationen des Wortlauts sind nicht einheitlich und reichen von „sollte stets einen Führenden haben, das sei jedoch nicht begriffliche Voraussetzung“ bis zu „Der geschlossene Verband setzt nach Abs. 5 einen Führer voraus“. Für das Verwaltungsgericht Augsburg hat „dieser dafür zu sorgen, dass die für geschlossene Verbände geltenden Vorschriften befolgt werden. Hieraus folgt auch, dass bei jedem geschlossenen Verband eine Person bestimmt sein muss, die die Funktion des Verbandsführers wahrnimmt.“ (Au 3 K12.389).
Verbandsführung ist nicht die jeweils vorausfahrende Person, wenn sie nur eine Richtung vorgibt, aber keine Verantwortung für die Nachfolgenden übernehmen will. Wer aber nur zufällig zur selben Zeit dieselbe Strecke fährt, wie von der Critical Mass behauptet, ist kein Teil eines Verbands. Es ist deshalb mehr als zweifelhaft, dass sich Teilnehmende auf § 27 StVO und die damit verbundenen Rechte berufen könnten, wenn sie tatsächlich so zufällig zusammen fahren würden. Tatsächlich tun sie das aber nicht – was auch alle wissen. Die Berufung auf den § 27 StVO ist schon an diesem Punkt mehr als witzige Idee als formale Realität zu werten. Es gehört quasi zur politischen Aussage, eine zufällige Radler*innengruppe zu sein – als Aufruf, das öfter zu machen. Durch diese und andere politische Aussagen, die mit der CM verbunden werden, rückt der § 27 StVO aber ohnehin in weite Ferne, weil das Versammlungsrecht zu greifen beginnt. Doch dazu später.
Dass die Mehrzahl mit dem Leugnen eines Veranstalters die Anmeldung als geplante Kundgebung und die Pflichten aus dem Versammlungsgesetz umgehen will, ist hingegen schon mehr als spekulativ. Vielmehr dürfte es einfach der „Witz“ bei der CM sein, auf die Frage nach der Rechtsform stoisch den § 27 StVO zu zitieren – auch wenn das, wie gleich gezeigt wird, formal unsinnig ist. Es ist aber nicht verboten, das zu sagen und somit der Critical Mass ein besonderes Kennzeichen zu geben.
Wann ist mensch eine Versammlung? Die Versammlungsfreiheit steht im Art. 8 Grundgesetz. Die Versammlungsgesetze regeln Anmeldung, formale Ordnung und Ähnliches – aber nirgends steht, was alles eine Versammlung sein kann. Das Bundesverfassungsgericht hat diese Lücke gefüllt und eine sehr einfache, aber extrem weitreichende Definition gegeben. Ganz kurz ausgedrückt lautet sie: Öffentliche Meinungskundgabe einer Personenmehrheit. Dieser Satz sollte stets im Kopf sein, weil so eingeschätzt werden kann, wann mensch zu einer Versammlung wird – was oft ein Vorteil ist, manchmal aber auch ein Nachteil. Ob eine Versammlung angemeldet ist oder nicht, spielt für die Frage, ob mensch eine Versammlung ist, keine Rolle (auch wenn die Polizei – und auch der ADFC in besagtem Artikel – etwas anderes behaupten). Ihr seid eine Versammlung, wenn das, was Ihr tut, den Charakter einer Versammlung hat. Und der braucht eben drei Kriterien:
Daraus folgt: Wenn auch nur eine Person auf der CM Parolen ruft, ein Schild dabei hat oder auf der Internetseite der Critical Mass mit politischen Parolen zum Radeln aufgerufen wird, ist es eine Versammlung. Das dürfte fast immer der Fall sein – und es ist auch wünschenswert, damit der radelnde Haufen nicht nur als Party auf Rollen und Störung wahrgenommen wird. Wenn die CM aber eine Versammlung ist, dann gilt die Straßenverkehrsordnung gar nicht mehr – und folglich auch § 27 StVO nicht. Sich dennoch darauf zu berufen, ist – wie schon benannt – ein Gag, der auch okay ist, aber nichts ändert. Die CM ist eine Versammlung, ob wie will oder nicht. Folglich müsste sie im Normal angemeldet werden und dann auch eine*n Leiter*in