Gender-Trouble

ZEITSPRÜNGE: OSTHESSEN HEUTE

Einen Anfang gemacht: Einführung

2. März 1997. Allmählich häufen sich im Radio die Einzelergebnisse der Kommunalwahlen in Hessen. Die sogenannten Republikaner, die gegenwärtig stärkste Partei der extremen Rechten, sind fast überall in die Kreistage und in zahlreiche Stadtparlamente eingezogen. Resultate jenseits der zehn-Prozent-Marke sind dabei keine Seltenheit. Rekordhalter für die Republikaner ist Stadtallendorf mit 16,9 Prozent, eine Steigerung von knapp einem Prozent gegenüber 1993. Die Arbeitslosenquote von 13 Prozent in Verbindung mit einem AusländerInnenanteil von rund 25 Prozent mag eine Ursache dafür gewesen sein, daß hier die Demagogie und rassistische Hetze der Republikaner auf besonders fruchtbaren Boden gefallen sind. Diese Ausrede hat Wölfersheim nicht, das bisher - so der Hessische Rundfunk - "braunste Kaff in Hessen", ist diesen traurigen Rekord los. Es ist diesen Rekord los, obwohl die NPD nochmals um über zwei Prozent zugelegt hat und nun mehr als 22 Prozent der Stimmen erhalten hat. Wie bisher ist sie stärker als die CDU. Übertroffen wird dies noch von ihrem Ergebnis in der mittelhessischen Ortschaft Ehringshausen, wo sie ein Resultat von 22,9 Prozent vermelden konnte. Den Vogel abgeschossen hat allerdings Haiger-Langenaubach: 19,8 Prozent für die Republikaner und zusätzlich glatte zehn Prozent für die NPD. Fast jede/r Dritte gab hier der extremen Rechten seine oder ihre Stimme. Und bei uns in Osthessen? Lange Funkstille im Radio. Keine Katastrophenmeldungen. Die angeblichen Republikaner sind nicht mehr im Kreistag Hersfeld-Rotenburg vertreten, die NPD nicht mehr im Stadtparlament von Bad Hersfeld. Auch in Fulda, von dem die Mär sagt, daß dort auch ein Stück Kohle gewählt werde, wenn es nur schwarz genug sei und Erzbischof Johannes Dyba dazu aufrufe, hat sich die Stimmenzahl für die Republikaner deutlich verringert, wenn sie auch noch immer in der Stadtverordnetenversammlung und im Kreistag vertreten sind. Die Freie Wählergemeinschaft, die besonders in Bebra durch rassistische Äußerungen von sich reden gemacht hatte, hat ihre Kreistagssitze verloren. Neu antretende Gruppierungen der extremen Rechten erreichten kaum zählbare Ergebnisse. Grund zur Entwarnung also? Stellt die extreme Rechte in Osthessen keine Gefahr mehr da?

Wir glauben, daß eine solche Freude entschieden verfrüht wäre. Schließlich hatte die NPD gerade zu einer Zeit im Kommunalparlament von Hersfeld gesessen, in der sie fast überall sonst in der Bundesrepublik demoralisierende Niederlagen einstecken mußte. Schließlich verfügte sie im Kreis Hersfeld-Rotenburg über einen aktiven Kreisverband in einer Periode, in der sie in weiten Teilen der Bundesrepublik nur noch durch galoppierende Schwindsucht bei den Mitgliedern von sich reden machte. Schließlich hatte ihr damaliger Vorsitzender, der seit längerem inhaftierte Auschwitz-Leugner Günter Deckert, geglaubt, daß eine Kandidatur für den Posten des Bürgermeisters für ihn zumindest ein vorzeigbares Ergebnis sein könne. Schließlich gibt es besonders in unserer Region tätige Gruppierungen, die versuchen, den rechten Rand der Unionsparteien und der FDP miteinander ins Gespräch zu bringen und die beiden Parteien zu radikalisieren. Schließlich gibt es in Fulda einen Bischof, der nicht nur theologisch äußerst konservativ ist, sondern dessen politische Ausfälle bereits Anlaß zu Buchveröffentlichungen waren. Die Aufzählung könnte fortgesetzt werden.

