Gender-Trouble

IN BOMBENSTIMMUNG: DEMOKRATIE WELTWEIT

Demokratie-Imperialismus


Demokratie-Imperialismus · Einzelne Länder · Weltregierung

US-Präsident Bush zur Hinrichtung Husseins im Irak am 30.12.2006
Das Ende der Diktatur und der Anfang des Rechtsstaates ... Ein Meilenstein auf dem Weg zum demokratischen Irak.

In der Weltpolitik ist Demokratie seit Jahren der "Exportschlager" - geregelt nicht über Angebot und Nachfrage, sondern per Zwang. Wirtschafts"hilfe" bis Kriege sind heute dazu da, Demokratie überall einzuführen.

Rechts: Veranstaltungstitel der Heinrich-Böll-Stiftung (11.12.2006)

Aus Gerstenberger, Heidi (2006), "Die subjektlose Gewalt" (S. 8)
Die politische Form "bürgerlicher Staat" war eine besondere Ausprägung des Strukturtypus moderner Nationalstaat. Diese besondere Form erklärt sich - so die zentrale These dieser Arbeit - aus ihrer spezifischen Vorgeschichte. Weil es diese Vorgeschichte nur in Europa - und in abgeleiteten Formen in europäischen Siedlungskolonien - gab, entwickelte sich auch nur hier die politische Form "bürgerlicher Staat".
Im Verlauf des 19. und vor allem des 20. Jahrhunderts wurden zentrale Elemente dieser politischen Form in alle Welt exportiert. Wo immer sich Menschen erfolgreich von fremder Herrschaft emanzipierten, wo immer sie akzeptierten, in einer größeren politischen Einheit zusammen zu leben, eine Anerkennung im Kreise der "Völker" konnten sie nur erhoffen, wenn sie sich als politisch verfasste "Nationen" konstituierten. Denn das "Völkerrecht" war und ist ein Recht zwischen Staaten. Heute gibt es kaum noch einen Flecken der Erde, der nicht einem Nationalstaat zugehört. Aber nicht nur die politische Form "Nationalstaat" ist inzwischen weltweit verbreitet, in vielen der historisch lüngeren und jüngsten Nationalstaaten wurden auch politische Institutionen und Rechtssysteme eingefährt, die in den bürgerlichen Staaten entwickelt wurden.


Aus "Wehrhafte Demokratie: Der innere Gegner", in: Junge Welt am 25.11.2024 (S. 12)
Je mehr das Ideal der »liberalen Demokratie« Schaden nimmt, desto stärker melden sich diejenigen zu Wort, die dieses Ideal zum Maßstab einer moralisch unantastbaren Freund-Feind-Unterscheidung erheben. Die wehrhafte Demokratie stellt sich ihren Gegnern, und sie beruft sich dabei auf eine Werteordnung, die eine universelle Gültigkeit zum Maßstab hat. ... Als menschenrechtlich verpflichtete Verfassungsstaaten handeln demokratische Staaten nach Maximen von allgemeiner Gültigkeit und mit einer Reichweite, die nichts und niemanden ausschließt. Dieser Universalismus sieht sich in Staat und Nation verwirklicht, und sein Anspruch realisiert sich als politische Gemeinschaft.

Aus der Einladung zu einem Seminar der Heinrich-Böll-Stiftung
Externe Demokratieförderung hat weltweit Konjunktur.

Aus Dr. Stephan Klingebiel, "Wie viel Hilfe hilft Afrika?" in: FR, 6.7.2005 (S. 7)
Die zentrale Frage besteht darin, wie durch Entwicklungshilfe Anreize für good governance geschaffen und für bad governance vermieden werden.

Aus Werner Pirker, "Der Weg in die Postdemokratie" in: Junge Welt, 8.7.2005 (S. 10)
Das bedeutet nicht nur, daß der Westen die "weltweite Verbreitung der Demokratie" zum imperialistischen Programm gemacht hat und damit die "Demokratie" in einen begrifflichen Zusammenhang mit der Unterwerfung der Nationen unter sein Machtregime stellt.

Aus der Einladung der Heinrich-Böll-Stiftung zur Tagung "Exportschlager Demokratie?" (Themenseite der HBS dazu ...)
Externe Demokratieförderung hat weltweit Konjunktur. In der Außen- und Sicherheitspolitik der USA wird die Verbreitung von Demokratie offensiv vorangetrieben. Für die EU und zahlreiche nicht-staatliche Akteure stehen Demokratieförderung und Rechtsstaatlichkeit ebenfalls an erster Stelle.

Rechtfertigung für demokratisches Bomben
Aus Fücks, Ralf/Milke, Klaus, Vorwort zu "Zur Lage der Welt 2005", Westfälisches Dampfboot in Münster (S. 10 f.)
Militärische Macht kann notwendig sein, um Kriege zu stoppen und Völkermord zu beenden. Das war auf dem Balkan der Fall und wurde in Ruanda versäumt. Militärisches Eingreifen kann auch notwendig werden, um ein terroristisches Regime wie in Afghanistan zu stürzen, das zur Gefahr für die internationale Sicherheit wurde.
*Fücks ist Chef der Heinrich-Böll-Stiftung, Milke stellv. Vorsitzender des NGO Germanwatch

Rezension des Buches
Worldwatch Institute (Hrsg.)
Zur Lage der Welt 2005
(2005, Westf. Dampfboot in Münster, 350 S.)
Welch ein Trauerspiel ... das zumindest beachtenswerte Kompendium früherer Jahre ist zu einer recht peinlichen Propaganda für den Übergang politischer Protestbewegungen zu besonders gradlinigen VerfechterInnen des Gegenteils geworden. Heinrich-Böll-Stiftung (die der Grünen!) und Germanwatch (eine staatsnahe NGO in Deutschland) sind Partner bei der Herausgabe. Ihre Mitwirkung dokumentiert den erfolgreichen Zugriff gerade der HBS auf soziale Bewegungen, was auch bei anderen Gelegenheiten wie den Sozial- und Wasserforen in verschiedenen Teilen der Welt sichtbar wird. Mit der Dominanz der staatsnahen Apparate wandelt sich der Inhalt. Der neueste Bericht ist u.a. auch eine Rechtfertigung für Kriege: „Militärische Macht kann notwendig sein, um Kriege zu stoppen“ findet sich auf Seite 10 im Vorwort der Germanwatch und HBS-Führer, nur wenige Absätze später plädieren beide für „Regime Change“ – ein interessantes Wort für den ausgebrochenen Demokratie-Imperialismus heutiger Zeit.

Aus Canfora, Luciano (2006), "Eine kurze Geschichte der Demokratie", PapyRossa in Köln (S. 355)
Es war ein enormer propagandistischer Vorteil für das westliche Lager, den Begriff "Demokratie" ganz allein für sich in Anspruch nehmen zu können, während eben dieser Westen gleichzeitig mit Riesenschritten auf die Restauration einer unkontrollierten freien Marktwirtschaft zusteuerte und sich bereits (auch illegaler!) staatlicher Apparate bediente, die im Kampf gegen "den Kommunismus" zu allem bereit waren. Ein Geschenk des Himmels also, daß man all das "Demokratie" nennen konnte.

Aus dem kirchlichen Diskussionsbeitrag "Habgier schürt Gewalt", dokumentiert in: FR, 31.10.2006 (S. 7)
Die Stärkung der friedenschaffenden und -erhaltenden Missionen der Vereinten Nationen muss durch eine Reihe weiterer Initiativen ergänzt werden:
Zur vordringlichen Aufgabe der internationalen Politik muss es gehören, gerade in "schwachen" Staaten den Aufbau demokratischer und rechtsstaatlicher Strukturen zu fördern.


Aus Sutor, Bernhard (2004), „Vom gerechten Krieg zum gerechten Frieden?“, Wochenschau-Verlag Taunusstein (S. 176 f.)
Wenn aber der Hegemon im Können und im Wollen an Grenzen stößt, dann bleiben als Alternativen nur der Weg multilateraler Ordnung oder das Chaos von Bürgerkriegen und Staatenanarchie. Die Gründe, die für den Versuch sprechen, zu einer rechtlich und institutionell verbindlicheren Friedensordnung zu gelangen, stammen also nicht aus einem Ideenhimmel weltfremder Philosophen. Sie liegen vielmehr wie die Gründe der Realisten für ihre Skepsis in den Realitäten der Weltlage. Wir haben sie in den voranstehenden Kapiteln dargestellt: als Sicherheitsfrage im engeren Sinne angesichts der Massenvernichtungswaffen und ihrer immer weiteren Verbreitung; als humanitäre Frage der Durchsetzung von Menschenrechten, der Oberwindung von Massenelend und Armut; als Frage der Sicherung der naturalen Bedingungen menschlichen Lebens auf der immer enger werdenden Erde. Diese Probleme betreffen die Menschen in den verschiedenen Weltregionen zwar gegenwärtig partiell noch unterschiedlich. Aber sie sind und werden zunehmend gemeinsame Probleme der Menschheit in einer interdependenten Staatenwelt.
Der Unterschied zwischen „Realisten" und „Idealisten" liegt nicht in der unterschiedlichen Kenntnisnahme von den Problemen, sondern darin, was man einer vernunftgeleiteten Politik und damit der Voraussicht und der Verantwortung politischer Akteure und indirekt der Völker zutraut. Deshalb lassen wir für unsere weitere Erörterung die Gegenüberstellung von Idealisten und Realisten hinter uns. Wir fragen vielmehr nach Möglichkeiten und Chancen eines vernunftorientierten politisch-ethischen Realismus; eines Realismus, der gerade im Blick auf die Realitäten fähig ist, jenes höhere Maß an Kooperation, an Koordination und an normativer Orientierung von Politik wirksam zu machen, das nötig scheint, um zu einer verbindlicheren internationalen Friedensordnung zu kommen.
Für diese Verbindung von politischem Realismus und Normativität ist es unabdingbar, die Ziele der anzustrebenden Friedensordnung nicht zu weit zu stecken. Es geht im Kern um den internationalen Frieden; um Bedingungen der Möglichkeit seiner verbindlichen Sicherung, nicht um die Lösung aller Weltprobleme. Wenn wir soeben noch einmal Fragen der Menschenrechte, der Entwicklung und Armutsbekämpfung, der Klimapolitik angesprochen haben, dann unter dem Aspekt ihres Zusammenhangs mit der Friedensfrage; als Problem- und Konfliktfelder, von denen her der Friede gefährdet ist, deren Bearbeitung also Friedensförderung im oben dargestellten Sinn heißt (vgl. Kap.6). Dementsprechend sind die Ziele, die durch eine Weltfriedensordnung erreicht werden sollen, zu bestimmen. Das Minimal- und zugleich Hauptziel ist der zwischenstaatliche Friede, die Sicherheit der Völker vor fremder militärischer Gewalt. Empirisch ist dieses Ziel begründbar aus dem allgemeinen Sicherheitsinteresse und aus den Erfahrungen der schlimmen Folgen von Kriegen für alle Betroffenen, ob Kombattanten oder Zivilisten, ob Sieger oder Besiegte. Niemand möchte Opfer bewaffneter Gewalt werden; niemand möchte durch sie seine Angehörigen, seine Habe, seine Heimat verlieren. Normativ ist dieses Ziel begründbar als das moralische Minimum, das wir uns als Menschen gegenseitig schulden, nämlich unser Leben zu achten (neminem laedere). Dieses Prinzip ist die minimale normative Grundlage des neuzeitlichen Staates und seines Gewaltmonopols. Eine Weltfriedensordnung soll es international wirksam machen.


