Theoriedebatte

METHODENÜBERBLICK "ENTSCHEIDUNGSFINDUNG VON UNTEN"

Buchvorstellungen zum Themenbereich


1. Erwartungen und Befürchtungen
2. Kriterien für die Bewertung von Entscheidungsfindungs- und Diskussionsverfahren
3. Beschreibung und Bewertung konkreter Entscheidungsfindungsverfahren
4. Buchvorstellungen zum Themenbereich

Es kam plötzlich, aber dann mit richtig Schwung: Millionen junger Menschen probten weltweit, aber vor allem in den vorher recht protestkargen Industrienationen den Öko-Aufstand. Er gerieten einzelne Auseinandersetzungen um Tagebaue oder den Hambacherforst in die Schlagzeilen, dann was es ausgehend von FridaysForFuture über schnell emporsprießende weitere Zusammenhänge überall und ständig: Das Gespenst des Massenprotestes. Kurz darauf entstanden die ersten Bücher, in denen das Phänomen erklärt oder ein kritischer Blick hinter die Kulissen geworfen wird. Scharfzüngig wie immer und frei jeglicher Zugewandtheit zu irgendeinem Label oder einer Organisation reitet Hanna Poddig in ihrem Buch „Klimakämpfe“ (2019, Unrast in Münster, 103 S., 7,80 €) durch die verschiedenen Kampfplätze und Strömungen der Klimaschutzbewegungen. Ihr Schreibstil ist launig, zuweilen bissig, doch immer mit Beispielen und Zitaten unterlegt. Wer einen kritischen Blick auf die vielen Gruppen in diesem wichtigen, mitunter aber auch Modethema werfen will, findet hier eine Menge Denkanstöße, die der Selbstbeweihräucherung so mancher der dargestellten Gruppen oft diametral gegenüberstehen. Ein paar mehr Quellenangaben und Hinweise zum Weiterlesen hätten das Buch weiter aufgewertet. Recht viele davon gibt im Themenheft „Apo 4.0“ der Zeitschrift für Politik und Gesellschaft namens „Indes“ (Heft 3/2019, Vandenhoeck&Ruprecht in Göttingen, 176 S., 21 €), zudem ist der Schreibstil betont wissenschaftlich und distanziert. Je ein Kapitel widmet sich dem Verhältnis von NGOs zu FridaysForFuture und der Rolle digitaler Medien in den aktuellen Protestkulturen. Andere Kapitel drehen sich um das Verhältnis zu Parteien oder betrachten politische Bewegung außerhalb von Deutschland. Der distanzierte Schreibstil stört eher. Tiefe Inneneinblicke in die tatsächlichen Abläufe fehlen, stattdessen überwiegen abstrakte Überlegungen, wie sie in den Elfenbeintürmen intellektueller Blasen entstehen. Dabei wäre die eine oder andere Intervention in die Entwicklungsprozesse durchaus wertvoll, wird die Gefahr quasi-automatisch ablaufender Etablierung doch sogar in den Texten beschrieben.
Spannend ist der A4-Reader „Engagement in Aktion“ (2018, Stiftung Mitarbeit in Bonn, 145 S., 12 €), denn der soll ganz konkrete Tipps für politisch wirkungsvolle Aktionen und Kampagnen vermitteln. Das gelingt auch an vielen Stellen, obwohl fast alle Autor*innen aus den Bewegungsstiftungs-Seilschaften stammen. Daher fehlen gute Ideen, wie bislang unbekannte oder unterdrückte Themen durch spektakuläre oder militante Aktionen groß gemacht werden können. Zudem ist hier und da platte Verbandswerbung eingestreut. Dennoch sind genügend gute Ideen benannt, so dass der Reader mit seinen Tipps für Straßenaktionen, Internetauftritt, Pressearbeit, Rechtsform und Bündnisarbeit als Anregung empfohlen werden kann. Das gilt auch für Wolfgang Antes‘ Buch „Projektarbeit für Profis“ (2014, Beltz-Juventa in Weinheim, 186 S., 24,95 €), doch richtet sich dieses nicht speziell an politisch aktive Gruppen, sondern vermittelt Ideen für Organisierung, Öffentlichkeitsarbeit, Finanzierung usw. für alle. Ähnliches lässt sich über „Freiwillige gewinnen“ sagen (2015, Griesheim, 95 S., kostenfrei wegen finanzieller Unterstützung des Landes), welches ebenfalls aus der Jugendstiftung Baden-Württemberg stammt und voller Tipps, Arbeitsblättern und Beispielbeschreibungen steckt.

