Gender-Trouble

FREIE MENSCHEN IN FREIEN VEREINBARUNGEN
THEORIE & PRAXIS DER HERRSCHAFTSFREIHEIT

Was spricht gegen Herrschaft - und was für eine herrschaftsfreie Welt?


1. Herrschaft ist nicht neutral - sie verlockt und verstärkt sich!
2. Was spricht gegen Herrschaft - und was für eine herrschaftsfreie Welt?

Eine gute Theorie kennt keine Axiome!
Eine Debatte über Theorien der Herrschaftsfreiheit oder herrschaftsfreie Utopien basiert in der Regel auf einem Axiom – nämlich, dass Herrschaft irgendwie blöd ist (oder ähnlich, oft reicher an Fremdwörtern ausgedrückt). Axiome sind Annahmen, die nicht hinterfragt werden, d.h. als Setzung Gedanken oder Theorien vorausgehen. Solche Axiome sind Alltag, angefangen von den Basissetzungen der Mathematik wie „1+1=2“ oder die Annahme, dass es Zeit gibt. Sie sind oft nötig, um die darauf aufbauende Debatte überhaupt führen zu können. Ihr Charakter als Setzung geht aber durch die Routine verloren, d.h. sie existieren dann unausgesprochen wie Gesetze. Für eine gute Theorie ist das jedoch unbefriedigend. Sie macht Axiome zumindest sichtbar, wenn es ohne ein solches nicht geht. Besser wäre, auf solche zu verzichten.

Aus Philosophisches Wörterbuch, Kröner zu "Axiom"
Grundsatz; ein Satz, der nicht bewiesen werden kann, aber auch nicht bewiesen zu werden braucht, da er unmittelbar als richtig einleuchtet und deshalb als "Grundsatz" für andere Sätze dient (Deduktion) kann, bzw. als solcher auch vereinbart werden kann.

Im Folgenden sollen thesenartig Aspekte zusammengetragen werden, die als Antwort auf die Frage dienen können: Warum soll es eine herrschaftsfreie Welt ge-ben? Ist sie für Menschen irgendwie „besser“?

„Gut“ und „böse“ sind ebenso Einteilungen aus dem Reich der Herrschaft wie „falsch“, „richtig“ und „wahr“.
Auf dem Weg zu einer axiom-freien Theorie wird es sehr früh kompliziert. Denn bei der Suche nach einer argu-mentativen Herleitung, warum Herrschaft „doof“, „falsch“ oder „böse“ ist, fällt die erste Skepsis darauf, dass all diese Wertungen nicht frei von herrschaftsförmigen Setzungen sind. Kann es in einer herrschaftsfreien Welt Einteilung wie „gut“ und „böse“ überhaupt geben? Kann etwas objektiv „falsch“ sein? Wer will „Wahrheit“ verkün-den? Tatsächlich – das geht nicht. Es kann also gar nicht darum gehen, der Herrschaft etwas per se „Schlechtes“ anzudichten und solches nachzuweisen. Möglich sind Antworten auf die Frage, welche gesellschaftlichen Zustände durch Herrschaft und welche durch Herrschaftsfreiheit geschaffen bzw. gefördert werden. Dann könnten sich alle entscheiden, welche dieser Welten sie lieber wollen – warum auch immer. Und noch ein Weiteres erscheint spannend: Die Frage, ob Herrschaft zur Natur, zum Menschen und zur kulturellen Entwicklung von Gesellschaft passt – und wann Menschen sie wollen.

Im Buch "Freie Menschen in freien Vereinbarungen":
  • Texte zu Gut-Böse: S. 137ff
  • Texte zu Wahrheit: S. 122ff

Viele Beobachtungen sprechen dafür, dass Menschen es lieben, beherrscht zu werden und zu herrschen.
Eine weitere Verwirrung tritt auf, wenn mensch andere Menschen (oder auch sich selbst) beobachtet. Denn ein oberflächlicher Blick zeigt eher, dass Menschen gerne herrschen oder beherrscht werden. Etwas genauer betrachtet, folgt dieses allerdings selten aus einer freien Entscheidung, sondern zum einen aus der Zurichtung (Erziehung, Diskurse, Rollenerwartungen usw.) und zum anderen aus äußeren Zwängen, die es funktional erscheinen lassen, sich in den vorgegebenen Kanälen zu bewegen. Diese aber sind hierarchisch strukturiert, d.h. ob mensch „oben“ oder „unten“ agiert – alle bewegen sich auf ausgetretenen Pfaden. Das Unwohlsein ange-sichts der gefühlten Loslösung aus der Natur mit der daraus folgenden Notwendigkeit, eigene Entscheidungen treffen zu müssen, verschärft diese Neigung, sich lieber auf abgestecktem Terrain zu bewegen, vorgeplante Rollen zu spielen statt selbstbestimmt zu agieren. Denn damit gelänge es zwar besser, die möglichen Freiheiten auszunutzen, aber mensch fühlt sich dabei immer selbst als zuständig und „verantwortlich“.

