Abwehr der Ordnung

DER GROSSE PROZESS GEGEN PROJEKTWERKSTÄTTLER ... REVISION UND VERFASSUNGSBESCHWERDE

Verfassungsklage des zu 8 Monaten Haft Verurteilten in drei Teilen


1. Befangenheitsantrag vor der Revision
2. Die Revisionsschriften
3. Alles unbegründet ... sagt die Staatsanwaltschaft
4. Gegenvorstellung des Angeklagten PN
5. März 2006: OLG Frankfurt verwirft Revision
6. Der OLG-Beschluss vom 29.3.2006 (Az. 2 Ss 314/05)
7. Pressereaktionen
8. Reaktionen nach Revisions-Abweisung
9. Links zur Revision
10. Verfassungsklage des zu 8 Monaten Haft Verurteilten in drei Teilen
11. Einreichung der Verfassungsklage und erste Zwischenerfolge
12. Verfassungsgericht hebt Urteile auf
13. Presse zum Verfassungsgericht
14. Ausblick auf die Prozess-Wiederholung
15. Links zur Verfassungsklage

Im Überblick
  • Der Verstoss gegen das Versammlungsrecht durch den Polizeiangriff auf ihn als Demonstrationsredner am 11.1.2003. Da dieser grundrechtswidrig war, kommt auch eine Verurteilung wegen (zudem bestrittener) Widerstandshandlungen nicht in Frage. Staatsanwaltschaften und alle Gerichtsinstanzen haben den Polizeiangriff auf die Demonstration als rechtmäßig eingestuft, um eine Verurteilung zu erreichen. Dabei haben sie auf teilweise abenteuerliche Art das Versammlungsrecht missachtet oder gar Recht gebeugt.
  • In zwei Anklagepunkten sind RepräsentantInnen staatlicher Ordnung als ZeugInnen bevorzugt behandelt worden. Besonders auffällig ist, dass Widersprüche in den Aussagen bis hin zu selbst vom Gericht festgestellten Hassgefühlen gegen den Angeklagten als besonderer Beleg der Glaubwürdigkeit angesehen wurden, während bei den Entlastungszeugen haarklein nach kleinsten Widersprüchen gekramt wurde, um diese nicht beachten zu müssen.
  • In einem Anklagepunkt pocht der Angeklagte auf sein Recht auf Meinungs- und Kunstfreiheit. Er soll im Rahmen eines Straßentheaters zu einem Wahlplakat "Hiermit pisse ich Dich an" gesagt haben, als er mit einer Gießkanne Wasser an das Plakat spritzte. Der Angeklagte bestreitet seine Aussage, sie wäre aber zudem durch das Recht auf Meinungs- und Kunstfreiheite gedeckt. Die Verfassungsklage in diesem Punkt im Wortlaut ...
  • Download der Verfassungsklage als PDF: Anschreiben und Begründung (430 KB) ++ Anlagen (Urteile, Aussagen usw. als Belege in 100dpi Auflösung mit 14,4 MB; in höherer Auflösung: 300dpi, dann aber 31 MB!)
  • Presseinfo zur eingereichten Verfassungsklage als PDF ++ Auf Presseportalen: News4Press ++ businessprotal24 ++ OpenPR

1. Verstoß gegen Art. 8 GG (Versammlungsfreiheit)

2. Verstoß gegen Art. 3, Abs. 1 (Gleichbehandlung vor dem Gesetz)
Das Amts- und Landgericht haben mehrfach die Aussagen der Polizei sowie einer Politikerin bei glei-chen Bedingungen als glaubwürdig anerkannt, während diese bei entlastenden ZeugInnen zur Annahme der Unglaubwürdigkeit führten. Das geschah in der Bewertung von Widersprüchen in Aussa-gen: Traten diese bei ZeugInnen auf, die der Polizei oder Parteien angehörten, so wurden sie als Be-leg der Glaubwürdigkeit gewertet, während sie bei anderen ZeugInnen gegenteilig bewertet wurden. Da dieses durchgängig so geschah, ist von einer Voreingenommenheit und folglich Ungleichbehandalung auszugehen.

Die konkreten Beispiele betreffen die Anklagepunkte bezüglich der Demonstration am 11.1.2003, die auch zu obigem Verstoß gegen das Grundgesetz geschildert wurden, und der Anklagepunkt wegen vermeintlicher Beleidigung der Oberbürgermeisterkandidatin der Grünen im Jahr 2003, Angela Gülle. Diese Aussagen müssen hier nicht einzeln aufgezählt werden, weil die Widersprüchlichkeit in den Ur-teilstexten selbst benannt wird. Es besteht also gar kein Auffassungsunterschied zwischen mir und dem Gericht dahingehend, dass die belastenden ZeugInnen in den genannten Anklagepunkten wider-sprüchliche Darstellungen abgaben.

Der bemerkenswerteste Punkt dabei ist, dass der Zeuge POK Walter, der die Anzeige erstellte, erst im Verlauf der zweiten Instanz (und dort in der Wiederholung, da diese ja wegen offensichtlicher Befangenheit der ersten Gerichtsbesetzung ausgesetzt werden musste), d.h. im dritten Gang des Verfahrens und über zwei Jahre nach dem Geschehen eine Person nachbenannte, die den Tritt auch gesehen haben wollte. Alle anderen als Zeugen benannten Polizeibeamten gaben nämlich an, dass sie nichts dergleichen gesehen hätten. Im Urteil des Landgerichtes wird dieser Vorgang nun so bewertet: „Eher für als gegen die Glaubhaftigkeit seiner Aussage sprach nach Auffassung der Kammer zudem, dass der Zeuge jetzt erstmals den Zeugen Dietermann erwähnte, der beim Verbringen des Angeklag-ten in den Transporter half, indem er den Angeklagten von hinten in das Fahrzeug hineinzog, wie der Zeuge Dietermann nun bei seiner Vernehmung bekundete. Als erfahrener Polizeibeamter muss der Zeuge Walter gewusst haben, dass er mit der (späten) Benennung eines weiteren Tatzeugen riskierte, dass man dies als bedeutsame Aussageänderung auffassen könnte, die die Glaubwürdigkeit wesent-lich erschüttern kann. Dass er sich trotzdem dazu entschloss, konnte vor seinem Wissenshorizont nur als Bemühen aufgefasst werden, auch in diesem Punkt die Wahrheit zu sagen. Der Zeuge Walter konnte auch plausibel erklären, weshalb er den Zeugen Dietermann bis dahin "vergessen" hatte. Wie die Vernehmung auch anderer Polizeibeamter ergab, gehörte der Zeuge Dietermann einer anderen Polizeidienststelle an, mit der gewöhnlich keine Kontakte bestanden, und es konnte ohne weiters nachvollzogen werden, dass der Zeuge Walter - ebenso wie andere Kollegen - am Tattag nicht wuss-te, welche Polizisten im einzelnen vor Ort waren. Unter diesen Umständen erschien es glaubhaft, dass der Zeuge Walter den Zeugen Dietermann am Einsatzort nicht mit Bewusstsein wahrnahm und deshalb keine Recherchen anstellte, ob noch andere Kollegen bei dem Vorfall dabei waren, zumal der Zeuge Dietermann sofort, nachdem der Angeklagte im Fahrzeug war, ausstieg und andere Beamte mit dem Zeugen Walter zur Polizeistation fuhren.“ (Aus dem Urteil vom 3.5.2005). Die – von mir im Prozess auch aufgeworfene – Frage, ob dieser Wechsel der Person nicht dadurch motiviert sein könnte, dass dem Zeugen Walter eine ihn unterstützende Person fehlte, hat das Gericht gar nicht weiter beachtet. So wird deutlich, dass selbst eine auffällig seltsame Aussage eines Polizisten mit ei-ner auffällig abenteuerlichen gedanklichen Wendung zu seinen Gunsten umgewertet wird.

