Theoriedebatte

ENTWÜRFE ZU RÄTEREPUBLIK UND RADIKALDEMOKRATIE

Aus der Hoppetosse-Mailingliste

Einleitung: Im Herbst/Winter 2001 tobte auf der Hoppetosse-Mailingliste ein Streit um die Frage, ob Menschen ohne jegliche Herrschaftsstruktur in "Freien Vereinbarungen/Kooperationen" zusammenleben und -agieren können oder ob es einer maximal kontrollierten Struktur kollektiver Entscheidungsfindung und -durchsetzung bedarf.

Hier folgt die Dokumentation um das zweite - auszugsweise:

mehrfach kam hier nun die frage, wie unter den bedingungen sozialistischer raetedemokratie entscheidungen durchgesetzt werden sollen.
die frage ist nun etwas diffizil, weil wohl alle in dieser liste hier bereits erfahrungen mit der gewaltsamen durchsetzung von staatlichen entscheidungen gemacht haben. deshalb ist es auch leicht, mit dem finger auf jene zu weisen, die ein staatliches gewaltmonopol und die legitimitaet von entscheidungen nicht generell, sondern nur unter vermachteten bedingungen, ablehnen. ebendeshalb verlangt die frage natuerlich auch in einer sozialistischen raetedemokratie nach einer antwort.
in der tat muessen da auch entscheidungen durchgesetzt werden: durch dafuer beauftragte menschen, nenne man sie auch behoerden, gerichtsvollzieherIn, polizistIn etc...
und? dagegen kann bereits generell nur jemand was haben, der die strukturelle gewalt dieses staates nicht sieht und bloss meint, der bulle uebe (obwohl in wirklichkeit bloss scherge des kapitals) bereits dadurch *in seiner person* macht und herrschaft aus. das ist ein personalisierender trugschluss.
auch in einer zukuenftigen gesellschaft muss hingegen zwischen interessen entschieden werden. weiterhin muss es in bestimmten bereichen gesellschaftliche einheiten geben, die sich mit der regelung bestimmter fragen (=behoerden) befassen muessen. „der staat stirbt“ zwar „ab“ (engels), aber eben nur in dem masse, wie die bedingungen wegfallen, die eine regelung gesellschaftlich notwendig machen. und deshalb ist es einerseits notwendig, ein bestimmtes mass organisierter durchsetzungsmacht von entscheidungen zur verfuegung zu haben; andererseits werden diese entscheidungen nicht mehr mit derart brachialen methoden (knast, pruegelorgien, zwangspfaendungen etc...) zur durchsetzung gelangen, weil die oekonomische in-konkurrenz-setzung der individuen weggefallen ist.
dass hingegen ueberhaupt gesellschaftlich getroffene entscheidungen auch durchgesetzt werden koennen, ist bedingung von freiheit. weil naemlich eine materiell verstandene freiheit nicht nur die „freiheit von...“ (als abwesenheit von zwang), sondern insbesondere auch die „freiheit zu...“ (umsetzung von entscheidungen in die realitaet) ist.
gruss joerg s.

Gegenfrage:
Noch was: wie soll denn nun deiner Meinung nach mit Menschen in einer Radikaldiktatur der Mehrheit über die Minderheit (sorry, Radikaldemokratie natürlich ;-) ) umgegangen werden, die sich doch glatt nicht der gesamtgesellschaftlichen Entscheidung beugen wollen - das sich ihr immer alle fügen halte ich doch für eher unwahrscheinlich? „Notfalls“ dann vielleicht doch Panzer, Knäste etc.?

tja, gute frage. notfalls vielleicht schon?

Einmal im Besitz staatlicher Amtsgewalt, verloren überzeugte Sozialisten, Kommunisten, ja selbst Anarchisten ihre moralische und politische Integrität. Diese "Rück-Bildung" ist wirklich die Regel; sie ist vorhersehbar und anscheinend unvermeidlich.
Janet Biehl (1998): Der Libertäre Kommunalismus, Seite 11 und 118)

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