Abwehr der Ordnung

UMWELTSCHUTZ VON UNTEN

Die Beherrschung verlieren statt begrünen


1. Die Beherrschung verlieren statt begrünen
2. Selbstbestimmung und Ökologie
3. Soziale Ökologie
4. Allianztechnologie: Mit der Natur intelligent kooperieren
5. Grundlagentexte und Newsletter aus dem "Umweltschutz von unten"-Netzwerk (um 2000 herum)
6. Links, Materialien und das Video zum Thema
7. Buchvorstellungen zum Themenbereich

Beginnen wir mit einem fiktiven Gespräch. Nehmen wir an, jemand hätte gerade die Grundidee des Umweltschutzes von unten vorgestellt, nach der nicht mehr Institutionen, Paragraphen oder Regierende die Dinge des Lebens regeln, sondern die Menschen selbst in freien Vereinbarungen.


Petra: Pah, das ist heavy. Am Ende muss ich alles aushandeln. Alles ist ständig wieder in Frage gestellt. Wie soll ich so leben können?
Isa: Glaub ich nicht. Theoretisch ist das zwar denkbar, aber die Menschen handeln in einer herrschaftsfreien Welt ja gerade stark aus dem Egoismus heraus. Das heißt, sie finden Vereinbarungen, die auch gut funktionieren. Ich kann mir zum Beispiel vorstellen, dass es ganz normal wird, einfach etwas zu machen oder es vorher anzukündigen und dann loszulegen. Wenn es andere stört, werden die kommen und erst dann wird diskutiert. Ganz vieles im Leben ist Sache Einzelner oder kleiner Gruppen, die sich treffen und einigen, also eine freie Vereinbarung schließen.
Udo: Aber wer kontrolliert die denn. Da kann doch ständig jemand kommen und alles wieder in Frage stellen.
Isa: Stimmt. Daher wird ja auch nur noch das möglich sein, was Menschen wollen und was andere, wenn es sie überhaupt betrifft, akzeptieren. Oder anders: Aus Egoismus heraus, weil ich nämlich das, was ich mache, hinterher auch nutzen oder genießen will, werde ich meine Ideen so umsetzen, dass sie vielen was nützen oder zumindest wenige oder niemanden stören. Weil sonst wehren die sich. Das wird Projekte, Planungen oder Technik fördern, die vielen nützt und wenig stören. Das ist aber genau auch gut so!
Gerrit: Also ich würde mal ein Beispiel diskutieren. Ich will von A nach B kommen. Es ist mein Egoismus, der mich antreibt. Vielleicht wohne ich in A und arbeite in B. Ach nein, Arbeitsplätze gibt's in der Utopie wahrscheinlich gar nicht. Als wohnt ein Freund oder eine Freundin in B oder ich will ein Konzert besuchen. Ist ja auch egal. Ich will da jedenfalls hin. Es ist meine Lust, mein Egoismus, der mich antreibt. Dann sollte das auch möglich sein. Wenn jetzt aber irgendwo mittendrin irgendwelche Kids gefahrlos toben wollen, ist es nix mehr mit Auto fahren. Die reißen am Ende noch die Straße weg oder sprengen mein Auto in die Luft. Das ist dann doch Faustrecht.
Petra: Na und? Findest Du es etwa besser in der jetzigen Herrschaftssituation? Da wird dann demokratisch entschieden, wer in welchem Fall sich durchsetzt - herrschaftsförmig. Die Kids werden verlieren. Fast alle Kids müssen viele Jahre lang ständig in der Wohnung eingesperrt werden oder nur unter Kontrolle irgendwelcher Erwachsenen nach draußen. Ach scheiße, weil in der Wohnung Treppen oder brüchige Sachen stehen, werden die Kids auch noch in einzelnen Zimmern oder gar im Laufgitter gefangen gehalten. Mich ekelt diese ganze Scheiße total an. Es ist gerade gut, wenn es keine Herrschaft gibt, die so einfach die Breschen schlägt für die, die sich grad durchsetzen können. Herrschaft, ob nun Diktatur oder Demokratie - der Unterschied hält sich ja eh in Grenzen - bedeutet immer die rücksichtslose Durchsetzung derer, die siegen. Da werden ständig Entscheidungen getroffen, wo die GewinnerInnen sich um die Folgen für andere nicht kümmern müssen.
Gerrit: Ja, aber ich will zu meinem Konzert ...
Isa: Sei nicht so phantasielos. Wo die Herrschaft fehlt, prallen Bedürfnisse aufeinander, wenn sie sich ausschließen. Aber das dürfte sehr selten der Fall sein. Denn wenn es keine Herrschaft gibt, wird auch niemand auf die Idee kommen, Papi Staat als Durchsetzungsmittel zu rufen oder zu nutzen. Wenn Du als zu deinem Konzert oder weiß-ich-wohin willst, wirst Du zu denen gehören, die eine umfangreiche Mobilität für ein schönes Leben für sinnvoll erachten. Das werden viele sein und der Ansporn ist eben der Egoismus, die Lust am schönen Leben. Also werden sich Menschen zusammensetzen und überlegen, wie Mobilität geschaffen werden kann. Genau weil es nicht einfach per Herrschaft umzusetzen ist wie heute leider immer, werden sie sich mit anderen vereinbaren, die offene Diskussion suchen und vor allem ihre Kreativität gebrauchen, um ein Mobilitätssystem zu entwickeln, was einerseits die Mobilität ermöglicht, andererseits aber auch sichert, dass die Menschen nicht durch die Mobilität wiederum stark eingeschränkt werden. Dabei gibt es keine Richtwerte für richtig und falsch, sondern eben die Menschen, die sich vereinbaren.
Udo: Das werden dann aber bestimmt keine Autos sein, denn deren Wirkung ist zu brutal für Menschen. Außerdem die Rohstoffe zur Herstellung, das ganze Erdöl - ich kann mir nicht vorstellen, dass eine solche riesige Verschwendung und Umweltzerstörung auf soviel Zustimmung stösst, dass Menschen das mitmachen würden. Daß eine wirtschaftsfreundliche Regierung z.B. von Russland oder Nigeria die protestierenden und betroffenen Menschen in den Erdölförderregionen einfach vertreibt oder erschießt, dürfte dann wohl der Vergangenheit angehören. Ein Glück.
Isa: Irgendwas leises, schnelles, energie- und rohstoffsparendes, was keine oder kaum Flächen zerschneidet oder verschlingt ...
Gerrit: Jaja, das Beamen ist aber noch nicht erfunden.
Udo: Was hälst Du von einer hochtechnisierten und schnellen Variante der Seilbahn, wie in Wuppertal. Die saust über den Menschen entlang. Könnte jedenfalls eine Möglichkeit sein. Daran hätte ich auch Lust, mitzubasteln. Macht bestimmt auch Spaß.
Petra: Aber eigentlich können wir das gar nicht vorhersehen. Welch eine geballte Energie frei wird, wenn Menschen nicht mehr nach Normen und Gesetzen denken und handeln, wenn sie nicht mehr 10 oder mehr Stunden ihres Tages fremdbestimmt irgendeinen Scheiß herstellen oder verwalten, wenn Technik nicht mehr nach Profitabilität entwickelt wird, sondern was sie für ein gutes Leben bringt ... hach, da würde nicht eine neue Marssonde, sondern erst mal eine Kloputzmaschine erfunden.
Isa: Und wie die Häuser, die Flächen drumherum aussehen, das entscheide ich auch selbst, zusammen mit den Menschen, die in der Nähe wohnen.
Gerrit: Toll, und wenn die alle Gartenzwerge und weiße Bodenfliesen wollen?
Petra: Solche Dörfer wird's auch geben. Herrschaftsfreies Leben wird unendlich vielfältig werden. Ich würde da nicht hinziehen. Das macht aber ja nix. Ich wohne dann endlich dort, wo ich mich wohlfühle - und nicht mehr dort, wo ich mir die Miete leisten kann, wo ich einen Arbeitsplatz finde oder weiß der Henker, was für ein Scheiß zur Zeit abgeht.
Udo: Naja, aber werden wir bei alledem nicht verhungern? Und was ist, wenn jemand versucht, sich mit Waffengewalt alles wieder an sich zu reißen?
Stimme aus dem Off: Wenn das jetzt noch alles diskutiert werden soll, wird der Platz hier nicht reichen. Aber genau diese Diskussionen sind wichtig. Vor allem dann, wenn sie mit konkreten Ansätzen im Hier & Jetzt verbunden werden ...