Im weiteren Urteilstext ist zum Anklagepunkt der Körperverletzung und des Widerstands im Zusam-menhang mit der Demonstration am 11.1.2003 zu lesen: „Gestützt wurden die Angaben des Zeugen Walter durch die Angaben der Polizeibeamten Dietermann, Walter, Ernst, Hinkel und Fett. Da alle Zeugen während des Gesamtgeschehens, teilweise mehrfach unterschiedliche Aufgaben wahrnah-men, waren ihre Aussagen nicht deckungsgleich, sie ergänzten sich jedoch zwanglos und ohne nen-nenswerte Widersprüche zu einem folgerichtigen Geschehen.“ Die Leichtigkeit, mit dem hier die auch dem Gericht aufgefallenen Widersprüchlichkeiten zu einem „ergänzten sich jedoch zwanglos“ umge-deutet werden, ist absurd. Tatsächlich sind im Gerichtsverlauf sehr krasse Widersprüche aufgetreten. So schwankte die Zahl der Polizisten, die mich im Moment des vermeintlichen Trittes getragen haben wollen, bei den Polizeizeugen zwischen 2 und 4 Beamten. Der Zeitpunkt des Trittes ist völlig widersprüchlich wiedergegeben. Jeder Beamte sah eine andere Reaktion des Zeugen Walter auf den Tritt zwischen „keine Reaktion“ bis zum Aufstehen und sich an den Kopf fassen. Die Reihenfolge der An-griffe auf Transparent und Megaphon wechselte. Fast berühmt wurde der Unterschied zwischen „klaf-fender Wunde“ und „rote Stelle“ in den Darstellungen, die selbst der Richterin auffiel und als Titelzeile am Folgetag in der Presseberichterstattung zu finden war (Gießener Anzeiger vom 15.4.2005, siehe Anlage 8). Im Urteil gibt es den Hinweis nicht mehr. Die Widersprüchlichkeiten werden nun zu Bele-gen für die hohe Glaubwürdigkeit umdefiniert.

Solches gilt auch für den Zeugen POK Walter selbst. Da er als entscheidender Belastungszeuge auf-geführt wird, ist von besonderer Bedeutung, wie hoch die Zahl seiner Widersprüchlichkeiten tatsäch-lich war. Diese habe ich im Plädoyer der zweiten Instanz präzise zusammengetragen, welches ich deshalb an dieser Stelle in den zu diese Frage gehörenden Auszügen einfüge:

Soweit der Aus dem Plädoyer. Alle diese Punkte sind vorgetragen worden, darunter also auch einige eindeutig aus der Aktenlage nachvollziehbare Falschbehauptungen von POK Walter. Dabei sind einige von besonderer Wichtigkeit und mehrere falsche Aussagen konnten nur durch intensive Vernehmungen und Aktenanalyse nachgewiesen werden, z.B. die Behauptung von Zeuge Walter, dass er nach dem vermeintlichen Tritt keinen Außendienst mehr gemacht hätte – was durch die Auswertung der Funkprotokolle zu Polizeistreifen widerlegt werden konnte. Tatsächlich war POK Walter ununterbrochen weiter als Streifenwagenbesatzung tätig.
Zentral ist aber sicherlich die erhebliche Abweichung zwischen den Aussagen von POK Walter vor Gericht und dem Inhalt seines noch am 11.1.2003 verfassten Berichtes. Alle Instanzen haben die Version übernommen, die der Zeuge Walter im Gericht dargeboten hatte. So steht im erstinstanzlichen Urteil: „Unmittelbar vor dem Fahrzeug kam der Angeklagte auf dem Boden zu sitzen. Während der Beamte Ernst den Angeklagten an den Schultern in den Wagen ziehen wollte, griff der Zeuge Walter nach den Beinen des Angeklagten. In diesem Moment trat der Angeklagte, der sich bis dahin ruhig verhalten hatte, in Richtung des Zeugen Walter. Er rechnete dabei damit, den Zeugen treffen und ver-letzen zu können; hierauf ließ er es ankommen. Der Zeuge hatte sich gerade nach vorne gebeugt, so daß ihn der Tritt des Angeklagten tatsächlich mitten auf der Stirn traf. Hierdurch wurden dem Zeugen eine Prellung und eine Schürfwunde an der Stirn zugefügt, der Zeuge litt noch geraume Zeit an Kopf-schmerzen.“ Weiter unten ist im Urteil zu lesen: „Überführt ist der Angeklagte zur Überzeugung des Gerichts durch die Angaben des Zeugen Walter. Diese sind glaubhaft, mag der Zeuge auch als Ver-letzter ein - verständliches - Interesse am Ausgang des Verfahrens haben. Es ist nicht ersichtlich, wa-rum er - unter Schonung des wirklichen Täters - wahrheitswidrig den Angeklagten belasten sollte. Der Zeuge schilderte die Vorfälle so, wie sie oben festgestellt wurden.“ (Aus dem Urteil vom 15.12.2003). Folglich ist ausgesagt, dass POK Walter tatsächlich diese im Urteil dann auch festge-stellten Aussagen gemacht hat. Das ist auch meine Wahrnehmung. In seiner Anzeige, die gleichlau-tend dem Bericht vom 11.1.2003 ist, liest sich der Ablauf allerdings ganz anders: „Schon fast gänzlich ins Fahrzeuginnere verbracht, kam es zur aktiven und heftigen Gegenwehr des Beschuldigten. Es ge-lang ihm, seine Beine aus dem Griff / Umklammerung durch den Unterzeichner zu entziehen. Durch einen seiner plötzlichen gezielten Tritte mit beiden Stiefeln (Kampfstiefel mit aufgenageltem Metallbe-satz an der Schuhspitze) in Richtung des Unterzeichners, der sich –situationsbedingt- in leicht ge-bückter Haltung befand, wurde dieser durch einen dieser Tritte an der Stirn getroffen und verletzt.“ (Strafanzeige von Walter, Blatt 4) Anders als im Urteil schildert POK Walter das Geschehen hier im Wageninnern und nicht mehr davor, zudem am Ende des Hineintragens von mir in den Wagen und nicht am Anfang. Außerdem schreibt er von mehreren und von gezielten Tritten mit beiden Beinen. Unterschiedlicher geht es kaum. Dennoch stellt das Gericht im Urteil fest: „Für seine Glaubwürdigkeit spricht zum einen, daß die Aussage in allen wesentlichen Details mit den Angaben übereinstimmt, die er in seiner Anzeige niedergelegt hatte.“
Hier wird deutlich, wie einseitig das Gericht einfach den Ausführungen der Belastungszeugen von der Polizei glaubte, Widersprüchlichkeiten wegdefinierte und selbst offenbar auch keinerlei Überprüfungen vornahm – z.B. offensichtlich den Anzeigentext nicht mehr wirklich überprüft hat.