Osthessen als Beispiel für bundesweite Gesinnung
Aber es könnte sich ja um eine neue Erscheinung handeln?! Keineswegs! Wieder zu früh gefreut. Gespräche machten uns schnell klar, daß es sich vielmehr um eine lange Tradition handelt. Wir wollen die Lesenden keineswegs damit langweilen, daß wir mit ihnen eine historische Reise in die Kaiserzeit, die Weimarer Republik oder die fünfziger Jahre unternehmen. Aber unsere Exkursionen in die nähere Vergangenheit haben uns sehr schnell gezeigt, daß es nicht nur eine Tradition der extremen Rechten in der Region gibt, sondern daß diese Gegend auch immer wieder starke Anziehungskraft auf diese Kräfte aus der gesamten Bundesrepublik und darüber hinaus ausgeübt hat. Einige Beispiele für solche Treffen und dafür, wie mit ihnen vor Ort umgegangen worden ist, wollen wir in unserem Buch 'Deutschlands Mitte - aber rechts aussen' und unseren www.Seiten, die eine Auswahl der Texte des Buches darstellen aufführen. Vollständigkeit wurde dabei keineswegs angestrebt. Dies hätte sicherlich unsere Kräfte überstiegen.

Außerdem wurden unsere geschichtlichen Recherchen immer wieder durch die Aktualität behindert. Die extreme Rechte nahm einfach keine Rücksicht auf unsere Zeitprobleme und unsere arbeitsmäßige Überlastung. Ein Treffen nach dem anderen wurde angekündigt. Ob es nun um lokale und regionale Veranstaltungen ging wie einen Stammtisch der osthessischen Deutschen Volksunion oder um eine Veranstaltung des Bund freier Bürger noch kurz vor Drucklegung oder ob es sich um überregionale Treffen handelte wie eine mit dem berufsmäßigen Antikommunisten Gerhard Löwenthal, der stets in der Tarnung eines Journalisten auftritt, ob es sich um das Pressefest der rechtsextremen Zeitschrift "Europa vorn", das dann kurzfristig nach Halle verlegt wurde, handelt oder um die zweite kultur-konservative Messe des Fördervereins Konservative Kultur und Bildung in der Stadthalle Bad Hersfeld.

All dies haben wir nur teilweise berücksichtigen können. Daß all dies und noch mehr in Osthessen stattfindet, hat jedoch nicht nur seinen Grund in der zentralen Lage unserer Landkreise und in der guten Verkehrsanbindung. Zentrale Veranstaltungen brauchen auch Personen vor Ort, die sie organisieren. Einige von ihnen wollen wir in dem vorliegenden Band vorstellen. Die Durchführung solcher Treffen braucht ein gesellschaftliches Klima, das dafür günstig ist. Dazu ist es wichtig, daß das Widerstandspotential vor Ort nicht allzu groß ist. Wie beides in unserer Gegend zusammenwirkte und - wirkt, wollen wir an einigen Beispielen verdeutlichen. Zu unserer eigenen Überraschung sind wir darauf gestoßen, daß Neofaschisten keineswegs immer dem Klischee des Bomberjacken und Springerstiefel tragenden Skinhead entsprechen müssen, auch nicht dem des Alten mit Lodenmantel, Gamsbart und Knotenstock, sondern ihr antidemokratisches Gedankengut durchaus auch mit einem Banker- oder alternativen Outfit kombinierbar ist. Weniger überraschend war für uns, daß der Rassismus in seinen vielfältigen Erscheinungsformen nicht nur fernab - in Mölln, Solingen, Hoyerswerda, Rostock und Bonn - stattfindet, sondern auch in unserer Gegend seinen - zum Teil massiven und erschreckenden - Ausdruck findet. Auch dafür können wir nur Beispiele anführen. Wir sind allerdings davon überzeugt und haben Hinweise dafür, daß diese Beispiele beliebig zu erweitern wären.

