Recht-Rxtremismus

DIRECT ACTION

Rechtsfragen bei provokanten Aktionen


1. Provokante Aktionen und ihre Bedeutung für politischen Protest
2. Aktionen von "Letzte Generation" und der Streit darum
3. Abseilen über Autobahnen - der Streit um eine spektakuläre Aktionsform
4. Hetze gegen Klimaschutz-/Verkehrswendeaktionen allgemein und die Kritik daran
5. Rechtsfragen bei provokanten Aktionen

Sind Abseil- oder Anklebeaktionen Straftaten? Oder einfach eine Versammlung?
Was Abseilaktionen über Autobahnen angeht, ist die Rechtsprechung sehr uneinheitlich. Als Versammlung angemeldet können sie vollkommen legal sein, sogar über fließendem Verkehr. Die Staatsanwaltschaft in Gießen sieht folgerichtig auch keine Strafbarkeit. Die Mehrzahl der Gerichte sieht es bislang aber anders - zwar sehr unterschiedlich, zum Teil sogar hinsichtlich dessen, welche Straftat es denn nun ist, aber überwiegend sehr verbittert, als müsste hier der Untergang der Welt verhindert werden. So stellte Amtsgericht in Helmstedt (Niedersachsen) den Vorwurf der Nötigung nach einiger Diskussion ein und verurteilte dann wegen versuchtem schweren Eingriff in den Straßenverkehr. Andere Amtsgerichte machten das genau umgekehrt. Das Amtsgericht Frankfurt-Höchst, welches auch schon für die Verhängung von Untersuchungshaft nach Abseilaktionen verantwortlich war, meinte sogar, einen besonders schweren Fall der Nötigung zu erkennen und verdonnerte die Angeklagten gleich bis zu 7 Monaten auf Bewährung. Eine Staatsanwaltschaft in Bayern wollte sogar zwei Jahre oder mehr - also eine lange Haftstrafe ohne Bewährung. Von den Urteilen ist noch nichts rechtskräftig. Welche Konstrukte am Ende bleiben, ist daher ungewiss. Als Trick wurde mehrfach behauptet, die Abseilenden hätten die Polizei als als Art Geiseln genommen und zu Handlungen gezwungen, die dann den Angeklagten zugerechnet würden - zum Beispiel das Stoppen der Autos mit nachfolgender Staubildung. So kreativ können Staatsanwaltschaften und Gerichte sein, wenn es um unliebsame Aktionen geht.

Bericht "Letzte Generation versus Bauern: Gute und schlechte Blockierer?", auf: BR24 am 21.12.2023