Aus Salomon, David (2012): "Demokratie", PapyRossa in Köln (S. 7f.)
Im Namen der Demokratie eröffnete der Republikaner George W Bush nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 einen "Krieg gegen den Terror". Ein als "patriot act" bezeichnetes Gesetz schränkte zudem US amerikanische Bürgerrechte ein. Eine zunehmende Massenstimmung gegen die neokonservative Politik dieser Administration und den ihr vorgeworfenen Demokratieabbau brachte schließlich Barack Obama, ein Mitglied der Demokratischen Partei, an die Macht. Die Einführung einer gesetzlichen Krankenversicherung stieß auf den heftigen Widerstand einer sich neu gründenden radikalrechten Bewegung (tea party), die Obama vorwarf, die Demokratie zu gefährden und den "Sozialismus", ja gar den "Kommunismus", einzuführen. Einige Zeit später bekam die Rechte auf der Straße allerdings einen Konkurrenten: "Occupy Wall Street!" wurde zum Schlachtruf einer neuen Bewegung, die selbstbewusst betonte, sie vertrete die Interessen der Mehrheit (99 ?) gegen eine undemokratische und ungezügelte Wirtschafts und Bankenmacht.
Ein anderer Schauplatz: Im Namen der Demokratie und zur Unterstützung einer selbsterklärten Demokratiebewegung intervenierte die NATO im Frühjahr 2011 in Libyen, das seinem Staatschef Muammar al Gaddafi zufolge ein demokratisches Musterland war. Zudem unterhielt Gaddafi zumindest in den letzten Jahren seiner Regentschaft wie andere "Potentaten" des nördlichen Afrikas auch enge Beziehungen zu den westlichen Demokratien. Entsprechend überrascht waren die Regierungen Europas und der USA, als sich zu Beginn des Jahres 2011 demokratische Massen auf zentralen Plätzen versammelten und zumindest in Ägypten und Tunesien den Sturz ihrer autoritären Regime bewirkten. Bei demokratischen Wahlen gewannen in beiden Ländern konservative islamische Parteien. In Ägypten freilich regierte weiterhin das Militär. Interessant ist auch, dass die westlichen Demokratien nach wie vor enge Kontakte zum Königreich Saudi Arabien pflegen, das mit militärischer Gewalt einen Aufstand in Bahrain unterdrückte.
Ein weiterer Schauplatz. In den Demokratien des Westens, galt: die östlichen Volksdemokratien während des Kalten Krieges s Inbegriff für antidemokratischen Autoritarismus und "To-talitarismus". Sehr viel kulanter war hingegen das Verhältnis zur wirtschaftsliberalen Diktatur des Generals Augusto Pinochet, der sich am 11. September 1973 (mit geheimer Unterstützung der demokratischen USA) an die Macht geputscht und den demokratisch gewählten sozialistischen Präsidenten Salvador Allende hatte ermorden lassen. Pinochet wurde von Demokraten wie Henry Kissinger, Margaret 'Ihatcher und Franz Josef Strauß als Bollwerk gegen den Sozialismus in Lateinamerika und hierdurch als eine Art Vorposten der wehrhaften Demokratie im Weltmaßstab betrachtet.


Aus: David Van Reybrouck (2016), "Gegen Wahlen", Wallstein Verlag in Göttingen (S. 46ff)
Dass Wahlen in fragilen Staaten alles Mögliche hervorrufen können (Gewalt, ethnische Spannungen, Kriminalität, Korruption ...), scheint nebensächlich zu sein. Dass Wahlen die Demokratisierung nicht automatisch befördern, sondern sie gerade auch aufhalten und zerstören können, wird der Einfachheit halber vergessen. Nein, jedes Land dieser Welt muss und wird einen Urnengang abhalten, ungeachtet eventueller Kollateralschäden. Unser Wahlfundamentalismus nimmt hier wahrhaftig die Form einer neuen, globalen Evangelisierung an. Wahlen sind die Sakramente dieses neuen Glaubens, sie sind für lebensnotwendig erachtete Rituale, deren Form wichtiger ist als der Inhalt.


Im Original: Demokratie(sierung) weltweit
Aus dem 6. Kapitel von Elizabeth Heger Boyle/John W. Meyer in: Meyer, John W. (2005), "Weltkultur", Suhrkamp Verlag in Frankfurt (S. 179 ff.)
Das moderne Recht als säkularisiertes globales Modell: Konsequenzen für die Rechtssoziologie
Das Menschenbild der Aufklärung, das von den Sozialwissenschaften übernommen worden ist, stellt das rationale, opportunistische Individuum ins Zentrum der Welt. Die einzigartige Persönlichkeit dieses Individuums (Charisma, Ehrgeiz, Duldsamkeit) und sein lokales Milieu (Ressourcen, Klassenposition, Netzwerke, Ethnizität) bringen seine einzigartige Identität und seine Interessen hervor. Folgt man der funktionalistischen oder konsensorientierten Auffassung, dann geben die Individuen einen Teil ihrer "Einzigartigkeit" und ihrer "Interessen" auf, um Institutionen zu ihrem kollektiven Nutzen zu schaffen. Eine dieser Institutionen ist das Rechtssystem. Zur Erhöhung ihrer Sicherheit und zum Schutz vor den egoistischen Interessen anderer kommen die Individuen überein, die Gesetze und Entscheidungen des Rechtssystems zu befolgen. Das Rechtssystem dient als Instrument zur Lösung kollektiver Probleme. Dieser funktionalistischen Auffassung entgegengesetzt, wenn auch in vielen ihrer aufklärerischen Annahmen übereinstimmend, steht die konflikttheoretische Auffassung. Diese kann sich wegen der Einzigartigkeit jedes Individuums keine Konvergenz der Interessen und Identitäten vorstellen, sondern statt dessen einen Zusammenstoß im Konflikt. Das Recht ist dann ein repressives Zwangssystem, das von den Siegern in diesem Konflikt aufgestellt wird.
In den Augen dieser beiden Theorien haben Rechtssysteme für den modernen Globalisierungsprozeß wenig Relevanz (siehe z. B. Sklair 1995). Eine verbreitete Ansicht ist etwa, daß das "internationale Recht" einfach aus der Notwendigkeit zur Koordination der Weltwirtschaft entsteht. Schließlich gibt es, wie oft betont wird, kein wirkliches internationales Rechtssystem - es gibt nur nationale Rechtssysteme, und diese haben keine Zuständigkeit für den internationalen Raum (Frank 1990). Andere Theorien stellen sich die Sache komplizierter vor und betrachten das Recht und seine Autorität als Ergebnis des sozialen Ineinandergreifens verschiedener Interessen und Machtverhältnisse (z. B. Black 1982).
Wir vertreten eine andere Auffassung als diese "realistischen" Theorien. Wir bestreiten, daß Individuen Rechtssysteme (oder andere Systeme) konstruieren, um ihre ureigenen Interessen oder Identitäten zum Ausdruck zu bringen. Vielmehr behaupten wir, daß Individuen ihre Identitäten und Interessen aus einer gedachten natürlichen Ordnung erst beziehen und daß die Rechtssysteme, die sie schaffen, diese höheren "platonischen Ideale" zum Ausdruck bringen. Wir wollen hier diese Ideale nicht vertreten oder sie uns zu eigen machen; aber wir denken, daß moderne Staaten und Rechtssysteme zu einem guten Teil um sie herum aufgebaut sind. Sie stehen in der modernen Welt - ebenso wie früher Gott - im Zentrum von Handlungen und Interessen. Aus dieser Sichtweise ist die Frage nach der richtigen Funktion einer internationalen Herrschaft des Rechts problematisch. Das Recht ist an sich weder funktional noch repressiv. Seine Bedeutung gewinnt es wegen seiner Anbindung an gedachte universelle Prinzipien sowie als Identitätsquelle für Individuen und - noch wichtiger - Nationalstaaten.
Ein Hinweis darauf ist etwa, daß rechtliche Regeln, Prinzipien, Standards und Ideen heutzutage sehr schnell durch die Weltgesellschaft zirkulieren. In weiten Teilen der Welt tauchen i n immer neuen Wellen ähnliche rechtliche Fragen auf. Dieses Phänomen ist mit einer realistischen oder "bottom up"-Auffassung des Rechts schwer zu verstehen, die das Recht als das Ergebnis lokaler Konflikte, Machtverhältnisse und Interessen betrachtet: Denn die Interaktionen und Interdependenzen solcher Kräfte würden nur sehr langsam zu einer Internationalisierung führen. Jenes Phänomen wird aber sofort verständlich, wenn man es aus einer institutionalistischen Sichtweise betrachtet und das Recht - ebenso wie die damit verbundene Souveränität des modernen Staates - als Produkt eines weltweiten kulturellen Rahmens mit universalistischern Anspruch erklärt. In diesem Aufsatz wollen wir eine solche Auffassung entwickeln und ihre Konsequenzen aufzeigen.
Dabei stützen wir uns auf die Einsichten des neueren soziologischen Institutionalismus. Dieser behauptet (a) die Abhängigkeit der modernen rationalisierten Organisation von einer übergreifenden kulturellen Umwelt und (b) den Rationalismus und Universalismus, und jetzt die Globalisierung, dieser Umwelt (z. B. Thomas/ Meyer/Ramirez/Boll 1987; Meyer 1994; DiMaggio/Powell 1991). Das moderne Nationalstaatssystem wird so gesehen von kulturellen Vorstellungen beherrscht, die aus früheren religiösen Prinzipien abgeleitet sind und den Nationalstaaten genau spezifizierbare Ziele liefern, zum Beispiel die Herstellung von "Gerechtigkeit" durch die "Herrschaft des Rechts".
Die Absicht dieses Aufsatzes ist es nicht, andere Auffassungen des Rechts und die daraus folgenden Konsequenzen zu kritisieren. Statt dessen wollen wir die Konsequenzen darstellen, die sich aus einer institutionalistisch und kulturell orientierten Perspektive für das Verständnis von Rechtssystemen ergeben. Weiter ist es nicht unsere Absicht zu behaupten, daß Rechtsgesetze und Handlungen immer miteinander übereinstimmen. Im Gegenteil erwarten wir wegen der Anbindung des Rechts an spirituelle Ideale keine hohe Übereinstimmung zwischen Recht und tatsächlichem Handeln. Darauf werden wir später noch einmal zurückkommen.

Hintergrund
Es ist allgemein anerkannt, daß die historischen Wurzeln des modernen rationalisierten Rechts in Vorstellungen über einen religiös oder transzendent verstandenen Kosmos liegen. Moderne Rechtssysteme, wie sie heute mehr oder weniger weltweit verbreitet sind, sind aus dem Recht und der Kultur der katholischen Kirche hervorgegangen, die ihrerseits rekodifizierte Traditionen aus dem römischen Reich weitergeführt hat (Berman 1993, S. 35-54; Anderson 1976). Auch andere universalistische Religionstraditionen hätten unter geeigneten Umständen entsprechende weltweite Rechtsordnungen hervorbringen können; aber in der historischen Realität waren es die westlichen Traditionen, die dank des Kolonialismus und der militärischen, politischen und kulturellen Hegemonie des Westens weltweit verbreitet wurden.
In der Welt des Feudalismus gab es keinen allgemeinen Souverän, der ein allgemeines Recht hätte schaffen können oder wollen. Der Wille Gottes - verkörpert in der Kirche - herrschte, und der Gedanke, daß Menschen als säkulare Individuen das Recht verbessern und verallgemeinern könnten, war Gotteslästerung. Juristen waren schlechte Christen (David/Brierly 1984; 1. Korinther 6; vgl. Greenhouse 1986). Im dreizehntenjahrhundert begann sich außerhalb der Kirche das Recht zu entwickeln, wenn auch gestützt auf die kirchliche Kultur und Organisation, die kirchlichen Professionellen sowie die Kirchensprache Latein (Berman 1993). Mit der legitimierten Entwicklung des Staates (Strayer 1970), der Universitäten, des städtischen Lebens und des Handels gewannen das bürgerliche Recht und das common law sowie die thomistische Vernunftverherrlichung eine gewisse Autorität. Die Vernunft, die den Mythos Roms widerspiegelte, war universalistisch, ebenso wie das göttliche Recht. Das regionale Gewohnheitsrecht, einschließlich des "nationalen" Rechts, wurde verachtet, weil es nicht der universalistischen Gerechtigkeit entsprach (David/Brierly 1984, S. 2).
In der Moderne, mit der allmählichen Zerstörung der kirchlichen Autorität und dem Triumph des Staates, wurden die Regierenden - ob Könige oder Gesetzgeber - zu den Schöpfern und Trägern des Rechts. Die in das moderne westliche Denken eingebetteten Vorstellungen des Universalismus und der Rationalität führten zu einer zunehmenden Globalisierung (siehe allgemein Habermas 1981; Weber 1988 [1920]), unter anderem zur Globalisierung der Nationalstaatsform und des damit zusammenhängenden universalistischen Rechtssystems. Das Rechtssystem ist damit ein konstitutives Element derjenigen Gesellschaftsform, die man als den modernen Nationalstaat kennt. Recht und Staat entstanden zusammen und verliehen einander gegenseitig Legitimität. Nationale Rechtssysteme verdanken sich stärker dem globalen Svstein als dem jeweiligen lokalen Entstehungskontext.
Das Recht und die einzelnen Rechtssysteme sind - obwohl ihre Entstehung und ihr Wandel jeweils in bestimmten "Gesellschaften" stattfinden - die Träger soziokultureller Annahmen und Wertvorstellungen über eine Übergreifende natürliche und geistig-spirituelle Umwelt. Auch viele moderne Rechtsauffassungen betonen, daß das Recht in einer Gerechtigkeitsidee gründet, die individuelle Interessen transzendiert, wie es etwa in den Traditionen der "Rechtswissenschaft", des "Naturrechts" usw. der Fall ist (Blackstone 1821; Nonet/Selznick 1978). Wir nehmen den Gedanken ernst, daß moderne Rechtssysteme in ihrer Geschichte und in ihrer Gegenwart auf von außen gesetzten kulturellen Annahmen beruhen, die sowohl die Inhalte von Rechtsgesetzen als auch die jeweilige Organisation und Gestaltung von Rechtssystemen prägen.
In dem, was das moderne System selbst und auch ein Großteil der sozialwissenschaftlichen Rechtstheorie behauptet, wird der Triumph des Staates und sein Anspruch, die Grundlage des Rechts zu sein, für bare Münze genommen. Daß der Staat die Quelle der Legitimität des Rechts ist, ist eine so stark eingebettete und so selbstverständliche Annahme, daß der übernationale Charakter des Rechts kaum zur Kenntnis genommen wird (siehe David/ Brierly 1984; Blankenburg 1994; siehe auch Gaete 1991). Vielmehr herrscht die Vorstellung, daß die moderne Welt "säkularisiert" ist und daß das, was Nationalstaaten im Bereich des Rechts entscheiden, die Entscheidung autonomer geschichtlicher „Akteure“ darstellt (vgl. Carter 1993). Das ist ein schwerwiegender Irrtum. Mit dem Aufstieg des Staates wurde zwar die Autorität der Kirche als Organisation tatsächlich weitgehend zerstört, aber gleichzeitig machte sich - unserer Ansicht nach - der Staat eine säkularisierte Version der umfassenden Kultur, die in der Kirche verkörpert gewesen war, zu eigen und zu seiner Grundlage. Dies ist ein dialektischer Prozeß, der sich die ganze moderne Geschichte hindurch fortsetzt. Der Nationalstaat und das - teilweise von ihm geschaffene - Recht beanspruchen Autonomie und Souveränität gemäß verschiedenen säkularisierten Rationalitäts- und Universalitätsprinzipien, aber damit verstärken sie gleichzeitig ihre Abhängigkeit von eben diesen Prinzipien. Dies läßt sich für die folgenden beiden Aspekte genauer zeigen.