Rechter Filz
So beunruhigend dies alles auch war, zumal es sich keineswegs um Einzelfälle handelt, beunruhigender war für uns die Feststellung, daß es offenbar ein Geflecht aus Personen, Gruppen, Zeitungen, Fraktionen innerhalb von Parteien gibt, das in Arbeitsteilung und teilweise auch in Kooperation versucht, das politische Klima in unserem Land allmählich oder auch schneller nach rechts zu verschieben und dabei scheibchenweise die politischen Grundrechte einzuschränken oder zu kappen. Es handelt sich keineswegs um Strömungen, die in den Verfassungsschutzberichten in der Rubrik "extreme Rechte" auftauchen, sondern um Personen aus den etablierten demokratischen Parteien.

Wir gestehen gerne, daß wir in diesem Bereich Schwierigkeiten mit der Wortwahl hatten. Wie sollte mensch die betreffenden Tendenzen nennen? Rechtskonservativ, nationalkonservativ, Grauzone, Braunzone, nationalliberal, Brückenspektrum? Oder sollte ein noch anderes Schlagwort zutreffen? Wir haben noch immer keine Lösung und sind noch immer unsicher. Rechtskonservativ ist problematisch, da es keinen linken Konservatismus gibt. Nationalkonservatismus ist fragwürdig, da jeder Konservatismus die Nation als zentralen Bezugspunkt hat. Brückenspektrum oder Grauzone ist unbefriedigend, da eine politische Richtung nicht ausschließlich über ihre Funktion bestimmt werden kann. Es ist uns keine Lösung eingefallen, die alle Facetten des Problems umfaßt. Wir sind uns des Dilemmas bewußt. Aber wir sind nicht allzu deprimiert darüber, denn erstens sind Worte nicht entscheidend und zweitens haben wir bei der Lektüre der einschlägigen Fachliteratur festgestellt, daß auch die Wissenschaftler, die zum Thema arbeiten, zwischen den Begrifflichkeiten hin- und herhüpfen, daß ein ausgewachsenes Känguruh seine helle Freude hätte. Wir maßen uns nicht an, klüger sein zu wollen als die Wissenschaft.

Selbstverständlich glauben wir auch nicht, daß wir die perfekte Lösung zur Bekämpfung des Problemfeldes Rechtsextremismus, rechter Rand der etablierten Parteien und Rassismus zur Verfügung haben. Deshalb sind die praktischen Handlungsanleitungen am Schluß des Bandes natürlich auch nur Möglichkeiten. Es sind keine Kochrezepte, die immer und überall anwendbar wären. Erfolgsgarantien sind nicht möglich. Phantasie ist gefragt. Und natürlich die Berücksichtigung der örtlichen Gegebenheiten.

Wir wollen weiter zu diesem Thema arbeiten. Wir sind uns bewußt, daß wir noch längst nicht alle Facetten und Erscheinungsformen erfaßt haben. Wir sind uns ebenso über die zeitlichen Lücken in unserer Darstellung bewußt. Deshalb sind wir dankbar für weitere Hinweise, für Materialien, für Zeugenberichte, für Dokumente, die uns zur Verfügung gestellt werden. Noch lieber ist uns natürlich die direkte Mitarbeit. Wir alle sind keine Wissenschaftler. Wir können also Hilfe gebrauchen. Wir haben allerdings einen Anfang gemacht. Und der ist wichtig. So wie dem Faschismus und seinen heutigen Nachfolgern bereits an seinen Anfängen Widerstand entgegengesetzt werden muß, so ist es auch unerläßlich, einen Anfang bei der Information der Öffentlichkeit zu machen. Auch wenn dieser noch lückenhaft ist. Genau dies haben wir getan. Die Lesenden mögen selbst beurteilen, ob wir dabei erfolgreich waren oder nicht.

Die Redaktion

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