Mensch kann Umweltschutz auf sehr verschiedene Weise betreiben
  • Mensch kann die Menschen verdrängen wollen, sie als Krankheit auf der Erde definieren und sich ihre Ausrottung wünschen. Viele tun das ganz wie z.B. einige skurile Gruppen von zivilisationsfeindlichen AktistInnen aus der Tierrechtsszene über esoterischen Richtungen bis hin zum inzwischen gestorbenen zivilisationshassenden, sich als Anarchist verklärenden Pol-Pot-Anhänger und Freunde-der-Naturvölker-Vordenker Hartmut Heller1, andere fordern das immerhin teilweise. Letzteres ist weit verbreitet und meist bezogen auf als besonders wertvoll angesehene Naturgebiete, die von Menschen freigeräumt werden sollen. In den Industrieländern trifft das nur auf wenige und oft sehr kleine Flächen zu, die mit Schildern gekennzeichnet werden, in denen immer häufiger „Ökos“ als selbsternannte Krieger für die gute Sache patroullieren und andere Menschen verscheuchen - überzeugt von der guten Ideen, die die Ausübung von Macht legitimiert. In Afrika und (deutlich seltener) anderen ausgebeuteten Kontinenten sind zum Teil riesige Flächen als Schutzgebiete deklariert worden, um mit diesem Argument die dort lebenden Menschen einzuschränken bis zwangsumzusiedeln zum Schutze von Elefanten oder wer weiß wem. Dass später teure Jagdsafaris aus Europa & Co. dorthin führen, Touristenstraßen und -hotels entstehen usw., scheint dabei niemanden zu irritieren.2 Es geht um die gute Sache, die Kommunikationsindustrie steuert die Wahrnehmung. Die Geschichte ist immer die Geschichte der Sieger, nicht der Vertriebenen.
  • Mensch kann zum zweiten das gesellschaftliche Leben reglementieren. Verbote und Gebote dominieren und formen das Verhalten der Menschen. Das ist der klassische Umweltschutzansatz, praktiziert seit über einem Jahrhundert. Sie geht Hand in Hand mit der Institution, die den formalen Rahmen des heutigen gesellschaftlichen Lebens schafft und gestaltet, dem Staat. Wer gerade regiert, ist den MacherInnen eines auf Ver- und Gebote ausgerichteten Umweltschutzes gleichgültig - Hauptsache die Umwelt wird geschützt. Oft heißt es einfach: Je autoritärer, desto besser. „Ökos“ wünschten sich in den 80er Jahren eine autoritäre Ökopädagogik an allen Schulen herbei und kämpfen gegen die VertreterInnen der Reformpädagogik (Antipädadogik war bei allen ohnehin nicht vorgesehen). „Ökos“ forderten und fordern härtere Gesetze und härtere Strafen. Geradezu bejubelt hatten die meisten Naturschutz-FunktionärInnen 1933 die Machtübernahme der Nazis, die prompt mit der Verabschiedung des ersten Naturschutzgesetzes und der Ausweisung vieler Naturschutzgebiete die Herzenswünsche der Naturschutzgruppen erfüllten. Der Stil der autoritären Umweltpolitik prägte bis Anfang der 90er Jahre das Geschehen. In der Folge vergrößerten sich die Akzeptanzprobleme enorm. Denn wo ständig Verbote ausgesprochen und Strafen verhängt werden, wächst das Verständnis für die Dinge nicht. Wer will, dass (fast) alle Menschen „Öko“ hassen, macht es zum Pflichtfach in der Schule, lässt Klassenarbeiten dazu schreiben usw. Doch die „Ökos“ störte das nicht, denn mangelnde Akzeptanz ließ sich durch mehr Verbote und Strafe bekämpfen.
  • Die dritte Idee des Umweltschutzes ist der neoliberale Entwurf, ökologisches Verhalten zu steuern. Mensch kann Umweltschutz profitabel bzw. die Umweltzerstörung teuer machen. Damit lässt sich das Verhalten der einzelnen Menschen steuern, aber auch das der Wirtschaft. Das Konzept des Ökoneoliberalismus verträgt sich hervorragend mit gesellschaftlichen Verhältnissen, die insgesamt neoliberal umgeformt werden. Wo Konzerne ebenso an Einfluss gewinnen wie die gesellschaftlichen Debatten über Standortsicherung, Wachstum und die Degradierung des Menschen auf seine ökonomische Verwertbarkeit, entsteht für alle gesellschaftlichen Bereiche ein Sog, sich diesen prägenden Diskursen anzuschließen und im gleichen Sinne die eigenen Theorien zu modernisieren. Der Umweltschutz ist in den 90er Jahren den neoliberalen Umbau der Gesellschaft hin zur totalen Schlacht um Profit und Verwertungsinteressen voll mitgegangen. Als moderne, junge, gut ausgebildete MacherInnen ehemaliger Ökogruppen sind die Umweltschutz-Yuppies sogar oft zu AntreiberInnen des Neoliberalismus geworden. Die ProtagonistInnen der Windenergie haben für ihre Vorhaben die Aufhebung der Bürgerbeteiligung nach Baugesetzbuch gefordert (erfolgreich). Unternehmen im Umweltbereich sowie ihre Zusammenschlüsse forderten sogar die Aufhebung von Kündigungsschutz und Tarifrecht.
    Der BUND freute sich über die Riester-Rente, weil private Rentenfonds neue Geldanlagen für Windenergie bringen. Die Grünen sind inzwischen die Partei mit dem höchsten Reformtempo beim Abbau sozialer Standards und dem größten Durchschnittseinkommen der WählerInnen - die F.D.P. drohte schlicht überflüssig zu werden durch die modernisierten „Ökos“. Ethische Geldanlagen und Öko-Aktienspekulationen sind längst die am meisten forcierten Umweltschutzaktivitäten. Auch die NGOs selbst (Umweltverbände, Lobby-Eliten usw.) sind zum Ort neoliberaler Umgestaltung geworden. Staatliche und kirchliche Geldvergabestellen knüpften finanzielle Förderungen immer mehr an neoliberale Programmatik wie Nachhaltigkeit und Agenda 214 oder sogar an die neoliberale Umstrukturierung hin zu internen Managementsystemen bei den geförderten Organisation - und tun das heute noch.5 Das ähnelte stark dem Stil internationaler Politik, wo von armen Ländern die moderne Durchorganisierung hin zum Leistungsprinzip als Voraussetzung für neue, Abhängigkeit schaffende Kredite eingefordert wird. Der Neoliberalismus ist seit den 90er Jahren das dominante, politische Konzept. Die Ökologiebewegung wurde in fast ihrer ganzen Breite davon erfasst, umstrukturiert, durchgerüttelt, verändert und ist schließlich selbst zum Vorantreiber geworden.