Aus dem Beschluss des AG München vom 7.12.2022 (Az. ERXXXI XIV 1281/22 L (PAG))
Leitsätze:
1. Eine Sitzblockade von Klimaaktivistinnen stellt eine Versammlung dar, die den Schutzbereich des Art. 8 GG eröffnet. (Rn. 9 – 10) (redaktioneller Leitsatz)
2. Polizeigewahrsam stellt keine geeignete Maßnahme dar, Klimaaktivistinnen von der Durchführung weiterer Aktionen abzuhalten, so dass sich der Fall im Vergleich zu den üblichen Fällen der Anwendung von Art. 17 Abs. 1 PAG unterscheidet. (Rn. 14 – 22) (redaktioneller Leitsatz)
3. Bei der Ingewahrsamnahme von Aktivisten einer Sitzblockade steht das Übermaßgebot der Verhältnismäßigkeit entgegen. (Rn. 23 – 25) (redaktioneller Leitsatz)
4. Es kann bezweifelt werden, dass das Festkleben auf der Fahrbahn als Nötigung gem. § 240 StGB strafbar ist. (Rn. 26 – 39) (redaktioneller Leitsatz)
5. Freiheitsentzug im Polizeirecht ist die ultima ratio und im freiheitlich demokratischen Rechtsstaat einer der tiefsten möglichen Eingriffe in die Grundrechte der Bürger. Geringfügigen Straftaten mit diesem Mittel zu begegnen ist nicht verhältnismäßig. (Rn. 41 – 42) (redaktioneller Leitsatz) ...
Die von den Sitzblockaden betroffenen Autofahrenden dürften in der Regel zum Großteil Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor benutzen. Autofahrende tragen maßgeblich durch den Verbrauch von Benzin zu den Emissionen in Deutschland bei. Gleichzeitig ist der Verkehrssektor einer der Bereiche, in denen die festgesetzten Emissionsziele am deutlichsten verfehlt werden. Das Thema Verkehr und Automobil ist in Deutschland aufgrund des Stellenwerts der Automobilindustrie zudem im öffentlichen Diskurs von überragender Bedeutung. Die Demonstrierenden fordern zudem auch mit der Einführung eines 9 Euro Tickets und der Einführung eines allgemeinen Tempolimits auf deutschen Autobahnen konkret Maßnahmen im Verkehrssektor. Aufgrund des engen Zusammenhangs zwischen der Form des Protestes und dessen Forderungen bzw. Zielen dürfte die Verkehrsbehinderung für die betroffenen Dritten hinzunehmen sein.
Ob im Fall der gegenständlichen Sitzblockaden eine Strafbarkeit nach § 240 Abs. 1 StGB vorliegt ist noch nicht abschließend obergerichtlich geklärt. Wäre dies nicht der Fall, so wäre bereits der Tatbestand von Art. 17 Abs. 1 Nr. 2 BayPAG diesbezüglich nicht erfüllt. Ob dann eventuell verwirklichte Ordnungswidrigkeitstatbestände Ordnungswidrigkeiten von „erheblicher Bedeutung“ im Sinne von Art. 17 Abs. 1 Nr. 2 BayPAG darstellen würden darf bezweifelt werden.
Für die gegenständliche Frage genügt die Feststellung, dass, wenn eine Strafbarkeit vorliegt, diese sich am unteren Rand der Strafbarkeit bewegt, was im Rahmen der Prüfung der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne zu berücksichtigen ist.


Aus "Kammergericht konkretisiert Strafbarkeitsvoraussetzungen: Ist der Klebstoff der Letzten Generation stark genug?", auf: LTO am 21.8.2023
Ein Widerstand komme in Betracht, weil die Aktivist:innen ein staatliches Handeln (die Räumung der Straße) durch das Festkleben, das in seiner physischen Wirkung einem Selbstanketten gleichkomme, erschwerten. Gerade auch der Umstand, dass die Polizeibeamt:innen rund eine Minute pro Aktivist:in für das Ablösen des Klebers bräuchten, sei "ein gewichtiges Indiz für einen gewaltsamen Widerstand". Zum Tatbestand der Nötigung gab das KG den Gerichten auf, sich mit folgenden Gesichtspunkten auseinandersetzen: mit der Ankündigung der Blockade durch die Organisation, der Dauer der Blockade, Art und Ausmaß derselben, den Motiven der angeklagten Personen sowie mit Zweck und Zielrichtung der Demonstration. Unter diesen Gesichtspunkten sei eine Einzelfallprüfung zur Begründung der Verwerflichkeit des Handelns der Aktivist:innen erforderlich.

