Verkehrswende

VERKEHRSWENDE IM VOGELSBERGKREIS

Danni bleibt - der Krampf ums Versammlungsrecht


1. Übersicht
2. Noch mehr Autobahn? A49-Weiterbau von Schwalmstadt zur A5
3. Was zerstört wurde: Eindrücke rund um die A49-Trasse
4. Danni bleibt - das Kampf für Wald und Verkehrswende
5. Danni bleibt - der Krampf ums Versammlungsrecht
6. Straßen säen, Verkehr ernten - Betonpolitik geht weiter!
7. Bahn und Bus rund um Alsfeld und Lauterbach
8. Per Fahrrad im Vogelsberg

In der Nacht auf den 1. Oktober 2019 besetzten Aktivistis die geplante Autobahntrasse der A49 im Dannenröder Forst, schnell danach fürsorglich "Danni" genannt - ganz in Anlehnung an den "Hambi", der vielen als Vorbild für die Aktion galt. Schon kurz danach wurde für mehrere Flächen am Waldrand Richtung Dannenrod eine Versammlung angemeldet, bestehend aus einer Mahnwache mit Info-Bauwagen, Infoständen, sonntäglichen Spaziergängen und einer Zeltwiese für Menschen, die mehrere Tage dabei sein wollten. Das alles ging recht geräuschlos ab. Die Anmeldung erfolgte beim Ordnungsamt der Stadt Homberg. Da die geplanten Rodungen sofort für ein Jahr ausgesetzt wurde, blieben auch Konfrontationen aus mit Ausnahme kleiner, unbedeutender Scharmützel am Rande - aber auch die eher selten. Knapp ein Jahr später näherte sich dann die nächste Rodungssaison. Jetzt sollte es Ernst werden - und das zeigte sich auch in zunehmenden Spannungen zwischen politischen Parteien, Gegner*innen und Befürworter*innen der Asphaltierung von Äckern, Wiesen und Wäldern sowie einer bizarren Eskalation um die Möglichkeit von Protestversammlungen. Denn die Landesregierung, also die autobauende Institution, erhob sich selbst zur Richterin über den Protest gegen sich selbst.

Der Beginn: Autobahnbauer erklärt sich selbst zur Versammlungsbehörde
Im Vorbereitungsprotest auf den Beginn von Räumungen und Rodungen für die A49 meldeten Protestgruppen im August 2020 mehrere Versammlungen an - kleinere Mahnwachen und größere Protestcamps mit Bühnen, Workshop- und Übernachtungszalten. Da das Gebiet sich auf drei Gemeinden (Stadtallendorf, Kirtorf und Homberg) aufteilt, wurden zunächst drei Ordnungsämter aktiv. Kurz darauf erklärte sich das Regierungspräsidium Gießen zur zentralen Versammlungsbehörde und übernahm die Vorgänge - der sogenannte "Selbsteintritt". Dadurch entstand eine absurde Situation, denn das RP ist eine Einrichtung der Landesregierung Hessen, die wiederum der Erbauer der Autobahn ist. Sie tut das zwar im Auftrag des Bundes, was aber nichts ändert. Zudem ist das RP federführend in einer Initiative für die A49 tätig. Praktisch war also jetzt eine Behörde, die die A49 will, dafür zuständig, über die Zulässigkeit des Protestes gegen sich selbst zu entscheiden.
Die Folge: Mit einer Vielzahl von Tricks versuchte das RP, den Protest möglichst ganz zu verbieten oder wenigstens maximal zu behindern. Alles, was zurzeit möglich ist, ist nur aufgrund von Gerichtsurteilen möglich, die RP-Verbote und -Auflagen aufhoben.

Trick 1: Lügen über Grundstückseigentum/-besitz
Mehrfach wurden die Anmelder*innen von Versammlungen darüber belogen, wer die Grundeigentümer*innen der Flächen sind. Durch die Behauptung, es handele sich um Privatpersonen, sollte das Demorecht eingeschränkt werden. Verbote von Versammlungen wurden so angekündigt und teilweise dann auch vollzogen. So wurde für das sogenannte "Protestcamp Süd" behauptet, diese Fläche sei noch in Privatbesitz. Es sollte auf der geplanten Trasse am Rand des Dannenröder Forstes Richtung Appenrod stattfinden. Alle Aussagen über Privatflächen waren aber falsch. Die Lügen musste das RP mehrfach zugeben. Leider gelang es für das wichtige "Protestcamp Süd" nicht, die Kaufverträge der Landwirt*innen an den Autobahnbauer zu finden, so dass die Klagen scheiterten. Am 2.11.2020 begann dann der Bau der Trasse und die Errichtung eines Logistikzentrums auf genau dieser Fläche - auf fremden Eigentum?