  • Es gibt eine weitere, vierte Möglichkeit zum Umweltschutz. Sie war immer verbunden mit anderen, schon genannten und existiert, solange es Natur- und Umweltschutz als Idee gibt. Menschliches Verhalten lässt sich über Erziehung, Bildung, Werbung, mediale Beeinflussung, Normen und Werte beeinflussen. Zusammengefasst: Umweltgerechtes Verhalten als soziale Zurichtung. Was Menschen auf verschiedene Weise als „richtiges Denken und Handeln“ eingetrichtert wird, führt selbst dann zu den erwünschten Verhaltensweisen, wenn kein Zwang (autoritäre Politik) oder Anreiz (moderne neoliberale Variante) besteht. Zurichtung hat als Herrschaftsmittel in der Geschichte der Menschheit eine beeindruckende Erfolgsgeschichte geschrieben. Wenn Menschen von sich aus so handeln, wie es einer formulierten Norm entspricht („was sich gehört“ u.ä.), ist Herrschaft viel unauffälliger, glatter, eleganter, widerstandsfreier und entsprechend effizienter zu organisieren. Dieser diskursiven Herrschaft ist es zu verdanken, dass Menschen sich als Männer oder Frauen fühlen und verhalten, als In- oder AusländerInnen, als Junge oder Alte, als Elite oder Randgruppe, ExpertIn oder Laie, „in“ oder „out“, „behindert“ oder „normal“, krank oder gesund usw. Auch im Umweltschutz wurde immer wieder versucht, ökologisches Verhalten zur Norm zu machen, zu dem, „was sich gehört“. Gelungen ist das aber nur über einige Jahre hinweg vor allem in den 80ern. Danach verlor sich die Spur der Massenzurichtung auf ökologisches Verhalten wieder, weil andere Diskurse,6 Normen und Standards die Ökologiefrage in den Hintergrund drängten. Zurichtung funktioniert zwar auch aus sich selbst heraus, d.h. die Subjekte der Zurichtung sind alle, die Norm wird von allen Genormten an die anderen weitergegeben, aber es gibt keine Sicherheit, dass eine Norm erhalten bleibt. Die diskursiven Verhältnisse sind ständig im Fluss, Normen und Erwartungshaltungen ändern sich. Es gibt keine feste Instanz, die das steuert, wohl aber Möglichkeiten, die unterschiedlich zugänglich sind, so dass verschiedene Menschen nicht gleichberechtigt auf die Diskurse Einfluss nehmen können. Politik, Bildungseinrichtungen und Medien dürften die größten Chancen haben, gezielt das zu beeinflussen, was als „normal“ gilt. Das war hautnah zu erleben, als soziale Standards plötzlich zum Ballast umdefiniert wurden, die noch vor wenigen Jahren als Errungenschaft der Zivilisation abgefeiert worden wären (z.B. solidarisches Gesundheitswesen, Streikrecht, Tarifverträge). Kurze Zeit später wurden UnternehmerInnen zu Heuschrecken, ebenso schnell auch wieder zu sozialen WohltäterInnen. So ist es, wenn auch schleichender, in den 90er Jahren dem Umweltschutz als Verhaltensnorm ergangen - sie verschwanden von der Oberfläche. Das zeigt, dass diese Art der Verhaltensprägung äußerst instabil ist, weil sie von der Aufrechterhaltung der Diskurse und Normierungen abhängt.
  • Die fünfte Möglichkeit ist die Kombination aller oder mehrerer dieser Strategien. Sie können gleichzeitig, nacheinander oder je nach Einsatzbereich gewechselt werden. So stehen im weltweiten Blick tatsächlich alle fünf Formen heute nebeneinander, wenn z.B. in ausgebeuteten Ländern große Nationalparke und Tourismusflächen für reiche EuropäerInnen, NordamerikanerInnen oder JapanerInnen geschaffen und gleichzeitig in diesen Industrienationen neoliberale, autoritäre und Bildungsstrategien des Umweltschutzes miteinander gemischt werden.
Alle genannten Formen des Umweltschutzes haben eines gemeinsam: Sie operieren herrschaftsförmig. Das bedeutet nicht, dass nur Wenige irgendwo an der Macht sind und alles steuern. Herrschaft hat nur selten ein eindeutiges „Oben“ und „Unten“. Meist steuern Zwänge und Beeinflussungen den Willen der Einzelnen - egal ob das von einer Regierungsmacht per Verbot oder aus dem sozialen Umfeld der betroffenen Person als Erziehung, Rollenmuster u.ä. erfolgt. Herrschaft ist organisierte, d.h. nicht nur als zusammenhangloser Einzelfall auftretende Fremdbestimmung.
Insofern sind alle beschriebenen Konzepte einander wesensgleich, wenn sie auch in der konkreten Ausformung ganz unterschiedliches Aussehen haben, unterschiedliche Methoden und Sanktionen einsetzen. Dennoch stärken sie alle nicht den Menschen, sondern die Kontrolle über den Menschen. Ihr Menschenbild basiert auf der Vorstellung, dass der „gute“ Mensch bzw. das „richtige“ Verhalten nur über Zwang oder Beeinflussung entstehen. Doch eine solche Politik gerät schon sehr früh in Widersprüche, wenn die Frage gestellt wird, wer denn diesen Zwang oder die Beeinflussung ausführt. Regierende, LehrerInnen, PolizistInnen, RichterInnen, MedienmacherInnen usw. sind auch Menschen - und wenn Menschen nur über Zwang zu „guten“ Menschen werden, stellt sich die Frage, wie die Logik von Herrschaft bei den jeweils Herrschenden zum „Guten“ führen soll. Schließlich sind sie selbst aufgrund ihrer herausgehobenen Stellung weniger beherrscht, müssten also entsprechend der eigenen Logik von Kontrolle weniger an Umweltschutz interessiert sein. Das Handeln von Regierungen oder Konzernführungen scheint das auch eher zu bestätigen. Grundsätzlicher wäre aber noch die Frage zu klären, wie überhaupt „das Gute“ zu definieren ist und wer das tun kann. Schließlich glaubt jedeR MachtinhaberIn immer, das Richtige zu tun - egal es ob die aktuelle demokratische Herrschaft oder das Terrorregime der Nazis waren. Diese sollen damit nicht gleichgesetzt werden, aber sie alle gingen davon aus, das „Gute“ zu verfolgen.