Politisches Engagement zwischen Aktionismus und Wohlfühlen
Die kämpferischen Jahre sind, zumindest in Deutschland, lange vorbei. Da mögen traditions-marxistische Medien noch so häufig mit Aufbruchparolen um die Ecken kommen oder Politkonzerne wie Campact ihre Spendenjagd hinter Erfolgsbilder tarnen – aus den alten Friedens- und Ökobewegten sind satte Bildungsbürger_innen geworden, während sich linksradikale Kreise in ihre eigenen Sümpfe zurückgezogen haben und nur noch mit stereotypen Reaktionen auf die – glücklicherweise ebenso langweiligen – Aktivitäten ihrer politischen Gegner_innen öffentlich auftreten. All das findet nicht isoliert statt, sondern findet seine Entsprechungen in der allgemeinen öffentlichen Debatte und gesellschaftlichen Protestkultur. Je nach sozialen Schichten sind verschiedene Verhaltensweisen typisch, die alle eines gemeinsam haben: Sie sind gar kein Versuch mehr, tatsächlich etwas zu verändern, sondern bewegen sich vom Jammern, von Appellen an die Mächtigen über billiges Anklicken vorgefertigter Protestnoten im Internet bis zum Versuch, ausgerechnet mit Geld die Welt zu retten – sei es beim Einkauf oder per Spende an die Hauptamtlichenapparate der NGOs, die es dann richten sollen.
Letzteres findet sich in tausendfachen Formen auf Messen, in Kinos, Läden und im Internet, von Heldenmärkten über Karmakonsum und mehr. Eine der Seiten heißt jetztrettenwirdiewelt.de – und dazu ist jetzt auch ein namensgleiches Buch erschienen (2016, Franckh-Kosmos in Stuttgart, 193 S., 19,99 €). Es wimmelt in auf den aufwendig layouteten, mit Bildern, Effekten und Links vollgestopften Seiten von Vorschlägen, was alles zu tun ist. Mehr oder weniger bekannte Persönlichkeiten geben ihre Ratschläge. Doch am Ende bleibt (fast) alles auf der Ebene von Appellen und bewusstem Konsum. Wer das gleich erkennen will, klappt den Rückumschlag auf: „73 Aktionen“ lautet die Überschrift – und dann folgt eine Liste, die mensch abarbeiten und dann jeweils ein Häkchen setzen kann. Doch „Aktionen“ finden sich in der Liste nicht. Alles ist Kleinklein, beschränkt sich auf Wellness, Einkauf und kleine Nettigkeiten. Staat und Industrie werden sich freuen, dass ihre Opposition ein David bleibt, der aber der Steinschleuder abgeschworen hat und sich jetzt dafür engagiert, das Goliaths Rüstung mit Ökowaschmitteln geputzt wird …

Bücher zur Kreativitätsförderung
Ist Kreativität lernbar? Ja, sagen die Autor*innen verschiedener Bücher und geben Tipps, wie die Gestaltung von Gruppen-, Lern- und Alltagsabläufen die Fähigkeit fördern kann, neue Ideen zu entwickeln. Lutz Lungershausen macht das unter dem schlichten Buchtitel „Kreativ!“ (2017, mitp in Frechen, 272 S., 24,99 €). „Auf Knopfdruck systematisch Ideen generieren“ lautet der unbescheidene Untertitel. Zum Glück stimmt er so nicht. Stattdessen finden sich in übersichtlich gestalteten Abschnitten Beschreibungen von Methoden, wie mensch allein oder in der Gruppe die Zahl und Qualität von Einfällen verbessern kann. Die Spannweite der möglichen Anwendungen ist groß. Schwerpunktmäßig geht es aber um Kreativität in Entwicklung und Produktion. Doch so manche Anleitung lässt sich auch auf politische und Bildungsarbeit übertragen. Die Ausführungen von Jürgen Rippel in „Systemische Kreativität – der inspirierende Zugang zur Innovation“ (2019, Carl-Auer in Heidelberg, 578 S., 44,95 €) zeigen vor allem Anwendungsmöglichkeiten in der Wirtschaft. Das dicke Buch mit vielen Zitaten und Quellen erklärt die Herkunft neuer Ideen und die Quellen menschlicher Inspiration. Letzteres wird im Untertitel auch angekündigt, so dass es nicht enttäuscht, kaum verwertbare Hinweise auf Bildungsarbeit oder andere gesellschaftliche Anwendungsgebiete zu erhalten. Die grundlegenden Darstellungen sind einerseits immer wieder informativ, irritieren andererseits aber auch mit dem dominanten Verweis auf kosmische oder spirituelle Quellen.