Trick 2: Übernachtungen gehören nicht zu Versammlungen
Entgegen bereits bestehender, höhergerichtlicher Entscheidungen definierte das RP alle Übernachtungsbereiche als Nicht-Versammlung und verbot sie dann nach anderem, gegenüber dem Versammlungsrecht niederrangigerem Recht (z.B. Verbot des wilden Campens oder Corona-Verordnungen ). Es war nötig, das Übernachten aus den Versammlungen herauszudefinieren, weil das Versammlungsrecht über den für die Verbote genutzten Regelungen gestanden hätte. Nach Versammlungsrecht aber hätten konkrete Gefahren benannt werden müssen. Warum das Corona-Virus aber nachts gefährlicher sein sollte als tags, hätte die versammlungsfeindliche Behörde wohl kaum begründen können.
Die Übernachtungsverbote wirkten sich wie komplette Verbote aus, denn zum einen wollten viele Menschen aus größeren Entfernungen den Protest unterstützen, zum anderen mussten die Mahnwachen auch nachts zumindest von einigen Menschen bewacht werden. Das aber war verboten. Dieses faktische Gesamtverbot der Protestcamps und Mahnwachen über den Trick, die Übernachtungen zu verbieten, war der Versammlungsbehörde auch klar. Es war das Ziel. Doch in diesem Punkt fegte das Bundesverfassungsgericht die Schikanen komplett beiseite. Vorher zeigten die hessischen Gerichte aber Zähne. Die ebenfalls von der autobauenden Landesregierung bezahlten Richter*innen bestätigten die Verbote.
Doch die A49-Gegner*innen blieben zäh. Im Sommer 2020 hatten sich kleine Teams gegründet, die den Protest beraten und unterstützen wollten. Dazu gehörte ein Versammlungs-Unterstützungsteam. Dieses bereitete etliche Klagen vor und zog die durch - so auch gegen das Übernachtungsverbot. Zunächst stellte sich auch das Verwaltungsgericht Gießen als Bollwerk der Versammlungsfeindlichkeit heraus. Alle Verbote wurden glatt bestätigt - und sogar verschärft. Dass höhere Gerichte zum Beispiel das Übernachten bereits als Teil von mehrtägigen Versammlungen gewertet hatten, interessierte die Gießener Richter*innen, darunter der NPD-Sympatisant und Rassist Andreas Höfer, nicht. Also die nächste Instanz.
Der Hessische Verwaltungsgerichtshof (VGH) fällte dann eine Entscheidung, die nicht mehr verständlich war. Er erkannte an, dass Übernachtungen zu Versammlungen dazugehören und daher geschützt waren, verbot diese aber dennoch, weil auch andere Gründe für ein Verbot denkbar wäre - erwähnte aber nicht, welche das sein könnten. In mehreren Medien wurde die Entscheidung diskutiert und berichtet, dass nun gar nicht mehr klar war, was gelten sollte. Also noch eine Instanz.
Das Bundesverfassungsgericht machte kurzen Prozess und stellte klar: Die Übernachtungen gehören zu den Versammlungen, basta (Az. 1 BvR 2152/20). Damit schien dieser Punkt ausgeräumt. Doch die Versammlungsfeinde von RP und Verwaltungsgericht ließen nicht locker.

Zweiter Versuch zum Trick mit den Übernachtungsverboten: Schlafen ja, aber nur ungeschützt im Regen
Selbst das höchste deutsche Gericht beeindruckte das RP wenig. Für danach angemeldete, kleine Mahnwachen verbot es zwar nicht mehr die Übernachtung direkt, aber alle Infrastruktur, die das Übernachten ermöglichte. Erlaubt war nur, unter freiem Himmel zu schlafen - also ungeschützt gegen Regen und Kälte. Das kam einem Verbot gleich - und so war es auch gemeint. Das Verwaltungsgericht Gießen bestätigte das Unverschämtheit, doch der VGH ahnte, dass es eine nächste Klatsche beim Verfassungsgericht geben würde und hob die Auflagen auf. Damit war das immerhin geklärt - und RP sowie die VG-Richter*innen kassierten eine Strafanzeige wegen Rechtsbeugung, weil sie trotz Verfassungsgerichtsurteil wieder Übernachtungsverbote erlassen hatten.
Damit war die Übernachtungsfrage wenigstens mal geklärt.

Trick 3: Grundwasserschutz
In Sachen Grundwasserschutz gab es glatte Verbote für alle dort angemeldeten Versammlungen. Die betrafen alle Flächen im Grundwasserschutzgebiet II, welches ab Schmitthof entlang der Gleen bis kurz vor Stadtallendorf reichte, und wurde mit dann nötigen Toilettengängen, dem Abstellen von Fahrzeugen (könnte Öl draus tropfen) usw. begründet. Durch die Autobahn wird dieser Bereich weitgehend zerstört - aber das, so die Versammlungsbehörde und die Gerichte, sei halt eine rechtlich korrekte Planung und da dürfe auch alles kaputt gehen. Dass die im Vorfeld schon eingerichteten Baustellen und Begleit-Infrastruktur ebenfalls dort Fahrzeuge oder Dixi-Toiletten abstellten, interessierte RP und Gerichte ebensowenig wie die Tausenden von Fahrzeugen auf der B62, die selbst auch in diesem Wasserschutzgebiet liegt. Die Verbote blieben stabil bis einschließlich zum Bundesverfassungsgericht, so dass auf der Nordseite des Dannenröder Waldes bzw. am südlichen und westlichen Rand des Herrenwaldes zunächst Versammlungen gar nicht möglich waren.
Besonders absurd waren dabei mehrere Verbote auch von kleinen Mahnwachen auf Teerflächen mit der Begründung, das Grundwasser schützen zu wollen. All diese Versammlungen richteten sich gegen die Gefährdung des Grundwassers durch den Autobahnbau. Die Logik: Es gibt ein Wasserschutzgebiet, daher darf nicht demonstriert werden. Der Autobahnbau ist zwar viel gefährlich, aber ja politisch abgesegnet - darf also das Grundwasser gefährden. Das zu kritisieren, ist verboten - wegen Grundwasserschutz.
Erst durch einen Zufall änderte sich die Praxis etwas. Bei einer Ortsbegehung im Zusammenhang mit einer Versammlungsanmeldung nahe dem Herrenwald entdeckten Versammlungsanmelder und Behörde ein Lager mit Zelten und Hütten eines ortsansässigen Verein - im Wasserschutzgebiet. Das schien dort schon jahrelang zu existieren und bewies, dass alles vorgeschoben war. Ab diesem Zeitpunkt wurden kleine Mahnwachen erlaubt. Vorher hatte es schon eine spektakuläre Schlafdemo auf der B62 gegeben, um gegen die Schikane zu protestieren. Später kamen weitere spektakuläre Aktionen in diesem Bereich hinzu, zum Beispiel das über Tage andauernde 300m-Seite quer über die Gleen als Simulation des geplanten Autobahnbrückenverlaufs.

