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HORIZONTALITÄT UND OFFENE SYSTEME: RÄUME, KOMMUNIKATION ... OHNE PRIVILEGIEN

Anwendungsfelder


1. Einleitung
2. Verhandeln ohne Regeln und Metaebenen
3. Gleiche Möglichkeiten für alle: Horizontalität in Gesellschaft und Subräumen
4. Worauf ist dann noch Verlass?
5. Anwendungsfelder
6. Das Gesamte: Eine Welt, in der viele Welten Platz haben ...
7. Links

Offene Häuser, Flächen, gebauter Räume
In der „Norm“alität sind alle Räume eingeschränkt – Eigentumsrecht, Wertlogiken, Normen usw. dominieren. Da diese über alle Köpfe und, wo das nicht reicht, auch über institutionelle Herrschaft weiterwirken, wird es kaum gelingen, das ganz Richtige im Falschen zu schaffen. Der Versuch aber ist das politisch Spannende, denn die Reibung, die durch Versuch, Erfolg und Scheitern entsteht, bietet Ansatzpunkte für öffentlichen Streit. Er demaskiert Herrschaft und kann Gelegenheiten schaffen, eigene Strategien weiterzuentwickeln (was allerdings für die Strategien der Herrschenden auch gilt). Insofern wird es eine der wichtigsten Aktivitäten sein, den herrschaftsdurchzogenen Prinzipien der bestehenden Gesellschaft quadratmeterweise den Einfluß zu entziehen und herrschaftsfreie Verhältnisse zu schaffen. Der Begriff „Raum“ steht dabei für einen sozialen Raum, d.h. einen mehr oder weniger abgrenzbaren Bereich gesellschaftlichen Lebens. Das kann ein materieller Raum, also ein Haus, ein Zimmer, eine Werkstatt, ein Wagen, ein Platz, eine Straße, eine Bibliothek, ein Veranstaltungsort oder etwas ähnliches sein, aber auch ein sozialer Zusammenhang, z.B. eine Mailingliste, eine Gruppe, ein Wohnprojekt, jede Veranstaltung, ein Produktionszusammenhang oder eine Verleih-/NutzerInnengemeinschaft. Hier gleiche Möglichkeiten für alle zu schaffen, die Ressourcen aktiv für alle zugänglich zu machen, Normen, Gesetze und kollektive Entscheidungen, ja kollektive Identität überhaupt zu überwinden, ist wichtig. Der Versuch wird auch immer wieder auf den Widerstand derer treffen, die sich beteiligen und – bewusst oder unbewusst – im Versuch des Anderen das Übliche durchsetzen wollen. Die Realität in politischen Gruppen, alternativen Projekten usw. zeigt das. Die Idee „offener Räume“ muss daher immer ein offensiver Prozess sein. Wer, wenn Neues entsteht, nach dem Motto verfährt: „Erstmal gucken und dann, wenn´s schief geht, kann mensch ja immer noch einschreiten“, verkennt die Brutalität von Normierung und Interessen. Offene Räume müssen aktiv hergestellt und immer aktiv auch aufrechterhalten werden. Sonst geht es ihnen wie der Bewegung der Sozialforen, an deren Beginn die Idee eines offenen Raumes stand (siehe Charta des Weltsozialforums in Porto Alegre, Abschnitt 6). Die formal damals festgelegte Offenheit müsste auch heute noch gelten – doch sie ist sehr schnell in Vergessenheit geraten. Von Beginn an dominierten die, die eine „Wir“-Kollektivität verbal erschaffen, für die dann sprechen, die dafür nötige Infrastruktur (Pressekonferenzen, Führungsräume usw.) gegen die eigene Basis absperren und immer in gleichen personellen Konstellationen das Geschehen managen (siehe www.projektwerkstatt.de/sozialforum).


Kommunikationsanbahnung und -räume
Bezogen auf die gesamte Gesellschaft oder größere Subräume (z.B. Dörfer, Städte oder Regionen) können die Orte des Informationsaustausches auch gesondert und gezielt geschaffen werden. Was innerhalb der sonstigen offenen Räume immer als Teil des Ganzen Sinn macht, kann als Beitrag zur gesellschaftlichen Praxis auch eigenständig entstehen. So wie es heute Schulen und Rathäuser oder, teilweise dem Prinzip des offenen Raumes ähnelt, öffentliche Büchereien gibt, so könnten in einer herrschaftsfreien Gesellschaft Tummelplätze des Informationsaustausches entstehen - als öffentliche Plätze, Gebäude, Begegnungsstätten, Cafés oder virtueller Raum. Da Kommunikation ein komplexer und kreativer Vorgang ist, werden die Plätze direkter Begegnung eine besondere Rolle einnehmen. Methoden des Miteinander-ins-Gespräch-Kommens können Austausch und Kooperation anbahnen (z.B. Open Space). Pinnbretter, Wandzeitungen, Mitmachmagazine auf Papier oder in Funk und Fernsehen schaffen Transparenz und regen an. In entlegeneren Gebieten können Infomobile die Informationen zeitweise bereitstellen. Der öffentliche Nahverkehr, Restaurants und Cafés, öffentliche Toiletten und mehr können geschickt eingebunden sein. Die Information kommt zum Menschen.