haben. Insbesondere diese erzwungene Hierarchie passt aber nicht zur Critical Mass (und ist insgesamt schon ein gewichtiger Grund gegen „normale“ Demos, der aber in der meist hierarchischen politischen Bewegung dieses Landes kaum negativ gesehen wird). Für alle, die an der CM einfach mitradeln, ist das ohne Schaden, denn die normalen Teilnehmer*innen einer Versammlung können nicht dafür belangt werden, dass die Demo nicht angemeldet ist. Woher sollten sie das auch wissen. Ärger kann die Person bekommen, die es hätte anmelden müssen. Aber wer ist das? Wenn die CM konsequent ihren eigenen Ideen folgt, dürfte keine ständige Einzelperson erkennbar sein, die das Geschehen führt. Von daher kann das Risiko durchaus in Kauf genommen werden, weiter so zu agieren, wie es üblich ist – gerne (wegen besserer Vermittlung) auch mit mehr Aussagekraft nach außen durch Gesänge, Rufe, Schilder, Fahnen, Kreidemalerei und mehr. Zudem gibt es noch die spezielle Versammlungsform der Spontandemo. Das ist die edelste Form des Demonstrierens, weil jetzt auch legal ohne Leitung und feste Route agiert werden kann. Oft fordert die Polizei, wenn sie dazu kommt, dieses ein – droht mitunter auch mit der Auflösung, falls mensch darauf nicht eingeht. Ohne hier für einen dogmatischen Umgang damit zu plädieren: Da plustert sich die Polizei auf. Es ist edel und formal völlig korrekt, als „Sponti“ einfach loszulegen. Das setzt eine gute Selbstorganisierung und das Mitdenken aller Beteiligten voraus – eine leider seltene, aber ohnehin wichtige Qualität politischer Aktion. Das Problem der Sponti: Sie braucht einen Anlass, der kurz vorher entstand. Bei 1053 Verletzten und 9 Toten pro Tag im Straßenverkehr allein in Deutschland dürfte das – leider – kein Problem sein. 3700 Tote sind es weltweit pro Tag – also 2-3 pro Minute. Sollte reichen, um jederzeit loslegen zu können.
Außerdem kann hier das Prinzip „CM“ sogar wieder helfen. Es gibt einen Treffpunkt und da können sich die Menschen ja mal über ihre Erfahrungen im Straßenverkehr in den letzten Tagen austauschen, um dann (spontan!) zum Beispiel die Orte des Geschehens aufzusuchen oder die Wut über die sich wieder einmal klargemachten Verhältnisse aus dem Bauch zu strampeln. Der Anlass für eine spontane Demo muss nämlich nicht gerade erst passiert sein, es reicht auch, wenn er gerade erst bekannt geworden ist.
Ach ja, zu guter Letzt: Das Versammlungsrecht verdrängt die StVO ganz. Wenn jemensch von Euch kein Licht am Fahrrad hat, kann er*sie trotzdem mitradeln. Ihr dürft auch bei Rot rüberfahren. Aber das sollte niemals Menschen gefährden, Euch nicht und auch andere nicht. Das ist erstens formal so (weil dann ist wieder ein höheres Recht betroffen, welches durch das Versammlungsrecht nicht verdrängt wird) – und zweitens sollten wir für Fahrrad- statt Autofahren ja kämpfen, damit es weniger Unfälle gibt!
Die Beschreibung auf hamburg.adfc.de lässt an eine Fahrraddemo denken: „Die ,Critical Mass' (= kritische Masse) ist eine international verwendete Aktionsform. Dabei treffen sich nicht motorisierte Verkehrsteilnehmer*innen scheinbar zufällig und unorganisiert. Mit ihrer bloßen Menge machen sie durch ihre Protestfahrten durch Innenstädte auf ihre Belange und Rechte gegenüber dem motorisierten Individualverkehr aufmerksam." Eine anonyme Hamburger Internetseite hingegen stellt es so dar: "Eine Critical Mass zeichnet sich unter anderem dadurch aus, dass sie nicht von einer oder einzelnen Personen organisiert wird. Daher gibt es weder einen Veranstalter noch einen Ansprechpartner für die Behörden. Es handelt sich nicht um eine Demonstration [...]“.
