Recht-Rxtremismus

ANARCHIE UND MORAL: DAS GUTE AUS DEM TRANSZENDENTEN "OFF"

Was ist Moral und wozu dient sie?


1. Was ist Moral und wozu dient sie?
2. Die Moralen der AnarchistInnen und Gutmenschen
3. Libertär und brav: Der anarchistischer Knigge
4. Anarchistischer Gedankenbrei: Religion - nein! Höhere Werte - ja, doch ...?
5. Links

Ein Text im Buch "Anarchie. Träume, Kampf und Krampf im deutschen Anarchismus" (Gliederung)

Bevor die Existenz moralischer Vorgaben in anarchistischen Theorien, Konzepten oder Gedanken problematisiert werden, sei geklärt, warum Moral und Anarchie sich ausschließen. Davor steht der Versuch einer Definition, die für diese Texte gelten soll: Moral bedeutet die Annahme über-individueller, d.h. nicht aus der jeweiligen Vereinbarung zwischen Menschen resultierender, sondern abstrakt vorhandener Leitlinien für menschliches Handeln. Moral ist mit autoritärer Macht ausgestattet und erzeugt diese. Eine moralisch "richtige" Position bedarf in der Regel keiner zusätzlichen Begründung, d.h. sie verzichtet auf Argumente jenseits der Behauptung moralischer Überlegenheit.
Ähnlich benutzt werden Begriffe wie "universelle Werte", "höhere Vernunft", "gemeinsame Ethik" u.ä., also die Behauptung einer von den Menschen und ihrer Kommunikation getrennten Quelle wertender Handlungsvorgaben. Noch weitergehend in diesem Sinne sind Religionen, die ein gesamtes Wertesystem samt Herkunft, Durchsetzung, Sanktionen usw. bieten.

Im Original: Definitionen von Moral
Wikipedia zu Moral
Moral bezeichnet meist die faktischen Handlungsmuster, -konventionen, -regeln oder -prinzipien bestimmter Individuen, Gruppen oder Kulturen, sofern diese wiederkehren und sozial anerkannt und erwartet werden.
So verstanden, sind die Ausdrücke Moral, Ethos oder Sitte weitgehend gleichbedeutend und werden beschreibend (deskriptiv) gebraucht. Daneben wird mit der Rede von Moral auch ein Bereich von praktischen Urteilen, Handlungen oder deren Prinzipien (Werte, Güter, Pflichten, Rechte) verbunden. So verstanden, wertet eine Unterscheidung von Moral und Unmoral. Eine solche Bewertung kann als bloßer Ausdruck subjektiver Zustimmung oder Ablehnung verstanden werden (vergleichbar zu Applaus oder Buhrufen), oder als Beurteilung von Handlungen, deren Maximen oder sonstige Prinzipien in moralischer Hinsicht, d.h. als moralisch gut oder moralisch schlecht. Letzteres entspricht einem metaethischen Realismus. Die theoretische Ausarbeitung unterschiedlicher methodischer Vorgehensweisen und Kriterien moralischer Urteile sind Gegenstand der philosophischen Disziplin der Ethik.


Aus dem Gabler-Wirtschaftslexikon zu "Moral"
Sitte; bezeichnet - im Unterschied zur Ethik als Theorie der Moral - die normativen Regeln, die das Handeln von Menschen faktisch bestimmen bzw. bestimmen sollten, wobei Menschen auf den Verstoß gegen diese Regeln mit Schuldgefühlen reagieren. Die mores umfassten traditionell das Spektrum von den Konventionen bis zu sanktionsbewehrten Rechtsregeln. Bei Kant erfolgt eine Verengung und Vertiefung des Begriffs Moral auf die Autonomie des Gewissens jedes einzelnen, das allerdings wegen des Anspruchs auf Allgemeingültigkeit seiner Maximen konzeptionell an die Gesellschaft, bei Kant an die Menschheit, gebunden bleibt. Seit Hegel wird daher zwischen Moral, „Moralität” im Sinn individueller Überzeugung, und „Sittlichkeit” im Sinn von durch Recht und Verfassung gestütztem, historisch-kulturell bedingtem Institutionensystem einer Gesellschaft unterschieden.

Moral dient gern als Legitimation von Herrschaft, oder ist selbst Herrschaft. Das ist kein Missbrauch, sondern bereits in der Idee von Moral angelegt. Moralische Vorgaben erzeugen Diskurse oder entstehen durch sie. Dabei normieren sie menschliche Handlungen über die Konstruktion richtigen und falschen Verhaltens. Die Quelle der Wertung wird außerhalb der Menschen und ihrer Diskussion verlegt. Sie wird somit für die Menschen selbst unangreifbar und unhinterfragbar. Moralische Festlegungen sind regelmäßig Axiome, d.h. willkürliche Setzungen, die keiner Begründung mehr bedürfen, sondern als Ausgangspunkt für Ableitungen dienen. Sie sind also Begründungen für konkrete Verhaltensvorgaben, ohne selbst begründet zu sein.