Bildung, Wissen, Lernen
Angebunden an Treffpunkte zur Kommunikation und Kooperationsanbahnung können Lernorte entstehen, wo Menschen ihr Wissen weitergeben und sich Andere Wissen und Fähigkeiten aneignen können. Das heutige Bildungssysteme setzt Menschen auf bestimmte Gleise. Es ist vorgegeben, wer zu welcher Lebenszeit was zu lernen hat. Zwar ist - mit erheblichen Einschränkungen je nach sozialer Herkunft - die Wahl z.B. zwischen verschiedenen Studiengängen möglich, aber die Art der Ausbildung unterscheidet sich nur in den gelernten Inhalten, nicht vom System des Lernens.
Die Alternative wäre ein organisierter Prozesss des Lehren und Lernens nach Lust und Bedürfnissen, d.h. Zeitpunkt, Thema und Vermittlungsform sind Sache der Menschen selbst. Damit es möglichst einfach ist, an Wissen zu gelangen, sollte das niedergeschriebene Wissen gut zugänglich sein, zudem sollten Orte oder Mechanismen geschaffen werden, durch die Menschen leicht an Wissen gelangen bzw. ihr Wissen weitergeben können. Das würde Schulen und Universitäten ersetzen. Denkbar sind weiterhin besondere Lernorte, vorrangig aber die Verlagerung des Lernen und Lehrens in alle Bereiche der Gesellschaft, in Häuser, Werkstätten und draußen in die Landschaft.

Eine Methode, wie sich Lernwillige und Ausbildende finden, könnte das Open Space sein.

Im Original: Zugang zu Wissen
Aus: Helfrich, Silke und Heinrich-Böll-Stiftung (Hrsg., 2009): "Wem gehört die Welt?", Ökom in München (S. 100)
Um die Freiheits- und Innovationsvorteile zu erschließen, die eine vernetzte Informationsökonomie ermöglicht, müssen wir parallel zur proprietären Infrastruktur eine gemeinsame Basisinfrastruktur aufbauen. Diese Infrastruktur wird sich von der physikalischen Ebene auf ihre logistischen und inhaltlichen Ebenen erstrecken. Sie muss so ausgeweitet werden, dass jedes Individuum über ein Cluster an Ressourcen verfügt, die es diesem Individuum ermöglichen, Informationen, Wissen und Kultur zu produzieren und mit jedem beliebigem anderen Individuum zu kommunizieren. Nicht alle Einrichtungen zur Kommunikation und Informationsproduktion müssen offen sein. Aber es muss auf jeder Ebene einen bestimmten Anteil geben, den jeder benutzen kann, ohne irgendjemanden um Erlaubnis bitten müssen. Dies ist notwendig, damit jeder Person oder Gruppe jederzeit irgendeine Möglichkeit offen steht, das zu artikulieren, zu kodieren und zu übertragen, was er oder sie zu kommunizieren wünschen - völlig unabhängig davon, wie randständig oder nicht kommerzialisierbar das auch sein mag.


Konfliktaustragungsorte
Kommunikation und Kooperationsversuch werden auch die Grenzen dessen zeigen, was konfliktfrei neben-, nach- oder miteinander funktioniert. Wo Meinungsverschiedenheiten entstehen, muss Platz geschaffen werden, den Streit auszutragen. Weder eine streitabwürgende und in der Regel eine Seite unterwerfende Abstimmung noch die Harmonisierung des Konfliktes können aus dem Widerspruch die Weiterentwicklung herausholen. Dazu braucht es einer Streitkultur, die die Meinungen offenlegt und in einen Austausch miteinander bringt - nicht zum Zwecke der Mehrheitsfindung wie in Abstimmungsprozessen, sondern ohne Vorgabe, als offener Schlagabtausch, in dem aber genau deshalb angstfrei kreative Handlungsmöglichkeiten ausgelotet werden können.
Während in einzelnen Räumen solche Methoden als Möglichkeit vorhanden und bekannt gemacht werden sollten (z.B. Fish Bowl), kann es in größeren gesellschaftlichen Subräumen besondere Streitstrukturen geben - Orte und Möglichkeiten, sich auseinanderzusetzen.


Offene Werkstätten
Für vieles im Leben brauchen Menschen Werkzeuge - aber selten brauchen sie es ständig. Solange Werkzeuge Privateigentum sind, herrschen enorme Reichtumsunterschiede, aber alle haben weniger als der Gesamtbestand. Um gleiche und für alle mehr Möglichkeiten zu schaffen, sollten die Produktionsmittel für den Alltagsgebrauch öffentlich zugänglich sein: Fahrradwerkstätten, Schneidereien, Holzbearbeitung und vieles mehr als öffentliche Räume. Egoismus und Gemeinnutz verbinden sich hier, denn der Raum ist für jedeN so gut nutzbar, wie die Menschen ihn organisieren.

Teil 5: Alternativen zum Abstimmen und Wählen

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