Außerdem wird ein wesentlicher Wesenszug von Herrschaft übersehen. Herrschaft verbessert die Möglichkeiten der privilegierten Menschen, die Herrschaft ausüben, ihre Entscheidungen so zu treffen, dass es für sie Vorteile bringt, aber die Nachteile auf andere abgewälzt werden. Dabei ist es egal, an welchem Ort das geschieht, gilt also genauso für Regierungen eines Landes wie für die Leitung eines Konzerns, das „Oberhaupt“ einer Familie oder eines Vereins Hier zeigt sich der logische und fatale Fehler des Gedankens, über Herrschaft und Kontrolle das „Gute“ zu wollen. Herrschaft steigert die konkurrierende und unterdrückende Orientierung von Menschen - und gerade diejenigen, die Herrschaft legitimieren mit dem Hinweis, Menschen seien von sich auch anti-sozial oder umweltzerstörend, geben durch Herrschaft einigen Menschen die Möglichkeit, vorhandene anti-soziale und umweltzerstörende Ausrichtungen deutlich besser und für sie gefahrfreier auszuüben. Dieser Widerspruch wird in der Regel weder benannt noch erklärt.
Somit ist ein anderer, sechster Weg für den Umweltschutz notwendig: Die Strategie der Überwindung von Herrschaft auch in Hinblick auf die Nutzung natürlichen Lebensgrundlagen und die Gestaltung der Landschaft. Mensch könnte die Umwelt zu einer Sache der gleichberechtigten Gestaltung von Menschen machen. Die Menschen werden nicht mehr vertrieben, kontrolliert, gesteuert, bestraft oder beeinflusst in Bezug auf ihren Umgang mit der Umwelt, sondern erhalten ganz im Gegenteil die volle Möglichkeit, die Umwelt so zu gestalten, wie sie es wollen. „Wollen“, d.h. nicht mehr, wie es von ihnen erwartet wird, wie es Gesetze verlangen oder die Zwänge des Alltags (z.B. die Notwendigkeit, in der Not zu überleben) herbeiführen. Sondern wie es gewollt ist, wie Menschen sich eine lebenswerte Umwelt selbst vorstellen. Das wird nicht einheitlich sein, aber es fällt etwas Wichtiges, für jede Herrschaft konstituierendes weg: Kein Mensch hat mehr die Möglichkeit, über Herrschaftsmechanismen (Recht, Normen, Diskurse, Polizei, Justiz, Eigentumsrecht ...) die Folgen seines Verhaltens einfach auf andere abzuwälzen. Wo Herrschaft fehlt, kann (so die Menschen das wollen und dafür auch eintreten) die freie Vereinbarung kommen. Wie ein Haus, die Flächen drumherum, die Energie- und Wasserversorgung oder die Produktion von Lebensmitteln aussieht, ist Sache der Menschen selbst. Die Ergebnisse werden vielfältig sein - und genau das ist das Schöne daran. Menschen werden sich zusammenfinden, die gemeinsame Vorstellungen und Interessen haben, die miteinander kooperieren. Es geht nicht um das oft esoterisch verklärte Bild der Autarkie oder Selbstversorgung. Selbstbestimmtes Leben macht erst möglich, viele Kooperationen aus eigener Entscheidung einzugehen und dadurch horizontale Arbeitsteilung, gegenseitige Hilfe und Vernetzung zu erreichen. Diese ist dann vom Wunsch nach einem guten Leben bestimmt und nicht vom Zwang zum Profit oder von Ver- und Geboten wie heute.
Emanzipatorischer Umweltschutz7 oder (salopp) „Umweltschutz von unten„ will daher etwas ganz anderes als die herrschaftsförmige Ökologiepolitik: Die Menschen werden zu AkteurInnen. Die Straßen, Häuserblöcke und Landschaften werden von den Menschen gestaltet, die in ihnen leben oder sich sonstwie mit ihnen verbunden fühlen. Niemand kann über Flächen und Orte bestimmen, ohne selbst betroffen zu sein oder sich aktiv zu interessieren und zu beteiligen. Schritt für Schritt ist die „Demokratisierung von Flächen- und Rohstoffverbrauch“ im Sinne von ständig steigender Mitbestimmung das realpolitische Gegenkonzept zu Ordnungsrecht oder kapitalistischen Instrumenten wie Klimazertifikaten, Maut oder Ökosteuer. Vision ist eine Welt von unten. Die kleinen Schritte dahin bestehen aus konkreten Projekten, die Menschen zu den EntscheiderInnen machen: Windanlagen, die den Menschen gehören (statt teurer Großanlagen ohne örtliche Akzeptanz), Stromnetze im Besitz der BürgerInnen, ökologische Bauernhöfe und Flächen im Gemeinschaftsbesitz8, direkte Ökonomien ohne Apparate, NutzerInnengemeinschafen und vieles mehr.
Dazu gehört aber auch, die Visionen einer Welt von unten laut zu benennen, denn Visionen können motivieren. Hinzu kommt die Chance, für ein klar emanzipatorisch abgefasstes Ziel Bündnisse zu schaffen von ökologisch orientierten Menschen mit anderen sozialen Bewegungen, die gemeinsam an einer Welt von unten arbeiten. Kristallisationspunkte wie konkrete Projekte oder der Widerstand gegen autoritäre oder neoliberale Umgestaltungen können der Anfang sein. Es gilt, Abschied zu nehmen von der vor allem in NGO-Kreisen gern verbreiteten Mär vom guten Staat, von der „good governance“, die die Auswüchse des Neoliberalismus eindämmen soll. Der Staat organisiert die Ausbeutung. Er ist Gegner, nicht Partner eines Umweltschutz von unten. Hoffnung für die Umwelt und die Menschen gibt es erst dann, wenn die Menschen selbst und gleichberechtigt den Zugriff auf ihre Lebensressourcen erhalten.