Emanzipation bedeutet, die Gesellschaft und all ihre Beziehungen und Verhältnisse aus dem Blickwinkel der Einzelnen und ihrer freien Zusammenschlüsse zu betrachten. Eine moralische Wertung hätte in ihr keinen Platz, weil sie ihren Maßstab aus einer externen, höheren oder zumindest unantastbaren Quelle entnimmt.
Herrschaftsfreiheit und damit auch Anarchie verneinen das Existenzrecht jeder Art höherer Macht außerhalb des Menschen und seiner freien Zusammenschlüsse. Daher sind auch sie prinzipiell unvereinbar mit der Idee von Moral, universellen Werten oder einer allgemeinen Ethik.

Im Original: Keine Moral über den Menschen
Aus Stirner, Max (1845): "Der Einzige und sein Eigentum", zitiert in: Diefenbacher, Hans (Hrsg., 1996): "Anarchismus", Primus Verlag in Darmstadt
Daß die Gesellschaft gar kein Ich ist, das geben, verleihen oder gewähren könnte, sondern ein Instrument oder Mittel aus dem wir Nutzen ziehen mögen, daß wir keine gesellschaftlichen Pflichten, sondern lediglich Interessen haben, zu deren Verfolgung uns die Gesellschaft dienen müsse, daß wir der Gesellschaft kein Opfer schuldig sind, sondern, opfern wir etwas, es uns opfern: daran denken die Sozialen nicht, weil sie - als Liberale - im religiösen Prinzip gefangen sitzen und eifrig trachten nach einer, wie es der Staat bisher war, - heiligen Gesellschaft!
Die Gesellschaft, von der wir alles haben, ist eine neue Herrin, ein neuer Spuk, ein neues 'höchstes Wesen', das uns in Dienst und Pflicht nimmt! ...
(S. 25)
Jedes höhere Wesen über mir, sei es Gott, sei es der Mensch, schwächt das Gefühl meiner Einzigkeit und erbleicht erst vor der Sonne dieses Bewußtseins. Stell' ich auf mich, den einzigen, meine Sache, dann steht sie auf dem Vergänglichen, dem sterblichen Schöpfer seiner, der sich selbst verzehrt, und ich darf sagen: Ich hab' mein' Sach' auf Nichts gestellt.
(S. 33)

Aus Diefenbacher, Hans (Hrsg., 1996): "Anarchismus", Primus Verlag in Darmstadt
Nach Marx wird der Mensch in der bürgerlichen Gesellschaft bekanntlich um seine Gattung betrogen, die darin bestehe, daß er ein sinnlich-produktives Wesen sei. Beide aber - so Stirner -, bürgerliche Gesellschaft und Kommunismus, verpflichten sich gleichermaßen auf die Orientierung an einem Gattungsideal. Gattungsbegriffe konkurrieren - der Mensch als Person, als Einzelner bleibt auf der Strecke. Was Stirner den Kommunisten vorwirft, ist dasselbe, was er den Liberalen vorwirft: die Reduktion des Wesens der Person auf eine Gattungsidee, heiße sie "Menschheit" in der Person, heiße sie gattungsspezifische "Selbstbetätigung
Einer der wenigen Texte von Marx, in denen dieser das gesellschaftliche Subjekt als Individuum überhaupt thematisiert, ist die mit Friedrich Engels gemeinsam verfasste "Deutsche Ideologie", eine Schrift, die in weiten Teilen der polemischen Kritik an Max Stirner gewidmet ist und damit dem Versuch, nachzuweisen, daß das Individuum in der kommunistischen Gesellschaft besser aufgehoben ist als in Stirners negativer Anthropologie: "Mit der Aneignung der totalen Produktivkräfte durch die vereinigten Individuen hört das Privateigentum auf ..." Es ist aber gerade diese Rede von den "vereinigten Individuen", die Stirner gegen den Kommunismus aufbringt, und es ist die damit unterstellte Selbstverständlichkeit, mit der eine Gesellschaftsform avisiert wird, in der die Individuen "vereinigt" werden können und gleichwohl Individuen bleiben. Das Unteilbare kann keine Einheit bilden; Vereinigung von Individuen ist ein Selbstwiderspruch.
(S. 29)

Das schließt nicht aus, dass Menschen ihren eigenen Werte und Vorstellungen von "richtig" oder "falsch" entwickeln. Es stört auch nicht, wenn sie diese individuellen Überzeugungen für sich als eigene "Moral" bezeichnen. Wird eine eigene Meinung aber auch nach außen so begründet, erhöht das zumindeest die Gefahr von Missverständnissen, wenn nicht sogar wahrscheinlich ist, dass damit eine eigene Überzeugung mit zusätzlicher Durchsetzungskraft ausgestattet werden soll - die ethische Begründung dann also wieder zum Herrschaftsinstrument, d.h. zur Moralkeule wird.

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