Recht und Nationalstaatssystem
Erstens legitimierte und stützte der moderne Staat seine größere Autonomie und Souveränität mit säkularisierten (und oft verwissenschaftlichten) Versionen universeller Prinzipien. Gelehrte (David/Brierly 1984: 17), aber auch Gesetzgeber und Könige rechtfertigten ihre nominell autonome Autorität durch den Verweis auf Rechtsprinzipien, die sowohl ihrem Geist als auch ihrer Reichweite nach universell waren. Bei einem Blick auf die großen Forderungen der Französischen oder der Amerikanischen (später der nationalen, noch später der sozialistischen) Revolution fällt auf, daß diese hochdramatischen Rechtfertigungen unter Berufung auf angeblich universelle Prinzipien geschrieben sind. In jüngerer Zeit tut sich der Staat mit allgemeinen Erklärungen der Menschenrechte hervor (Donnelly 1989; Shue 1980). Der moderne Staat und seine Zwecke erlangen ihre Zentralstellung unter dem behaupteten kulturellen Dach des (vormals göttlichen) Rechts, das sich inzwischen in Wissenschaft und "Natur"recht verwandelt hat (obwohl auch heute die direkte Erwähnung spiritueller Kräfte keine Seltenheit ist). Souveränität ist ein höchst eigenartiger Anspruch: Beansprucht wird autonome Entscheidungsgewalt, aber gemäß externen, universellen Prinzipien und gerichtet an ein externes, oft universell gedachtes Publikum. Der Gedanke der Souveränität selbst entspringt nicht aus den einzelnen Nationen, sondern aus der globalen Anerkennung der Nationalstaatsform.
Zweitens erzeugt das Recht mit erstaunlicher Gleichförmigkeit (siehe Boll 1987) den Anschein, daß Staaten durch rechtlich vorausgesetzte "Gesellschaften" definiert und konstituiert werden (Bendix 1964; Marshall 1948). Als Legitimationsgrundlage für ihre Autorität behaupten moderne Staaten, von anderen Elementen als nur von der gesetzgebenden Instanz konstituiert zu sein: Die "Gesellschaft" wird entdeckt, und die Individuen erscheinen als "Bürger". Hier werden wieder in großem Stil ältere religiöse Prinzipien der Gleichheit vor Gott übernommen, die jetzt säkularisiert und mit Hilfe von Prinzipien des wissenschaftlichen und des Naturrechts definiert werden. Die gewaltige Mobilisierungskraft des modernen Staates (Tilly 1975; 1990), aber auch eine Form kultureller Abhängigkeit, stammt aus seinem Anspruch und seiner Fähigkeit, sich Gesellschaft und Individuen in seine Struktur einzuverleiben. Gesellschaft und Bürger werden anhand von universalistischen kulturellen Regeln definiert, etwa anhand von wissenschaftlichen Prinzipien der sozialen Entwicklung, naturgegebenen individuellen Rechten und später wissenschaftlich-naturgesetzlichen Annahmen über die Umwelt. Die Herstellung von Gerechtigkeit, ebenfalls mittels universeller Prinzipien definiert, wird zu einer konstitutiven Funktion des Systems.
Diese Prozesse des Aufbaus von Nationen und Gesellschaften setzen sich noch heute fort, verstärken sich und vergrößern ihre Reichweite. Das Modell des Nationalstaats verbreitet sich langfristig über die ganze Welt (Strang 1990; Anderson 1991) und durchdringt immer mehr gesellschaftliche Bereiche (Thomas/Meyer/Ramirez/Boll 1987; Meyer 1994; Meyer/Boll/Thomas/Ramirez 1997). Damit entsteht eine Welt, in der standardisierte Modelle des Nationalstaats weltweit verfügbar sind, als universell verwendbar gelten und mindestens formal von praktisch jedem Nationalstaat inszeniert werden. Die Ausweitung des Nationalstaatssystems führt gleichzeitig zur Ausweitung und Verfeinerung der rationalistischen und universalistischen Kultur, auf der es beruht. Seit dem Zweiten Weltkrieg ist ein exponentiell wachsender globaler Strukturausbau zu beobachten (Magnarella 1995), mit einer explosionsartigen Zunahme zentraler zwischenstaatlicher Organisationen (z. B. des UN-Systems, aber auch vieler anderer Organisationen) und einer noch stärkeren Zunahme globaler Nichtregierungsorganisationen (Boll/Thomas 1997a; Otto 1996).
Die globale Gesellschaft entwickelt sehr genaue Vorstellungen davon, welche kollektiven Zwecke der Staat bei der Gestaltung der Gesellschaft zu verfolgen hat (siehe den allgemeinen Überblick bei Meyer/Boll/Thonias/Ramircz 1997; Finnemore 1996). Sie verfügt über umfassende Lehren zur wirtschaftlichen, sozialen und politischen Entwicklung, die oft mit standardisierten "Erfolgs"maßen ausgestattet sind (z. B. BSP pro Kopf, ein inzwischen weltweit übliches Maß). Sie pflegt hochentwickelte Vorstellungen über soziale und individuelle Rechte sowie über Gerechtigkeit (Ramirez/Meyer 1998), wobei heute Alter, Geschlecht, sexuelle Orientierung, Ethnizität und Rasse als Kriterien für Gerechtigkeit und Gleichheit in Frage kommen (Berkovitch 1994; McNeely 1995; Dryzek 1996: 476-478). Und schließlich entwickelt sie seit einiger Zeit detaillierte und standardisierte Vorstellungen über den korrekten Umgang der Gesellschaft mit ihrer natürlichen Umwelt (Frank 1998).
All dies wird in höchst universelle Formulierungen gepackt und anhand des wissenschaftlichen und naturgesetzlichen Verständnisses des universalisierten und rationalisierten Kosmos gerechtfertigt. Das Ergebnis ist die moderne Auffassung von der Umwelt (Frank/Hironaka/Meyer/Schofer/Tuma 1999), der Gesellschaft und der individuellen Person (Frank/Meyer/Mlyahara 1995), die einen gewaltigen Einfluß auf den typischen Nationalstaat ausübt. Zunächst einmal trägt dieser ganze Universalismus dazu bei, die globale Ausbreitung und Stabilität nationalstaatlicher Einheiten zu legitimieren (Strang 1990; McNeely 1995). Er beeinflußt aber auch die formalen Strukturen von Nationalstaaten - und oft auch ihre Praxis - in den verschiedensten Bereichen (Meyer 1994; Meyer/Boli/Thomas/Ramirez 1997; siehe auch Donnelly 1989). Es entsteht ein starker Trend zu formaler Isomorphie entlang universalisierter Prinzipien, ungeachtet der riesigen praktischen Unterschiede in der Ressourcenausstattung oder den kulturellen Traditionen verschiedener Länder.
Der moderne Nationalstaat ist also weitgehend das Geschöpf einer theoretisch vorgestellten Gemeinschaft (Anderson iggi), und ihre theoretische Vorstellung ist hauptsächlich ein weltweites rationalistisches und universalistisches Modell von Staat, Gesellschaft und Individuum (Thomas/Meyer/Ramirez/Boli 1987).

Einfluß auf Recht und Rechtssysteme
Wie oben erläutert, beeinflußt die umfassende universalistische Kultur der Moderne das Recht auf zwei Arten. Erstens beruhen moderne Rechtssysteme auf der nominellen Souveränität des Nationalstaats. Aber das Souveränitätsprinzip bedeutet die Abhängigkeit von der umfassenden legitimierenden, rationalistischen Kultur. Daher sind Gesetzgeber, Rechtsanwälte und Richter Geschöpfe der Organisation Nationalstaat (in verschiedenen Ländern in verschiedenem Maße, etwa entlang der Unterscheidung von bürgerlichem Recht und common law [Jepperson/Meyer 1991; Boyle 1998]). Noch der despotischste Diktator behauptet heutzutage, die Interessen der Bürger einer Nation zu vertreten. Aber diejenigen, die diese Rollen spielen, sind damit gleichzeitig auch Geschöpfe der umfassenden Kultur, in die der Staat eingebettet ist, und abhängig von ihren Definitionen und Vorstellungen: Als Staatsdiener sind sie damit beschäftigt, die angeblich universellen und rationalen Prinzipien der Wissenschaft und des Naturrechts sowie der rationalen Herstellung von Fortschritt und Gerechtigkeit auf ihre lokalen Gesellschaften anzuwenden.
Zweitens gelten die übergreifenden universalistischen und rationalen Prinzipien nicht nur für den Staat, sondern auch für sämtliche Bereiche der Gesellschaft, für Funktions- und Interessengruppen sowie die daran beteiligten Individuen. Das Recht und seine professionalisierten Vertreter wie Rechtsanwälte spielen eine vom Staat unabhängige Rolle. Sie haben die Aufgabe, die allgemeinen rationalisierten und universallsierten Prinzipien auf unzählige einzelne Situationen anzuwenden, die nicht unbedingt von den Interessen eines bestimmten Staates gedeckt sein müssen. Das Recht steht über den Partikularitäten des Staates und hat eine größere, universalistische Wahrheit zu sprechen. Diese Unabhängigkeit des Rechts wird sowohl in der Tradition des liberalen Rechts als auch in der des common law hochgehalten, und alle demokratischen Länder der modernen Welt behaupten - fast per definitionem -, ein unabhängiges Gerichtssystem zu besitzen. Das Recht ist insofern abhängig von allgemeinen Wahrheiten, die von Naturwissenschaftlern, Sozialwissenschaftlern und dem professionalisierten Wissen über Natur, Gesellschaft und Individuum verwaltet werden (Meyer 1994; Meyer/Boll/Thomas/Ramirez 1997). Wir betonen noch einmal, daß wir keine Aussage darüber treffen, ob diese „Wahrheiten“ wirklich eistieren oder nicht - das Entscheidende ist, daß die Akteure in der modernen Welt sich so verhalten, als ob sie existieren würden.