Aus einem Prozessbericht
Bericht mit Zitaten aus dem Urteil (AG Helmstedt)
Ist schon spannend, dort zu lesen (Seite 11): "Zwar hatten die vorderen Verkehrsteilnehmer theoretisch an den Streifenwagen vorbeifahren können. Dieses Verhalten sei jedoch nicht üblich und wäre soweit möglich unterbunden bzw. angezeigt worden."
Deutlicher geht es kaum, dass es KEINE Nötigung bisheriger Rechtsprechung war. Denn dem Gericht ist die Sache mit dem physischen Hindernis bekannt: "Der angestrebte Erfolg kann auch dadurch erreicht werden, dass sich der Täter einer Sache oder einer Person bedient, um dem zu Nötigenden ein (physisches) Hindernis zu bereiten." Und: "Eine rein psychische Wirkung auf das Opfer reicht nicht aus." Dann wird es interessant und auch ein bisschen neu: Das physische Hindernis bestand auch tatsächlich gar nicht, sondern die Angst vor Strafe ist das Problem: "Die Anordnung der Vollsperrung durch die Polizeibeamten stellte für die Verkehrsteilnehmer eine psychisch bindende Anordnung dar, die als seelischer Zwang empfunden wurde, da bei Zuwiderhandlung unmittelbarer Zwang und Geldstrafen — mithin empfindliche Übel — in Aussicht gestellt wurden." Interessant ist das deshalb, weil über diesen Trick die Sache mit dem physischen Hindernis ausgehebelt wird. Danach ist künftig auch die Sitzblockade wieder direkt eine Nötigung, weil das Überfahren einer Person Probleme wie Ermittlungsverfahren, Schadenersatz usw. nach sie ziehen würde (empfindliches Übel). Das wird ganz klar ausgeführt: "Bei dem Verkehrsteilnehmer folglich um eine verbindliche Anordnung, der Folge zu leisten war. Die Verkehrsteilnehmer waren durch die Anordnung der Vollsperrung in Form eines Verwaltungsaktes in ihrer Freiheit beschrankt, von der Anordnung abzuweichen, weil Zuwiderhandelnden die Ausübung unmittelbaren Zwangs ebenso wie ein Bußgeldverfahren gedroht hatten.
Bei der Ausübung unmittelbaren Zwangs bzw. einem Straf- oder Bußgeldverfahren handelt es sich um empfindliche Übel. Die Ausübung körperlicher Gewalt gegen eine Person mit dem Risiko von Verletzungen ist eine nachteilige Abweichung von der Außenwelt und somit ein Übel. Dies gilt auch für eine Strafe, denn staatliches Strafen wird herkömmlich als ein Übel verstanden, das als gerechter Ausgleich für eine rechtswidrige, schuldhafte und vom Gesetz mit Strafe bedrohte Handlung auferlegt wird und die öffentliche Missbilligung der Tat zum Ausdruck bringt“ (BVerfG Urt. v. 5.2.2004 - 2 BvR 2029/01, BVerfGE 109, 133 (168)). Diese Übel sind auch empfindlich."
Auf diese Art hat das Gericht hier dann doch einen neuen Weg beschritten und polizeiliches Anordnen (selbst dann, wenn es nicht explizit ausgesprochen wird) prinzipiell als Drohung mit einem empfindlichen Übel bejaht. Aus meiner Sicht heißt das umgekehrt, dass fortan jede polizeiliche Anweisung, die sich als nicht rechtmäßig herausstellt, als Nötigung zu werten ist.
Es war dem Gericht zudem völlig egal, was eigentlich passierte: "Ob diese Verkehrsbehinderung von der Polizei aufgrund ihrer Pflicht zum Tätigwerden nun in Form einer Teilsperrung oder einer Vollsperrung bzw. eines langsamen Abfließens des Verkehrs oder eine Umleitung erreicht werden würde, war nicht relevant. Jede polizeiliche Maßnahme zur Verkehrsbehinderung war bezweckt." Diese Passage legt nahe, dass das Gericht doch eigentlich die Polizei als genötigt ansah, dass aber hinter der komplizierten Argumentation verschleiern musste.
Einfach dumm erfunden ist die Gefahr: "Darüber hinaus habe auch eine erhebliche Gefahr für die vorbeifahrenden Verkehrsteilnehmer bestanden, die durch das Herabfallen von unsachgemäß befestigten Gegenständen auf die
Fahrbahn oder bei einem Sturz der Aktivisten einem Unfallrisiko ausgesetzt worden seien."
Und später als Wahrheit: "Das Risiko des Herabfallens unsachgemäß befestigter Gegenstände stellte darüber hinaus eine Gefahr für den übrigen Verkehr dar."