Ziele und konkrete Forderungen benennen
Wenn sich umfassender etwas ändern soll, müssen die Ziele eines emanzipatorischen Umweltschutzes offensiv benannt und der Ökologie von oben gegenübergestellt werden. Veranstaltungen, Diskussionen in der Öffentlichkeit oder in Umweltschutz- und anderen politischen Organisationen, symbolische Aktionen, Bildungsarbeit, Herausgabe von Schriften, Pressearbeit und konkrete Projekte entsprechend diesen Ideen können dazu dienen. Soll die Diskussion keine Nischendiskussion bleiben, muss sie auch dort geführt werden, wo die PraktikerInnen der Umweltschutzarbeit sind. Zur Diskussion gehört das Formulieren der Ziele: Utopien für die gesamte Gesellschaft, für die Umweltschutzarbeit insgesamt oder für Teilfragen. Visionen bieten Zündstoff, können motivieren und bewegen. Zusätzlich sind Strategien notwendig, das Visionäre in kleine Schritte zu zerlegen, um ihnen Stück für Stück näher zu kommen. Diese Schritte aber müssen immer darauf untersucht werden, ob sie der Vision und den Grundsätzen emanzipatorischer Arbeit entsprechen.

Beispiele für sofortige Schritte
Selbst im heutigen, realpolitischen Raum lassen sich viele Schritte in diese Richtung einfordern oder schon konkret verwirklichen:

  • Dezentralisierung statt EU und Weltregierung
    Zur Zeit stellen viele Umweltschutzorganisationen hohe Forderungen an die EU, z.T. auch an die UNO. Sie wollen diese stärken und erwarten von ihnen die Durchsetzung von Umweltschutzstandards. Abgesehen davon, dass schon jetzt sichtbar ist, dass auf diesen Ebenen Umweltschutzinteressen besonders schwach bleiben, widersprechen solche Forderungen auch emanzipatorischen Zielen. Danach müsste eher eine Dezentralisierung politischer Entscheidungsbefugnisse und die Stärkung direkter Mitbestimmung eingefordert werden.
  • Mitbestimmung statt ökologischer Abgaben
    Ökosteuern, Klimazertifikate und anderes sollen der Propaganda nach9 den Rohstoff- und Flächenverbrauch reduzieren. Dabei bedienen sie sich marktwirtschaftlicher Mittel, d.h. in Zukunft entscheidet die Finanzkraft der Unternehmen und sonstigen EnergieverbraucherInnen, wer wieviel Energie verbrauchen oder durch Investitionen in neue Technik Vorteile erreichen kann. Der Einfluss der Menschen wurde geschwächt. Gegenforderung wäre eine Stärkung der Mit- und schließlich Selbstbestimmung der Menschen beim Rohstoff- und Flächenverbrauch weltweit, d.h. in Zukunft müssten die jeweils betroffenen Menschen in einer Region allen Nutzungen von Flächen und Rohstoffen zustimmen. Zertifikate für Luftverschmutzungen lägen dann bei den Menschen und nicht bei Staaten und Unternehmen, wären unverkäuflich und gäben den Menschen die Macht zur Entscheidung über die Nutzung ihrer Umwelt.
  • Verträge statt Verordnungen
    Wo der Staat die UmweltnutzerInnen zu umweltgerechter Bewirtschaftung bringen will, gelten bislang bevorzugt Verordnungen oder Grenzwerte - zudem meist in für den Umweltschutz untauglicher Form. Als ein erster Schritt weg vom machtförmigen Naturschutz sollten diese durch freiwillige Vereinbarungen abgelöst werden, z.B. durch Verträge, in denen NutzerInnen Flächen und Rohstoffe naturverträglich nutzen, dafür aber Gegenleistungen erhalten. Das können Fördergelder von Seiten des Staates (Vertragsnaturschutz) oder Abnahmegarantien der Menschen in einem Dorf, einer Stadt oder Region (ErzeugerInnen-VerbraucherInnen-Gemeinschaften) sein. Letzteres wäre ein Schritt zu direkten Vereinbarungen, aus dem weitergehende Ansätze folgen könnten wie gemeinsamer Besitz, Kooperativen und Bewirtschaftung oder gleichberechtigte Mitbestimmung bei der Gestaltung von Flächen.
  • Selbstbestimmung statt Stellvertretung durch Kommissionen oder NGOs
    Viele Umweltorganisationen fordern für sich selbst oder stellvertretend für alle Nichtregierungsorganisationen mehr Rechte ein. Das gipfelt im Vorschlag einer dritten Kammer neben Bundestag und Bundesrat für NGOs. Weit verbreitet ist ebenso die nicht einmal als demokratisch bezeichnebare Idee der „Governance“, eine vernetzte Führung durch Eliten aus Politik, Wirtschaft und sogenannter Zivilgesellschaft. Gleiches gilt für einen ökologischen Rat, dem nicht abwählbaren, monarchistisch anmutenden Kontrollorgan aus Persönlichkeiten des Umweltschutzes. Das Interesse der NGOs gilt nicht dem Machtabbau, sondern ihrer Beteiligung an der Macht. Stattdessen sollte die Verbesserung der allgemeinen Beteiligungsrechte und der direkten Mitbestimmung gefordert werden. Umweltschutzorganisationen sollten ihre Rolle darin finden, die Artikulation und den Protest der Menschen zu stärken, Informationen bereitzustellen und Projekte mit Modellcharakter gerade hinsichtlich der internen Strukturen zu initiieren.
    Einen ersten Ansatz böte die Stärkung der direkten Mitbestimmung. Sie muss so organisiert bzw. eingefordert werden, dass es zu wirklicher und gleichberechtigter Bestimmung durch die jeweiligen Menschen kommt. Die aktuellen Vorschlage zu direkter Demokratie reichen dazu nicht.
    Wichtiger als formalisierte Abstimmungsschlachten sind offene und gleichberechtigte Vereinbarungsprozesse sowie die Ausweitung von Selbstbestimmung, z.B. im Bereich der Ökonomie, des Zusammenlebens, der „Arbeit“ oder der Gestaltung von Flächen und Häusern.
Unabhängige Arbeitsstrukturen
Neben den inhaltlichen Zielbestimmungen und Positionen müssen Naturschutzgruppen und -projekte ihre Unabhängigkeit und Aktionsfähigkeit zurückgewinnen. Emanzipatorischer Umweltschutz ist nicht machbar über Machtstrukturen, d.h. über die Mechanismen und Institutionen, die zur Zeit eher die Umwelt zerstören oder ihre Zerstörung fördern. Umweltgruppen müssen öffentlichen Druck ausüben können, Widerstand leisten, Alternativen aufzeigen und Modelle entwickeln, in denen ökologische und emanzipatorische Ziele gleichermaßen zum Ausdruck kommen. Um das zu erreichen, wird es mehr bedürfen als kleiner Reförmchen in den verkrusteten, staats- und wirtschaftsnahen Umweltschutzstrukturen. Nötig sind eigene und unabhängige Wege in die Öffentlichkeit (Medien, Veröffentlichungen, Veranstaltungen), alternative Ansätze in der Bildungsarbeit, die Stärkung der Basisarbeit, die bessere Verbindung von Basisgruppen und Vernetzungsknoten sowie das Training in direkten Aktionsformen, um handlungsfähig zu bleiben, wenn öffentlicher Druck nicht gleich entsteht oder die EntscheidungsträgerInnen in Politik und Wirtschaft diesen missachten.