Konsequenzen der Abhängigkeit des modernen Rechts von globalisierten, rationalisierten und universellen kulturellen Prinzipien
Die Einsicht in den "säkularisiert-religiösen" Charakter des Rechts kann viel zum Verständnis moderner Rechtssysteme beitragen. Das Recht ist einerseits von allgemeinen, aber höchst einflußreichen naturhaften Regeln abgeleitet und soll sie andererseits gleichzeitig beweisen. Die Parallele zur Religion erhellt auch, daß das moderne Weltsystem um ein zentrales Prinzip herum aufgebaut ist - nicht mehr um den Willen Gottes, aber um ähnliche universelle, von Souveränität getragene Ideen herum. Die Zukunft wird jetzt durch Handlungsfähigkeit und nicht mehr durch Vorsehung bestimmt, es gibt "sozialen" Wandel, der systematisch untersucht werden kann, und "Neutralität" tritt an die Stelle von Doktrinen. Das moderne System souveräner Nationalstaaten, ebenso wie früher der Wille Gottes, macht die ganze Realität aus und 'ist die Grundlage, von der aus die Welt zu erklären ist. Der Gedanke der - notwendigerweise unvollständigen - Entsprechung zwischen modernen Rechtssystemen und selbstverständlich geglaubten universellen Idealen bringt Licht in verschiedene Fragen, die von der Rechtssoziologie diskutiert werden.
Je enger ein Regelsystem an die Vorstellungen des Universalismus angebunden so unsere These -, desto deutlicher zeigt es die unten beschriebenen Merkmale. Eine alternative Erklärung für die Ausrichtung an universalistischen Vorstellungen wird von Ressourcentheorien angeboten; aber die Variable der Ressourcenausstattung hat weniger eindeutige Auswirkungen. So ist es zum Beispiel beim Aufkommen einer neuen Menschenrechtsdoktrin wahrscheinlich, daß ein ressourcenstarkes Zentrumsland wie Schweden die neue Doktrin früh übernimmt und ausreichend Professionelle zur Hand hat, die sie in politische Maßnahmen übersetzen können. Andererseits könnte Schweden aber mit Hilfe eben derselben Ressourcen die neue Doktrin auch ablehnen oder abwandeln - eine Möglichkeit, die ressourcenschwachen Länder nicht zur Verfügung steht. Die gute Ressourcenausstattung der Zentrumsstaaten ermöglicht also zwar die Ausrichtung an den universalistischen Idealen, aber gleichzeitig erschwert der Mangel an Ressourcen in den peripheren Staaten deren Ablehnung oder Abwandlung. Damit spielen die Ressourcen eines Landes sicherlich eine Rolle, aber sein tatsächliches Verhalten scheint sich besser durch seine Anbindung an den Rahmen universalistischer Ideale vorhersagen zu lassen.
Die Geltungskraft und Geschlossenheit der universellen Prinzipien ist am größten auf der internationalen und der nationalstaatlichen Ebene, aber mit der Zeit dringen diese Ideale auch in viele andere Bereiche vor. In Wirtschaftsunternehmen muß man jetzt komplizierte Verfahrensordnungen einhalten (Edelman 1990), Schulen verbieten die Prügelstrafe, und sogar Familien sehen sich zunehmend dem Druck ausgesetzt, universellen Standards zu genügen. Diese Bereiche geraten später und weniger direkt unter den Einfluß universeller Prinzipien als Nationalstaaten, und sie behalten mehr eigenen Entscheidungsspielraum und mehr Idiosynkrasien. Daher bietet sich ein Vergleich zwischen ihnen und nationalen Rechtssystemen mit ihrer außenorientierten Einstellung an. Wir bezeichnen Einheiten in diesen Bereichen allgemein locker als „Organisationen“.
Wir werden immer wieder nationale Rechtssysteme mit dem alltäglichen Umgang mit Regeln in nicht-souveränen Bereichen oder in Ländern mit konkurrierenden religiösen Glaubenssätzen (z. B. in einigen islamischen Ländern) vergleichen, um zu zeigen, wie Recht in Organisationen funktioniert, die weniger stark an äußere universelle Prinzipien oder Souveränitätsannahmen angebunden sind. Das Kontinuum der Anbindung an vermeintlich universelle Prinzipien läßt sich operationalisieren durch den Grad, in dem die Identität einer Organisation an die Souveränität des Nationalstaats und an die internationale Gemeinschaft angebunden ist. Ebenso kann man an Bindungen durch Organisationen, Verbände und Professionen denken. Für den typischen Nationalstaat selbst wären diese kulturellen und organisationalen Anbindungen natürlich extrem stark. Im nicht-souveränen Bereich sollten Organisationen, die unter staatlichem Monopol oder unter strenger staatlicher Aufsicht stehen (z. B. Schulen), stärker an universelle Ideale angebunden sein als lokale oder wirtschaftlich tätige Organisationen.
Die globale Diffusion der Nationalstaatsform (einschließlich des modernen Rechtssystems) beruhte auf ihrem Universalismus und Rationalismus. Die Abhängigkeit aller möglichen Regelsysteme von universellen kulturellen Prinzipien hat Konsequenzen, die sich in folgenden drei allgemeinen Thesen zusammenfassen lassen:
Je enger eine Organisation an das globale und vermeintlich universalistische System angebunden ist, desto mehr nimmt ihr Regelsystem an der Diffusion und Expansion universeller Prinzipien teil durch (a) die Übernahme von rechtlichen Regelungen und Diskursen, die an den internationalen kulturellen Annahmen ausgerichtet sind, (b) Isomorphie und (c) die Ausweitung ihrer Zuständigkeit auf immer mehr Bereiche.
je enger eine Organisation an das globale und vermeintlich universalistische System angebunden ist, desto stärker betreibt ihr Regelsystem die rituelle Inszenierung von Recht durch (a) Zeremonien rund um das Recht, (b) die Entkopplung zwischen Recht und sozialer Realität und (c) ausgefeilte Beschränkungen im Prozeß der Wahrheitsfindung.
je enger eine Organisation an das globale und vermeintlich universalistische System angebunden ist, desto stärker unterstellt ihr Regelsystem die Existenz eines einheitlichen und rationalisierten Kosmos durch (a) den Einsatz wissenschaftlicher Untersuchungsmethoden, (b) das starke Vertrauen auf die Idee der Rationalität, (c) die Entkopplung abstrakter Regeln der Gerechtigkeit von der konkreten Beurteilung der Gerechtigkeit im Einzelfall, (d) das Bemühen um Konsistenz und (e) eine Neigung zur Ausdehnung.

In diesem Abschnitt stellen wir diese drei Thesen der Reihe nach vor.