Aus Spinoza, Die Ethik
Und da uns besonders angenehm ist, was wir ohne Mühe vorstellen können, so ziehen die Menschen die Ordnung der Verwirrung vor.

  • Texte zu Loslösung und Flucht: S. 148ff

Wann wäre herrschaftsfrei das „Richtige“? Wenn sie zum Menschen passt …
Gut und böse, richtig und falsch, wahr und unwahr sind moralische Kategorien, d.h. selbst herrschaftsförmig. Es kann also nicht darum gehen, ob Herrschaftsfreiheit „richtig“ ist. Was aber erörtert werden kann, ist die Frage, ob Herrschaftsfreiheit zum Menschen passt oder nicht. Dabei geht es um die Natur des Menschen, die Natur überhaupt und die Frage, ob sich daraus etwas ableiten lässt oder es irrelevant ist, weil die Sozialisati-on den Menschen so stark formt, dass es darauf nicht ankommt.
Die Fragestellung schafft Gefahren, die stets bedacht werden müssen. Denn einfache Übernahmen von z.B. Prinzipien und sogenannten Naturgesetzen aus dem Reich der Biologie auf die gesellschaftliche Organisie-rung wären ein Biologismus, da hier Verhältnisse mitei-nander verglichen würden, in denen substantiell unterschiedliche Faktoren wirken. Kulturelle Entwicklung bie-tet prinzipiell neue Möglichkeiten, d.h. die Biologie wirkt im menschlichen Leben fort, aber wird durch neue, nicht durch einfaches Vergleichen mit biologischen Systemen erklärbare Muster ergänzt und vielfach überprägt. Mög-lich aber ist, die kulturelle Evolution im Strang der Evolution insgesamt zu sehen – und den Menschen als Entwicklung in der Fülle von Entwicklungen.

Herrschaftsfreiheit passt zur Natur des Menschen – mehrfach.
Im Bewusstsein, dass direkte Ableitungen aus der Biologie auf die Gesellschaft als Biologismus gefährlich und deshalb möglichst zu vermeiden sind, reduzieren sich die Aspekte, die angeführt werden können. Trotzdem lassen sich sogar mehrere bedeutende Punkte aufführen, die allesamt in die gleiche Richtung deuten: Herrschaftsfreiheit passt zum Menschen.
Sechs seien im Folgenden benannt:
  • Herrschaftsfreiheit bietet die besten Rahmenbedingungen für eine kulturelle Evolution.
  • Herrschaftsfreiheit passt zur materiellen Ausstattung und Gestaltung der Welt.
  • Sie schafft zudem den besten Rahmen, in dem der Mensch seine spezifischen Möglichkeiten ausschöpfen bzw. ausbauen kann.
  • Nahe verwandte Arten tendieren bereits zu komplexeren sozialen Gefügen mit zumindest flacheren Hierarchien.
  • Lange Jugend und Geburtssituation legen nahe, dass Menschen sich von Natur aus nicht genormt/gleichförmig entwickeln.
  • Kulturelle Inzucht erhöht die Anfälligkeit in Krisen und reduziert gesellschaftliche Möglichkeiten.