Genau andersherum sieht es bei den Zeugen aus, die nicht der Polizei angehörten und z.T. sehr prä-zise die Situation vor dem Fahrzeug beschrieben. Mit ihnen beschäftigen sich beide Instanzen nur insoweit als sie versuchen, Details zu benennen, warum die Zeugen vielleicht ein paar Sekunden weg-geguckt haben könnten und deshalb einen Tritt eventuell (und zufällig alle gleichzeitig!) nicht mitbe-kommen haben könnten.
Im erstinstanzlichen Urteil liest sich das so: „Der Zeuge Krömke gab zwar an gesehen zu haben; wie der Angeklagte in den Bus gezogen bzw. geschoben wurde. Einen Tritt schilderte er nicht. Allerdings waren seine Beobachtungsmöglichkeiten nicht günstig. Er stand nach eigenen Angaben 12 bis 15 Me-ter entfernt. Es spielten sich, wie auch der Angeklagte selbst sagte, tumultartige Szenen ab, so daß davon ausgegangen werden muß, daß sich zwischen dem Zeugen und dem Angeklagten immer wie-der auch andere Personen befanden. Deshalb hatte der Zeuge nicht ständig freie Sicht auf den Poli-zeibus. Auch sollte der Angeklagte gerade vom Boden aus in des Fahrzeug gezogen werden, - so dass der Blickwinkel des Zeugen ungünstig war. Der von dem Zeugen Walter beschriebene Tritt, eine Aktion von ein oder zwei Sekunden, kann ihm daher entgangen sein.
Auch der Zeuge Sauer konnte lediglich angeben, "keine Gewalt" festgestellt zu haben. Was "unten" passiert sei, habe er nicht gesehen. Auch bei ihm müssen die Wahrnehmungsmöglichkeiten ange-zweifelt werden. Er sagte nämlich in der Hauptverhandlung, er habe mit Polizeibeamten diskutiert, die er gefragt hätte, warum man so massiv vorgehe, und denen er vorgeworfen habe, daß es so nicht ge-he.“ (Aus dem Urteil vom 15.12.2003, S. 14) Es ist deutlich zu erkennen, wie hier krampfhaft kleinste Aufmerksamkeitslücken z.T. erfunden, in jedem Fall aber so gedeutet werden, dass der Tritt in genau diesen erfolgt sein muss. Dass mehrere Zeugen in genau dem gleichen Moment für wenige Sekunden abgelenkt sind und dann auch nichts mehr von irgendwelchen Reaktionen mitbekommen, ist so unwahrscheinlich, dass dem Gericht hier sehr deutlich eine Voreingenommenheit bei der Beur-teilung der Glaubwürdigkeit der Zeugen vorgehalten werden muss. Erfunden ist u.a. die Behauptung, dass der Zeuge Krömker 12 bis 15 Meter entfernt stand und dass zum Zeitpunkt des vermeintlichen Trittes überhaupt noch ein Tumult bestand. Dieser war zu diesem Zeitpunkt bereits beendet, wird aber hier herangezogen, um zielgerichtet Zeugen als unglaubwürdig hinzustellen, um deren Aussagen nicht weiter beachten zu müssen.
Sehr ähnliche Formulierungen finden sich im Urteil der zweiten Instanz: „Der Zeuge Sauer sah keinen Tritt, konnte aber nicht ausschließen, dass ihm im entscheidenden Augenblick die Sicht versperrt war. Dass er keinerlei sonstigen Hinweise auf eine Körperverletzung wahrnahm, passte hingegen zur Darstellung des Zeugen Walter, der sich seiner Aussage nach nur ganz kurz an die Stirn fasste. In ähnli-cher Weise wie der Zeuge Sauer äußerte sich der Zeuge Braun, und der Zeuge Janitzki achtete sei-ner Aussage nach nicht auf die Vorgänge am Transportfahrzeug. Der Aussage des Zeugen Krömker konnte die Kammer im hier in Rede stehenden Punkt keinen Glauben schenken, da der Zeuge bei seiner Aussage immer wieder seine Einschätzungen und Schlussfolgerungen so schilderte, als habe er entsprechende Beobachtungen gemacht. Es konnte insbesondere nicht festgestellt werden, inwie-weit seine Aussage, einen Tritt habe es nicht gegeben, wirklich auf eigener Wahrnehmung beruhte, da er entsprechendes Randgeschehen auch auf mehrfaches, ausdrückliches Nachfragen nicht berichtete und daran also offenbar keine Erinnerung hatte.“ Auch hier ist wieder sichtbar, wie versucht wird, kleinste denktheoretische Lücken der Aufmerksamkeit zu konstruieren – und dass das zufällig bei allen Zeugen gleichzeitig und auch noch zum Zeitpunkt des Trittes der Fall gewesen sein soll. Dass niemand eine Reaktion wahrgenommen hat, soll auch noch den Zeugen Walter stützen. Dass es schlicht daran liegen könnte, dass es den Tritt nie gegeben hat, kommt dem Gericht gar nicht in den Sinn. Alles was der vorgefertigten Meinung widerspricht, wird auf kleinste Widersprüche oder Lücken abgeklopft, die dann sofort als umfassender Beleg für fehlende Glaubwürdigkeit oder Relevanz der Aussage genutzt wird. Die Aussagen der Polizeibeamten dagegen werden großzügig ausgelegt, ihre eklatanten Widersprüche und der Wechsel zentraler Aussagen im Verfahrensverlauf bzw. gegenüber ihren schriftlichen Vermerken sogar als besondere Glaubwürdigkeit gewertet.
Da auch meine Aussagen in ähnlicher Form wie die anderer EntlastungszeugInnen minderbewertet wurden, bin ich in meinen verfassungsmäßigen Rechten der Gleichbehandlung vor Gericht beeinträchtigt worden.

An keiner Stelle der Gerichtsentscheidungen oder Niederschriften ist ein Hinweis zu finden, dass die Gerichte sich überlegt hätten, warum sie annahmen, dass die Widersprüchlichkeiten der zur Polizei gehörenden Zeugen diese besonders glaubwürdig machen sollten. Ebenso ist nicht erklärbar, warum die Relevanz anderer Zeugen schon wegen denktheoretisch möglicher kurzer Phasen der Nichtauf-merksamkeit als nicht mehr vorhanden bewertet wird. Da eine Begründung für diese Bewertung fehlt, ist Willkür festzustellen. Das aber verstößt gegen das Willkürverbot des Art. 3, Abs. 1 Grundgesetz. Offenbar haben beide Gerichte von vornherein die beiden Parteien gegensätzlich bewertet und be-handelt. Der Art. 3, Abs. 1 verbietet u.a. der Rechtssprechung, wesentlich Gleiches ungleich zu be-handeln. Er ist verletzt, wenn sich ein vernünftiger, aus der Natur der Sache ergehender oder sonstwie sachlich einleuchtender Grund für die gesetzliche Differenzierung nicht finden lässt, kurzum, wenn die gesetzliche Bestimmung als willkürlich bezeichnet werden muß (BVerfGE 1, 14/52). „Das Gebot des allgemeinen Gleichheitssatzes, bei steter Orientierung am Gerechtigkeitsgedanken Glei-ches gleich und Ungleiches seiner Eigenart entsprechend verschieden zu behandeln (BVerfGE 3, 58 [135], ständige Rechtsprechung), wendet sich nicht nur an den Gesetzgeber. Es bindet auch die voll-ziehende Gewalt und die Rechtsprechung - unbeschadet der Bindung des Richters an das Gesetz (Art. 20 Abs. 3 GG) - als unmittelbar geltendes Recht (Art. 1 Abs. 3 GG - vgl. auch BVerfGE 9, 137 [149]; 34, 325 [328]). Der Gleichheitssatz ist verletzt, wenn wesentlich Gleiches willkürlich ungleich oder wesentlich Ungleiches willkürlich gleich behandelt wird (BVerfGE 4, 144 [155], ständige Recht-sprechung).“ (Aus dem Beschluss des Zweiten Senats vom 24. März 1976 -- 2 BvR 804/75 --). Dieser ständigen Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts werden die hier angegriffenen Gerichtsentscheidungen nicht gerecht.
Beide Instanzen handelten nicht nur willkürlich, die von ihnen genannten Gründe für die Ungleichbe-handlung der Zeugen und ihrer Aussagen verstärken den Eindruck der Willkür sogar noch. Die Be-hauptung, dass Zeugen wegen (!) ihrer Widersprüche glaubwürdig seien, ist völlig willkürlich orientiert, eine rationale Nachvollziehbarkeit nicht erkennbar. Wie selbstverständlich, als wenn es ein Naturge-setz wäre, werden die Aussagen der Polizeizeugen als besonders glaubwürdig gewertet, obwohl tat-sächlich bei Beamten örtlich beieinander liegender Einheiten die Gefahr von Absprachen im Vorfeld eher besonders groß sein dürfte. Das dürfte zwar nicht umgekehrt zu einer Voreingenommenheit ge-gen Polizeibeamte führen, sehr wohl aber zu erhöhter Wachsamkeit. Im vorliegenden Fall kommt noch hinzu, dass die Dienstvorgesetzten der als Zeugen vernommenen Polizisten ihr Interesse an der Verfolgung deutlich im Vorfeld des Prozesses gezeigt hatten. Das wäre ein weiterer Grund für beson-dere Vorsicht gewesen, weil zu befürchten war, dass Polizeibeamte nicht mehr nur ihrem eigenen Gewissen folgen könnten. Darauf hatte ich mehrfach im Prozessverlauf mit Erklärungen und Beweis-anträgen hingewiesen. Angesichts dieser zusätzlichen Hinweise auf verabredete Aussagen seitens der Polizeizeugen, lässt sich kein vernünftiger Grund für die Bewertungen der beiden Gerichtsinstan-zen finden. Vielmehr erscheint der Verdacht, dass die Tatsache, dass die eine Seite der Polizei und damit einer den Gerichten strukturell nahestehenden Behörde entstammen, allein bereits als Grund angenommen werden muss. Das aber wäre Willkür und ein Verstoß gegen den Art. 3, Absatz 1 des Grundgesetzes.
Nach dem Urteil des BverfG, Erster Senat vom 7. Oktober 1980 -- 1 BvL 50, 89/79, 1 BvR 240/79 --, ist Art. 3, Abs. 1 des Grundgesetzes „vor allem dann verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, daß sie die ungleiche Behand-lung rechtfertigen könnten (vgl. BVerfGE 22, 387 [415]; 52, 277 [280]). Diesen Regelungsgehalt des Art. 3 Abs. 1 GG hat das Bundesverfassungsgericht namentlich im Zusammenhang mit Versuchen hervorgehoben, aus einem Gesetzeswerk eine den Gesetzgeber bindende Sachgesetzlichkeit herzu-leiten und eine Systemwidrigkeit als Verletzung des Gleichheitssatzes zu beanstanden (BVerfGE 34, 103 [105]).“
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erschöpft sich allerdings der Gleichheits-satz nicht in dem Verbot einer ungerechtfertigten Ungleichbehandlung von Normadressaten. Vielmehr kommt in ihm ein Willkürverbot als fundamentales Rechtsprinzip zum Ausdruck, das nicht nur der Rechtsprechung, sondern auch der Gesetzgebung gewisse äußerste Grenzen setzt. Diese Grenze wird dann überschritten, wenn eine fehlerhafte Rechtsanwendung durch die Gerichte bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich ist und sich da-her der Schluß aufdrängt, daß sie auf sachfremden Erwägungen beruht (BVerfGE 42, 64 [72 ff.]; Beschluß vom 29. April 1980 - 2 BvR 1441/ 79 - [EuGRZ 1980, S. 377] zur Anwendung von Präklusi-onsvorschriften).
Insgesamt entsteht hinsichtlich der Ungleichbehandlung deutlich der Eindruck, „daß diese bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich sind und sich daher der Schluß aufdrängt, daß sie auf sachfremden Erwägungen beruhen.“ (Beschluß des Ersten Senats vom 1. Juli 1954 - 1 BvR 361/52 -)