1. Diffusion und Wachstum
Die in alle modernen Rechtssysteme eingebaute Annahme, daß das Recht universelle Prinzipien widerspiegelt, hat eine Konsequenz, die realistische Theorien nur schwer erklären können. Rechtssysteme und das Recht selbst sehen auf der ganzen Welt, trotz aller kulturellen und materiellen Unterschiede, erstaunlich ähnlich aus. Man kann also vermuten, daß übergreifende Prinzipien diese Gleichförmigkeit hervorbringen, während lokale Unterschiede nur relativ kleine Abweichungen erzeugen.
(a) Austausch von Gesetzen, rechtlichen Regelungen und Diskursen. Rechtsgesetze diffundieren sehr viel schneller von einem Nationalstaat zum anderen, als man ausgehend von lokalen Interessen und Kulturen vermuten würde. Und diese Diffusion nimmt Formen an, mit denen Theorien, die die Abhängigkeit des Rechts von lokalen oder nationalen Souveränitätsgrenzen betonen, nicht rechnen würden. Diese Diffusionserscheinungen können jedoch leicht mit Hilfe unserer Überlegung erklärt werden. Staaten beziehen ihre Legitimation aus ihrer Empfänglichkeit für gedachte universelle Prinzipien. Das nationale Recht ist ein wichtiges Symbol für die Akzeptanz dieser gedachten Prinzipien. So verbreiten sich Gesetze innerhalb der Vereinigten Staaten schnell von einem Bundesstaat zum anderen (Walker 1969). Und inzwischen verbreiten sich rechtliche Regelungen schnell rund um die Welt, von nationalen Verfassungen (Boll 1987) über die Rechtspolitik (Strang/ Meyer 1993; McNeely 1995) bis hin zu Regelungen einzelner Bereiche.
Der Inhalt der diffundierenden internationalen Ideale ist an anderer Stelle ausführlich beschrieben worden (z. B. Meyer/Boli/Thomas 1987). Grundsätzlich entsprechen diese Ideale den westlichen Ideen der individuellen Rechte und des Fortschritts. Je stärker ein Nationalstaat an das internationale System angebunden ist, desto mehr entsprechen seine Regel ii diesen grundlegenden Ideen. Dies läßt sich zum Beispiel an der Gesetzgebung zur Vergewaltigung illustrieren. Hoch universalistische Rechtssysteme unterscheiden hier nicht zwischen verschiedenen Kategorien von Menschen: Alle Männer und Frauen können Vergewaltigungen begehen oder ihnen zum Opfer fallen. Schwach universalistische Systeme kennen völlig verschiedene rechtliche Regelungen für verschiedene Arten von Menschen: So gilt in manchen islamischen Ländern für muslimische Vergewaltiger das religiöse Recht und für andere Vergewaltiger das bürgerliche Recht. Manche Rechtssysteme liegen in der Mitte zwischen diesen beiden Extremen, So etwa, wenn ein Land zwar nur ein Rechtssystem für alle kennt, dieses aber zwischen verschiedenen Arten von Menschen unterscheidet, zum Beispiel die Vergewaltigung einer Prostituierten anders behandelt als die Vergewaltigung einer anderen Frau (Frank 1998). je stärker die Anbindung an das internationale System, desto mehr entsprechen Inhalt und Verwendungsweise des Rechts den platonischen Idealen.
Es gehört zum Alltag von Gesetzgebern, Juraprofessoren und sogar Gerichten, sich auf Prinzipien zu berufen, die von Gerichten im Hoheitsbereich eines ganz anderen Souveräns eingeführt wurden: Die Häufigkeit, mit der Fälle und Entscheidungen aus anderen Ländern zitiert werden, nimmt gegenwärtig rapide zu (siehe z.B. Robinson 1996; Strauss 1995; Rosenberg 1997). Außerdem werden die Prinzipien des internationalen Rechts (einschließlich internationaler Regierungs- und sogar Nichtregierungsorganisationen) gewohnheitsmäßig in Rechtsentscheidungen innerhalb eines Landes berücksichtigt, obwohl es sich hier um zwei ganz verschiedene Arten von Souveränität handelt. Weiter fangen internationale Gerichte an, Übereinstimmungen zwischen verschiedenen Nationalstaaten als Beleg dafür zu betrachten, daß universelle Prinzipien im Spiel sind. So werden zum Beispiel die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte wesentlich davon beeinflußt, ob ein Konsens der europäischen Nationen besteht (Harris/O'Boyle/Warbrick 1995: 8-11, 580). Wenn ein Staat als einziger innerhalb der Europäischen Gerneinschaft eine bestimmte Politik verfolgt, ist die Gefahr eines ablehnenden Urteils besonders hoch (siehe Tyrer gegen UK, A 26 § 31 [1977]). Man nimmt an, daß ein europäischer Konsens durch ein gemeinsames, universelles Recht getragen wird.
In allen diesen Fällen sorgt die zugrundeliegende Vorstellung des Universalismus für die schnelle Verbreitung von rechtlichen Regelungen über die Grenzen der nominellen Souveränität hinweg. Besonders leicht verbreiten sich rechtliche Regelungen dann, wenn sie mit hochstehenden allgemeinen Prinzipien, zum Beispiel in bezug auf die Menschenrechte, die verwissenschaftlichte Umwelt oder die nationale sozioökonomische Entwicklung, zu tun haben (siehe z. B. Dezalay/Garth 1995). Obwohl theoretisch oft das Gegenteil behauptet wird, verbreiten sich grundlegende Prinzipien oft leichter als weniger grundlegende und stärker anwendungsbezogene Regelungen. Dies ist charakteristisch für eine Welt, in der lokale Strukturen vom Standpunkt universeller Regeln aus betrachtet werden. Es gilt wahrscheinlich in viel höherem Maße für die Welt der Hochkultur des Rechts (Risse/Sikkink 1999) als für die Welt der praktischen oder profanen Organisationen, die sich anhand von lokalen Prinzipien mit lokalen Problemen beschäftigen.
Weiter bewegen sich die Teilnehmer und Kommunikationen des Rechtssystems problemloser über Souveränitätsgrenzen hinweg, als die üblichen Theorien dies annehmen. Rechtskulturen und Rechtsdiskurse verbreiten sich schnell über Staats- und Nationsgrenzen hinweg. In den Suchergebnissen der auf Recht spezialisierten US-amerikanischen Computersuchmaschinen - wie Lexis und Westlaw - sind standardmäßig auch die Gesetzestexte und Rechtsentscheidungen aus anderen Staaten enthalten. Anwaltskanzleien für internationales Recht florieren und sind in der Gemeinschaft der Professionellen des Rechtssystems hoch angesehen. Für Anwaltskanzleien und Unternehmen gehört es inzwischen zum Alltag, Rechtsanwälte aus anderen Ländern zu engagieren, und es erscheint immer mehr transnationale Rechtsberatungsliteratur (z. B. Campbell 1982; Pritchard 1991). Rechtskulturen und Rechtsdiskurse treffen leicht in den Arenen internationaler Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen zusammen (Boli/Thomas 1997). Man geht davon aus, daß allgemeiner juristischer Sachverstand. nicht an den Grenzen eines bestimmten Rechts- und Ausbildungssystems stehenbleibt. All dies beruht auf der Voraussetzung gemeinsamer zugrundeliegender Prinzipien.
Umgekehrt findet man am anderen, lokalistischen Extrem, daß praktische Regeln, die in nicht-rechtlichen Situationen entstanden sind, sich nur schwer über Organisationsgrenzen hinweg verbreiten. Diese Regeln sind dazu da, die lokale Klientel zufriedenzustellen. Sogar innerhalb eines und desselben multinationalen Unternehmens unterscheiden sich die Unternehmensregeln meist von Land zu Land (siehe Hofstede 1980 zu einstellungsbezogenen Daten). Fragen wie die Aufgabenvertellung zwischen einzelnen Abteilungen oder Berufsgruppen und die genaue Definition der Rechte der Beschäftigten sind normalerweise von Organisation zu Organisation sehr unterschiedlich geregelt. Man geht davon aus, daß sich die Organisationskulturen in verschiedenen Kontexten unterscheiden; und dies wird nur dann problematisch, wenn die hochstehende Rechtskultur dazwischenkommt.
(b) Isomorphie zwischen Rechtssystemen. Diese Überlegungen führen zu einer Konsequenz, die oft in einzelnen Fällen beobachtet, aber nur selten allgemein formuliert wird. Rechtssysteme - die angeblich an bestimmte Gesellschaften gebunden sind, aber in unseren Augen gemeinsame kulturelle Elemente zum Ausdruck bringen - sind untereinander oft viel ähnlicher, als man erwarten könnte. Nationalstaaten unterscheiden sich in der Ressourcenausstattung pro Kopf um den Faktor ioo, und sie unterscheiden sich massiv in ihren lokalen kulturellen Traditionen. Ausgehend davon ist die in der Regel vorzufindende Ähnlichkeit ihrer Rechtsordnungen erstaunlich. Die Literatur betont natürlich die Unterschiede im Eigentumsrecht, Familienrecht und ähnlichem und spielt damit die oft recht bescheidenen Unterschiede hoch. Realistischer ist es, die Ähnlichkeit dieser Systeme und die Parallelität ihrer Wandelsprozesse festzustellen. So zeigen zum Beispiel formale rechtliche Regelungen über Menschenrechte - trotz gewaltiger Unterschiede in den praktischen Bedingungen und der praktischen Umsetzung - ein hohes Maß an Isomorphie und isomorphem Windel (McNeely 1995; Ileyer/Boll/Thomas/Ramirez 1997; Risse/Sikkink 1999).
Der Druck in Richtung auf die Isomorphie von Rechtssystemen ist mit der Verstärkung und Ausweitung des weltgesellschaftlichen Und weltkulturellen Rahmens nach dem Zweiten Weltkrieg und mit der Entstehung vieler neuer Nationalstaaten in Abhängigkeit von diesem Rahmen stark gewachsen. Wir erwarten daher, daß die Isomorphie gegenwärtig zunimmt und daß der Wandel in Richtung auf Isomorphie an Tempo gewinnt. Weiter erwarten wir, daß in immer mehr Bereichen (z. B. Umweltschutz, Familienrecht) solche Isomorphieerscheinungen auftreten.
Von den vorherrschenden, stärker realistischen Theorien aus würde man vermuten, daß Isomorphien im Recht verschiedener Länder hauptsächlich in solchen gesellschaftlichen Bereichen auftreten, in denen es starke internationale Interdependenzen gibt (z. B. in der Wirtschaft). Wir erwarten Isomorphien dagegen in Bereichen, in denen die wahrgenommene Identität überall sehr ähnlich ist (Strang/Meyer 1993). Damit können wir erklären, warum rechtliche Regelungen in Bereichen mit relativ geringer Interdependenz schnell diffundieren: im rationalisierten Familienrecht, in Menschenrechtsfragen, im Umweltschutz, in Bildung und Gesundheit usw. Eine extreme Lesart unserer Überlegung würde sogar behaupten, daß ein hohes Maß an Interdependenz zwischen verschiedenen Gesellschaften zur Verlangsamung - und nicht etwa zur Beschleunigung - von Diffusion und Isomorphie führt, weil Interdependenz die Bildung von Netzwerken zur Mobilisierung differenzierter und opponierender Interessen ermöglicht.
Ein auffälliges Merkmal der weltweiten Entwicklung des Rechts ist gerade die Isomorphie in Bereichen mit einem relativ niedrigen Niveau an Austausch und Interdependenz. So bestehen etwa in den Familienstrukturen von Ort zu Ort entscheidende kulturelle Unterschiede. Man könnte erwarten, daß in einem Bereich, der für die Weitergabe der lokalen Kultur so wichtig ist, von rechtlicher und staatlicher Seite großer Spielraum für Variation gelassen wird. Die Verrechtlichung von Familiensystemen - zum Beispiel im Hinblick auf Menschenrechte - geht aber unter einem starken Druck zur Vereinheitlichung und Konsistenz vor sich, und es kommt zu einer schnellen Ausbreitung von Beratern und Rechtsprinzipien über nationale Grenzen hinweg. Das jüngste Vordringen des Rechts in Bereiche, die früher der Entscheidung der Eltern überlassen waren (körperliche Züchtigung, Mädchenbeschneidung usw.), wirft die Frage der kulturellen Autonomie auf, spricht aber letztlich eindeutig für die Herrschaft der universellen Prinzipien (siehe z.B. Boyle/Preves 1998; Frank 1998). Eine ordentliche Familie schlägt ihre Kinder nicht, und der Staat hat sicherzustellen, daß dies so ist; eine ordentliche Familie ist der Zusammenschluß zweier Individuen mitgleichem Recht auf Scheidung; usw. Von Familienplanung über Kindererziehung bis zu Scheidung sind Sinn und "Zweck" der Familie, wie sie rechtlich niedergelegt sind, rund um die Welt in erstaunlichem Maß standardisiert.
Auch für andere Bereiche ohne viel internationale Interdependenz gibt es inzwischen rechtliche Regelungen im Einklang mit den universalisierten Ideen. So stellt man sich den anständigen Umgang des Menschen mit der Umwelt trotz offensichtlicher Unterschiede in den geographischen Bedingungen einheitlich vor und unterwirft ihn einer von Nationalstaat zu Nationalstaat sehr ähnlichen Regelung. Auch die Rolle der Frau in der Gesellschaft unterliegt der einheitlichen Regelung durch den Staat, der - laut einigen neueren Artikeln - nicht nur die negative Verpflichtung hat, seine Bürger vor Mißbrauch zu schützen, sondern auch die positive Verpflichtung, eine gleichmäßigere Machtvertellung zwischen Männern und Frauen sicherzustellen (Etienne 1995; Stetson 1995; Schuler 1992). Ein weiteres Beispiel ist schließlich die militärische Strategie, ein wesentlicher Bestandteil der souveränen Autonomie. Rechtliche Beschränkungen in bezug auf bestimmte Arten der Kriegführung - etwa den Einsatz von Chemiewaffen oder von Landminen - werden oft im ganzen internationalen System bereitwillig anerkannt (Price 1997). Globalisierungstheorien, die von lokalen Bewegungen oder Interdependenzen ausgehen, haben große Schwierigkeiten, den Druck in Richtung auf Vereinheitlichung in solchen Bereichen zu erklären. Vielleicht gilt für Nationen dasselbe wie für Tocquevilles Amerikaner: Sie ähneln sich am stärksten in den Punkten, an denen sie selbst am meisten Wert auf ihre Einzigartigkeit und Autonomie legen.
(c) Ausweitung des Zuständigkeitsbereichs verrechtlichter Regelsysteme. Rechtliche Entscheidungspraktiken, die nicht auf dem System universeller Prinzipien beruhen, werden mit großem Mißtrauen angesehen. Daher wird der Mythos von der Wichtigkeit der universellen Ideale trotz der Vielfalt lokaler sozialer Ordnungen und Kulturen aufrechterhalten. Das Vordringen des Nationalstaats in immer mehr Bereiche, Familie, Umwelt, Wirtschaft usw. - geschieht in der Form der Ausweitung standardisierter rechtlicher Regelungen. Alternativen, wie die hierarchische Herrschaft über lokale Segmente statt ihre innere Durchdringung heraus, werden abgeschnitten. Das erklärt die immer größere Reichweite des Rechts in der Moderne, das auf immer mehr vorher ungeregelte Bereiche und auch in nicht-souveräne Organisationen hinein ausgedehnt wird. Der Glaube an die Richtigkeit der universellen Prinzipien führt zu der Befürchtung, daß durch Segmentierung oder indirekte Steuerung die Souveränität unterminiert würde. Organisationale Herrschaft scheint weniger gut zur modernen Souveränität zu passen als Verrechtlichung und Durchdringung mit standardisierten Regeln. Daher wird die Beziehung zwischen Ehegatten, zwischen Eltern und Kindern, zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, zwischen Käufern und Verkäufern, zwischen Lehrern und Schülern eher durch die immer weiter ausgedehnte rechtliche Anwendung allgemeiner Prinzipien geregelt als durch schlichte organisationale Herrschaft.
Organisationen, die an äußere universelle Prinzipien angebunden sind, greifen diese Vorstellungen auf (oder werden dazu genötigt), unterwerfen sich diesen Prinzipien wenigstens dem Anschein nach und erkennen diese Einschränkung ihrer Souveränität an. Of t versuchen sie freiwillig, sich an die universellen Prinzipien anzuschließen, und akzeptieren verrechtlichte Kontrollen. Auch weiten sie ihre untergeordnete Regelungsautorität in immer mehr Bereiche der Organisation und immer mehr Bereiche des Lebens ihrer Mitarbeiter aus. Sie formalisieren den Mutterschaftsurlaub und richten betriebseigene Kindertagesstätten ein, sie geben sich ordentliche Beschwerdeverfahren und systematisieren die Rechte ihrer Beschäftigten, und sie nehmen die angemessene Reihe von Professionellen in sich auf (Meyer/Rowan 1977; DiMaggio/Powell 1983). Daß all das richtig ist, gilt als selbstverständlich.
Weil moderne Staaten und Rechtssysteme auf übergreifenden Modellen aufgebaut sind und weil diese Modelle so gut ausgearbeitet und universalistisch sind, entsteht eine Situation, in der die verschiedensten sozialen Interessen und sozialen Probleme zum Fortschritt der Verrechtlichung sowohl in nationalen Gesellschaften als auch in der Welt in ganzen beitragen. Am deutlichsten ist dieses Phänomen in den Peripherien der Welt ausgeprägt, wo wegen der Verfügbarkeit ausgebauter allgemeiner Modelle sowohl Staaten als auch lokale Interessen ausgefeilte Regeln und Forderungen aufstellen. Ungerechtigkeiten und Ineffizienzen fallen auf, die sonst für selbstverständlich gehalten würden. Aber dieselben Phänomene treten auch in Zentrumsländern und auch in der Welt insgesamt auf: Getrieben von allen möglichen Interessen, Sorgen und Problemen beteiligen sich sowohl Staaten als auch lokale Akteure an der Ausweitung des Systems auf - zum Beispiel - neu entdeckte Umweltprobleme.
Die verschiedensten lokalen Interessen und Probleme können also im modernen Kontext zum Wachstum der globalisierten Rechtsordnung und zu ihrem Vordringen in lokale Verhältnisse beitragen.

2. Ritualisierte Inszenierung
Wie alles, was mit transzendenten Prinzipien zu tun hat, enthält das Recht in seiner Inszenierung und Durchsetzung starke zeremonielle Komponenten (Meyer/Rowan 1977). Während die grundsätzlichen Ideen allgemein verständlich sind, ist die Fähigkeit zur Übersetzung der Realität in einen rechtlichen Rahmen auf Spezialisten - auf Rechtsanwälte und Richter - beschränkt. Im folgenden diskutieren wir drei Besonderheiten des Rechtssystems, die ohne Rückgriff auf unsere These, daß das Recht an zentraler Stelle Vorstellungen über höhere Werte enthält und auf ihnen aufbaut, schwer verständlich sind.