Der folgende Text basiert auf dem Kapitel "Emanzipatorische Ökologie" im Buch "Autonomie und Kooperation". Detailliertere Ideen zu den einzelnen Bereichen des Natur- und Umweltschutzes sind auf den weiteren Internetseiten von www.umwelt-und-macht.siehe.website und im Buch „Perspektiven radikaler, emanzipatorischer Umweltschutzarbeit" zusammengestellt.

Im Original: Kapitel aus "Autonomie und Kooperation"
Eine kleine Gruppe ist unterwegs in der Dämmerung, um Vogelstimmen zu lauschen. Ein lautes Knarren zeugt vom Balzen des Grauspechtes, der zwecks Paarbildung einen Trommelwirbel an einen Buchenstamm donnert. Als die Gruppe sich nähert, fliegt er davon - laut lachend, denn so hört sich der Ruf des Spechtes an.
Alfred: Ach, schön. Ein Genuß, wenn auch nicht mehr lange.
Gesine: Kannste nicht einmal aufhören, immer gleich das Negative zu erwähnen? Freu Dich doch einfach mal jetzt. Für den Augenblick.
Alfred: Grrrumpfff. Warum denn, das ist doch Augenwischerei. Ich find unsere Wanderung ja schön, aber ich kann auch nicht wegsehen, wie die Bäume hier sterben. Und die Autobahn hörst Du doch wohl genauso wie den Kleiber dahinten. Oder?
Gesine: Hach, mit Dir kann man einfach nicht richtig Spaß haben. Aber ist mir auch egal.
Sie gehen weiter, ein paar Äste knacken und es wird ein Stück dunkler. Direkt vor ihnen kreuzt in wildem Flug die erste Fledermaus des Abend. Aber noch dominieren die Abendgesänge von Amseln, Singdrosseln und dem Rotkehlchen das Geschehen. An der Wegkreuzung prägt das monotone „Zilp-zalp“ aus einem Baumwipfel.
Thomas: Naja, wo wir schon mit der Politik angefangen haben ... ich habe gestern gelesen, dass endlich die Verfahren für regenerative Energieanlagen beschleunigt werden sollen. Das könnte ja vielleicht noch was retten, wenn das mal schneller vorangehen würde.
Andy: Was soll denn da beschleunigt werden? Wenn ich das Wort schon höre ...
Thomas: So genau stand das da nicht. Auf jeden Fall soll wohl die Bürgerbeteiligung gestrichen werden. Dass haben so BUND und andere Umweltverbände auch gefordert.
Andy: War ja klar. Jetzt setzen sich diese Scheiß-Ökofunktionäre schon gegen die Mitbestimmung ein. Toll das ...
Thomas: Man, jetzt nöhl nicht schon wieder rum. Hauptsache erst mal werden mehr Windanlagen und anderes gebaut.
Gesine: Find ich gar nicht toll. Die sollte man eher verbieten. Für die Vögel sind so Dinger gar nicht so toll. Ich find Stromsparen sinnvoller als überall solche Windräder.
Alfred: Sehe ich auch so. Wenigstens alle Schutzgebiete sollten für die Anlagen tabu sein. Da muss der Staat mal klare Vorgaben machen. Die Natur kann sich halt nicht wehren, darum braucht es eindeutige Gesetze.
Thomas: Ich hab ja gar nichts gegen Stromsparen. Und auch nichts gegen klare Vorgaben, wo Windräder hindürfen und wo nicht. Dazu sind Naturschutzbehörden ja da. Aber diese Verhinderungstaktik von irgendwelchen Tourismusfanatikern finde ich oft übertrieben.
Andy: Tolle Kraftprotzerei. Jeder von Euch will den starken Staat, aber eben für seine Zwecke.
Gesine: Ja, willste etwa die Gesetze abschaffen? Dann machen die Konzerne ja nur noch, was sie wollen. Oder es werden überall Windräder gebaut, am besten direkt über dem Horst vom Wanderfalken.
Thomas: Man, Du mit Deiner Scheißpolemik. Findst'e Strommasten etwa besser? Ich finds cool, dass jetzt mit diesem Erneuerbare-Energien-Gesetz endlich die Energiewende durchgesetzt wird. Das bringt halt viel mehr, wenn es von oben kommt als wenn nur immer so'n paar kleine Projekte in Eigeninitiative passieren.
Andy: Wenn ich das schon höre. Von oben ist toll. Am Ende wollt Ihr doch eine Ökodiktatur. Aber da seid Ihr kein Stück besser als all die anderen, die den Staat für sich einsetzen wollen - und nur schlauer sind als Ihr, das auch wirklich hinzukriegen.
Gesine: Ja, aber deshalb machen wir doch das, was wir machen, damit die ganzen Konzerne und Parteiheinis nicht mehr alles allein entscheiden. Wenn die Umweltverbände und so mehr Macht und die Grünen mal mehr Stimmen kriegen, dann kann auch im Umweltschutz mehr durchgesetzt werden.
Andy: Du machst doch den Bock zum Gärtner. Der Staat ist der größte Umweltzerstörer mit all seinen Autobahnen, Planungsverfahren, Kanälen, Truppenübungsplätzen. Der interessiert sich einen Dreck für die Umwelt.
Alfred: Na, das finde ich jetzt aber auch unsachlich. Ich hoffe zwar auch nicht mehr auf die Grünen, die haben uns längst verraten. Aber wenn die Naturschutzbehörden mal mehr Einfluss haben und die Demokratie auch mal funktioniert, kann doch auch für die Umwelt was rauskommen. Der Staat ist doch nicht immer schlecht.
Thomas: Ganz im Gegenteil. Der Staat kann viel mehr machen, hat viel Geld und so. Vor allem kann er Gesetze machen. Alles andere würde viel zu lange dauern. Wir müssen nur dafür sorgen, dass der Staat auf seine Bürger hört und nicht einfach immer so'n Scheiß baut. Das könnte ja auch anders sein.
Andy: Eben nicht. Dass der Staat die Umwelt zerstört, ist kein Zufall und wird immer so sein.
Gesine: Was für ein Schwachsinn. Warum soll das denn so sein?
Andy: Weil Umweltzerstörung eine Folge der Existenz von Herrschaft ist, z.B. des Staates.
Gesine: Tolle Phrase. Kannste das vielleicht mal begründen?
Andy: Kannste mich vielleicht mal ausreden lassen? Also: Niemand wird die Umwelt zerstören - oder nur irgendwelche armen Irren -, wenn die Folgen einen selbst treffen. Das ist aber bei Menschen, die über keine Machtmittel verfügen, immer so. Wenn die ihre Umwelt kaputt machen, können sie da nicht mehr leben. Wenn sie die Umwelt anderswo kaputt machen, würde sie Stress mit den Menschen dort bekommen. Wenn Menschen aber Herrschaft ausüben könnten, bedeutet das, dass sie die Möglichkeit haben, was zu tun, aber die Folgen auf andere abzuwälzen. Weil sie die nicht mehr fragen, sondern zum Ertragen zwingen können. Sie können also irgendwo Rohstoffe für sich abbauen - und die dort Wohnenden verrecken oder ihnen geht's schlecht.
Thomas: Und was hat das mit dem Staat zu tun? Das machen doch die Konzerne, aber der Staat könnte sie hindern.
Andy: Quatsch. Der Staat ist ja wohl der größte Akteur beim Zerwühlen der Landschaft. Grundwasserabsenkungen, Straßen und Schienenstrecken, Flughäfen oder Stromtrassen, Rohstoffgewinnung, Energiepolitik - das alles plant, beschließt oder genehmigt Papi Staat. Der braucht auch auf die betroffenen Menschen am wenigstens Rücksicht zu nehmen. Die meisten sind eh weit weg irgendwo in Asien oder Afrika, wo sie vom Land einfach vertrieben oder gar erschossen werden, wenn sie stören. Oder auch hier in diesem tollen Land, wer sich da wehren will, hat schnell mal ein Verfahren oder einen Bullenknüppel am Hals.
Thomas: Übertreib nicht so ...
Andy: Tu ich gar nicht. Außerdem geht's mir ums Prinzip. Der Staat hat die Möglichkeit, etwas zu tun und anderen die Folgen aufzuerlegen. Das ist die Voraussetzung für die großflächige Umweltzerstörung. Für die Natur wäre es am besten, wenn der Staat einfach weg wäre.
Alfred: Jaja, dann würden die Jäger aber alles Wild wegschießen und die Konzerne alles kaputt machen.
Gesine: Ohne den Staat wäre doch Chaos und alle würden sich richtig rücksichtslos verhalten.
Andy: Aber wenn Du meinst, dass Menschen von sich aus Natur kaputt machen würden, warum glaubst Du denn, dass sie es nicht machen, wenn sie es durch eine Machtposition noch besser könnten?
Die Vogelschutzgruppe hatte ihre Wanderung beendet und erreichte den Ortsrand. Einige seltene Vogelarten hatten auf dem letzten Kilometer des Wegs die Beteiligten lauschen lassen, so war das Gespräch unterbrochen. Doch die offenen Fragen waren noch in den Köpfen ...