Daher erfolgt der Antrag, die Verurteilung zum Anklagepunkt Körperverletzung am 11.1.2003 aufzu-heben, soweit dieses nicht durch die schon oben angeführten Verstösse gegen Art. 8 (Versammlungsfreiheit) schon erledigt ist.

In gleicher Weise ist das Gericht beim Anklagepunkt „Beleidigung“ am 23.8.2003 vorgegangen. Hier geht es um einen Vorgang, bei dem unstrittig die damalige Oberbürgermeisterkandidatin der Grünen mir im Rahmen einer symbolischen Straßentheateraktion ins Gesicht schlug. Eine Ungleichbehandlung entstand nicht nur dadurch, dass gegen mich Anklage erhoben wurde, während die Staatsanwaltschaft die Anklageerhebung gegen die mich schlagende Angela Gülle wegen fehlendem öffentli-chen Interesse ablehnte. Hinzu kam noch im Zuge der Ermittlungen, dass die Polizei belastendes Material (z.B. Fotos) vom Schlag der Politikerin vernichtete, während gegen mich eifrig gesammelt wurde.
Auch in den beiden Instanzen zeigten sich die willkürlichen Ungleichbehandlungen. Sie fielen in die-sem Fall sogar noch krasser aus, weil es neben der vermeintlich Betroffenen überhaupt keine Zeugen mehr gab, die die Version der Zeugin stützten. Allerdings gab es mehrere ZeugInnen, die ihr definitiv widersprachen.
Die Formulierung der ersten Instanz hat sicherlich Chancen, in die Geschichtsbücher der Justiz ein-zugehen. Bei der krampfhaften Suche danach, warum ausgerechnet die Person, die den Angeklagten zweifelsfrei geschlagen hatte und auch vor Gericht äußerst hasserfüllt auftrat, nun ausgerechnet be-sonders glaubwürdig sein sollte, entwarf das Gericht die folgende Überlegung: „Sie ist widerlegt insbesondere durch die Angaben der Zeugin Gülle, die den Sachverhalt so schilderte, wie er oben fest-gestellt wurde. Diese Schilderung ist auch glaubhaft. Die Zeugin räumte selbst ein, den Angeklagten geohrfeigt zu haben. Für eine solch extreme Reaktion muß es Gründe gegeben haben; für Oberbürgermeisterkandidaten macht es sich schließlich schlecht, wenn sie bei Wahlkampfveranstaltungen grundlos Passanten prügeln. Schließlich wollen sie gewählt werden.“ (Aus dem Urteil vom 15.12.2003) Hier leitet das Gericht also aus der Tatsache, dass jemand geprügelt wurde, den Beweis ab, dass der Geprügelte eine Straftat begangen hat.
Die Glaubwürdigkeit der Zeugin folgte nun daraus, dass sie vor Gericht äußerst überspitzt die Vor-gänge schilderte: „Diese Schilderung stützt die Glaubwürdigkeit der Zeugin in zweifacher weise: Zum einen ist es immer ein Anzeichen für den Wahrheitsgehalt einer Aussage, wenn Zeugen von Empfin-dungen oder Gefühlen wie hier Ekel berichten. Zum anderen erklärt die Schilderung der Zeugin ihre heftige Reaktion. Es ist nachvollziehbar, daß die Zeugin sozusagen im Affekt nach dem Angeklagten schlug, weil sie davon ausging, mit Urin besprengt worden zu sein.“ Es ist offensichtlich, dass hier jedes Detail zugunsten der Zeugin umgewertet wurde. Dass sie den Angeklagten schlug, soll ihr Glaubwürdigkeit verleihen. Dass naheliegend ist, dass sie die vorherige Beleidigung hinterher erfand, um sich vor der Verfolgung ihrer offensichtlichen Straftat gegen mich (Körperverletzung und Sachbeschädigung, weil die Brille zerstört wurde), hat das Gericht nicht einmal in seine Überlegungen einbe-zogen, obwohl es von mir vorgetragen wurde.
Eine solche Vorzugsbehandlung dürften GewalttäterInnen in Deutschland nur selten haben. Die Tat-sache, dass sie gewalttätig wurden, wird zu ihren Gunsten ausgelegt. Gleichzeitig wird das Opfer der Gewalttat zum eigentlichen Täter, weil die gewalttätige Person das so angibt. Denkbar ist diese Vor-zugsbehandlung nur vor dem Hintergrund, dass das Gericht hier voreingenommen war und eine kon-krete Person von Beginn an willkürlich besser stellte.

In der zweiten Instanz wird das noch deutlicher. Zwar wiederholt das Gericht die abenteuerliche Ar-gumentation, dass, wer jemanden schlage, deshalb das Opfer sein muss, aber es leitet gerade aus dem Hass der Zeugin Angela Gülle ihre Glaubwürdigkeit ab: „Dass die Zeugin Gülle den von ihr be-richteten Geschehensablauf, also das Angießen ihres Plakats, die Äußerung des Angeklagten hierbei und das Benässen ihrer Person erfunden haben könnte, hielt die Kammer für ausgeschlossen.
Dagegen sprach nämlich das Aussageverhalten der Zeugin in der Berufungshauptverhandlung, das nicht zu einer zurecht gelegten, kalkulierten Falschaussage passte, wie sie nach Darstellung des An-geklagten erforderlich gewesen wäre. Wortreich und in mehrfach wechselnder Reihenfolge schilderte sie zum Teil nur schlagwortartig den Sachverhalt, wie oben festgestellt. Dabei ließ sie sich wiederholt durch den Angeklagten Bergstedt unterbrechen und zu direkten Entgegnungen hinreißen. Dadurch provozierte Missverständnisse und scheinbare Widersprüche, die sie vor Aufregung selbst zum Teil nicht bemerkte, konnte sie auf Nachfrage aber zwanglos und mit plausibler Begründung ausräumen. Die Zeugin versuchte nicht, ihre bereits aufgrund des hier Vorgefallenen verständlichen Hassgefühle zu verbergen oder zu beschönigen. Auch das sprach eher gegen einen bewussten Racheakt in Form einer Falschbelastung.“ (Aus dem Urteil vom 3.5.2005)
Jeder gesunde Menschenverstand würde aus der Tatsache der offensichtlichen Hassgefühle ableiten, dass diese bereits die Erklärung für den Ablauf, sprich den Schlag von Angela Gülle, darstellen. Das Gericht bewertet dieses genau umgekehrt. Außerdem ist der Versuch offensichtlich, die massiven Wi-dersprüchlichkeiten der Zeugin krampfhaft zu begründen und schließlich wiederum als Grundlage für eine Glaubwürdigkeit der Zeugin umzudefinieren. Dass Missverständnisse „provoziert“ sein sollten, ist eine bemerkenswerte Umwertung der Tatsache, dass die Zeugin auf meine Fragen während der ganz normalen Vernehmung durch die Verteidigung ständig sich widersprechende Aussagen machte. Hier wird intensives Nachfragen, welches prozessuales Recht eines jeden Angeklagten ist, gegen diesen gewandt, weil es die Glaubwürdigkeit der Zeugin stützt, wenn diese aufgrund der Nachfragen in Widersprüche getrieben wird.