Trick 4: Corona-Schutz als Vorwand für hohe Auflagen
Nachdem das RP den juristischen Kampf um die Übernachtungsverbote endgültig verloren hatte, versuchte die Versammlungsbehörde weitere Schikanen mit dem Wundermittel Coronaschutz. Sie verhängte Auflagen, die unerfüllbar waren: Massenweise Toiletten, Duschen, medizinische Einrichtungen usw. Für die inzwischen langsam einrückenden Polizeieinheiten galt das alles nicht - aber für die Demonstrant*innen. Als neuer Akteur hatte zudem der Chef des Gesundheitsamtes im Vogelsbergkreis beeindruckende Auftritte, verkündete (mal wieder) Übernachtungsverbote und verhängte per Verfügung die Räumung bestehender Schlafzelte. Gespräche darüber lehnte er von Anfang an ab. Stattdessen wollte er Namen und Adressen von Menschen haben, bevor diese an Protesten teilnehmen dürften. Das war selbst der Versammlungsbehörde zu viel und er setzte sich mit diesem Anliegen nicht durch. Gegen die sonstigen Schikanen per Verfügung wurde geklagt - die Sache verlief dann eher im Sande und die Protestcamps konnten stabil gehalten werden.

Trick 5: Kooperationsbereitschaft vortäuschen und einfach mal lügen ...
Wenn alles nichts half, täuschte die Versammlungsbehörde Kooperation vor, um die Demoanmelder*innen heimtückisch zu hintergehen. Das geschah mit den Lügen zu den Grundeigentümer*innen (siehe Trick 1) und der peinlichen Entlarvung des Verbots des Aufstellens von Pavillons oder Ähnlichem durch den Fund des vorhandenen Zeltlagers eines ortsansässigen Vereins (siehe Trick 3). Am deutlichsten wurde die Sache aber im juristischen Tauziehen um die Abschiednehmen-Demo vor Rodungsbeginn. Der Demoanmelder wollte täglich vor Einsatz der Kettensägen und Rodungsmaschinen (Harvester und Ähnliches) eine Stunde andächtige oder protestierende Kundgebungen durchführen - und zwar direkt an den Orten, wo danach die Bäume fallen. Klar, dass das der Behörde nicht gefiel, deren Auftrag es war, den Autobahnbau mit Tricks und Rechtsverstößen beim Versammlungsrecht zu erleichtern. Also wurde die Demo verboten. Das versammlungsfeindliche VG Gießen bestätigte das, aber der VGH sagte (vielleicht aus Angst vor einer erneuten Verfassungsbeschwerde): Das geht so nicht. Versammlungsrecht ist Grundrecht und dürfe nicht komplett missachtet werden. Es müsse aber die Verhältnismäßigkeit gewahrt bleiben - daher das Ganze nur einmal pro Woche. Darauf folge ein komplizierter Aushandlungsprozess mit der Versammlungsbehörde, an deren Ende aber ein umsetzbares Ergebnis stand. Es wurde vereinbart, dass zwei Tage vor den jeweils ersten Fällungen in einer Woche der Demoanmelder über Ort und Zeit informiert wird und dann eine Stunde dort die Arbeiten zunächst ruhen, um Abschied nehmen und eine Menschenkette um die Rodungsmaschinen bilden zu können.
In der ersten Woche, in der diese Absprache galt, kam es zu keinen Fällungen. In der zweiten Woche jedoch wurden Bäume umgesägt, zunächst am 11.11.2020 per Hand, am 12.11.2020 dann auch per Harvester. Doch dem Demoanmelder sagte niemensch Bescheid - weder zwei Tage vorher, noch direkt an den Tage noch danach.

Fazit: Hier agiert eine Versammlungsverhinderungsbehörde
Aus dem Verfassungsgerichtsbeschluss 1 BvR 233, 341/81 (sog. Brokdorf-Urteil)
Die staatlichen Behörden sind gehalten, nach dem Vorbild friedlich verlaufender Großdemonstrationen versammlungsfreundlich zu verfahren und nicht ohne zureichenden Grund hinter bewährten Erfahrungen zurückzubleiben. Je mehr die Veranstalter ihrerseits zu einseitigen vertrauensbildenden Maßnahmen oder zu einer demonstrationsfreundlichen Kooperation bereit sind, desto höher rückt die Schwelle für behördliches Eingreifen wegen Gefährdung der öffentlichen Sicherheit.

Insgesamt sind zur Zeit noch viele Klagen anhängig. Fast alle Mahnwachen und Protestcamps brauchten den Weg durch mehrere Instanzen, bis sie - oft nur eingeschränkt - möglich waren. Ganz verboten sind bislang alle Versammlungen auf oder in der Nähe der geplanten Autobahntrasse - welch Zufall. Angeführt werden dafür sehr unterschiedliche Gründe, aber offenbar soll der Protest zumindest auf Distanz gehalten werden.