(a) Zeremonie. Regelsysteme, die eng an die äußeren universellen Prinzipien angebunden sind, inszenieren das Recht in stark zeremoniell gefärbten Kontexten. Dadurch wird der besondere Status des Rechts bewahrt und sei ne Unterschiedenheit und Überlegenheit im Vergleich zur gewöhnlichen Entscheidungspraxis von Individuen deutlich gemacht. Gesetzgeber, Richter und sogar Rechtsanwälte müssen spezielle Eide ablegen und besetzen spezielle Positionen mit besonderen Rechten und Pflichten. Gerichte sind hochgradig zeremonielle Orte. Zeugen schwören vor Gott, die ganze Wahrheit zu sagen, und den schwerwiegendsten Verstoß begeht, wer einen Meineid leistet. Ebenso wie die Sünder für die Rituale der Kirche unverzichtbar, aber von ihnen ausgeschlossen waren, wird bei den Ritualen des Gerichtssaals die Öffentlichkeit auf Abstand gehalten. Rechtsverfahren finden im Namen der Öffentlichkeit statt; die Öffentlichkeit soll wohl in bestimmten, begrenzten Hinsichten daran teilnehmen (z. B. als Geschworene in Ländern mit common law), aber aus dem Herzen des Gerichtssaals ist die gewöhnliche Öffentlichkeit ausgeschlossen. Auf diese Weise unterscheiden sich Gerichte deutlich von der profanen Gesellschaft um sie herum.
Weiter bilden die Rechtsanwälte eines Nationalstaats im allgemeinen eine abgegrenzte und nominell einheitliche Profession, obwohl sie ganz verschiedene Tätigkeiten ausüben. Ebenso wie bei einer Priesterschaft gibt es genau ausgearbeitete Sozialisationsrituale, Grundsätze professioneller Einheit und extrem scharfe Abgrenzungen zwischen Zugehörigen und Nicht-Zugehörigen. Das Erlernen der geheimnisvollen Rhetorik des Rechts (habeas corpus, replevin, appellee usw.) ist ein wichtiger Bestandteil der Ausbildung zum Rechtsanwalt (Sarat/Kearns 1994). Für die Aufnahme in die Rechtsprofession bestehen strenge Kontrollen - in Ländern mit common law, von seiten freiwilliger Verbände der Rechtsanwälte, in Ländern mit bürgerlichem Recht von seiten des Staates (Abel 1988). Innerhalb der Rechtsprofession genießen diejenigen Rechtsanwälte das höchste Ansehen, die die engste Verbindung mit universellen Prinzipien der Gerechtigkeit (z. B. Professoren für Verfassungsrecht) oder der Wissenschaft (z. B. Patentanwälte) aufweisen (siehe Heinz/Laumann 1982; siehe auch Abbott 1988). In modernen Nationalstaaten verfügen die Träger und Interpreten des Rechts über besondere Einsicht in die universellen Prinzipien und unterscheiden sich deutlich von den Normalbürgern, die einfach nur gemäß dem Recht zu leben versuchen.
Nationale Rechtssysteme unterscheiden sich stark von der protorechtlichen Praxis der Regelaufstellung und -durchsetzung in Kontexten, in denen die hochstehende Kultur der Moderne weniger In Anspruch genommen wird. Die typische Organisation stellt ständig Regeln auf. Dazu gehören etwa Entscheidungen über Aufgabenbereich und Ressourcenzuweisung von Untereinheiten, detaillierte Regeln Über Reisespesen und Büroausstattung, die Neudefinition von Rollen und Kompetenzen, die genaue Festlegung von Öffnungszeiten oder die Regelung des Eingangs mit Beschwerden. Dabei können Organisationen solche Regeln eher beiläufig durch ganz normale Beschäftigte, niedrige Verwaltungsangestellte oder Komitees aufstellen, sie ohne viel Zeremonie bekanntgeben (Zhou 1993) und routinemäßig durchsetzen. Bis vor kurzem taten Organisationen all dies ohne den ausdrücklichen Segen einer symbolisch vereinten und abgegrenzten Rechtsprofession (Dobbin/Sutton/Meyer/Scott 1993), auch wenn die Verrechtlichung inzwischen zugenommen hat.. Stattdessen nahm man an, daß verantwortungsbewußte Menschen diese Regeln ohne Spezialwissen interpretieren konnten. Die Einführung und Änderung von Regeln trug in der typischen Organisation weder zur Legitimation noch zur Delegitimation des Managements bei, da man nicht davon ausging, daß das Management zur Umsetzung höherer universeller Prinzipien da war. je mehr Organisationen nun zur Aufrechterhaltung ihrer Legitimität von äußeren Idealen abhängig werden, desto mehr entwickeln sie vielleicht spezielle, vorher bestimmte Räume und Verfahrensweisen für den Umgang mit Problemen und "unabhängige" Abteilungen für den Umgang mit ihren Mitarbeitern (z. B. Abteilungen für Personalentwicklung).

(b) Entkopplung zwischenformal niedergelegtem Recht und Realität. Wegen ihrer vermeintlichen Anbindung an universelle Prinzipien weisen Nationalstaaten eine starke Entkopplung des Rechts vom praktischen sozialen Leben auf (Meyer/Rowan 1977; Weick 1976; March/Olsen 1976). Im Recht wird die Gesellschaft anhand der ihr zugrundeliegenden allgemeinen Prinzipien definiert und dargestellt, und das erfordert die Abgrenzung des Rechts von der alltäglichen sozialen Realität. Damit soll nicht gesagt sein, daß Recht und reales Handeln völlig unverbunden nebeneinander stehen - vielmehr stehen beide unter dem Einfluß der angeblich universellen Prinzipien. Aber weil das Recht kein Instrument zur Realisierung dieser Prinzipien, sondern eher eine Darstellungsform derselben ist, kann es nur selten einen starken direkten, über die allgemeinen Wirkungen der Globalisierung hinausgehenden Einfluß auf soziales Handeln ausüben. Realität, Praktikabilität und leichte Benutzbarkeit sind entschieden nicht der Zweck des Rechts. Beim Recht geht es ums Prinzip und um den Glauben in ein höheres Gut, das mindestens teilweise jede bestimmte Gesellschaft oder Situation übersteigt. Rechtsgesetze sind ebenso sehr Huldigungen an gedachte universelle Ideen und Symbole der staatlichen Legitimität, wie sie routinemäßige Zugeständnisse an verschiedene Interessengruppen sind. Das er klärt, warum nationale Rechtsgesetze geschaffen werden, auf die die praktische Gesellschaft eher mit Ambivalenz als mit uneingeschränkter Unterstützung reagiert (z.B. das Streikrecht oder Rechte zum Schutz wenig beliebter Minderheiten). Es erklärt auch, warum Rechtss ' vsteme Unmengen von symbolischen, praktisch nicht anwendbaren Regeln (Gusfield 1986; Duster 1970), nicht durchgesetzten Regeln (Black 1982)und rechtlichen Fiktionen (Fuller 1967; Olivier 1975) erzeugen.
Daß sich jemand tatsächlich auf das Recht beruft und vor Gericht geht, ist ein dramatischer und nur selten unternommener Schritt, auch wenn unentwegt damit gedroht wird, man werde vor Gericht gehen. Verträge werden geschrieben, aber nicht benützt (Macauley 1969); komplizierte Strafrechtsverfahren werden erfunden, die aber bei der überwältigenden Mehrheit der aufgedeckten Verstöße nicht zur Anwendung kommen (Kaplan/Skolnick 1981). Richter erzeugen rechtliche Fiktionen, um an der Unveränderlichkeit des Rechts auch dann noch festhalten zu können, wenn der reale soziale Wandel seine Inhalte längst ad absurdum geführt hat. Das ist für die meisten theoretischen Ansätze schwer zu erklären. Was hat man davon, so viele unpraktikable, nicht durchgesetzte Regeln und Prinzipien einzuführen? Aber das Recht überlebt und wächst, unserer Ansicht nach deshalb, weil es mit ganz anderen Fragen zu tun hat als mit Praktikabilität und Umsetzbarkeit.
Unserer Ansicht nach sind diese Entkopplungserscheinungen ein wesentlicher Bestandteil des nationalen Projekts. Entkopplung tritt zwar in allen Arten von rationalisierten Organisationen auf (Meyer/Scott 1991), aber besonders stark ist sie in den Bereichen ausgeprägt, in denen das Eigeninteresse der Organisation mit organisationsexternen rechtlichen Anforderungen kollidiert (z. B. Meyer/Rowan 1977; Edelman 1990). Anders gesagt tritt Entkopplung genau an dem Punkt auf, an dem das Recht ins Spiel kommt.
Je weniger eine Regel explizit oder implizit an organisationsexterne Ideale gebunden ist, desto weniger können „Geist“ und „Praxis“ voneinander getrennt werden. Eine Amtsstelle, die ohne bestimmten Grund - einfach so - um fünf Uhr nachmittags schließt, unterscheidet sich wesentlich von einer Amtsstelle, die aufgrund einer Rechtsvorschrift um fünf Uhr nachmittags schließt. Bei der letzteren tun sich für den Fall, daß die Stelle einmal erst um Viertel nach fünf schließt, zahlreiche Interpretationsmöglichkeiten auf. Werden die Angestellten ausgebeutet? Wird den Nutzern dieser bestimmten Stelle ein ungerechtfertigter Vorteil gegenüber den Nutzern anderer Stellen auf der anderen Seite der Stadt eingeräumt? Unserer Ansicht nach ist Entkopplung die Folge nicht der gewaltigen praktischen Schwierigkeiten, mit denen das Recht zu kämpfen hat, sondern der ungeheuer wichtigen universalisierten Kultur, auf der es beruht und der es entsprechen muß. Wir behaupten daher, daß eng an universalistische kulturelle Vorstellungen angebundene Organisationen wie Nationalstaaten und Rechtssysteme über weniger Vorkehrungen zur Durchsetzung ihrer Regein und über mehr unbenutzte, nicht durchgesetzte Regeln und Verfahren verfügen als lokalere und profanere Organisationen.
Die starke Entkopplung von Rechtssystemen wird manchmal (und durchaus vernünftigerweise) als Indiz für ihre Wirkungslosigkeit und funktionale Bedeutungslosigkeit betrachtet. Diese Einschätzung mag in bezug auf manche traditionalen Rechtssysteme realistisch sein, aber in bezug auf das moderne Recht geht sie an einigen wichtigen Punkten vorbei. Das moderne System ist genau deshalb wirksam, weil es ungeachtet der Beschränktheit und Unterschiedlichkeit des lokalen sozialen Lebens so eng an universelle Modelle und Standards angebunden ist. Auf diese universellen Ideen können nicht nur Staaten und eine Handvoll Rechtsanwälte zurückgreifen, sondern auch die verschiedensten lokalen Interessen und potentiellen Protestierer. So wird dank der Verbreitung und dum Universalismus dieser Modelle auch unter praktisch beschränkten lokalen Bedingungen die Einnahme eines weiteren Blickwinkels möglich. Lokale Akteure können ihre begrenzte Situation anhand der großen Regeln über sozioökonomischen Fortschritt und soziale Gerechtigkeit beurteilen. Und sie können die Mobilisierung von Ressourcen, und manchmal von regelrechten Ressourcennetzwerken, anpeilen und manchmal realisieren. Soziale Interessen und Kräfte tragen also zur Ausweitung und Verbreitung der allgemeinen Modelle und zur Erfindung neuer Versionen dieser Modelle bei.

(c) Beschränkungen bei der Wahrheitsfindung. Die Ritualisierung des Rechts zeigt sich auch in seiner Versessenheit auf „echte“ Beweise. Regelsysteme mit starker Anbindung an universelle Prinzipien kennen meist komplizierte Beschränkungen dessen, was als Beweis gilt und was nicht. In modernen Gerichten ist die Verwendung „unsauberer“ Beweise, ungeachtet ihrer Glaubwürdigkeit, nur unter scharfen Beschränkungen möglich. Grundsätzlich gilt, daß ein Individuum nur für sich selbst sprechen kann; wenn ein anderer für es spricht, so gilt das als Wissen vom "Hörensagen". Die Vorlage von Beweisen im Gerichtssaal wird von ausgefeilten Zeremonien begleitet. Beweise werden formal vorgelegt. Die Kette ihrer Herkunft wird sorgfältig rekonstruiert. Der Richter entscheidet über ihre Zulässigkeit, und nur wenn sie zulässig sind, werden sie berücksichtigt. Wer Klage führen kann und wann, ist ebenfalls geregelt. Grundsätzlich können Individuen und Organisationen keine Klage im Interesse der Allgemeinheit führen, denn dies würde dem besonderen Zugang des Gerichts und des Staates zu den universellen Prinzipien zuwiderlaufen.
Organisationen außerhalb des Systems universeller Prinzipien berücksichtigen dagegen bei ihren Problemlösungsversuchen normalerweise alle Informationen, die ihnen zugänglich werden. jeder, der Informationen besitzt, kann Gehör finden. "Relevanz" wird in einem breiteren Sinn verstanden. Beweise und Indizien werden informal weitergegeben, vielleicht durch Klatsch. Die rituelle Inszenierung universeller Prinzipien durch formale Regelsysteme und die Beschränkung von Beweisen, Klagen und Klagerechten findet nur in Organisationen mit enger Anbindung an globale kulturelle Vorstellungen statt.