Landgericht Bremen: Keine Nötigung
Aus dem Beschluss des Landgerichts Bremen vom 22.6.2021 (Az. AG Bremen 92b Gs 448/21 und 225 Js 25762/21 StA Bremen)
Das Amtsgericht Bremen hat hier eine Abwägungsentscheidung zwischen den Rechtsgütern der Betroffenen, der Fortbewegungsfreiheit der Autofahrer und der Versammlunqsfreiheit der Aktivisten vorgenommen, und ist unter Bezugnahme auf die soziale Gewichtigkeit des verfolgten Anliegens sowie dem Grad der festzustellenden Einschränkungen der Verkehrsteilnehmer zu dem Ergebnis gelangt, dass hier - mangels Vorliegens einer verwerflichen Mittel-Zweck-Relation - kein Anfangsverdacht hinsichtlich einer Nötigung des Beschuldigten feststellbar ist. Dieses Abwägungsergebnis hält die Kammer für nachvollziehbar und zutreffend ...
Ein gewichtiger Umstand im Rahmen der Abwägung ist der Sachbezug der von der Blockade betroffenen Personen - nämlich die Teilnehmer des Individualverkehrs. Stehen die äußere Gestaltung der Blockademaßnahme und die durch sie ausgelösten Behinderungen in einem Zusammenhang mit dem Versammlungsthema und/oder betrifft das Anliegen auch die von der Demonstration nachteilig Betroffenen, kann die Beeinträchtigung ihrer Freiheitsrechte unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände möglicherweise eher sozial erträglich und damit in größerem Maße hinzunehmen sein, als wenn dies nicht der Fall ist. Demgemäß ist im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen, ob und inwieweit die Wahl des Versammlungsortes und die konkrete Ausgestaltung der Versammlung sowie die von ihr betroffenen Personen einen auf die Feststellung der Verwerflichkeit einwirkenden Bezug zum Versammlungsthema haben (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 08. Januar 2015 - 1 (8) Ss 510/13 -, juris).
Vor diesem Hintergrund ist die Einordnung des Geschehens als Meinungsäußerung und nicht nur als längerfristige Verhinderung des Verkehrs in der Gesamtschau der bisher bekannten bzw. ermittelten Umstände auch aus Sicht der Kammer nicht zu beanstanden.


Aus "Gerichtsbeschluss zu Klimablockaden in Berlin: Umsteigen auf Bus und Bahn für Autofahrer generell möglich", in: Tagesspiegel am 12.6.2023
Das Landgericht Berlin hat in einer neuen Entscheidung zu Klimablockaden erstmals den Vorwurf der Nötigung gegen Klimaaktivisten der Gruppe „Letzte Generation“ abgelehnt. Stattdessen erklärte es, dass angesichts angekündigter Blockaden Autofahrern „ein Umsteigen auf den öffentlichen Nahverkehr oder das Einplanen von mehr Zeit (…) generell möglich“ sei. Zudem sei eine Blockade von etwas mehr als einer halben Stunde „hinsichtlich der üblichen Stauzeiten“ in Berlin „moderat“, heißt es in dem Beschluss vom 31. Mai, der dem Tagesspiegel vorliegt.

Berichte vom Strafprozess mit Selbst- und Laienverteidigung am 27.3.2023 am Amtsgericht Freising (Abseilaktion zur IAA-Eröffnung 2021 über der A9): SZ ++ Merkur