Gesine: Also das war nicht nur ein schöner Spaziergang, sondern auch eine spannende Debatte mitten im Wald. Ich bin immer noch reichlich verwirrt. Irgendwie stimmt es wohl, dass Menschen dort, wo sie Macht haben, viel leichter die Umwelt zerstören können.
Alfred: Wenn ich die Folgen nicht tragen muss, mach ich das eher. Ist doch klar!
Gesine: Aber wie sieht ein Umweltschutz ohne Macht aus?
Andy: Wo es Herrschaft gar nicht gibt, fallen viele Formen der Umweltzerstörung von selbst weg. Kein Mensch zerlegt seine eigenen Lebensgrundlagen, ohne auf andere durchgreifen zu können. Alles würde vereinbart ohne Möglichkeit zur machtförmigen Durchsetzung.
Gesine: Pah, das ist heavy. Am Ende muß ich alles aushandeln. Alles ist ständig wieder in Frage gestellt. So kann ich doch gar nicht überleben?
Alfred: Seh ich nicht so. Theoretisch ist zwar denkbar, dass nix mehr geht, aber die Menschen handeln in einer herrschaftsfreien Welt ja gerade stark aus dem Egoismus heraus. Das heißt, sie finden Vereinbarungen, die auch gut funktionieren. Ich kann mir zum Beispiel vorstellen, dass es ganz normal wird, einfach etwas zu machen oder es vorher anzukündigen und dann loszulegen. Wenn es andere stört, werden die kommen und erst dann wird diskutiert. Ganz vieles im Leben ist Sache Einzelner oder kleiner Gruppen, die sich treffen und einigen, also eine freie Vereinbarung schließen.
Andy: Aber wer kontrolliert die denn. Da kann doch ständig jemand kommen und alles wieder in Frage stellen.
Alfred: Stimmt. Daher wird ja auch nur noch das möglich sein, was die einen Menschen wollen und was andere, wenn es sie überhaupt betrifft, akzeptieren. Oder anders: Aus Egoismus heraus, weil ich nämlich das, was ich mache, hinterher auch nutzen oder genießen will, werde ich meine Ideen so umsetzen, dass sie vielen was nützen oder zumindest wenige oder niemanden stören. Weil sonst wehren die sich. Das wird Projekte, Planungen oder Technik fördern, die vielen nützt und wenig stören. Das ist aber genau auch gut so!
Thomas: Also ich würde mal ein Beispiel diskutieren. Ich will von A nach B kommen. Es ist mein Egoismus, der mich antreibt. Vielleicht wohne ich in A und arbeite in B. Ach nein, Arbeitsplätze gibt's in der Utopie wahrscheinlich gar nicht. Als wohnt ein Freund oder eine Freundin in B oder ich will ein Konzert besuchen. Ist ja auch egal. Ich will da jedenfalls hin. Es ist meine Lust, mein Egoismus, der mich antreibt. Dann sollte das auch möglich sein. Wenn jetzt aber irgendwo mittendrin irgendwelche Kids gefahrlos toben wollen, ist es nix mehr mit Auto fahren. Die reißen am Ende noch die Straße weg oder sprengen mein Auto in die Luft. Das ist dann doch Faustrecht.
Gesine: Na und? Findest Du es etwa besser in der jetzigen Herrschaftssituation? Da wird dann demokratisch entschieden, wer in welchem Fall sich durchsetzt - herrschaftsförmig. Die Kids werden verlieren. Fast alle Kids müssen viele Jahre lang ständig in der Wohnung eingesperrt werden oder dürfen nur unter Kontrolle irgendwelcher Erwachsenen nach draußen. Ach scheiße, weil in der Wohnung Treppen oder brüchige Sachen stehen, werden die Kids auch noch in einzelnen Zimmer oder gar im Laufgitter gefangengehalten. Mich ekelt diese ganze Scheiße total an. Es ist gerade gut, wenn es keine Herrschaft gibt, die so einfach die Breschen schlägt für die, die sich grad durchsetzen können. Herrschaft, ob nun Diktatur oder Demokratie - der Unterschied hält sich ja eh in Grenzen - bedeutet immer die rücksichtslose Durchsetzung derer, die siegen. Da werden ständig Entscheidungen getroffen, wo die GewinnerInnen sich um die Folgen für andere nicht kümmern müssen.
Thomas: Ja, aber ich will zu meinem Konzert ...
Alfred: Sei nicht so phantasielos. Wo die Herrschaft fehlt, prallen Bedürfnisse aufeinander, wenn sie sich ausschließen. Aber das dürfte sehr selten der Fall sein. Denn wenn es keine Herrschaft gibt, wird auch niemand auf die Idee kommen, Papi Staat als Durchsetzungsmittel zu rufen oder zu nutzen. Wenn Du also zu deinem Konzert oder weiß-ich-wohin willst, wirst Du zu denen gehören, die eine umfangreiche Mobilität für ein schönes Leben für sinnvoll erachten. Das werden viele sein und der Ansporn ist eben der Egoismus, die Lust am schönen Leben. Also werden sich Menschen zusammensetzen und überlegen, wie Mobilität geschaffen werden kann. Genau weil es nicht einfach per Herrschaft umzusetzen ist wie heute leider immer, werden sie sich mit anderen vereinbaren, die offene Diskussion suchen und vor allem ihre Kreativität gebrauchen, um ein Mobilitätssystem zu entwickeln, was einerseits die Mobilität ermöglicht, andererseits aber auch sichert, dass die Menschen nicht durch die Mobilität wiederum stark eingeschränkt werden. Dabei gibt es keine Richtwerte für richtig und falsch, sondern eben die Menschen, die sich vereinbaren.
Andy: Das werden dann aber bestimmt keine Autos sein, denn deren Wirkung ist zu brutal für Menschen. Außerdem die Rohstoffe zur Herstellung, das ganze Erdöl - ich kann mir nicht vorstellen, dass eine solche riesige Verschwendung und Umweltzerstörung auf soviel Zustimmung stösst, dass Menschen das mitmachen würden. Dass eine wirtschaftsfreundliche Regierung z.B. von Russland oder Nigeria die protestierenden und betroffenen Menschen in den Erdölförderregionen einfach vertreibt oder erschießt, dürfte dann wohl der Vergangenheit angehören. Ein Glück.
Alfred: Irgendwas leises, schnelles, energie- und rohstoffsparendes, was keine oder kaum Flächen zerschneidet oder verschlingt ...
Thomas: Jaja, das Beamen ist aber noch nicht erfunden.
Andy: Was hältst Du von einer hochtechnisierten und schnellen Variante der Seilbahn, wie in Wuppertal. Die saust über den Menschen entlang. Könnte jedenfalls eine Möglichkeit sein. Daran hätte ich auch Lust, mitzubasteln. Macht bestimmt Spaß.
Gesine: Aber eigentlich können wir das gar nicht vorhersehen. Welch eine geballte Energie frei wird, wenn Menschen nicht mehr nach Normen und Gesetzen denken und handeln, wenn sie nicht mehr 10 oder mehr Stunden ihres Tages fremdbestimmt irgendeinen Scheiß herstellen oder verwalten, wenn Technik nicht mehr nach Profitabilität entwickelt wird, sondern nach dem, was sie für ein gutes Leben bringt ... hach, da würde nicht eine neue Marssonde, sondern erst mal eine Kloputzmaschine erfunden.
Alfred: Und wie die Häuser, die Flächen drumherum aussehen, das entscheide ich auch selbst, zusammen mit den Menschen, die in der Nähe wohnen.
Thomas: Toll, und wenn die alle Gartenzwerge und weiße Bodenfliesen wollen?
Gesine: Solche Dörfer wird's auch geben. Herrschaftsfreies Leben wird unendlich vielfältig werden. Ich würde da nicht hinziehen. Das macht aber ja nix. Ich wohne dann endlich dort, wo ich mich wohlfühle - und nicht mehr dort, wo ich mir die Miete leisten kann, wo ich einen Arbeitsplatz finde oder weiß der Henker, was für ein Scheiß zur Zeit abgeht.
Andy: Naja, aber werden wir bei alledem nicht verhungern? Und was ist, wenn jemand versucht, sich mit Waffengewalt alles wieder an sich zu reißen?
Thomas: Mich interessiert etwas anderes mehr. Solange wir da nicht sind, müssen wir im Klein-Klein des Alltags auch einen Umgang damit finden. Vielleicht Stück für Stück Macht abbauen und trotzdem konsequent Natur und Umwelt retten?

bei Facebook teilen bei Twitter teilen

Kommentare

Bisher wurden noch keine Kommentare abgegeben.


Kommentar abgeben

Deine aktuelle Netzadresse: 44.213.80.174
Name
Kommentar
Smileys :-) ;-) :-o ;-( :-D 8-) :-O :-( (?) (!)
Anti-Spam