3. Die Vorstellung eines einheitlichen und rationalen Kosmos
Moderne Rechtssysteme beruhen auf der Vorstellung, daß die natürliche und soziale Weit in einen einheitlichen und gesetzmäßigen Kontext eingebettet ist und daß dieser Kontext zusammenhängend verstanden werden kann. Der Kern dieses zusammenhängenden Systems ist der Glaube an Rationalität. Mit Hilfe dieser Überlegung lassen sich viele Besonderheiten des modernen Rechts verständlich machen.

(a) Der wissenschaftliche Fortschritt des Rechts. Moderne nationale Rechtssysteme sind stärker abhängig vorn wachsenden wissenschaftlichen oder verwissenschaftlichten Wissen, einschließlich wissenschaftlicher Methoden, als die Regelsysteme nicht-souveräner Organisationen. Sowohl in der Gesetzgebung als auch in Gerichtsverfahren werden regelmäßig Aussagen von Experten angehört (Stryker 1994). Solche Experten können zunehmend auch Sozialwissenschaftler sein, wie etwa in der Klage wegen Geschlechterdiskriminierung, die Arm Hopkins in den 198oer Jahren gegen das Rechnungsprüfungsunternehmen Price Waterhouse vorbrachte. Bei diesem Fall spielten die Stellungnahmen von Susan Fiske, einer bekannten amerikanischen Sozialpsychologin, im Urteil des Gerichts eine wichtige Rolle (Hopkins 1997). Zahlreiche Rechtsdoktrinen stützen sich auf die Wirtschaftswissenschaften. Rechtsanwälte engagieren gewohnheitsmäßig Experten, um potentielle Geschworene einzuschätzen und das wahrscheinliche Ergebnis vorauszusagen. Bei Kriminalfällen verläßt man sich darauf, daß die gerichtsmedizinischen Labore des FBI wissenschaftlich genau arbeiten. Dem verwissenschaftlichten Wissen über die Natur und den aus Naturgesetzen abgeleiteten rationalen kausalen Prinzipien kommt ein enorm hoher Stellenwert zu. Wenn ein Rechtssystem an die universellen Prinzipien angebunden ist, hält es sich meist an ein wissenschaftliches Modell. Zum Beispiel entwickelte die Harvard Law School 1870 eine "wissenschaftliche" Methode zum Erlernen und Verstehen des Rechts, die sich schnell erbreitete und noch heute an den meisten juristischen Fakultäten der USA verwendet wird (Friedman 1985: 321 f.).
In jüngerer Zeit wird die Welt oft als "Labor" betrachtet, in dem die nationalen rechtlichen Regelungen als naturwissenschaftliche „Experimente“ fungieren (siehe Black/Coffee 1994; vgl. Zimring/Hawkins 1973). Und Rechtsfälle ahmen die Aura wissenschaftlicher Experimente nach, so zum Beispiel, wenn Geschworene sorgfältig die Nullhypothese der Unschuld des Angeklagten prüfen. Rechtssysteme huldigen der Wissenschaft und der Rationalität.
Im alltäglichen Geschäft einer typischen Organisation werden wissenschaftliche Methoden viel weniger häufig benützt. Organisationen entscheiden über ihr Vorgehen oft auf der Grundlage von vagen Ahnungen und Interessen. Sie neigen weniger dazu, die Handlungen ihrer Mitarbeiter zu systematisieren, und sind eher dazu bereit, die Dinge einfach laufenzulassen. In dem Maß, in dem universelle und verrechtlichte Prinzipien auch in nicht-souveräne Organisationen eindringen, steigt deren Neigung, sich auf das Wissen professioneller und wissenschaftlicher Berater zu verlassen. Sie beschäftigen vielleicht hauseigene Psychologen, Ökonomen usw., oder sie engagieren begierig Experten, die die Arbeit ihrer Beschäftigten systematisieren sollen.

(b) Ausgedehnte und ausgedachte Rationalität. In der Moderne wird individuelles Handeln nicht mehr durch religiöse Gründe, sondern durch rationale Motive erklärt. Die Existenz und der Gehalt dieser Rationalität wird typischerweise für selbstverständlich gehalten. Nationale Rechtssysteme suchen ständig nach rationalen oder rational choice-Erklärungen, die sie ihren Gesetzen oder Rechtsentscheidungen zugrunde legen können. Sie greifen auf ausgearbeitete wissenschaftliche und rationalistische Analysen zurück, wenn über Probleme wie das "Syndrom der mißhandelten Ehefrau", das "Syndrom der verdrängten Erinnerung" oder die effektive Abschreckung von Straftätern entschieden werden muß. Viele Rechtsgelehrte gehen davon aus, daß Menschen Verbrechen begehen, nachdem sie rational Kosten und Nutzen abgewogen haben. Verbrechen und Verbrecher, die nicht zu diesem Modell passen, werden als bedeutungslos für das allgemeine Verständnis von Verbrechen abgestempelt oder gedanklich in den rationalen Rahmen eingepaßt. Es entsteht eine umfangreiche Literatur, deren Befunde vor Gericht oder bei Anhörungen m Gesetzgebungsverfahren gewohnheitsmäßig zitiert werden. Gerichte messen Individuen oft am Standard des "vernünftigen Menschen": Würde ein vernünftiger Mensch rationalerweise annehmen, daß sein Verhalten schwere Körperverletzung oder Tod zur Folge haben könnte? Würde sich ein vernünftiger Mensch vom Verhalten des Angeklagten irreführen lassen? Genauso wie früher alle Menschen mittels Buße und Gebet Zugang zu Gott hatten, sollen jetzt alle Menschen mittels rationalem Denken Zugang zur "universellen Wahrheit" haben.
All dies wird in der Regelungspraxis nicht-rechtlicher Organisationen sehr viel lockerer gehandhabt. Die Regeln normaler Organisationen beruhen zwar auch auf Rationalitätsüberlegungen, aber deren Stellenwert ist sehr viel weniger zwingend. In Wirtschaftsorganisationen können persönliche Vorlieben bei der Verteilung der Arbeit eine ausschlaggebende Rolle spielen, und persönliche Kontakte können die Grundlage für langjährige Geschäfte mit bestimmten Lieferanten oder Kunden sein. In Familien stehen emotionale Faktoren im Vordergrund, und Rationalität ist hier immer noch fehl am Platz. So würde es unangemessen (und herzlos) scheinen, wenn jemand vor der Wahl seines Ehepartners erst die Kosten und Nutzen aller möglichen Partner abwägen würde.

(c) Entkopplung zwischen Gerechtigkeit des Systems und Gerechtigkeit im Einzelfall. Regelsystemen, die an universelle Prinzipien angebunden sind, fällt es leichter, unglückliche Entscheidungen als Ergebnis der Anwendung höherer Prinzipien darzustellen. Ein Regelsystem, das sich auf Gerechtigkeit als universelles Prinzip beruft, braucht nicht jedes einzelne seiner Ergebnisse als gerecht auszuweisen. Statt dessen legitimiert es sich über seine Anbindung an die universelle Gerechtigkeit. So konnte im 13. Jahrhundert der Tod als unglücklicher Nebeneffekt der Identifizierung von Hexen auftreten. Wenn eine Frau der Hexerei verdächtigt wurde, wurde sie mit an den Füßen festgebundenen Steinen ins Wasser geworfen. Wenn sie unterging (und möglicherweise ertrank), galt sie als unschuldig; wenn sie an der Wasseroberfläche schwamm, galt es als erwiesen, daß sie eine Hexe war, und sie wurde auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Die Hexenprozesse stellten „Wahrheit“ über "Gerechtigkeit": Es war wichtiger zu wissen, ob die Angeklagte eine Hexe war, als ihr zu einem gerechten Ergebnis zu verhelfen. Auch moderne nationale Rechtssysteme bekümmern sich oft nur wenig um das Ergebnis im Einzelfall. Allerdings kehrt das moderne Souveränitätsprinzip die religiöse Wertung um und stellt "Gerechtigkeit" über "Wahrheit": Im modernen universelle n Recht kann ein Schuldiger auch bei in Vorhandensein einer Leiche und eines rauchenden Revolvers nicht verurteilt werden, wenn der Staat nicht das ordnungsgemäße Klageverfahren eingehalten hat. Sowohl im religiösen System als auch im Souveränitätssystemwerden gelegentlich problematische Ergebnisse im Namen der höheren universellen Prinzipien in Kauf genommen.
Am anderen Ende des Spektrums, bei der alltäglichen Entscheidungsfindung in Organisationen, spielen die praktischen Folgen einer Entscheidung die zentrale Rolle, obwohl auch normale Organisationen zunehmend einem institutionellen Verrechtlichungsdruck ausgesetzt sind (Meyer/Rowan 1977). Über Gerechtigkeit und Wahrheit macht man sich erst dann Gedanken, wenn man die Folgen einer Entscheidung für die Zukunft der Organisation abgeschätzt hat. Beschweren sich verärgerte Mitarbeiter über den Sohn des Firmenbesitzers, so können diese Beschwerden - unabhängig davon, wie berechtigt sie sind - ignoriert oder kleingeredet werden. Auf die Beschwerde eines wichtigen Kunden dagegen wird man wahrscheinlich reagieren, selbst wenn sie unbegründet ist. Diese Art von Widersprüchlichkeit wird selten bemerkt; und wenn sie bemerkt wird, wird das Management der Organisation, "das nicht auf Prinzipien herumreiten will", sie wahrscheinlich damit rechtfertigen, daß sie im Interesse des Geschäfts notwendig ist. Nur wenn eine Organisation sehr stark an die externen universellen Prinzipien angebunden ist, wird ihr Regelsystem mehr Wert auf faire Verfahrensweisen als auf bestimmte Ergebnisse legen und nicht mehr Verwandtschaftsbeziehungen oder das gleiche Vorankommen aller Mitarbeiter, sondern die Leistung zum Kriterium für Beförderung und Bezahlung machen.