Aus Christian Laue, Prof. am Institut für Kriminologie der Uni Heidelberg (2023), "Die Strafbarkeit von Sitzblockaden zum Klimaschutz als Nötigung - eine Analyse der Rechtsprechung"
Somit bleibt als Ergebnis festzuhalten, dass friedliche Sitzblockaden, die einen wirksameren Klimaschutz einfordern, in aller Regelmäßigkeit nicht als verwerflich und damit strafbar anzusehen sind, weil Sie einen vom BVerfG formulierten verfassungsmäßigen Auftrag an die Regierungen einfordern und weil sie zusätzlich die – ebenfalls vom BVerfG formulierten – Kriterien der Verwerflichkeitsprüfung erfüllen. ...
Das Gutachten kommt somit zu folgenden Ergebnissen:
  1. Der Gewaltbegriff des § 240 StGB hat nach der Rechtsprechung des BGH drei Elemente:
    1. Element: ein physisches Handeln des Täters,
    2. Element: eine physische Zwangswirkung beim Opfer,
    3. Element: das Ziel der Willensbeeinträchtigung.
  2. Durch das Laepple-Urteil des BGH (BGHSt 23, 47) wurde das 1. Element auf die bloße Anwesenheit des Täters am Tatort reduziert. Beim 2. Element reichte fortan eine rein psychische Einwirkung auf die Genötigten (sog. vergeistigter oder entmaterialisierter Gewaltbegriff).
  3. BVerfGE 92, 1, erklärte den vergeistigten Gewaltbegriff für mit dem Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG unvereinbar: Beim 1. Element ist ein über die bloße Anwesenheit hinausgehendes physisches Handeln des Täters zu fordern. Beim 2. Element reicht eine rein psychische Zwangswirkung auf die Blockierten nicht aus.
  4. Seit BGHSt 41, 182, vertritt der BGH die „Zweite-Reihe-Rechtsprechung“: Bei einem Rückstau wirken die Blockierer auf die Fahrzeuge der ersten Reihe rein psychisch ein und zwingen sie zum Anhalten. Dadurch werden sie zum Werkzeug der Blockierer und bilden für die Fahrzeuge ab der zweiten Reihe ein physisch wirkendes Hindernis, das den Blockierern über § 25 Abs. 1 Var. 2 StGB zugerechnet wird. Trotz zum Teil heftiger Kritik aus dem Schrifttum wird diese Rechtsprechung von BVerfG, NJW 2011, 3020, akzeptiert.
  5. Nach BVerfGE 104, 92, erfüllen Blockierer, die ihre Beseitigung vom Tatort durch physische Maßnahmen wie Anketten oder Festkleben erschweren, das Tatbestandsmerkmal der Gewalt.
  6. Der BGH wollte in BGHSt 35, 270, den Zweck einer Sitzblockade als sog. Fernziel nicht in der Verwerflichkeitsprüfung nach § 240 Abs. 2 StGB berücksichtigen, sondern lediglich bei der Strafzumessung.
  7. BVerfGE 104, 92, stellt klar, dass jedenfalls bei Demonstrationen der Grundrechtsschutz durch Art. 8 GG (Versammlungsfreiheit) in einer eingehenden Verwerflichkeitsprüfung nach § 240 Abs. 2 StGB zu berücksichtigen ist.
  8. Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den konkret vertretenen Anliegen ist dabei regelmäßig nicht möglich. Stattdessen sind die konkreten Umstände der Versammlung und die mit ihr verbundenen Einschränkungen für die Betroffenen zu berücksichtigen.
  9. Im Klimaschutzurteil (BVerfGE 157, 30) stellt das BVerfG klar, dass den Gesetzgeber eine verfassungsmäßige Pflicht trifft, bereits jetzt wirksame Maßnahmen zur Herstellung von Klimaneutralität (bis spätestens 2050) zu ergreifen, um eine übermäßige Belastung der jüngeren Generation in späteren Zeiten zu vermeiden. Die mit der Erreichung von Klimaneutralität verbundenen Beschränkungen müssen auf die Generationen möglichst gleich verteilt werden, entsprechende Maßnahmen müssen daher möglichst frühzeitig ergriffen werden.
  10. Die Sitzblockaden zum Klimaschutz weisen auf die Notwendigkeit früherer und einschneidenderer Klimaschutzmaßnahmen hin. Dieser Zweck im Sinne des § 240 Abs. 2 StGB deckt sich mit den Ausführungen des BVerfG im Klimaschutzurteil. Die Blockierer verweisen somit auf eine vom BVerfG formulierte Verpflichtung der Regierungen. Sie handeln daher nicht verwerflich im Sinne des § 240 Abs. 2 StGB.