Bücher zur Gruppenorganisierung
Wie funktionieren Gruppen? Wie kommen sie überhaupt zusammen und was beeinflusst die dann einsetzenden Prozesse bei der Herausbildung einer Binnenstruktur? Und vor allem: Wie lässt sich das steuern, zum Beispiel zur Steigerung von Kreativität, Gleichberechtigung, Transparenz und – trotzdem oder deshalb – Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit. Gruppenanalytische und ethnologische Erkenntnisse (so auch der Untertitel) stellt Gerhard Wilke dazu in seinem Buch „Ordnung und Chaos in Gruppen“ (2017, Lit in Zürich, 262 S., 29,90 €) zusammen. Schwerpunkte sind Groß- und Selbsterfahrungsgruppen. Für politische und Aktionsgruppen werden einige der aufgeworfenen Detailfragen wie Konfliktsituationen in und zwischen Gruppen oder die einleitenden Bemerkungen über die Beziehung von Person und Masse interessant sein. Sehr grundsätzlich über Gruppen informieren auch Oliver König und Karl Schattenhofer in „Einführung in die Gruppendynamik“ (9. Auflage 2018, Carl Auer in Heidelberg, 126 S., 14,95 €). Das Buch hält, was der Titel verspricht. In einer übersichtlichen Gliederung werden die theoretischen Grundlagen von Gruppenprozessen erläutert, sowohl hinsichtlich der Strukturen als auch der Veränderungen, die ein Zusammenhang im Laufe der Zeit durchlebt. Die Rolle von leitenden oder steuernden Personen wird durchleuchtet, Dazu kommen kurze Beschreibungen von Methoden und die Anwendungsfelder, Fortbildungsmöglichkeiten und weitere Informationsquellen.

Kristina Bayer/Dagmar Embshoff
Der Anfang ist gemacht: Kultur der Kooperation – die Gruppe
(2015, AG Spak in Neu-Ulm, 160 S., 16 €)
Ein Buch, welches verwirrt, und zwar nicht nur auf der Titelseite, wo mehrere Schriftzüge nebeneinander untergebracht sind, ohne dass klar ist, welcher eigentlich den Inhalt des Buches wiedergibt. Im Buch folgt dann eine wilde Mischung von Tipps zur Gruppengründung, ohne dass ein roter Faden erkennbar wird. Das ist aber nicht schlimmste: Die Qualität und Stoßrichtung der Texte schwankt sehr stark. Einigen nützlichen Tipps zu Details des Gruppenprozesses stehen etliche Kapitel gegenüber, in denen die Autor_innen ihre esoterischen oder ideologischen Auffassungen in einer Art vermitteln, die eher Ratlosigkeit erzeugt. Was ist eine „herrschaftsfreie Leitung“? Warum müssen Gruppen so strukturiert sein, dass alle ihren festen Platz haben? Das macht das Patriarchat auch … und wieso klappen nur Gruppen, wo Eros und Sexualität wichtig sind? Das alles findet sich auf nur zwei Seiten. Die über hundert weiteren lösen oft weiteres Kopfschütteln aus – vom Anlächeln eines Apfels bis zur systematischen Bevorzugung all dessen, was niemensch stört. Einziger Lichtblick: Die trockene Analyse von Wilfried Schwarz über seine Erfahrungen aus der Beratung – aber das ist für ein Buch zu wenig.

Sivasailam Thiagarajan/Samuel van den Bergh
Interaktive Trainingsmethoden
(2014, Wochenschau in Schwalbach, 318 S.)
A4 groß und ziemlich dick – so präsentiert sich diese umfangreiche Sammlung von Methoden für Gruppen- und Bildungsveranstaltungen. Es werden Vorschläge für Kennenlern- und Auflockerungsübungen, kleine Spiele und Reflexionsmethoden, Konzentrationstraining und Konfliktaustragung übersichtlich vorgestellt. So ergibt sich eine praxisnahe Sammlung von Ideen, die auf Seminaren ebenso hilfreich sind wie in allen Gruppenprozessen.

FOCO
Handbuch Community Organizing
(2014, Stiftung Mitarbeit in Bonn, 244 S., 12 €)
Das A4-Buch ist prall gefüllt mit Anregungen, Tipps und Beispielen für die Unterstützungsarbeit von Menschen beim Versuch, sich miteinander zu organisieren. „Community organizing“ meint weniger die formalen Möglichkeiten der Beteiligung an politischen Prozessen als vielmehr das Zusammenkommen, Austauschen, Entwickeln von Ideen und Plänen sowie das öffentliche Eintreten für diese oder ein eigenes Umsetzen. In Interviews, Berichten und kleinen Anleitungen lassen sich aus dem Reader viele Informationen herausholen, wie hierzulande und in entfernteren Ländern solche Ansätze gelingen (können).