Fahren im geschlossenen Verband nach StVO
Die Critical Mass nimmt für sich das Verbandsvorrecht nach § 27 StVO in Anspruch. Es erlaubt Radfahrenden, zu zweit nebeneinander auf der Fahrbahn zu fahren und an roten Ampeln durchzufahren, nachdem die Spitze bei Grün in die Kreuzung eingefahren ist. Auch das Sperren von Querstraßen – im Jargon der Critical Mass „Corken“- hat das OLG Hamm zum Schutz eines Verbands nicht beanstandet (6 U 80/13).Dass die Critical Mass als ,,geschlossener Verband“ eingeordnet wird, ist nicht so eindeutig wie von Befürworter*innen dargestellt. Die Radfahrenden sind zwar gemeinsam mit mehr als 15 Personen unterwegs, aber nach dem Critical Mass-Konzept ohne Anführer*in. § 27 Abs. 5 StVO verlangt nach überwiegender Ansicht eine Verbandsführung: „Wer einen Verband führt, hat dafür zu sorgen, dass die für geschlossene Verbände geltenden Vorschriften befolgt werden.“ Die Interpretationen des Wortlauts sind nicht einheitlich und reichen von „sollte stets einen Führenden haben, das sei jedoch nicht begriffliche Voraussetzung“ bis zu „Der geschlossene Verband setzt nach Abs. 5 einen Führer voraus“. Für das Verwaltungsgericht Augsburg hat „dieser dafür zu sorgen, dass die für geschlossene Verbände geltenden Vorschriften befolgt werden. Hieraus folgt auch, dass bei jedem geschlossenen Verband eine Person bestimmt sein muss, die die Funktion des Verbandsführers wahrnimmt.“ (Au 3 K12.389).
Verbandsführung ist nicht die jeweils vorausfahrende Person, wenn sie nur eine Richtung vorgibt, aber keine Verantwortung für die Nachfolgenden übernehmen will. Wer aber nur zufällig zur selben Zeit dieselbe Strecke fährt, wie von der Critical Mass behauptet, ist kein Teil eines Verbands. Es ist deshalb mehr als zweifelhaft, dass sich Teilnehmende auf § 27 StVO und die damit verbundenen Rechte berufen könnten, wenn sie tatsächlich so zufällig zusammen fahren würden. Tatsächlich tun sie das aber nicht – was auch alle wissen. Die Berufung auf den § 27 StVO ist schon an diesem Punkt mehr als witzige Idee als formale Realität zu werten. Es gehört quasi zur politischen Aussage, eine zufällige Radler*innengruppe zu sein – als Aufruf, das öfter zu machen. Durch diese und andere politische Aussagen, die mit der CM verbunden werden, rückt der § 27 StVO aber ohnehin in weite Ferne, weil das Versammlungsrecht zu greifen beginnt. Doch dazu später.
Übermäßige Straßenbenutzung
§ 27 Abs. 2 StVO verlangt von längeren Verbänden, in angemessenen Abständen Lücken zu lassen. Beeinträchtigungen anderer Verkehrsteilnehmer-*innen sollen so möglichst gering gehalten werden. Dieses Ziel verfolgt auch § 29 StVO und erklärt die „übermäßige Straßenbenutzung" für erlaubnispflichtig. Radfahren im geschlossenen Verband bewirkt keine Ausnahme von der Erlaubnispflicht. Eine Genehmigung wird nach § 29 Abs. 2 StVO fürVeranstaltungen benötigt, „für die Straßen mehr als verkehrsüblich in Anspruch genommen werden". Für Veranstaltungen mit Fahrrädern konkretisiert die Verwaltungsvorschrift (VwV) zu § 29 StVO die ,,übermäßige Straßenbenutzung" dahin, dass sie in der Regel ab 100 Teilnehmer*innen vorliegt oder wenn mit erheblichen Verkehrsbeeinträchtigungen