Fallbeispiele

Menschenketten am Harvester und Abschiednehmen von den Bäumen
Jeden Werktag der gleiche Ablauf: Die Polizei durchsucht die Waldbereiche, die zur Fällung anstehen. Diese sind bis zu dem Zeitpunkt von den Fällarbeiten noch unberührt. Die Rodungsmaschinen werden unter Polizeischutz aus in der Landschaft aufgebauten, bewachten Käfigen zu den Rodungsflächen gebracht. Meist nimmt dieses Procedere den gesamten Vormittag in Anspruch - mal bis 11 Uhr, mal auch noch länger. Da dachten sich einige Anwohner*innen und Aktivistis, in dieser Zeit mit einer besonderen Versammlungsform gegen die Rodungen zu protestieren und zudem angemessen von den Bäumen und dem voller Erinnerungen steckenden Wald Abschied zu nehmen. Aus dem Versammlungsunterstützungsteam wurde für jeden Tag in der Phase vor Beginn der Fällungen drei Versammlungen für die drei betroffenen Gemarkungen angemeldet, die aus zwei gleichzeitig laufenden Teilen bestand:
  • Ein stilles, andächtiges Abschiednehmen von den Bäumen auf der noch unversehrten, aber zur Fällung anstehenden Waldfläche und
  • eine symbolische Menschenkette für eine begrenzte Zeit um die anfahrenden Rodungsmaschinen auf deren Weg in den Wald.
Gefahren hätten nicht bestanden, weil zu diesem Zeitpunkt noch nicht gefällt würde und beide Orte außerhalb der Rodungsflächen lagen.
Doch die Versammungsbehörde (wieder das RP) verbot beide Teile der Versammlung (Link zu Anmeldung, Protokoll und Verfügung mit Verbot). Das Absurde: Die Verbote wurde ausschließlich mit den Gefahren auf der Rodungsfläche oder während der Rodungsarbeiten begründet. Das passte aber gar nicht zur Versammlungsanmeldung und war, wie das vom RP selbst verfasste Protokoll zeigt, im Kooperationsgespräch auch deutlich so gesagt worden.


Aus dem vom RP gefertigten Protokoll über Aussagen des Anmelders

Also reichte der Versammlungsanmelder beim Verwaltungsgericht Gießen Klage ein, in der er diese Fehler klar benannte. Doch das half nichts. Das RP nahm Stellung - und wiederholte dreist alles nochmal. Offenbar hört es nicht zu und liest die Schriftsätze der Versammlungsanmelder nicht. Weiterhin führte es dickköpfig die Gefahren während der Rodungen auf.
Zu den Menschenketten bei der Zufahrt der Rodungsmaschinen behauptete die Versammlungsbehörde, da nichts machen zu können:


Aus der Stellungnahme des RP.
Hierunter die Antwort des Versammlungsanmelders:

Als roter Faden zog sich zudem ständig die Behauptung durch Gespräche und Schreiben des RP, dass das Zugucken beim Baumfällen aus sicherer Entfernung (120m) doch das Gleiche sei wie vor dem Fällen von den Bäumen direkt Abschied nehmen zu können. Solche Ausführungen hatten schon im Kooperationsgespräch zu Unverständnis bei den Versammlungsanmelder*innen geführt. Sie würden von kaltem Bürokratendenken und fehlender Empathie zeugen. Der Versammlungsanmelder nahm mit entsprechenden Ausführungen zur Klageerwiderung des RP nochmal Stellung ... und wartete dann auf das Urteil des bislang stets versammlungsfeindlichen und autobahnfreundlichen Gießener Gerichts. Das fiel aus, wie zu erwarten - das Verbot blieb bestehen. Nur die Beschränkung auf ein Ende am 31.10.2020 wurde aufgehoben, was immerhin für andere Versammlung nützlich ist.

Dann kam Bewegung in die Sache. Denn eine andere Person hatte ebenfalls Versammlungen angemeldet, die an einem Punkt (Menschenkette um Rodungsmaschinen/Harvester) deckungsgleich war - und gewann vor dem Verwaltungsgerichtshof in diesem Punkt. Einmal wöchentlich muss diese Begegnung der Maschinen, die den Wald killen sollen, und der Menschen, die ihn retten wollen, ermöglicht werden. Für eine Stunde muss das Fällen dann pausieren (siehe Beschluss vom 22.10.2020 mit Az. 2 B 2546/20). Daraufhin teilt die Versammlungsbehörde mit, dass sie ihre bisherigen Verbote ändern würde - in welche Richtung, ist zur Zeit noch unklar. Ein langes Telefonat am 23.10.2020 vormittags brauchte aber keine konkreten Ergebnisse. Daher reichte der Anmelder doch eine vollständige Beschwerde beim Verwaltungsgerichtshof ein (Anhänge im Link nicht enthalten).

Aus dem VGH-Beschluss vom 22.10.2020 (Az. 2 B 2546/20)
3. Ausgehend hiervon ist die mit der Bildung einer Menschenkette verbundene Blockade der Räumungs- und Rodungsarbeiten für die Dauer einer Stunde entsprechend der Anmeldung des Antragstellers jeweils einmal in der Woche von der dadurch in der Bauvorbereitung beeinträchtigten DEGES GmbH bzw. der Vorhabenträgerin hinzunehmen. Während der Bildung der Menschenkette müssen die Harvester und sonstigen Gerätschaften stillstehen, und eine Räumung der Baumhäuser ist solange nicht möglich. Der zeitliche Umfang der Arbeitsverzögerung umfasst nur einen geringen Teil der Wochenarbeitszeit. Besonders ins Gewicht fällt bei der Abwägung der unmittelbare örtliche und sachliche Bezug zwischen dem Versammlungsanliegen zu der Beeinträchtigung der Räumungs- und Rodungsarbeiten. Die versammlungsrechtliche Ausdrucksform der Menschenketten soll unmittelbar am Ort des Geschehens stattfinden, das Gegenstand des Protests bildet, und beeinträchtigt unmittelbar die beanstandeten Räumungs- und Rodungsarbeiten. Die Behinderungen und Verzögerungen, die von der Versammlung ausgehen, treffen hier nicht unbeteiligte Dritte und sind daher der DEGES GmbH und der Vorhabenträgerin in größerem Maße zuzumuten.
4. Die bei Bildung der Menschenketten zu betretenden Flächen stehen grundsätzlich noch als Versammlungsort zur Verfügung. Auch wenn sie sich bereits im Eigentum der DEGES GmbH befinden, handelt es sich immer noch um Waldflächen, zu denen im Grundsatz ein Zutrittsrecht der Allgemeinheit besteht ($ 14 des Bundeswaldgesetzes, 8 15 des Hessischen Waldgesetzes).
Während der einstündigen Bildung von Menschenketten um Harvester und sonstige Maschinen sowie um Baumhäuser am Anfang eines Arbeitstages können die Räumungs- und Rodungsarbeiten nicht begonnen werden; die Maschinen müssen stillstehen. Eine Gefährdung von Menschen durch einen unmittelbaren Einsatz der Maschinen besteht in diesem Zeitraum demnach nicht.