Genau gegenteilig fallen wiederum die Bewertungen der entlastenden ZeugInnen aus. Krampfhaft wirken die Formulierungen, für jede Person nachzuweisen, dass wiederum kurze Aufmerksamkeitslücken da gewesen sein können, die zufällig alle im gleichen Zeitraum auftraten und deshalb allen der entscheidende Moment entgangen sein könnte. Da mehrere Personen aussagten, die Zeugin Angela Gülle sei zum Zeitpunkt des Benässens des Plakatständers gar nicht bei diesem gewesen, so dass sie gar nicht hatte hören können, was gesagt wurde, beachtete das Gericht nicht. Es war ausschließlich bemüht, die Unglaubwürdigkeit zu belegen und kleinste Widersprüche als grundlegendes Argu-ment für Unglaubwürdigkeit anzuführen:
„Die Vernehmung der von dem Angeklagten zu diesem Vorfall benannten Zeugen vermag an der Be-wertung nichts zu ändern.
Der Zeuge Sascha Schmidt gab an gesehen zu haben, wie der Angeklagte "den Rand des Plakat-ständers" mit Wasser begoß. Frau Gülle sei dann von ihrem Stand "vorgeschossen" und habe dem Angeklagte "sofort ansatzlos eine runtergehauen". Er habe nicht gesehen, daß Frau Gülle selbst be-spritzt worden sei, aus seiner Perspektive könne er das ausschließen. Mit dem Zusatz "aus seiner Perspektive" hat der Zeuge seine Aussage selbst eingeschränkt. Sie läßt daher offen, ob der Zeuge nicht aus anderer Perspektive doch ein Bespritzen der Person der Zeugin Gülle hätte wahrnehmen können oder gar müssen,
Der Zeuge Kirtorf gab an, er habe sich umgedreht und gesehen, wie Frau Gülle den Angeklagten ge-ohrfeigt habe; er halte es für möglich, daß der Angeklagte in einer Umdrehbewegung Wasser ver-spritzt habe. Was der Ohrfeige vorausging, hat der Zeuge mithin nicht gesehen.
Ebenso berichtete der Zeuge Abresch zwar von der Ohrfeige; weiteres hat er jedoch nach seinen An-gaben in der Hauptverhandlung nicht gesehen.
Auch die Zeugin Weber sagte aus, sie habe die Ohrfeige gesehen. Daß jemand mit Wasser gespritzt habe, habe sie hingegen nicht gesehen, es sei lediglich später erzählt worden, der Angeklagte habe Frau Gülle mit Wasser bespritzt. Daß aber tatsächlich mit Wasser gespritzt wurde, hat nicht nur der Zeuge Sascha Schmidt so gesagt, es ergibt sich auch aus einem in der Hauptverhandlung in Augenschein genommenen Foto, auf dem unter einem Wahlplakatständer deutlich eine Wasserpfütze zu sehen ist. Deshalb ist zweifelhaft, was die Zeugin Weber außer der Ohrfeige tatsächlich gesehen bzw. nicht gesehen hat.“ (Aus dem Urteil der ersten Instanz am 15.12.2003)
Noch deutlicher fällt die Ungleichbehandlung in der zweiten Instanz aus: „Die übrigen Zeugenaussa-gen konnten im Ergebnis die Angaben der Zeugin Gülle nicht erschüttern, da die übrigen Zeugen die Geschehnisse nicht lückenlos oder aus größerer Entfernung beobachteten, wie sich aus ihren Aussa-gen ergab.“ (Aus dem Urteil der zweiten Instanz am 3.5.2005). In dieser Pauschalität weist das Gericht alle Aussage der mehreren EntlastungszeugInnen einfach ab.
Da auch meine Aussagen in ähnlicher Form minderbewertet wurden, bin ich in meinen verfassungs-mäßigen Rechten der Gleichbehandlung vor Gericht beeinträchtigt worden.

Vortrag in der Revisionsbegründung:

Die Ausführungen zu den Widersprüchen der BelastungszeugInnen innerhalb ihrer Aussagen, zwischen den Aussagen und zu schriftlichen Vermerken bzw. dem Text der Strafanzeige sind in der Revisionsbegründung umfangreich und mit etlichen Belegen vorgetragen worden. Zusammenfassend war den Ausführungen vorangestellt:

Die Beweiswürdigung ist fehlerhaft. Die Einlassungen der Angeklagten sind im Urteil gar nicht berücksichtigt. Das Gericht hat sein Urteil nur jeweils auf einen Belastungszeugen gestützt, obwohl offensichtliche Widersprüche bei deren Aussagen vorhanden waren, z.T. Fotos deren Aussagen widerlegten und die Mehrzahl der weiteren Zeugen ebenfalls den Ablauf anders wiedergab.
...
Die Feststellung der besonderen Glaubwürdigkeit des Belastungszeugen POK Walter beruht nicht auf dem Prozessverlauf. Dieser hatte eindeutige Belege für bewusste Falschaussagen und erhebliche Wi-dersprüche ergeben. Dass selbst Walter in seiner Aussage von seiner eigenen Strafanzeige deutlich abwich, hat das Gericht gar nicht beachtet.
...
In allen Anklagepunkten kam es während der Beweisaufnahme zu umfangreichen Widersprüchen in den Aussagen vor allem der als Zeugen geladenen Polizeibeamten sowie ebenfalls bei den wenigen weiteren BelastungszeugInnen (PolitikerInnen). Unabhängige, d.h. nicht in Parteien oder Staatsdienst tätige Personen, sind von der Anklagebehörde ohnehin nicht vorgebracht worden.
Die BelastungszeugInnen haben sich untereinander und in sich ständig widersprochen, ebenso haben sie in etlichen Fällen ihren eigenen Aktenvermerken, Strafanzeigen usw. widersprochen.
Im Fall der Sachbeschädigung an Wahlplakaten hat das Gericht die Widersprüche zwischen den zwei vernommenen Polizisten im Urteil gar nicht gewürdigt.
In allen anderen Fällen hat das Gericht die Widersprüche benannt, aber ohne weitere Begründung alle als unproblematisch, Gedächtnislücken oder sogar Zeichen für die Glaubwürdigkeit der ZeugInnen ge-wertet. Gerade letzteres erscheint vor allem angesichts der wiederholten Erklärungen und Beweisanträ-ge zu systematischen Fälschungen und Erfindungen der Polizei abwegig und ist auch nicht begründet. Das Gericht hat alle Anträge zur Prüfung der systematischen Erfindungen und Fälschungen abgelehnt trotz gegenteiliger Zusage am ersten Verhandlungstag. Umso wichtiger wäre eine genaue Würdigung von Ungereimtheiten in solchen Berichten gewesen, die die Angeklagten belasten. Das aber hat das Ge-richt nicht gemacht. Obwohl der Verdacht mehrfach benannt wurde, dass Abläufe zuungunsten der An-geklagten verfälscht werden durch ZeugInnen aus Polizei- und Parteiapparaten, hat das Gericht den ständig offensichtlichen Verdacht auf solche Erfindungen gar nicht kritisch hinterfragt, sondern die durch präzise Nachfragen der Angeklagten auftretenden Widersprüche im Urteil durch harmonisierende Hin-weise auf Gedächtnislücken oder darauf, dass die Widersprüche an unbedeutenden Stellen auftraten geglättet. Wie in den Ausführungen D. bis G. gezeigt wird, ist diese Abwägung falsch und rechtsfehler-haft, da die Widersprüche sehr wohl auch an den bedeutenden Stellen auftraten. Zudem ist im Urteil nicht weiter begründet, warum zwar die umfangreichen Widersprüche auch im Urteil festgestellt werden, aber die konkreten Belastungsaussagen trotz der rundherum selbst vom Gericht anerkannten Falsch-aussagen und Widersprüche trotzdem als besonders glaubwürdig eingestuft werden.
Die näheren Benennungen der Widersprüche, die im Urteil falsch gewertet werden, befinden sich in den Punkten D. bis G. Jeder offensichtliche Widerspruch, noch dazu gehäuft zu den Kernbereichen der aufzuklärenden Tatvorwürfe, nährt vernünftige Zweifel an der Wahrheit der Beschreibung durch die Person, die sich in Widersprüche verwickelt. Das hätte dazu führen müssen, dass dem Gericht selbst Zweifel an den Schilderungen der Zeugen kommen. Nach dem Kommentar zur Strafprozeßordnung von L. Meyer-Goßner zum § 261, Randnr. 2: „Es genügt ein nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicher-heit, demgegenüber vernünftige Zweifel nicht mehr aufkommen (BGH VRS 24, 207, 210).“ Genau diese vernünftigen Zweifel aber hätten nach den offensichtlichen Widersprüchen in den Aussagen der Belas-tungszeugInnen aufkommen müssen. Eine Vielzahl von Formulierungen im Urteil weist sogar auf diese gravierenden Widersprüche und Ungereimtheiten hin, ohne dass das Gericht daraus irgendwelche Schlüsse zieht, die die Glaubwürdigkeit in Frage stellen. Selbst zu den Behauptungen der Angeklagten, die Polizeizeugen hätten zielgerichtet und bewusst Falschaussagen gemacht, gibt das Gericht im Urteil den Hinweis, dass dieser Eindruck entstehen konnte: „Dem Zeugen Walter und den übrigen als Zeugen aufgetretenen Polizeibeamten warf der Angeklagte vor, sie machten gemeinsame Sache, damit er be-straft werde. Zum Beleg führte er eine lange Reihe von Umständen an, die teilweise nicht von der Hand zu weisen waren, aber vorliegend nach Überzeugung der Kammer jedenfalls keinen Einfluss auf Aussa-gen der Polizeibeamten in Richtung unbewusster oder gar bewusster Falschbelastungen hatten.“ (Urteil, S.12, Hervorhebung durch den Beschwerdeführer). Diese deutlichen Hinweise auf fehlende Glaubwür-digkeit der ZeugInnen einfach zu übergehen, entspricht dem § 261, Abs. 1 der StPO nicht. Zudem zeigt das Gericht mit der benannten Formulierung, dass es selbst Zweifel an der Glaubwürdigkeit der ZeugIn-nen hatte, ohne daraus irgendeine Konsequenz zu ziehen.
Auffällig gegenteilig würdigt das Gericht die Aussagen der ZeugInnen, die den Angeklagten Bergstedt entlasten. Diese treten nur in den Anklagepunkten zur Körperverletzung und Beleidigung auf, weil bei den anderen Punkten entlastende Zeugen nicht zugelassen wurden. Das Gericht setzt sich bis auf einen Fall (Aussage des Zeugen Janitzki zur Anfangsphase des Polizeizugriffs, Urteil S. 18) gar nicht mit den tatsächlichen Aussagen der Zeugen auseinander, sondern lehnt sie pauschal als unglaubwürdig ab. Da-bei geht das Gericht soweit, dass es im Fall des am präzisesten schildernden Entlastungszeugen Kröm-ker dessen Aussagen ohne jegliche Nennung von Beispielen mit einer pauschalen Bemerkung als un-glaubwürdig einstuft, ja sogar die Behauptung aufstellt, es sei zweifelhaft, ob er überhaupt den Vorgang selbst beobachtet hätte (Aus dem Urteil, Seite 21): „Der Aussage des Zeugen Krömker konnte die Kammer im hier in Rede stehenden Punkt keinen Glauben schenken, da der Zeuge bei seiner Aus-sage immer wieder seine Einschätzungen und Schlussfolgerungen so schilderte, als habe er entspre-chende Beobachtungen gemacht. Es konnte insbesondere nicht festgestellt werden, inwieweit seine Aussage, einen Tritt habe es nicht gegeben, wirklich auf eigener Wahrnehmung beruhte, da er entspre-chendes Randgeschehen auch auf mehrfaches, ausdrückliches Nachfragen nicht berichtete und daran also offenbar keine Erinnerung hatte.“
Diese zwei völlig gegensätzlichen Umgangsweisen mit ZeugInnen zeigen, dass das Gericht keine Abwägung, sondern eine gerichtete Wertung der ZeugInnenaussagen vornahm. Es zeigt sich eine deutli-che Befangenheit und ein Interesse an der Verurteilung. Die Bewertung der ZeugInnenaussagen ist rechtsfehlerhaft und wirft die Frage auf, ob das Gericht in seiner spezifischen Besetzung, dass zwei von drei Personen aktive ParteipolitikerInnen waren, nicht doch (wie im Befangenheitsantrag beschrieben) befangen war.
Die Einstufungen der Glaubwürdigkeit und Unglaubwürdigkeit von ZeugInnen im Urteil ist jedenfalls nicht aus deren Aussagen und deren Auftreten vor Gericht ableitbar, sondern allein daraus, ob sie die Ange-klagten belasteten oder nicht.

Formale Rüge: Die auffälligen, z.T. systematischen Widersprüche in den Aussagen der Belastungszeu-gen sind im Urteil nicht hinsichtlich möglicher Zweifel an der Glaubwürdigkeit gewürdigt worden. Entlastende Aussagen sind überwiegend gar nicht beachtet oder pauschal abgetan worden, statt die Aussagen im Einzelnen zu betrachten und zu würdigen (Verstoß u.a. gegen § 261 StPO).

Daher erfolgt der Antrag, das Urteil aufzuheben und an eine andere Kammer zurückzuverweisen.

In der Revisionsbegründung zum Punkt „Körperverletzung“ war zudem der oben schon vollständig zi-tierte Aus dem Plädoyer zu den erheblichen Widersprüchen und offensichtlichen Falschaus-sagen in den Ausführungen des Hauptbelastungszeugen im Punkt Körperverletzung enthalten. In die-sem Text sind ausführlich und präzise alle Punkte benannt, die deutlich machen, dass es gute Gründe gegeben hätte, den Zeugen nicht als glaubwürdig einzustufen, während Anhaltspunkte, das Gegenteil zu tun, kaum gegeben waren.

Zum Punkt Beleidigung war in der Revisionsbegründung u.a. das folgende zu finden:

Die Feststellung der besonderen Glaubwürdigkeit der Belastungszeugin Angela Gülle beruht nicht auf dem Prozessverlauf. Dieser hatte eindeutige Belege für bewusste Falschaussagen ergeben.
...
Das Gericht hat im Urteil die Zeugin und Anzeigeerstatterin Angela Gülle als besonders glaubwürdig be-schrieben. Begründet wurde das damit, dass die Zeugin „Hassgefühle“ gegen den Angeklagten hätte: „Die Zeugin versuchte nicht, ihre bereits aufgrund des hier Vorgefallenen verständlichen Hassgefühle zu verbergen oder zu beschönigen. Auch das sprach eher gegen einen bewussten Racheakt in Form einer Falschbelastung.“ Dass hasserfüllte Menschen nicht vorsätzlich lügen können, ist schon als solches eine abwegige Schlussfolgerung. Der Verlauf der Vernehmung der Zeugin Gülle bewies aber sogar das Ge-genteil, denn Gülle erfand an zwei Stellen offensichtlich belastende Aussagen.
Zum einen behauptete sie, der Angeklagte sei auf sie zugelaufen und hätte in ihrem Beisein den Wahl-plakatständer benässt. Das wurde sowohl durch die Aussagen mehrerer ZeugInnen als auch durch das Foto (Blatt 16, Foto unten mit Transparent) widerlegt. Richtigerweise gibt auch das Urteil diesen in der Verhandlung festgestellten Ablauf wieder, der Punkt wird dann aber als unbedeutend abgetan, obwohl er gerade die im Urteil festgestellte Glaubwürdigkeit der Zeugin stark in Zweifel hätte ziehen müssen: „Dass die Zeugin berichtete, schon vor dem Eintreffen des Angeklagten an ihrem Stand davor und nicht dahin-ter gestanden zu haben, was durch ein in Augenschein genommenes Lichtbild als widerlegt anzusehen war, machte ihre Aussage nicht unglaubwürdig. Dieses Detail konnte ohne weiteres in Vergessenheit ge-raten sein, zumal es als Randgeschehen einzustufen war, auf das es der Zeugin im Nachhinein nicht mehr ankam.“
Zum zweiten erfand Zeugin Gülle in der Berufungsverhandlung und dort erstmals, dass der Angeklagte Bergstedt ihr gegenüber in einem Telefonat die Sachbeschädigungen an Wahlplakaten zugegeben hät-te. Das konnte durch zwei Zeuginnen klar widerlegt werden. Das Urteil schweigt zu diesem Punkt, ob-wohl der Angeklagte dazu sogar einen Antrag gestellt hatte und auffällig war, dass die Zeugin diesen Punkt weder in der Anzeige noch in der Vernehmung noch in der ersten Instanz des Verfahrens benannt hatte. Auch das deutet darauf hin, dass die Zeugin sehr wohl und genau berechnend in der Lage war, Falschaussagen zum Zwecke der Belastung des Angeklagten zu machen.
Außerdem hatte die Zeugin schon in der Strafanzeige (Blatt 7) dem Angeklagten Bergstedt das Benäs-sen großer Teile ihres Kleides unterstellt. Wie sie im Prozess einräumen musste, war das jedoch durch eine andere Person geschehen. Auch das zeigte im Prozessverlauf, dass die Zeugin Gülle sehr wohl und offensichtlich bewusst Falschbehauptungen zu Lasten des Angeklagten aufstellte – und zwar gleich mehrfach. Dieses muss auch dem Gericht aufgefallen sein, zumal der Angeklagte mehrfach darauf hin-wies, was auch das Urteil wiedergibt: „Die Zeugin Gülle sei durch den Polizeibeamten Schmidt aus Ver-folgungseifer an Ort und Stelle zu einer voreiligen Strafanzeige veranlasst worden, die die Zeugin später mit einer erlogenen Geschichte untermauert habe, um sich zu rächen, weil sie ihn im Verdacht hatte, dass er für die Verunstaltung ihrer Wahlplakate verantwortlich sei. Sie habe ihn wegen der Plakate ge-ohrfeigt und nicht wegen einer vorausgegangenen Beleidigung.“ Jedoch schlussfolgerte dieses genau das Gegenteil im Urteil.

Das Oberlandesgericht hat die gesamte Revision als „offensichtlich unbegründet“ abgewiesen. Damit gilt dieser Beschluss auch für jeden Einzelpunkt. Das Revisionsgericht behauptet damit, dass die oben zitierten deutlichen Hinweise auf eine systematische Bevorzugung aller Polizeizeugen sowie des Hauptbelastungszeugen POK Walter und der Grünen Politikerin Angela Gülle gegenüber allen anderen ZeugInnen „offensichtlich unbegründet“ sind. Diese Entscheidung ist genauso verfassungswidrig wie die Urteilsfindung in den beiden Instanzen des Amts- und Landgerichts, weil das OLG damit auch behauptet, dass eine systematische Ungleichbehandlung von ZeugInnen als Grund für eine Revision nicht gilt.

Die rechtlichen Bewertungen zu Ungleichbehandlung und Willkürverbot, die ich zum Anklagepunkt Körperverletzung am 11.1.2003 gemacht habe, gelten auch hier. Daher beantrage ich die Aufhebung der Verurteilung in diesem Anklagepunkt wegen Verstoß gegen Art. 3, Absatz 1 des Grundgesetzes.

3. Verstoß gegen Art. 5, Absatz 1 und 3
Die bereits beschriebene Aktion am 23.8.2003, die als Beleidigung verurteilt wurde, ist zu alledem durch die Meinungs- und noch deutlicher durch die Kunstfreiheit gedeckt. Es handelte sich nämlich, wie aus den Ablaufbeschreibungen auch in den Urteilen zu entnehmen ist, um eine kleine Straßentheaterszene, die mit der Symbolik des „Sprengens“ als mehrdeutigem Wort arbeitete – im Konkreten umgesetzt als tatsächliche Handlung des „Sprengens“ von Gegenständen mit Wasser aus einer Gieß-kanne (eine Bedeutung des Wortes), aber aufgeladen mit der Symbolik des „die Fesseln sprengen“ (zweite Bedeutung als Akt der Selbstbefreiung als Zwängen) und des „Herrschaft sprengen“ (dritte Bedeutung als politischer Kampfbegriff.
Ich bestreite weiterhin, überhaupt „Hiermit pisse ich Dich an!“ gesagt zu haben. Dieses passt nicht zu dem Motto der Aktion „Herrschaft sprengen“, denn es gab in der Aktion einen theatralischen Umgang mit der Doppeldeutigkeit des Begriffes „Sprengen“, in dem mit Gießkannen Symbole von Herrschaft „gesprengt“ werden sollten. Es war unser Vorhaben, diesen Begriff auch in der Aktion zu verwenden. ZeugInnen bestätigten, dass ich dieses auch am Plakat so gesagt hatte und nicht wie von der Zeugin Gülle behauptet. Für die Verfassungsklage ist die Frage, was nun tatsächlich geschah, jedoch nur soweit relevant, wie die Feststellungen in den Urteilen auf der systematischen und willkürlichen Ungleichbehandlung der ZeugInnen beruhten (siehe vorhergehender Punkt dieser Beschwerde). Ansonsten ist das Verfassungsgericht nach eigener Auffassung im wesentlichen an die tatrichterlichen Feststellungen gebunden. Das ist aus meiner Sicht bedauerlich, weil die erkennbare Nichtbefassung seitens des OLG mit den offensichtlichen Rechtsfehlern in der Beweiserhebung meine verfahrens-rechtlichen Garantien eindeutig verletzt hat. Gleiches gilt für die Tatsache, dass die einzige Zeugin, die behauptete, ich hätte den Satz gesagt, ein hohes Interesse daran hatte, dieses zu ihrem eigenen Schutze zu erfinden. Schließlich hatte sie mich öffentlich geschlagen, dabei meine Brille zerstört. Es musste ein Grund her, ein Strafverfahren gegen sie zu vermeiden oder zu mildern (schließlich weiger-te sich die Staatsanwaltschaft ja ganz, ein Verfahren zu eröffnen). Dennoch kann das alles an dieser Stelle, d.h. im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde, keine Rolle mehr spielen. Denn es geht nur noch um die verfassungsrechtlichen Aspekte des Vorganges, in diesem Fall im konkreten um den Verstoß gegen die Meinungs- und Kunstfreiheit, die in der Verurteilung meines vermeintlichen Verhaltens liegt.
Meines Erachtens wäre nämlich auch der von mir bestrittene Spruch „Hiermit pisse ich Dich an!“ als Teil einer als Straßentheater offensichtlich erkennbaren Aktion und gegenüber einem dort stehenden Wahlplakat keine Beleidigung, sondern vielmehr durch die grundgesetzlich garantierte Meinungs- und Kunstfreiheit gedeckt. Da eine genaue Beschreibung der Abläufe bereits im vorhergehenden Kapitel erfolgt ist, reicht hier die verfassungsmäßige Bewertung.