Aus "Klimastrafrecht", ein Buch über die Rolle von Verbots- und Sanktionsnormen im Klimaschutz (Nomos-Verlag) zum freien Download
Es gerät damit außer Sichtweite, dass es in einer Demokratie unverzichtbar ist zu ermöglichen, Kritik durch Demonstrationen zu üben, auch durch unangenehme Demonstrationen, auch durch listige Demonstrationen, auch durch Demonstrationen, die politisch starken Wählergruppen zuwider sind, kurzum: Störendes Verhalten ist mit Protesten, durch die Aufmerksamkeit für das betreffende Anliegen nicht werden soll, geradezu notwendig verbunden. Liberale Staaten sollten mit Aufrührern dieser harmlosen Art, die letzten Endes niemanden schädigen, Augenmaß bewahren und in angemessener Gelassenheit reagieren. Strafrecht ist das falsche Rechtsgebiet für eine Lösung dieser Konflikte.

Zweimal wurde im Gießener Raum die Frage der Nötigung durch Autobahnabseilaktionen verneint, einmal durch die Staatsanwaltschaft schon vor dem Verfahren (laut Gießener Anzeiger vom 20.10.2020) und einmal durch eine Einstellung im erstinstanzlichen Verfahren am Amtsgericht Gießen (Gießener Allgemeine vom 28.3.2024).

In den Verurteilungen von Autobahnaktivistis wird oft eine Gefahr durch die Ablenkung behauptet. Interessant ist, dass das Straßenverkehrsgesetz kommerzielle Werbung explizit als nicht ablenkend bezeichnet. Kommerz ungefährlich, Politik gefährlich?
Aus der Verwaltungsvorschrift zur StVO (Punkt 116
Gegen die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung für Werbung auf Flächen von Leuchtsäulen bestehen in der Regel keine Bedenken; Gründe der Sicherheit oder Leichtigkeit des Straßenverkehrs werden kaum je entgegenstehen.

Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte?
Da gibt es noch einen anderen Strafparagraphen, der von Gerichten ins Feld geführt wird. Durch das Ankleben würden die Aktivistis das Handeln der Polizei (Räumung) erschweren - also wäre es Widerstand.

Aus "Grenzen des Widerstandleistens mit Gewalt bei § 113 StGB" mit einer Kritik an der Rechtsprechung des Berliner Kammergerichts, Beschluss vom 16. August 2023 – 3 ORs 46/23
Die Annahme, ein bloßes Sich-Festkleben mit leicht lösbarem Sekundenkleber weit vor der Vollstreckungshandlung sei ein Widerstandleisten mit Gewalt iSv § 113 Abs. 1 StGB, verschleift die Tatbestandsmerkmale "Widerstandleisten" und "mit Gewalt". Darüber hinaus liegt in einer solchen Konstellation kein Widerstandleisten "bei der Vornahme" der Diensthandlung vor. Die gegenteilige Auffassung des Kammergerichts verletzt die Wortlautgrenze.