zu rechnen ist. Für eine Critical Mass mit mehr als 100 Teilnehmer*innen oder mit zu erwartenden erheblichen Verkehrsbeeinträchtigungen - und erst recht bei Vorliegen beider Voraussetzungen -, besteht daher eine Erlaubnispflicht nach § 29 StVO. Sie entfällt nicht, weil niemand als Veranstalter*in auftreten und dieGenehmigung beantragen will. Anders als z. B. dem morgendlichen Berufsverkehr kann man der Critical Mass nicht den Charakter einer „Veranstaltung" absprechen, denn zumindest Startort und -zeit sind nicht zufällig zustande gekommen. Die Folge: Eine nichtgenehmigte Critical Mass als „übermäßige Straßenbenutzung“ darf von der Polizei verhindert oder aufgelöst werden.Versammlungsrecht
Als Kundgebung nach Versammlungsrecht wäre die Critical Mass aufgrund einer Ausnahme in der VwV-StVO zu § 29 nicht erlaubnispflichtig. Sie müsste, wenn sie nicht spontan erfolgt, nur vom Veranstalter angemeldet werden, dann üblicherweise mit einer in der Anmeldung angegebenen Fahrtroute. Der oben benannte ADFC-Artikel, der bis hierher weitgehend übernommen wurde, enthält im Absatz über das Versammlungsrecht so viele Fehler und Lücken, dass hier stattdessen ein eigener Text folgt. Richtig ist allein die Feststellung, dass nur wenige Critical Mass sich auf das Versammlungsrecht berufen, wie in Stuttgart mit dem örtlichen ADFC als Anmelder (übrigens auch in Tübingen, wo – erschreckenderweise – trotz dieser Anmeldung und daraus folgender Polizeieskorte vor allem auf Fahrradstraßen und durch Radeltunnel gefahren wird, was vor allem das Radeln behindert, während die Autotrassen der Stadt in Ruhe gelassen werden).Dass die Mehrzahl mit dem Leugnen eines Veranstalters die Anmeldung als geplante Kundgebung und die Pflichten aus dem Versammlungsgesetz umgehen will, ist hingegen schon mehr als spekulativ. Vielmehr dürfte es einfach der „Witz“ bei der CM sein, auf die Frage nach der Rechtsform stoisch den § 27 StVO zu zitieren – auch wenn das, wie gleich gezeigt wird, formal unsinnig ist. Es ist aber nicht verboten, das zu sagen und somit der Critical Mass ein besonderes Kennzeichen zu geben.
Wann ist mensch eine Versammlung? Die Versammlungsfreiheit steht im Art. 8 Grundgesetz. Die Versammlungsgesetze regeln Anmeldung, formale Ordnung und Ähnliches – aber nirgends steht, was alles eine Versammlung sein kann. Das Bundesverfassungsgericht hat diese Lücke gefüllt und eine sehr einfache, aber extrem weitreichende Definition gegeben. Ganz kurz ausgedrückt lautet sie: Öffentliche Meinungskundgabe einer Personenmehrheit. Dieser Satz sollte stets im Kopf sein, weil so eingeschätzt werden kann, wann mensch zu einer Versammlung wird – was oft ein Vorteil ist, manchmal aber auch ein Nachteil. Ob eine Versammlung angemeldet ist oder nicht, spielt für die Frage, ob mensch eine Versammlung ist, keine Rolle (auch wenn die Polizei – und auch der ADFC in besagtem Artikel – etwas anderes behaupten). Ihr seid eine Versammlung, wenn das, was Ihr tut, den Charakter einer Versammlung hat. Und der braucht eben drei Kriterien:
- Zwei oder mehr Personen
- Eine politische Meinung vermitteln – und zwar …
- … nach außen (sichtbar, hörbar usw.).