Die Feststellung im erstinstanzlichen Urteil lautete: „Der Angeklagte ist daher schuldig der Beleidi-gung. Eine solche stellt schon das Besprengen des Plakats, das die Zeugin Gülle zeigte, in Verbindung mit den Worten, "Hiermit pisse ich Dich an!" dar. Unter Beleidigung versteht man jede Kundgabe der Nichtachtung oder Mißachtung. Deutlicher als von dem Angeklagten demonstriert kann aber eine Mißachtung kaum kundgetan werden, mag sie auch - symbolisch - lediglich mit Wasser und lediglich gegenüber einem Foto der beleidigten Person zum Ausdruck gebracht worden sein.“ (Aus dem Urteil vom 15.12.2003).
Das ist jedenfalls offensichtlich aus dem Interesse einer Verurteilung nicht nur stark aufgebauscht („deutlicher ... kann aber eine Mißachtung kaum kundgetan werden“) und zeigt, dass das Gericht hier versucht hat, einen harmlosen Vorwurf zu einer Straftat zu wenden. Es ist nämlich bereits in der grundsätzlichen Beurteilung abwegig. Jemanden anpissen ist eine umgangs- bzw. vulgärsprachliche Formulierung für heftige Kritik. Wenn sich als Ergebnis jemand „angepisst fühlt“, so ist er getroffen, ist kritisiert worden, sein Handeln u.ä. ist angegriffen worden usw. Insofern ist bereits zu erkennen, dass zumindest von mehreren möglichen Bedeutungen das Gericht gezielt eine besonders weitgehende auswählt und diese dann weiter überhöht, in dem es behauptet, es ließe sich kaum eine krassere Missachtung vorstellen. Damit reicht die grundgesetzliche Garantie der Meinungsfreiheit schon, um den Satz „Hiermit pisse ich Dich an“ als von dieser gedeckt zu erkennen.
Der andere Aspekt ist aber entscheidender, denn der Satz, so er denn gefallen ist, ist Teil einer Perfomance, d.h. eines vorgedachten Ablaufs einer einfachen Form von Straßentheater gewesen. Dieses arbeitete mit Handlungen, Symboliken und darauf bezogenen Formulierungen. Als Aspekt der Kunst-freiheit muss nach der wiederholten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes jedes einzelne Detail einer Darbietung im Kontext des Gesamtwerkes gesehen werden: „Künstlerische Äußerungen sind interpretationsfähig und interpretationsbedürftig; ein unverzichtbares Element dieser Interpretation ist die Gesamtschau des Werks. Es verbietet sich daher, einzelne Teile eines Kunstwerks aus dessen Zusammenhang zu lösen und gesondert darauf zu untersuchen, ob sie als Straftat zu würdigen sind.“ (Beschluss des Ersten Senats vom 17. Juli 1984 -- 1 BvR 816/82 --) Im konkreten Fall ist die Berücksichtigung des Gesamtkontextes noch mehr geboten, weil die vorgeworfene Formulierung „Hiermit pisse ich Dich an“ je gerade diesen Blick auf den Gesamtkontext herausfordert. Das „Hiermit“ bezöge sich in der Darstellung in den Urteilen ja gerade auf das „Sprengen“ des Wahlplakates und damit auf den symbolischen Ausdruck der Aktion im Gesamten.
Dieser Gesamtkontext der Theateraktion am 23.8.2003 bestand ersichtlich darin, dass der Einsatz der Gießkanne immer in der symbolischen Mehrdeutigkeit von Begriffen erfolgte (vor allem des Begriffs „Sprengen“), zu dem auch „Anpissen“ als symbolische Form der in dem Benässen von Symbolen mit Wasser aus einer Gießkanne liegenden Bedeutung „Kritik“ gehört. Das Erheben der Gießkanne gegen ein Symbol (hier das Wahlplakat als Symbol der dahinterstehenden Herrschaftsstruktur von Stellver-tretung, Repräsentation, Regierung usw.) ist Kritik an genau diesen hinter dem Symbol stehenden Bedeutungen. Diese Bedeutung der Aktion wird im Urteil des Landgerichts auch vollständig aner-kannt: „Diese Aktion sollte darin bestehen, Symbole staatlicher Macht, wie z.B. öffentliche Gebäude und anderes, was ihrer Meinung nach mit den herrschenden Machtstrukturen in Zusammenhang zu bringen war, mit Wasser zu be-‚sprengen’.“ (Aus dem Urteil vom 3.5.2005). Ebenso wird im gleichen Urteil deutlich ausgeführt, dass das ‚Sprengen’ gegen das Wahlplakat und nicht die Person gerichtet war: „Nachdem das Portrait der Zeugin Gülle auf einem Wahlplakat, das sich auf einem Doppelständer befand, bereits mit Wasser nass gemacht war, goss der Angeklagte Bergstedt - mitt-lerweile im Beisein der Zeugin Gülle, die hinter dem Stand nach vorn gekommen war und nun direkt neben ihm stand - aus seiner Gießkanne Wasser auf das Bild der Zeugin und sagte dabei, „Damit pis-se ich dich an!".“ (Aus dem Urteil vom 3.5.2005, das Beisein der Zeugin Gülle wird weiterhin von mir bestritten wie von allen anderen ZeugInnen im Gerichtsprozess ebenfalls – das aber ist für diese Verfassungsbeschwerde nicht von Belang, weil auch dann, wenn sie in der Nähe stand, die Handlung weiterhin auf das Plakat als Symbol der Macht gerichtet war)
Der Gesamtkontext des Ablaufs zeigt auch eindeutig, dass die spezielle, auf dem Wahlplakat zu sehende Person überhaupt kein konkretes Ziel der Straßentheaterperformance und auch keines der gemachten symbolischen Bemerkungen gewesen ist. Nach den auch in allen Urteilen festgestellten Tatsachen wollte die Theatergruppe (wie auch im Ankündigungsflugblatt deutlich formuliert) nachein-ander verschiedene Symbole in der beschriebenen Art „benässen“ und eben „sprengen“ sollte. Die verurteilte Situation spielte sich bereits in Laufrichtung hinter dem Stand der Grünen ab, ein Teil der Theatergruppe war schon am darauf folgenden CDU-Stand angekommen. Es ist also offensichtlich, dass die Performance die allgemeine Bedeutung des Symbols des Wahlplakates und nicht die konkret dort sichtbare Person meinte.

Schließlich ist festzustellen, dass die Gerichte der ersten und zweiten Instanz auf die Frage der Mei-nungs- und Kunstfreiheit gar nicht eingegangen sind. In den Urteilen ist dazu nichts zu finden. Das Bundesverfassungsgericht hat dazu bereits festgestellt: „Treffen mehrere grundrechtlich geschützte Positionen aufeinander, so ist es zunächst Aufgabe des Richters, im Rahmen der Anwendung der einschlägigen einfachrechtlichen Regelungen die Schranken des Grundrechtsbereichs der einen Partei gegenüber demjenigen der anderen Partei zu konkretisieren (vgl. BVerfGE 30, 173 (197) ).“ (2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts am 29. Juni 2000 - 1 BvR 825/98 -)
Im Plädoyer der zweiten Instanz (Berufung) formulierte ich „Die gesamte Aktion war eine Performance, für die Meinungsfreiheit und die Freiheit der Kunst zu gelten hat.“ Das Landgericht ist hierauf in Urteil und Begründung gar nicht eingegangen.
In der Begründung zur Revision steht geschrieben:

Die Verurteilung im Anklagepunkt „Beleidigung“ ist ein Verstoß gegen den Art. 5 des Grundgesetzes zur Freiheit der Kunst.

Das Oberlandesgericht hat die gesamte Revision als „offensichtlich unbegründet“ abgewiesen. Damit gilt dieser Beschluss auch für jeden Einzelpunkt. Das Revisionsgericht behauptet damit, dass die oben zitierten deutlichen Hinweise auf eine künstlerische Handlung nicht bestehen und eine Würdigung der Kunstfreiheit nicht in Frage kommt. Diese Beurteilung ist genauso verfassungswidrig wie die Urteilsfindung in den beiden Instanzen des Amts- und Landgerichts.

Wegen Verstoß gegen Art. 5, Absatz 1 und 3 beantrage ich die Aufhebung der Verurteilung im Anklagepunkt „Beleidigung am 23.8.2003“.

Soweit eine einzelne Aufhebung von Teilen des ja zu einem Gesamturteil zusammengezogenen Urteils nicht möglich ist, beantrage ich aufgrund der beschriebenen Verfassungsverstöße oder einzelnen von ihnen in Teilen des Urteils die Aufhebung des Gesamturteils und die Rückverweisung an das zuständige Gericht zur Neubeurteilung unter Berücksichtigung der Verfassungswidrigkeit der bisherigen Entscheidungen.

Der Verlauf des Ganzen ... hoch dramatisch

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