Nun musste die Versammlungsbehörde handeln. Es fand ein Kooperationsgespräch zwischen dem RP Gießen und dem Demoanmelder statt. Dabei sagte die Versammlungsbehörde zu, dass jeweils vor den ersten Fällarbeiten in einer Woche diese Versammlungen möglich gemacht würden. Der Anmelder sollte zwei Tage vorher Bescheid bekommen, wann und wo diese stattfinden könnten. Das von der Versammlungsbehörde verfasste Protokoll hält die Absprachen auch minutiös fest.
Aus dem (vom RP Gießen gefertigten) Protokoll des Kooperationsgespräches am 3.11.2020 (Namenkürzungen hinzugefügt):
Sodann teilt Herr K… den Gegenstand des heutigen Kooperationsgespräches, den Ablauf der künftigen Versammlungen in Form von Menschenketten um die „Waldmaschinen“ und den Abschied von zu fällenden Bäumen, mit. Der VGH Beschluss habe Herrn Bergstedt (nachfolgend: Anmelder) zugestanden, die Versammlung an einem Tag in der Woche bis zum Ende des Rodungszeitraumes durchzuführen. …
Sodann fragt Herr K. den Anmelder, wie er sich die Ankunft an dem jeweiligen Versammlungsort vorstelle. Ob man sich vorstellen könne, sich vor dem Wald an einem Ort zu sammeln und anschließend an den eigentlichen Versammlungsort weitergeleitet werde. Der Anmelder bejaht diesen Vorschlag, da dieser zweckmäßig erscheine und die Teilnehmer geschlossen über „Stock und Stein“ zum Versammlungsort gelangen könnten. Dies auch vor dem Hintergrund der Auffindbarkeit des Versammlungsortes. Der Anmelder fragt nach, wie dies geregelt werde und ob hierzu neue Auflagen an ihn ergehen würden. Herr K. teilte hierzu mit, dass man eine Art „atmendes“ Verfahren ausprobieren könne und sich gemeinsam an den Ablauf herantasten könne. Insoweit wolle man erst einmal abwarten, wie die Versammlungen verlaufen und ggf. durch Auflagen nachsteuern. … Herr K. schlug vor, dass man sich ggf. an bzw. in der Nähe der eingerichteten Mahnwachen treffen könne und anschließend gemeinschaftlich an den Versammlungsort gebracht werde. …
Ab kommender Woche könne man sodann bereits zwei Tage vor der Versammlung den Ort benennen.

In der Woche, in der das Gespräch stattfand und für die das Gerichtsurteil ja schon galt, gab es keine Fällarbeiten. Am Freitag wurde dieses für die darauffolgende Woche zunächst auch für Montag und Dienstag von der Versammlungsbehörde mitgeteilt:
Aus einer Mail des RP am 6.11.2020:
soeben unterrichtete uns die Polizei Mittelhessen darüber, dass sowohl am kommenden Montag als auch Dienstag Stand heute keine größeren Fällarbeiten auf dem Trassenbereich durchgeführt werden. Vielmehr sollen im Bereich des Herrenwaldes Rückearbeiten und vereinzelte Fällungen stattfinden.

Aus der Antwort des Demoanmelders am gleichen Tag:
"Dann wäre es nett, spätestens Montag zu erfahren, ob dann später in der Woche Fällarbeiten beginnen. Es wäre symbolisch schön, dann ein erstes Mal mit der 1-Stunden-Phase dabei zu sein. Wenn es erst die Woche darauf oder noch später sein soll, weil keine Fällarbeiten stattfinden, ist es mir natürlich auch recht. Ich will ja nicht plötzlich für Fällungen sein, nur damit ich "meine" Demo machen kann ;-)"

Tatsächlich kam es am Montag und Dienstag nicht zu Baumfällungen. Am Mittwoch, den 11.11.2020, jedoch wurden einzelne Bäume im Dannenröder Forst per Hand gefällt, so dass die Abschiednehmen-Kundgebung hätte stattfinden können - und müssen. Am Donnerstag wurde dann sogar ein Harvester eingesetzt, so dass neben der Abschiednehmen-Kundgebung an diesem Tag auch die Menschenkette hätte stattfinden können – und nach dem VGH-Beschluss müssen. Beides wurde dem Anmelder jedoch gar nicht mitgeteilt – weder, wie vereinbart, zwei Tage vorher noch überhaupt. Auch am Tag danach lag keine Äußerung des RP vor. Die Absprachen und Versprechungen waren also nichts als Lügen und Tricks - und ein klarer Verstoß gegen das geltende Rechts durch den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs. Doch was nützt es, im Besitz des Rechts zu sein, wenn die andere Seite über Tausende Polizeibeamt*innen und Rodungsmaschinen verfügt, die sie per Lohnabhängigkeit - also wie auf Knopfdruck - in Gang setzen kann, ohne dass dort jemensch nachdenkt, ob das rechtmäßig oder sinnvoll ist.
Das - und eine Beschwerde beim VGH - hatte offenbar dann doch Wirkung. Am Freitag der Woche, in der die Demo eigentlich schon hätte stattfinden dürfen, wurde dann für den Montag (16.11.) ein Treffpunkt angekündigt. Doch der Verlauf dieser ersten Abschieddemo zeigte auch nur das Motto von Seiten der Polizei: Autobahn ja, Protest nein!