Evolution ist die Evolution der Evolutionsbedingungen: Je mehr Handlungsmöglichkeiten, desto „besser“! Herrschaft wirkt (oft) entgegen.
Herrschaftsfreiheit passt zum Menschen, weil sie zur bisherigen Evolution passt. Denn Evolution ist nicht nur eine ständige Weiterentwicklung durch Erweiterung und Kombination, z.B. mittels molekularer Bindung, Mutation und anderer Effekte. Ein zentraler Baustein von Evolution ist die Evolution der Evolutionsbedingungen. Immer wieder sind prinzipiell neue Möglichkeiten hinzugekommen, die nicht nur das Bisherige ergänzten, sondern selbst zum Antrieb von Evolution wurden. Ein frühes Beispiel ist die Entstehung des Stofflichen aus Strahlung u.ä., welche schließlich eine molekulare Weiterentwicklung ermöglichte. Später folgten autopoietische Systeme, mit denen sich Stoffwechselvorgänge, Zellen und schließlich komplexes Leben entwickelten. DNA-Codierung, ergänzt durch Sexualität, brachte prinzipiell neue Formen der Informationsweitergabe - was ebenso für Sprache, Schrift usw. gilt, die typische Sprünge in der Evolution bedeuteten. Systeme, die biologische oder soziale Verhältnisse einfrieren wollen, sind daher anti-evolutionär.

  • Texte zur Evolution S. 96ff

Materie ist hochkomplex und extrem dynamisch. Diese „Natur“ der Dinge und des Menschen passt eher zu Prozess und Offenheit.
Bisherige Weltanschauungen gingen meist von einer Starrheit der Materie aus - mal mehr, mal weniger. AnhängerInnen des klassischen Materialismus verneinen die Existenz metaphysischer Welten und sehen alles auf der Welt in einer naturalistischen Ordnung. KritikerInnen solcher Sichtweisen begründen die Notwendigkeit von nicht-materiellen Sphären und lokalisieren sie aus dem gleichen Begriffsverständnis von Materie außerhalb dieser. Doch andere Blickwinkel sind möglich - und werden formuliert - bestätigt und befördert auch von verschiedenen Wissenschaftsrichtungen. So sprechen QuantenphysikerInnen von der „Unschärfe“ des materiell Fassbaren. Die Epigenetik, ein recht neuer Zweig der DNA-Forschung, zweifelt nicht mehr daran, dass sich Umweltbedingungen erbfest im Menschen „einbrennen“, in dem sie genetische Codes ein- und ausschalten. Wenn aber schon das Materielle, geschweige denn das darauf basierende Leben so offen und dynamisch sind, dann passt dazu nur eine Welt, die diese Offenheit und Dynamik auch zulässt. Ein auf Status-Quo-Sicherung und Selbsterhalt ausgelegtes Herrschaftssystem führt zur Erstarrung und widerspricht den Eigenschaften von Welt, Natur und des Menschen.

Das menschliche Gehirn ist ein extremer Ausdruck der Dynamik und Komplexität von Materie.
Ein spannendes Beispiel der komplexen Dynamik und Organisation von Materie ist das menschliche Gehirn. Was die moderne Hirnforschung an Informationen zu Tage fördert, kann nicht nur der in autoritären System typischen Neigung zu Kontrolle und Manipulation dienen, sondern auch als Begründung von Herrschaftsfreiheit.
Danach bilden sich alle Eindrücke, Überlegungen, Sinneswahrnehmungen usw., einfach schlicht alles an Reizen, daraus folgenden Verarbeitungsprozessen oder Gedanken, im menschlichen Hirn materiell ab. Die ca. 80 Billionen Synapsen in jedermenschs Kopf sind in ständiger Veränderung. Dies ist der Mechanismus des Denkens. Als Körperorgan ist der Kopf also perfekt auf eine dynamische Umwelt und ständige gesellschaftliche Weiterentwicklung angepasst.
Herrschaftsfreiheit passt zu dieser Arbeitsweise des menschlichen Gehirns.

  • Texte zum menschlichen Gehirn S. 111ff

Der Mensch ist nahe verwandt mit Tieren, die nicht als Herden oder Schwärme leben, sondern zunehmend komplexere und hierarchieärmere Systeme ausbilden.
Wenig ist unsinniger als der oft gehörte Spruch „Der Mensch ist ein Herdentier.“ Denn das ist erstens gefährlich und zweitens falsch. Gefährlich ist es, weil hier eine direkte Übertragung aus der Biologie auf menschliche Gesellschaft geschieht. Kulturelle Entwicklung wird also nicht im Kontext der gesamten Evolution gesehen, sondern als deren Abbild. Das ist biologistisch. Darüber hinaus ist es aber auch noch falsch. Denn Herde ist eine Kategorie aus der Verhaltensbiologie. Es gibt Herdentiere, aber im Stammbaum der Tiere sind sie nicht besonders nah am Menschen (noch schlimmer bei den ebenfalls angeführten Schwärmen). Bei Affen, insbesondere den dem Menschen nahestehenden, sind die sozialen Beziehungen wesentlich komplexer und die Hierarchien deutlich abgeflacht bzw. dynamischer. Wer meint, der Mensch sei aus diesem Umfeld entstanden und hätte sogar noch weitere Fähigkeiten entwickelt (z.B. komplexe Sprache und Arbeitsteilung), kann aus der Evolution ableiten: Weiterer Hierarchieabbau wäre die Fortsetzung der großen Geschichte des Lebens.