Kriminelle Vereinigung?
Zusammenfassung des Textes „Die 'Letzte Generation' – Straftaten als PR-Strategie: Ausreichend für eine kriminelle Vereinigung?“ von Wiss. Mit. Jakob Ebbinghaus, Humboldt Universität zu Berlin.
Ebbinghaus setzt sich mit der Frage auseinander, ob die bisherigen Aktionen der „Letzten Generation“ für die Bejahung einer kriminellen Vereinigung gem. § 129 StGB nach der Rechtsprechung ausreichen. Für die Tatsachengrundlage greift er auf eine Vielzahl von Presseartikeln, sowie die Webpräsenz der „Letzten Generation“, zurück, was die Tatsachengrundlage aber auch unsicher sein lasse. Das ungeschriebene Tatbestandsmerkmal der erheblichen Gefahr für die öffentliche Sicherheit sieht Ebbinghaus nicht als das größte Hindernis für die Bejahung des § 129 StGB an. Ausgeschlossen scheine eine Strafbarkeit jedoch nicht. Bei der „Letzten Generation“ handele es sich um einen Grenzfall, bei dem die Unbestimmtheit der Rechtsprechung zu § 129 StGB deutlich zutage trete.

Straffrei wegen Rechtfertigungsgründen
Wer eine Straftat begeht, kann trotzdem freigesprochen werden - nämlich dann, wenn ein wichtigeres Rechtsgut durch die Handlung geschützt werden soll (und kann), das Mittel das relativ mildeste und auch notwendig ist, um das Ziel zu erreichen. Das scheint beim Klimaschutz alles gegeben zu sein, denn das Überleben der Menschheit ist hochrangig - und der Staat versagt als Akteur auf ganzer Linie.
Aus "Rechtsbruch im Klimaschutz", auf: Verfassungsblog am 30.11.2023
Der Expertenrat für Klimafragen (ERK) ist das zweite Jahr in Folge zu dem Ergebnis gekommen, dass die Maßnahmen der Bundesregierung nicht annährend ausreichen, um die Klimaziele zu erreichen. Für das im Juli 2022 von Verkehrsminister Wissing vorgestellte – und mit „Sofortprogramm“ betitelte Papier – kam der ERK zu dem Ergebnis, dass es „schon im Ansatz ohne hinreichenden Anspruch“ sei und forderte eine Beschleunigung der Reduktionsbemühungen im Verkehr um das 14-Fache (Rn. 323; vgl. dazu bereits hier). Auch das Sofortprogramm Gebäude stellte die Einhaltung des KSG-Zielpfads nicht sicher (ERK, Rn. 110).
In diesem Jahr haben die zuständigen Minister:innen Geywitz und Wissing entgegen der Pflicht des § 8 Abs. 1 KSG sogar gar kein Sofortprogramm vorgelegt, sondern lediglich auf das Klimaschutzprogramm verwiesen. Auch diesbezüglich kam der ERK zu einem klaren Ergebnis: „Der Expertenrat stellt daher fest, dass die im Klimaschutzprogramm 2023 enthaltenen Maßnahmen für den Gebäudesektor die Bedingung an ein Sofortprogramm gemäß § 8 Abs. 1 KSG nicht erfüllen.“ (ERK, Rn. 40) Die Maßnahmen im Gebäudesektor fallen sogar hinter die Maßnahmen vom Vorjahr zurück. Gleiches gilt für den Verkehrssektor (ERK, Rn. 73 ff.).

Extraseite zu Rechtsfertigungsgründen

Einsatzkosten der Polizei
Neben der Strafjustiz versucht auch die Polizei, die Aktivistis einzuschüchtern - nicht nur mit dem Eingreifen bei der Aktion, sondern mit hohen Rechnungen danach.

Video "Kreativer Umgang mit Polizei und Justiz"
Wer mit direkten Aktionen auf provokante, aufmerksamkeitserzeugende Art in die gesellschaftlichen Abläufe eingreift, wird mit denen in Konflikt geraten, die das Bestehende konservieren wollen: Polizei und Justiz, die willigen Vollstrecker*innen der Interessen derer, die von der Lage der Dinge profitieren in Form von Macht und Geld. Wie damit umgehen? Der Hirnstupser macht klar: Sich vor Repression schützen ist wichtig, sie kann aber auch genutzt werden, um die Aktion noch wirksamer zu machen.
Tipps für Gerichtsverfahren: prozesstipps.siehe.website und laienverteidigung.siehe.website

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