Bericht vom 16.11.2020
Am 13.10.2020 meldete eine Person eine Versammlung an, die jeden Tag vor Beginn von Rodungen oder Räumungen für eine Stunde allen Menschen die Möglichkeit geben sollte, von den zu fällenden Bäumen direkt am Ort des Geschehens Abschied nehmen und eine Menschenkette um eine Rodungs- oder Räumungsmaschine zu bilden.
Die Versammlungsbehörde, ein Teil der autobahnbauenden Landesregierung, verbot die Versammlung. Das versammlungsfeindliche Verwaltungsgericht Gießen, in den zuständigen Kammern unter anderem mit einem offen bekennenden NPD-Sympathisanten besetzt, bestätigte das Verbot. Doch der dann angerufene Hessische Verwaltungsgerichtshof hielt ein Totalverbot für unverhältnismäßig und versuchte einen Mittelweg. Einmal pro Woche sollte eine solche Versammlung möglich sein.
Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen die Verfügung des Antragsgegners vom 16. Oktober 2020 (RPGI-22-03a0600/1-2020/18) wird hinsichtlich der Durchführung von Versammlungen und der Bildung von Menschenketten um Harvester, Hebebühnen, Räumgeräte, Baumhäuser im Trassenbereich jeweils zu Beginn der Räumungs- und Rodungsarbeiten für die Dauer von einer Stunde wöchentlich … wiederhergestellt …
Am 3.11.2020 wurden in einem Kooperationsgespräches zwischen Anmelder und Versammlungsbehörde die genauen Abläufe festgelegt. Aus dem von der Versammlungsbehörde gefertigten Protokoll:
Sodann fragt (Name weggelassen) den Anmelder, wie er sich die Ankunft an dem jeweiligen Versammlungsort vorstelle. Ob man sich vorstellen könne, sich vor dem Wald an einem Ort zu sammeln und anschließend an den eigentlichen Versammlungsort weitergeleitet werde. Der Anmelder bejaht diesen Vorschlag.
Ein entscheidender Satz im Protokoll war dann: „Ab kommender Woche könne man sodann bereits zwei Tage vor der Versammlung den Ort benennen.
Ab Mittwoch, den 8.11.2020 wurde im Dannenröder Wald geräumt und gerodet. Doch die Versammlungsbehörde schwieg. Der Gerichtsbeschluss wurde ignoriert. Per Pressemeldung und Mitteilung an das Gericht beschwerte sich der Anmelder. Daraufhin erhielt er am Freitag, den 10.11., eine Mail, dass am folgenden Montag die Versammlung früh morgens stattfinden könnte – eine Woche zu spät, aber immerhin.
Um 7.30 Uhr versammelten sich ca. 15 Personen in der Ortsmitte Niederklein, dem vereinbarten Treffpunkt. Von dort ging es mit einer von Anzahl und Ausrüstung martialisch erscheinenden Polizeibegleitung Richtung Dannenröder Wald. Sogar ein Hubschrauber beobachtet die Szenerie – pro Demoteilnehmer*in gab es nicht eine Wanne, sondern eine ganze Kolonne. Im Wald angekommen, musste die Versammlung über 100m vorm rot-weißen Absperrband stehen bleiben. Eine Polizeikette verhinderte das Weitergehen. Ohne den Versammlungsstatus hätten alle Menschen bis zum Absperrband weitergehen können. Hier wurde also nicht ein Sicherheitsabstand eingehalten, wie er auch sonst am Tage gilt, sondern eine Sicherheitsabstand zum Sicherheitsabstand – reine Schikane gegen die Versammlung. Die Versammlung stand in weitem Abstand zur einer bereits gerodeten Fläche. Die Bäume, die dann gefällt werden sollten, waren von dort aus gar nicht zu sehen. Ebenfalls war keine Räumungs- oder Rodungsmaschine zu sehen – die Menschenkette und das Abschiednehmen von den zu fällenden Bäumen sollten also einfach ausfallen. Nach einer knappen Stunde machte sich die Versammlung daher auf den Rückweg – im Gefühl, übelst verarscht worden zu sein von der erneut tricksenden, versammlungsfeindlichen Versammlungsbehörde und der Polizei. Auf dem Rückweg aber entdeckten die Teilnehmer*innen dann, dass doch Räumungsmaschinen in der Nähe waren, aber vor ihnen versteckt wurden. Wütend liefen sie zu diesen hin, doch bevor sie diese erreichten, bildete sich eine dichte Polizeikette. Es war offensichtlich, dass der gerichtlich bestätigte Ablauf der Versammlung absichtlich und hinterhältig verhindert wurde. Auch nach entsprechenden Verhandlungen gab es keine Erlaubnis, nun endlich die Menschenkette um die Rodungsmaschine bilden zu können. Stattdessen begannen diese direkt vor den Augen und nur in wenigen Metern Abstand von der Versammlung mit der Arbeit, genauer mit der Räumung eines Tripods und anschließend mit der maschinellen Zerstörung desselben. Plötzlich waren Sicherheitsabstände egal. Der Verwaltungsgerichtshof hatte in seinem Beschluss festgelegt, dass während der Kundgebung die Arbeiten stillstehen müssen. Auch das wurde nicht befolgt.
Insgesamt zeigte der Vormittag, dass es nicht einmal etwas nützt, vor Gericht zu gewinnen. Während Autobahngegner*innen mit fingierten Vorwürfen oder kleinen Scharmützel gleich ins Gefängnis wandern, tritt der Staat und seine Schergen selbst das Recht mit Füßen. Die Befehlsgeber wähnen sich sicher angesichts der Masse williger Vollstrecker*innen, die jeden noch so blöden und offensichtlich rechtswidrigen Befehl ausführen und sich für Zwecke verheizen lassen, hinter denen sie oft nicht selbst stehen. Ihren Frust lassen sie dann in üblicher Manier an anderen aus. Darum sitzen die, die von oben ihre Interessen rücksichtslos gegen Mensch und Natur durchsetzen, so fest im Sattel.
Die Demo zum Abschiednehmen und als Menschenkette soll wöchentlich stattfinden. Wir werden sehen, wie es weitergeht. Und wir werden sehen, ob die Rechnung der Autolobby und ihrer Schergen aufgeht, dass am Ende die blanke Gewalt gewinnt.