(d) Das Bemühen um Konsistenz. Im Unterschied zur normalen Entscheidungspraxis in Organisationen legen nationale Rechtssysteme Wert darauf, bis ins Letzte konsistent zu sein. Inkonsistenz gilt als irrational, und zu ihrer Beseitigung werden große Anstrengungen unternommen - im Bereich des bürgerlichen Rechts mit Hilfe von komplizierten Gesetzestexten und Komitees zur internen Koordination (Blankenburg 1994: 264), im Bereich des common law mit Hilfe von komplizierten Strukturen hierarchisch angeordneter Gerichte (Damaska 1986). Die Inkonsistenz von Regeln widerspricht der Vorstellung, daß Rechtssysteme auf universellen Prinzipien gründen, und stellt daher eine ernste Bedrohung ihrer Legitimität dar. Die Suche nach Konsistenz wird innerhalb von Nationalstaaten und zunehmend auch zwischen ihnen betrieben. Man geht davon aus, daß die Rechtsdoktrinen eines Landes (z.B. Erbschaftsrecht, Beweisführungsregeln) auch in allen anderen existieren (siehe z. B. Malinowski, 1934). Es wird viel argumentiert und zitiert, um Inkonsistenzen aufzuspüren und auszumerzen: Wenn verschiedene Gerichte, Bundesstaaten und jetzt sogar Länder in grundsätzlichen Fragen zu verschiedenen Ergebnissen kommen, stimmt etwas nicht.
Es gibt mindestens zwei Strategien des Umgangs mit wahrgenommenen Inkonsistenzen. Die erste Strategie besteht darin, inkonsistente Gesetze zu ändern oder inkonsistente Fälle im Berufungsverfahren aufzuheben. Die zweite und wahrscheinlich verbreitetere Strategie besteht darin, die Inkonsistenz zu "erklären". In der Wissenschaft erklärt man Inkonsistenzen durch die Spezifizierung des Geltungsbereichs von Aussagen, im Recht durch die Unterscheidung von Fällen oder Gesetzen. Rechtsgelehrte versuchen, universelle Prinzipien aus verschiedenen nationalen Rechten abzuleiten (siehe z. B. Frase 1990 [Urteilspraxis]; Black/Coffee 1994 [Wertpapiere]; LoPucki/Triantis 1994 [Konkurse]). Das Konsistenzideal ist eine der Ursachen für die oben diskutierte starke Entkopplung. Das Rechtssystem vermeidet direkte Zusammenstöße und damit die Gefährdung säkular-religiöser Universalitätsannahmen mit Hilfe von nicht durchgesetzten Regeln. Rechtliche Fiktionen sind so angelegt, daß "die innere Kohärenz des Neuen mit dem Alten, und damit die systematische Einheit des ganzen Rechts, gewahrt bleibt" (Savigny 1840).
All dies unterscheidet sich stark vom alltäglichen Umgang mit Regeln in Organisationen. Es ist in keiner Weise überraschend oder beunruhigend festzustellen, daß Unternehmen A zehn Wochen unbezahlten Mutterschaftsurlaub gewährt und Unternehmen B sechs Wochen bezahlten Mutterschaftsurlaub. Es ist leicht verständlich und wenig problematisch, wenn eine Organisation andere Regeln hat als eine andere und wenn beide Regelsysteme inkonsistent sind. je mehrangeblich universelle Prinzipien in Organisationen eindringen und zur Legitimationsgrundlage ihres Handelns werden, desto mehr wird Konsistenz auch für Organisationen wichtig. Sie entwickeln detaillierte Stellenbeschreibungen, so daß jede Stelle von jedem beliebigen Individuum besetzt werden kann, ohne daß sich die Organisation selbst grundlegend ändert. Sie lassen sich ihre Konformität mit universellen Standards von außen bestätigen, zum Beispiel in den ISO-9000-Zertifizierungen (Mendel 1996). Sie geben sich formale Beförderungsregeln, die die konsistente Behandlung aller Beschäftigten garantieren (Sutton/Dobbin/Meyer/Scott1994), und sie benützen Managementtechniken wie Taylorismus und neuerdings McDonaldisierung (Ritzer 1993), die für konsistente Entscheidungspraktiken in ganz verschiedenen Kontexten sorgen.

(e) Die Neigung zur Ausdehnung. Die Abhängigkeit moderner Rechtssysteme von universellen Modellen und Standards, die mit einem wissenschaftlich-rationalistischen Verständnis der Natur im weiten Sinn verbunden sind, erzeugt sowohl starken Druck als auch viele Gelegenheiten zu Wachstum und Globalisierung. Es bestehen viele Anreize für legitimierte soziale Interessen, ihre Forderungen mit ausgreifenden wissenschaftlichen und rationalistischen Untersuchungen zu untermauern. Sie bestätigen und stabilisieren sich selbst mit Hilfe neuer Effizienzvorstellungen (z. B. aus ökonomischen Analysen); sie stützen ihre Forderung nach Gerechtigkeit auf neue medizinische, soziologische und psychologische Untersuchungen; und sie verfolgen sowohl individuelle als auch kollektive Interessen aufgrund von neuen Erkenntnissen über die Umwelt. Auf der anderen Seite stützen sich die Eliten von Nationalstaaten auf ähnliche Grundlagen, um ihre Autorität zu legitimieren und zu stabilisieren. Die Aktivitäten all dieser Parteien bewirken die Ausdehnung und immer weitergehende Globalisierung der so geschaffenen Rechtsphänomene und lösen eine Wachstumsdynamik des ganzen Systems aus. Es ist vorstellbar, daß ein stärker geschlossenes Weltstaatssystem Mittel und Wege finden würde, um die dafür erforderlichen Entdeckungs- und Erforschungsprozesse zu blockieren; aber in der modernen Welt gibt es keine Zentralinstanz, die die Ausdehnung des kulturellen Wissens und der kulturellen Autorität verhindern könnte, in deren Folge das Recht sich ausweitet und globalisiert.

Zusammenfassung
Man kann moderne Rechtssysteme in der Weise begreifen, daß man ihre Koordinationsfunktion in zunehmend komplexen und interdependenten wirtschaftlichen und politischen Ordnungen betont. Nun haben Rechtssysteme zweifellos solche Funktionen. Aber wenn man sich nur auf diesen Aspekt konzentriert, entgehen einem wichtige Eigenschaften dieser Systeme, die sich besser aus ihrer gemeinsamen historischen und noch andauernden Abhängigkeit von einem sich entwickelnden weltweiten kulturellen Rahmen erklären lassen - einem Rahmen, der ursprünglich religiös war und heute in der säkularen Form allgemeiner, gesetzmäßiger Prinzipien über die physische Welt, über die angemessenen Ziele der staatlich verfaßten Gesellschaft und über die natürliche Stellung von Individuen und Interessen in der Gesellschaft auftritt. Selbstverständlich akzeptierte Prinzipien definieren und regulieren Souveränität, Rationalität, kollektive Ziele, individuelle Rechte, Interessen und Gerechtigkeit: Die Folge ist die Ausrichtung von Interessen und Handlungen an gemeinsamen rechtlichen Prinzipien.
Diese Auffassung macht viele Besonderheiten moderner Rechtssysteme verständlich: ihre starke Isomorphie sogar in Bereichen mit geringer Interdependenz, ihre Ritualisierung und Entkopplung von der praktischen Realität, sowie ihren Rationalismus und ihre chronische Suche nach Konsistenz. Die so entstandene Welt des Rechts hat mehr Gemeinsamkeiten - Diffusion, Isomorphie und gemeinsame Rationalität -, als die realistischen Modelle des Zusammenspiels von Macht und Interessen unter Bedingungen wachsender Interdependenz erwarten lassen.
Es ist eine Welt, die Meinungsverschiedenheiten und Widerspruch unter Kontrolle zu bringen versucht durch die dynamische Ausdehnung einheitlicher und universalistischer Modelle, die durch ein bestimmtes Natur- und Rationalitätsverständnis gedeckt sind. Abweichung und Widerspruch sind dann selbst an der Wachstums- und Globalisierungsbewegung beteiligt, indem jede neue Forderung - zum Beispiel nach neuen Rechten, nach sozioökonomischer Entwicklung oder nach Umweltschutz - im Rahmen dieser Modelle und des ihnen zugrundeliegenden Naturverständnisses formuliert wird. Sowohl die Kräfte der Kontrolle als auch die Kräfte des Widerstands tragen so zur Ausdehnung generalisierter und universalistischer verrechtlichter Modelle bei. Vielleicht ist dieses System hegemonial - und zweifellos beruht es auf westlichen Gerechtigkeits- und Fortschrittsvorstellungen -, aber es ermöglicht auch die Mobilisierung unzähliger verschiedener mächtiger oder relativ ohnmächtiger Interessen, die Wachstum und Globalisierung immer weitertreiben.


Weitere Infoseiten:

Ganz offiziell und milliardenschwer: Demokratie-Export durch die EU

Robuste Demokratieförderung - ohne demokratische Legitimation
Aus Hantke, Martin: "Exportschlager Demokratie", in: Junge Welt, 6.7.2007 (S. 10 f.)
Die internationale Menschenrechtspolitik der Europäischen Union ist im wesentlichen durch drei Merkmale geprägt. Zum einen werden Verletzungen sozialer Menschenrechte systematisch ausgeblendet, zum zweiten werden Menschenrechtsverletzungen von Mitgliedsstaaten der Europäischen Union sowohl innerhalb als auch außerhalb der EU nicht benannt, und zum dritten wird die Menschenrechtspolitik der EU nach dem Vorbild der USA zur Unterstützung imperialer Außenpolitik umgebaut mit der Maßgabe, den Sturz unliebsamer Regime weltweit mitzubefördern. ...
Eine parlamentarische Kontrolle der Mittelvergabe ist praktisch nicht möglich. Mit der Zustimmung zum Menschenrechtsinstrument entmächtigte sich das Europäische Parlament selbst. So verfolgt und überprüft die EU-Kommission "die Durchführung ihrer Programme und bewertet regelmäßig die Wirksamkeit, Kohärenz und Konsistenz der Programmierung". Vorschläge des Europäischen Parlaments werden, so heißt es im Text, "gebührend berücksichtigt", und "gegebenenfalls" will man sich auch "unabhängiger externer Bewertungen" bedienen, "um Empfehlungen künftiger Maßnahmen aussprechen zu können" (Artikel 16 Absatz 1). Im Klartext heißt dies, daß die EU-Kommission selbst entscheiden kann, ob, wann und von wem sie ihre Mittelvergabe kontrollieren lassen möchte. Das Europäische Parlament wird mit der Übermittlung von "Bewertungsberichten zur Kenntnisnahme" (Artikel 16 Absatz 2) abgefunden.


Rechtsstaats-Imperialismus

Aus einem kritischen (lesenswerten) Kommentar von Jürgen Elsässer* in: Junge Welt, 17.12.2004 (S. 8)
Es gibt Leute, auch in der Linken, die singen das Hohelied des internationalen Rechts. Die USA halten sie selbstverständlich für böse, die UNO genauso selbstverständlich für gut. Im Falle der Haager Gerichtshöfe unterscheiden diese, na ja, Internationalisten fein säuberlich: Das Ad-hoc-Tribunal zum früheren Jugoslawien (ICTY), von den USA gegen Milosevic und andere durchgeboxt, müsse als parteiisch abgelehnt werden, während der Internationale Strafgerichtshof (IStG), der von der Bush-Regierung boykottiert wird, das ideale Medium sei, um Gerechtigkeit auf Erden durchzusetzen und den Menschen ein Wohlgefallen. ...
Die UNO und ihre Justiz verteidigten nur solange das Völkerrecht, wie sich in ihr ein weltweites strategisches Gleichgewicht ausdrückte. Seit dem Abzug der sowjetischen Armee aus Berlin ist alles perdu. Kofi Annan, der freundliche Onkel Tom, und George W. Bush, der schießwütige Uncle Sam, spielen in derselben Mannschaft.

*Jürgen Elsässer ist allerdings für seltsame nationalistische Töne und einen Hang zum Autoritären selbst bekannt, siehe hier ...

Aus Vorländer, Hans: "Entwürfe globaler Demokratie" in: Informationen zur politischen Bildung 284 (S. 56)
Die Förderung zivilgesellschaftlicher Entwicklungen, freier Medien und die Sicherung der Menschen- und Bürgerrechte tragen entscheidend zur Transformation von autoritären und halb-demokratischen Staaten zu entwickelten und konsolidierten Demokratien bei.
Anmerkung: Ein zynischer Satz angesichts der Massenaufkäufe lokaler Medien z.B. in Osteuropa vor allem durch deutsche Medienkonzerne (Springer, WAZ usw.), die dann ungeniert prowestliche Regierungen zur demokratischen Machtübernahme verhelfen.

Aus Ernst-Ulrich von Weizsäcker, "Globalisierung - Krebsgeschwür für die nationale Demokratie und die globale Umwelt" in: Hager, Frithjof (1997), "Im Namen der Demokratie", Primus Verlag Darmstadt (S. 132 f.)
Neben dieser neuartigen Entwicklung gibt es auch den klassischen Weg der internationalen Harmonisierung von Standards und Vorschriften und die Entwicklung von internationalen Umweltschutzabhkommen sowie die Rechtsprechung des Internationalen Gerichtshofs.

Aus Eppler, Erhard (2005): "Auslaufmodell Staat?", Suhrkamp Verlag in Frankfurt (S. 225 f.)
Wer legitime nationale Gewaltmonopole und damit international eingebettete Nationalstaaten schaffen will, muß sich auf ein internationales Gewaltmonopol berufen können. ...
Jede unilaterale Intervention ist mit Interessen verbunden, zumindest wird ihr Interesse unterstellt von den Gewalthabern, die in das Vakuum eingedrungen sind, das der Staat hinterlassen hat. Eine Weltpolizei, von der Völkergemeinschaft legitimiert und entsandt, trifft ein solcher Verdacht nicht, auch wenn sie vorläufig aus Einheiten bestehen muß, die Nationalstaaten zur Verfügung gestellt haben.
Jede staatliche Ordnung beginnt mit der Unterscheidung zwischen legitimer und illegitimer Gewalt. Wer beträchtliche Teile des Globus nicht Warlords oder gar Killerbanden überlassen will, muß auf dieser Unterscheidung bestehen.


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