Daraus folgt: Wenn auch nur eine Person auf der CM Parolen ruft, ein Schild dabei hat oder auf der Internetseite der Critical Mass mit politischen Parolen zum Radeln aufgerufen wird, ist es eine Versammlung. Das dürfte fast immer der Fall sein – und es ist auch wünschenswert, damit der radelnde Haufen nicht nur als Party auf Rollen und Störung wahrgenommen wird. Wenn die CM aber eine Versammlung ist, dann gilt die Straßenverkehrsordnung gar nicht mehr – und folglich auch § 27 StVO nicht. Sich dennoch darauf zu berufen, ist – wie schon benannt – ein Gag, der auch okay ist, aber nichts ändert. Die CM ist eine Versammlung, ob wie will oder nicht. Folglich müsste sie im Normal angemeldet werden und dann auch eine*n Leiter*in haben. Insbesondere diese erzwungene Hierarchie passt aber nicht zur Critical Mass (und ist insgesamt schon ein gewichtiger Grund gegen „normale“ Demos, der aber in der meist hierarchischen politischen Bewegung dieses Landes kaum negativ gesehen wird). Für alle, die an der CM einfach mitradeln, ist das ohne Schaden, denn die normalen Teilnehmer*innen einer Versammlung können nicht dafür belangt werden, dass die Demo nicht angemeldet ist. Woher sollten sie das auch wissen. Ärger kann die Person bekommen, die es hätte anmelden müssen. Aber wer ist das? Wenn die CM konsequent ihren eigenen Ideen folgt, dürfte keine ständige Einzelperson erkennbar sein, die das Geschehen führt. Von daher kann das Risiko durchaus in Kauf genommen werden, weiter so zu agieren, wie es üblich ist – gerne (wegen besserer Vermittlung) auch mit mehr Aussagekraft nach außen durch Gesänge, Rufe, Schilder, Fahnen, Kreidemalerei und mehr. Zudem gibt es noch die spezielle Versammlungsform der Spontandemo. Das ist die edelste Form des Demonstrierens, weil jetzt auch legal ohne Leitung und feste Route agiert werden kann. Oft fordert die Polizei, wenn sie dazu kommt, dieses ein – droht mitunter auch mit der Auflösung, falls mensch darauf nicht eingeht. Ohne hier für einen dogmatischen Umgang damit zu plädieren: Da plustert sich die Polizei auf. Es ist edel und formal völlig korrekt, als „Sponti“ einfach loszulegen. Das setzt eine gute Selbstorganisierung und das Mitdenken aller Beteiligten voraus – eine leider seltene, aber ohnehin wichtige Qualität politischer Aktion. Das Problem der Sponti: Sie braucht einen Anlass, der kurz vorher entstand. Bei 1053 Verletzten und 9 Toten pro Tag im Straßenverkehr allein in Deutschland dürfte das – leider – kein Problem sein. 3700 Tote sind es weltweit pro Tag – also 2-3 pro Minute. Sollte reichen, um jederzeit loslegen zu können.
Außerdem kann hier das Prinzip „CM“ sogar wieder helfen. Es gibt einen Treffpunkt und da können sich die Menschen ja mal über ihre Erfahrungen im Straßenverkehr in den letzten Tagen austauschen, um dann (spontan!) zum Beispiel die Orte des Geschehens aufzusuchen oder die Wut über die sich wieder einmal klargemachten Verhältnisse aus dem Bauch zu strampeln. Der Anlass für eine spontane Demo muss nämlich nicht gerade erst passiert sein, es reicht auch, wenn er gerade erst bekannt geworden ist.
Ach ja, zu guter Letzt: Das Versammlungsrecht verdrängt die StVO ganz. Wenn jemensch von Euch kein Licht am Fahrrad hat, kann er*sie trotzdem mitradeln. Ihr dürft auch bei Rot rüberfahren. Aber das sollte niemals Menschen gefährden, Euch nicht und auch andere nicht. Das ist erstens formal so (weil dann ist wieder ein höheres Recht betroffen, welches durch das Versammlungsrecht nicht verdrängt wird) – und zweitens sollten wir für Fahrrad- statt Autofahren ja kämpfen, damit es weniger Unfälle gibt!
- Die Regeln für das Fahren im "Verband", also über 15 Fahrräder
- § 27 der Straßenverkehrsordnung dazu
- Die Seiten zum Versammlungsrecht: demotipps.siehe.website
Beschreibung auf der Seite von Critical Mass Kiel
Critical Mass (dt. kritische Masse) ist eine Form der direkten Aktion, bei der sich mehrere nicht motorisierte VerkehrsteilnehmerInnen (meist RadfahrerInnen) treffen, um mit gemeinsamen Fahrten durch Innenstädte, ihrer bloßen Menge und dem konzentrierten Auftreten von Fahrrädern auf den Radverkehr als Form des Individualverkehrs aufmerksam zu machen. Die Critical Mass ist eine weltweite Bewegung, angefangen 1992 in San Francisco und wird in nahezu jeder größeren Stadt zelebriert – auch in Deutschland. In manchen Städten in Deutschland kommen bis zu 5000 Radler zur gemeinsamen Ausfahrt zusammen.