Autobahn-Transpiaktion, geplant am 24.11.2020 - verboten!
Für den 24.11. hatten Verkehrswendeaktivisten eine spektakuläre Versammlung angemeldet. Sie wollten sich - diesmal vorab als Versammlung angemeldet - genau so über der A5 mit Transpis abseilen, wie dies auch am 26.10. am gleichen Ort geschehen war und zu einer inzwischen über dreiwöchigen Untersuchungshaft für damals Beteiligte führte. Der Protest sollte sich gegen diese Verhaftungen und die weitere Förderung des motorisierten Individualverkehrs mittels neuer Straßen, Ausbau von Straßen und Förderung weiterer Autos richten. Doch am 20.11. verbot die zuständige Stadt Neu-Isenburg das Vorhaben. Nach Auffassung der Anmelder ist dieses Verbot allerdings nicht gerechtfertigt. In der Verbotsbegründung würde vor allem die große Bedeutung von Autobahnen für ein funktionierendes Verkehrssystem hervorgehoben. "Autobahnen sind offenbar heilig", kritisiert Aktivist und Anmelder Jörg Bergstedt diese seiner Meinung nach politischen Verbotsgründe. Zum kritisiert er mehrere Unterstellungen, so etwa, dass es ihm nur um Störung ginge und nicht um die benannten Inhalte der Versammlung. "Ich habe bei der Versammlungsanmeldung deutlich gemacht, dass ich an einer Reduzierung von Behinderungen interessiert bin." Im gestrigen Kooperationsgespräch seien etliche Behauptungen aufgestellt worden, die sich nachweislich als falsch herausstellten. Die Versammlungsbehörde habe gar nicht versucht, einen Weg zur Umsetzung zu finden, sondern suchte nur nach Gründen für das Verbot. "Das freundliche Design der Veranstaltung mit netter Begrüßung und angebotenem Kaffee passte nicht zu der Verbissenheit, mit der wir überzeugt werden sollten, von uns aus auf die Versammlung zu verzichten."
Einen Tag später haben die Anmelder Widerspruch bei der Stadt und Antrag auf Eilentscheidung beim zuständigen Verwaltungsgericht Darmstadt gestellt. Doch auch das Verwaltungsgericht hält Autobahnen für systemrelevant und lehnte den Antrag ab - das Verbot blieb. Dabei hatte das Verwaltungsgericht selbst festgestellt, dass Versammlungen auch auf Autobahnen möglich sein müssten:

Aus dem Beschluss des VG Darmstadt vom 23.11.2020 (Az. 3 L 1927/20.DA)
Eingriffe in die Versammlungsfreiheit sind nur zum Schutz gleichgewichtiger anderer Rechtsgüter unter strikter Wahrung der Verhältnismäßigkeit zulässig. ...
Eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit folgt zwar nicht bereits daraus, dass die Nutzung einer Bundesautobahn für Versammlungen generell unzulässig wäre (...). Vielmehr kann grundsätzlich auch eine Bundesautobahn, abweichend von ihrem Widmungszweck des Schnellverkehrs mit Kraftfahrzeugen (vgl. § 1 Abs. 3 FStrG), für Versammlungen genutzt werden. Diese Nutzung stellt sich als Sondernutzung außerhalb des von der Widmung umfassten Gemeingebrauchs dar.

Dann jedoch folgt eine Formulierung, die inhaltlich das Gegenteil aussagt. Ohne irgendwelche Ausnahmen auch nur anzudeuten, wir das Demonstrieren im angemeldeten Bereich verboten.

Nach § 15 Abs. 1 VersG kann die zuständige Behörde die Versammlung oder den Aufzug verbieten oder von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzuges unmittelbar gefährdet ist.
Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Die Benutzung der A 5 an der vom Antragsteller in seiner Anmeldung benannten Örtlichkeit ist mit einer unmittelbaren Gefährdung der öffentlichen Sicherheit verbunden.

Die Formulierung lässt keinen Platz für das Recht auf Versammlungen. Es ist ein Totalverbot jeglichen Demonstrierens, die den Verkehr auf Autobahnen behindert.

