Theoriedebatte

Ö-PUNKTE 1/1998

Positionen zur Agenda: Nein, aber ... Agenda ist Täuschungsmanöver - Trotzdem mitmachen!

Literatur

Karl-Werner Brand, Klaus Eder, Angelika Poferl
Ökologische Kommunikation in Deutschland
1997, Opladen/Wiesbaden, Westdeutscher Verlag, 344 Seiten, 56 DM, ISBN 3-531-13152-4.
Wer nach Gründen dafür sucht, warum die Umweltorganisationen sich via Nachhaltigkeitsdebatte derzeit so offensichtlich von Politik und Wirtschaft beeinflussen lassen, findet Antworten in diesem Buch. Die Studie untersucht den Wandel der öffentlichen ökologischen Debatte vom Unfall von Tschernobyl bis zur Konferenz von Rio und den Störfällen bei Hoechst 1993. Sie stützt sich auf die Analyse von Printmedien und Befragung von Beteiligten. Die Ergebnisse legen die hohe Fixiertheit auch von kritischen Organisationen auf ein Handeln von Staat und Wirtschaft sowie damit einhergehende Abhängigkeiten offen.

Autorin
Traute Kirsch, Anti-Atom-AK des BUND

Die Agenda 21 als Aufruf zu nachhaltigem Wirtschaften, zum Wirtschaften, das die Lebensgrundlagen für uns und unsere Nachkommen erhält, wurde mit Enthusiasmus aufgenommen. Inzwischen macht sich Enttäuschung breit. Nüchtern muß folgendes festgestellt werden: Während Umweltschützer sich nach 1992, dem Jahr der Verkündung der Agenda 21, um Konzepte für nachhaltige Entwicklungen bemühten, haben gleichzeitig die Politiker in einem atemberaubenden Tempo den Investoren den Weg geebnet, jegliche Umweltzerstörung vornehmen zu dürfen, die ihnen wirtschaftlichen Nutzen bringt.

Von der Politik wurde in diesem Zeitraum das Prinzip vom "Wirtschaftsstandort Deutschland", durchgesetzt, verstanden als Prinzip des uneingeschränkten wirtschaftlichen Handelns. Die gesamte Gesetzgebung in den neunziger Jahren erfolgte aufgrund dieses Prinzips und hatte nur ein Ziel: Die Beseitigung von Vorschriften zum Schutz der Bevölkerung und der Umwelt. Als in 1994/95 die Deregulierungsgesetze auf den Weg gebracht wurde, scheuten sich die zuständigen Kommissionen (Schlichter- und Ludewig-Kommission ) nicht, den Sinn dieser Gesetzgebung damit zu umschreiben, daß der Staat als Dienstleister für die Wirtschaft installiert werden solle.

Eigentlich hätten jetzt alle Umweltschützer, die sich für ein nachhaltiges Wirtschaften engagieren, empört aufschreien und die Frage stellen müssen, wie denn ein Staat, der nur noch der Wirtschaft verpflichtet ist, noch nachhaltiges Wirtschaften ? den Erhalt der Lebensgrundlagen ? durchsetzen soll.

Doch von den Umweltschützern innerhalb und außerhalb der Parteien wurde nicht erkannt, daß die Rechtsentwicklung bewußt in eine Richtung gebracht wurde, die dem nachhaltigen Wirtschaften die Grundlage entzieht.

Gegen welches die Lebensgrundlagen zerstörende Projekt auch gekämpft wird, den Umweltschützern wird entgegengehalten, es sei nach Recht und Gesetz zu genehmigen, der Investor habe einen Anspruch auf Durchführung seines Vorhabens; alle schädlichen Auswirkungen und Risiken seien hinzunehmen. Zur Rechtfertigung wird begründend angeführt, das Vorhaben läge im vorrangigen öffentlichen Interesse. Dieses Argument darf nicht dahingehend mißverstanden werden, daß eine Prüfung zur Feststellung des öffentlichen Interesses stattgefunden hätte. Öffentliches Interesse wird vielmehr aufgrund des Prinzips vom "Wirtschaftsstandort Deutschland" grundsätzlich für jegliches wirtschaftliche Handeln unterstellt. Ihm wird von vornherein zugebilligt, im Allgemeinwohl zu liegen.

Politische Entscheidungsfreiheit gibt es da nicht mehr. Die Politiker haben mit der von ihnen in den letzten Jahren vorgenommenen Rechtsetzung grundsätzlich darauf verzichet, die Wirtschaft zu umweltschützenden Maßnahmen zwingen zu können. Auch die Hoffnungen, mit der lokalen Agenda wesentlich zum Erhalt der Lebensgrundlagen vor Ort beitragen zu können, zerplatzen daher mittlerweile wie Seifenblasen.

Sehr aufschlußreich war da ein Urteil des Oberverwaltungsgerichtes Münster, mit dem es die in Sachen Garzweiler wegen Verletzung ihrer Planungshoheit klagenden Kommunen abgewiesen hat. Das Gericht hat erklärt, die nicht zu leugnende Verletzung der Planungshoheit sei aus dem übergeordneten Interesse der öffentlichen Energieversorgung heraus hinzunehmen.

Damit ist der schöne Spruch vom globalen Denken und lokalen Handeln ad absurdum geführt und klingt wie Hohn.

Die derzeit propagierte Globalisierung beinhaltet, daß sich die Wirtschaft an einem anonymen Weltmarkt orientiert. Damit droht den Standards für Ökologie, Soziales und Löhne eine Entwicklung hin auf das in der Welt niedrigste Niveau. Die schönen Zukunftsbilder aus der Agenda 21 werden damit zur Fata Morgana. Konkrete Beispiele für erfolgreiche Agenda-Arbeit sind Einzelfälle. Sie dürfen nicht dafür blind machen, daß die Entwicklung in die entgegengesetzte Richtung geht. Es drängt sich der Verdacht auf, daß die Agenda 21 ein raffiniert inszeniertes Täuschungsmanöver darstellt, um von den wirklichen Zielen, die von den Politikern verwirklicht werden, abzulenken.

Um der Agenda-Arbeit weiter zur Durchsetzung zu verhelfen und ihre bisherigen - zum Teil hervorragenden - Ergebnisse nicht zu gefährden, ist es erforderlich, die Begriffe "Wirtschaftsstandort Deutschland" und Globalisierung von ihrem Mythos zu entkleiden. Es muß klargestellt werden, daß es dabei um nichts anderes geht, als um das "Global-Playing" der Wirtschaft, das den Sinn hat, weltweit rücksichtslos Menschen, Umwelt und Ressourcen auszubeuten.

Das Prinzip "Wirtschaftsstandort Deutschland" muß ersetzt werden duch das Prinzip vom Erhalt der Lebensgrundlagen. Die Agenda 21-Arbeit kann dazu einen wichtigen Beitrag leisten. Doch sie darf nicht in Form von unverbindlichen Plänen für die Zukunft stattfinden. Sie muß in direkte Forderungen eingehen, die gestellt werden auf der Grundlage des Allgemeinwohls und der Schutzansprüche der Bevölkerung, die ein Recht auf den Erhalt der Lebensgrundlagen hat.



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Zuletzt überarbeitet am 5. Mai 1998
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