Marvin Weisbord/Sandra Janoff
Einfach mal Nichts tun!
(2. Auflage 2011, Westkreuz-Verlag in Berlin, 220 S., 29,90 €)
„Zehn Leitsätze, mit denen jedes Treffen etwas Besonderes wird“ verspricht der Untertitel. Das klingt nach einer stringenten Gliederung und klaren Ansagen. Doch so ist das Buch nicht. Stattdessen finden Leser*innen eine große Fülle von Einzelideen, um Gruppenabläufe zu optimieren, Menschen zu motivieren oder die eigene Rolle zu klären. Die sind zwar in die angekündigten zehn Leitsätze gegliedert, so beim Lesen sind diese weniger wichtig als die konkreten Ideen und Vorschläge – ein Buch eher wie ein Karteikasten. Das macht es wertvoll.

Selbsthilfezentrum München/Renate Mitleger-Lehner (Hrsg.)
Recht für Selbsthilfegruppen
(3. Auflage 2019, AG Spak in Neu-Ulm, 201 S., 19,50 €)
Das vor neun Jahren erstmals erschienene Werk wurde aktualisiert und erweitert. Es enthält vor allem rechtliche Hinweise für Selbsthilfegruppen, zum Beispiel die Frage der Rechtsform (Verein, eingetragen oder nicht, Genossenschaft usw.), des Datenschutzes und der Haftung bzw. Versicherung. Zusätzliche Kapitel gibt es zur Finanzierung und zu einigen Punkten der Gruppenarbeit, vor allem der möglichen Inhalte von Beratungstätigkeit und besonderen Fragen beim Umgang mit Jugendlichen. Die einzelnen Abschnitte sind knapp und klar geschrieben, auch die Gliederung ist schnell durchschaubar.

Bücher mit Tipps zu Projektarbeit und PR
Andreas W. Grohmann
Plakate für NGOs und Initiativen – ein Handbuch
(AG Spak in Neu-Ulm, 113 S., 19,80 €)
Auf jeden Fall schön ist das Buch: Großformatig, übersichtlich und mit ganzseitigen Beispielplakaten, die tatsächlich auch sehr ansprechend erscheinen. Im Text, meist auf der gegenüberliegenden Seite, vermittelt der Autor Tipps zur Gestaltung. Auf einigen Seiten wird das DTP-Programm Scribus vorgestellt, die zweite Hälfte des Buches bilden Plakate verschiedener Organisationen. Welchen Zweck die Beschreibungen der NGOs, ihrer Gründer_innen usw. zum Thema des Buches erfüllen, ist nicht ganz klar. Bei Firmen würde mensch product placement, also bezahlte Werbung, vermuten. Kleine Fehler zum Urheberrecht oder zum Recht auf das eigene Bild schmälern die Qualität des Buches nur geringfügig, überraschen aber in ihrer Rechtsgläubigkeit – schließlich ist der Autor bekennender Anarchist.

Daniel Pichert
Werkzeugkiste Projektmanagement
(2015, Stiftung Mitarbeit in Bonn, 143 S., 10 €)
Ein Buch für alle, die ihre Projekte richtig durchplanen und dann Schritt für Schritt umsetzen wollen. Beschrieben werden nicht nur einzelne Schritte und Methoden, sondern vor allem die Denkkultur des Managements. Wichtiger als die konkreten Inhalte sind dann Planungsprozesse, die interne Kommunikation, Finanzen und Mitarbeiterauswahl. Ob solche Professionalisierung für ehrenamtliche Projekte immer gut ist, sei dahingestellt. Dass mehr strategisches Vorgehen oft zu mehr Wirkung führt, ist als Botschaft an politische Akteur*innen allerdings sinnvoll.

Andreas Graf von Bernstorff
Einführung in das Campaigning
(2.Auflage 2017, Carl Auer in Heidelberg, 128 S., 13,95 €)
Ein Buch als praktische Handreichung: Es vermittelt die Grundidee von Kampagnen, also der Verbindung mehrerer Handlungen unter einer Strategie. Aktion, Lobbyismus und PR-Arbeit greifen dabei ineinander - im günstigen Fall zugunsten der Ziele, denkbar aber auch vor allem zugunsten der KampagnenbetreiberInnen und deren Konto. Diese politischen Bewertungen lässt der Autor aber weitgehend aus. Seine Brille ist die der Aktionsstrategien in Bewegungskonzernen der Marke Greenpeace oder Campact. Hier ist die Kampagne wie das Produktmarketing einer Firma: Auf den Sinn kommt es nicht an, sondern auf den Erfolg. So jubelt er selbst noch über Klicktivismus als eine sinnvolle Organisierungsform von Protest. Subversion definiert der Autor als „Veränderung innerhalb eines sozialen Systems“. Kreative Aktionsformen scheinen unbekannt.

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