Der Anwalt der Stadt Neu-Isenburg, der ja für die Versammlungsbehörde spricht, hatte das in seiner Stellungnahme noch deutlicher und abenteuerlicher ausgedrückt:

Aufgrund der Gefahren für die öffentliche Sicherheit (Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs) war der Schutzbereich der Versammlungsfreiheit nicht eröffnet. ...
Der von der Ordnungsbehörde alternativ im Rahmen des Kooperationsgespräches angebotene Veranstaltungsort auf einer innerörtlichen Straße (Brücke über die zweispurigen Friedhofstraße in der Kernstadt von Neu-lsenburg) sollten der Verhältnismäßigkeit dienen und dem Anmelder das Vorbringen seines Anliegens ohne lnkaufnahme von unzulässigen Gefährdungen ermöglichen. Insbesondere wurde eine Brücke mit der Möglichkeit, durch Kletterer ein Transparent anzubringen, vorgeschlagen, um das „Nachstellen der Aktion vom 26.10.“ zu ermöglichen. Auch die Friedhofstraße ist als Zubringer zur Bundesautobahn A661 stark befahren und vierspurig
.

Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass sich das Verwaltungsgericht auf eine Stellungnahme der Polizei beruft. Danach wäre das Risiko von Unfällen selbst dann so hoch, dass die Demo verboten werden müsse, wenn die Geschwindigkeit durch die in den A5-Abschnitt vorhandenen, regelbaren Verkehrszeichenanlagen reduziert würde.

Aus dem VG-Beschluss
Ohnehin hat die Antragsgegnerin eine für das Gericht überzeugende Stellungnahme der Polizeiautobahnstation Südhessen vorgelegt, aus der sich ergibt, dass die Gefahr von schweren Auffahrunfällen auch bei einer Abbremsung des Verkehrs bestehen bleibt (Schriftsatz vom 23.11.2020, S. 8). Verkehrsleitende Maßnahmen zur Geschwindigkeitsreduzierung würden somit nicht genügen, um die Gefahren ausreichend zu reduzieren.

Wenn aber die Geschwindigkeit keine Rolle spielt, kann zwischen Autobahnen und anderen Straßen kein Unterschied mehr gemacht werden. Jede Demonstration im Straßenbereich führt zu Verkehrsbehinderungen und meistens einem Stau. Aus den Ausführungen des Verwaltungsgerichts lässt sich also ein generelles Versammlungsverbot auf Straßen überhaupt ableiten. Dass gleichzeitig dem Anmelder "Angebote der Antragstellerin", nämlich eine "Brücke über einen Autobahnzubringer" (Zitate aus dem VG-Beschluss) gemacht wurden, steht in einem unüberbrückbaren Widerspruch dazu. Denn auch dort käme es zu einem Stau mit Stauende - und das ohne automatische Verkehrsregelungsanzeigen.
Genau eine solche Straße (vierspurig, stark befahren) hatte die Stadt Neu-Isenburg aber als Alternativort vorgeschlagen. Dieser Alternativort hätte - wegen der auf der Autobahn ebenfalls möglichen Geschwindigkeitsbegrenzung, die sogar per Knopfdruck noch stärker hätte reduziert werden können am angegebenen Alternativort - also nach der Logik der vom Gericht zitierten Polizeiautobahnstation Südhessen die gleichen Gefahren gebracht wie die Aktion auf der Autobahn. Er wäre aber ohne jeglichen Bezug zum Thema der Demonstration, was in der Abwägung dazu hätten führen müssen, dass dieser Alternativort versammlungsrechtlich weniger zulässig wäre wie der ursprünglich angemeldete.
Die Ausführungen lassen folglich ausschließlich die Interpretation zu, dass um jeden Preis Autobahnen unangetastet bleiben sollen. Sie sind das Heiligtum, die Tabuzone des Systems Auto - oder neudeutsch: systemrelevant. Sie freizuhalten, ist die Aufgabe von Versammlungsbehörden und Verwaltungsgerichten, die sich damit in Bezug auf diesen Ort als reine Versammlungsbehinderungsbehörden zeigen.

Die eingelegte Beschwerde beim Hessischen Verwaltungsgerichtshof hatte für den 24.11. erwartungsgemäß keinen Erfolg mehr, weil der angemeldete Zeitraum der Versammlung da schon vorüber war. Es gab wieder eine Stellungnahme des Anwaltes im Auftrag der Versammlungsbehörde (Stadt Neu-Isenburg) und dann eben den ablehnenden Beschluss am 24.11.2020 (einige Tage später folgte auch die Begründung). Allerdings läuft sie zur Nichtbescheidung des 8.12. noch weiter. Der Anwalt (beim VGH ist Anwaltszwang) legte schnell eine erste Beschwerdebegründung vor, der - dann in Kooperation mit dem Anmelder - eine zweite, ausführlichere Begründung folgte. Daraufhin folgte wieder die Stellungnahme des Anwalts der Stadt, jetzt eigentlich nur noch aus Unterstellungen bis Beleidigungen bestehend. Der Anmelder und sein Anwalt reagierten darauf mit einem eigenen Schreiben.

Am 30.11.2020 traf dann das Verbot auch der zweiten Versammlung (8.12.) ein. Noch am gleichen Tag gingen der Widerspruch und der Eilantrag ans Verwaltungsgericht raus. Das bestätigte das Verbot mit einer Begründung, die fast komplett aus dem vorherigen Verfahren abkopiert war, ohne auf die ergänzenden Ausführungen des Versammlungsanmelders überhaupt einzugehen. Also ging es in die nächste Instanz mit einer Beschwerde vor dem Verwaltungsgerichtshof. Die war ebenso chancenlos - eigentlich noch schlimmer. Die Ablehnung am 4.12.2020 enthielt teilweise absurde Annahmen, z.B. dass bei einer Geschwindigkeitsbegrenzung am Stauende Unfälle passieren ...
Also was hilft es? Verfassungsbeschwerde eingelegt (hier nur der Text ohne Anlagen). Aber leider ging die verloren - die Aktion musste ausfallen (Beschluss vom 7.12.2020, Az. 1 BvR 2719/20).


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