Menschen sind bei Geburt wenig geformt und haben eine sehr lange Jugend vor sich. Das entspricht einem Trend in der Evolution.
Noch eine weitere „Neigung“ in der Evolution ist interessant. Die Jugendphase verlängert sich bei den Arten, deren Nachkommen nicht sofort an ein fluchtorientiertes Leben angepasst sein müssen. Und: Je länger die Jugend, desto „unfertiger“, d.h. formbarer ist das Gehirn. Beim Menschen ist das in extremer Weise ausgebildet. Mindestens 20 Jahre, so die Hirnforschung, organisiert sich das Gehirn um. Selbst wenn es dann an Dynamik verliert, bleibt es doch ständig in Bewegung und flexibel. Dauerhaft zeigen sich nur bestimmte Schwerpunkte, d.h. die Gehirnstruktur verfestigt sich entsprechend dominanten Reizen und Verhaltensweisen. Das geschieht aber genau auf der Basis des Erlebten, d.h. die Struktur ist unterschiedlich je nach Einflüssen. Wäre es für den Menschen typisch, dass alles nach gleichen Rastern ablaufen soll (wie es Herrschaft anstrebt), so wäre eine solche Ausstattung des Menschen überflüssig. D.h. die Biologie des Gehirns legt nahe, eine herrschaftsfreie Welt zu schaffen.

  • Texte zu Geburt und Jugendphase: S. 149

Gleichförmigkeit schafft kulturelle Inzucht. Die Gesellschaft würde weniger vielfältig, kanalisiert und verlöre Flexibilität.
Varianz und Fähigkeit zu dynamischer Reaktion auf sich verändernde Umweltbedingungen sind eine wichtige Überlebensvoraussetzung für Individuen, mehr aber noch für Arten, Populationen und biologische Systeme. Auch hier verbietet sich eine analoge Übertragung auf die Gesellschaft. Möglich ist aber die Betrachtung, ob etwas, was sich als erfolgreiche Strategie in der Natur entdecken lässt, auch für kulturelle Entwicklung nützlich ist oder sein könnte. Naheliegend wäre das insbesondere, wenn bei Betrachtung der dem Menschen nahestehenden Arten und Gattungen solche Qualitäten zunähmen.
Genau das ist der Fall. Schematische Reiz-Reaktionssysteme nehmen im Stammbaum des Lebens in der Nähe des Menschen und auch bei anderen Großsäugern oder auch vielen Großvögeln ab. Offenbar ist Differenz ein Vorteil im Leben – und Herrschaft damit ein Wagnis bei Strafe des Untergangs.

Herrschaftsfreiheit ist des Menschen Bestimmung!
Alle genannten Hinweise führen weder zu Wahrheiten noch zu moralischen Urteilen. Es bleibt dabei: Der Mensch ist frei, zwischen Möglichkeiten zu wählen – und diese auszudehnen (oder es zu lassen). Eine Möglichkeit ist die des Lebens in Herrschaft – und das auch noch in vielerlei Formen. Eine übergeordnete Moral, die Herrschaft als falsch, böse oder schlecht definiert, wäre selbst nicht herrschaftsfrei. Keinem Menschen kann in einer herrschaftsfreien Welt verboten werden, sich herrschaftsförmig zu organisieren – solange keine anderen Menschen in ein solches System hineingezwängt oder zwangsweise darin festgehalten werden (siehe These 10). Allerdings sind die heutigen gesellschaftlichen Bedingungen so gestellt, dass mensch unfreiwillig, z.B durch äußeren Zwang, Normen, Zurichtung oder Entzug anderer Möglichkeiten, zur Akzeptanz und Ausübung von Herrschaft gebracht wird.

Ein Blick auf Natur und Mensch legt jedoch eine andere, nämlich herrschaftsfreie Welt nahe. Sie passt zum Menschen, seiner Natur und seiner Umwelt. Herrschaft ist damit im Kern des Wortsinns „un-menschlich“.

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