Verkehrswende

USA ERSTMALS SELBST ATTACKIERT! DER 11.9.2001: URSACHEN, INTERPRETATIONEN, FOLGEN

Gedanken zum 11.9.


1. Zivilisation im Vormarsch
2. US-Regierung auf Kreuzzug
3. Stimmen zur US-Politik und dem Wertegemeinschafts-Patriotismus
4. Gedanken zum 11.9.
5. Zu den Anschlägen in den USA
6. Den eigenen Mördern Steuern zahlen
7. Weitere Infos zum Thema

Einteilung nach rassistischem Schema?
11. September: Angriff auf Freiheit und Abenteuer

Der 11. September kehrt wieder - jährlich, aber auch ständig, mißbraucht als Begründung für Gewalt, Forderungen und Ausgrenzung aus ganz verschiedenen politischen Richtungen. Eine Betrachtung des Geschehenen gehört daher zu einer Analyse von Herrschaft sowie zugespitzten Gewaltverhältnissen in der internationalen Politik.

Rassismus
Die Anschläge auf das World Trade Center vom 11. September wurden als Angriff auf die "Zivilisation" bezeichnet; George Bush forderte sofort den Kreuzzug gegen das "Böse". Parallel dazu liefen direkt nach dem Fall der WTC überall in der westlichen Welt Gedenkminuten, Mahnwachen und Trauer, nicht zuletzt organisiert durch die mediale Aufbereitung der Anschläge.

Durch die Konstruktion der westlichen Welt als "Zivilisation" wird eine Zweiteilung von Menschen aufgebaut: Menschen aus dem arabischen Raum werden so per se als "barbarisch", böse definiert. Hinter diesem "Gedenkterror" steckt eine im Kern rassistische Logik: Menschen aus westlichen Industrienationen sind wertvoll; Menschen in Afghanistan, Menschen in der "Dritten Welt" sind wertlos. Eine Zweiteilung, die doppelt funktioniert: Einmal in der Kategorisierung nichtwestlicher Kulturen als zurückgeblieben und zum anderen in der unterschiedlichen Bereitschaft zur Trauer - monatelang für die wichtigen Menschen, nie für die anderen. Tag für Tag sterben weit mehr als 30.000 Menschen in der "Dritten Welt" aus Folge der Politik der Industrienationen - sei es aus Armut oder staatlichem Terror. Ihr Leid und die dortige Gewalt werden höchstens in Nebensätzen abgehandelt, während alle Welt trauern soll, wenn wichtige US -AmerikanerInnen bzw. EuropäerInnen sterben. Über terroristische Anschläge empört mensch sich, solange "wir" getroffen sind. Gleichzeitig ist es ganz normal, wenn Staaten in den Krieg ziehen und dabei ganze Landstriche zerbomben.

Die moderne Teilung von "Gut-Böse" ist die nach in "Nützlich-Unnütz". Sie erreicht auch die Menschen hier. Die vielen Obdachlosen, die in der U -Bahn-Station des World Trade Centers ebenfalls verschüttet wurden, tauchen in den Totenstatistiken nicht auf, für sie wurden keine Fotos in den Totengalerien befestigt, obwohl ihre Namen auch bekannt waren. Das ist Sozialrassismus, die Ausgrenzung und Abwertung von Menschen aufgrund ihres (ökonomischen) Status. Der Zusammenbruch des World Trade Center und die Reaktionen darauf zeigten sehr deutlich, wie sich diskursive Herrschaft mit realer Gewaltanwendung durch Institutionen und im Alltag verbindet.

Gleichschaltung der Köpfe
Wie totalitär solch eine binäre Logik durchgesetzt werden kann, wurde schnell offensichtlich: Nicht-Deutsche Flüchtlinge sind inzwischen unter Pauschalverdacht gestellt und sollen einer Regelanfrage beim Verfassungsschutz unterzogen werden. In den USA sind Hunderte Menschen arabischer Herkunft in Haft ohne Anklage - als Vorsichtsmaßnahme. Die wenigen, die sich der "bedingungslosen Solidarität" verweigerten und Kritik am Krieg äußerten, traf der Bannstrahl einer kultur-patriotischen Gesellschaft: Ein türkischer Arbeiter aus Lüdenscheid, der nicht an einer Gedenkminute teilnahm, wurde entlassen. Ein Lehrer, der Kritik am Krieg übte, wurde von Siegen nach Kierspe versetzt. Andere abgemahnt.
Dieser "Zivilisationspatriotismus" wurde und wird von großen Teilen der Gesellschaft getragen, auch von kritischen Gruppen. Er bildet die Grundlage dafür, dass der Krieg so bereitwillig angenommen wurde. Die Einteilung in wertlose/wertvolle Menschen bzw. ganze "Völker" (deren Einheitlichkeit dafür konstruiert wird) hat - wieder! - funktioniert: Für die Opfer aus der Zivilbevölkerung Afghanistans und weiterer Länder, die im Zuge des Anti-Terror-Krieges angriffen werden, gibt es weder Mahnwachen, noch Gedenkminuten in nennenswertem Ausmaß. Normal ist der Tod, wenn er die anderen trifft.

Die schnelle Gleichschaltung der Köpfe durch Propaganda, Angst und Stärke nach dem 11. September, aber auch schon im Kosovo-Krieg sowie zu vielen anderen Themen läßt Schlimmes erahnen - in dieser Gesellschaft ist weiterhin alles denkbar. Eine organisierte Gegenwehr der Selbstbestimmung wird wieder fehlen ...

Die Ausblendungen
Ein interessanter Aspekt sind noch die Ausblendungen. Vieles, was mit dem 11. September zusammenhängt, wird kaum oder gar nicht benannt. Am auffälligsten ist die Konzentration auf das World Trade Center, während der Anschlag auf das Pentagon schon vergessen scheint. Ein viertes Flugzeug sollte wahrscheinlich das Weiße Haus treffen. Warum fehlen diese Bilder? Läßt sich mit den Militärbediensteten im Pentagon, die durch das Flugzeug von ihren Schreibtischen voller Kriegs - und Rüstungspläne gerissen wurden, das "Wir" Gefühl nicht so gut erzeugen? Das auch andere getroffen wurden, die dort Räume putzen oder handwerklich tätig sind, scheidet als Grund aus, denn um die ging es nie!

Solche Ausblendungen wurden auch von vielen politischen Gruppen vorgenommen, um die Morde für sich zu nutzen. Wenn Attac von Verzweifelungstaten der Globalisierungsopfer spricht, Antideutsche einen Angriff auf das Judentum entdecken oder Antisemiten die Besatzungspolitik Israels als Ursache anführen, so phantasieren sie alle Gründe in das Geschehen, die weder bewiesen noch naheliegend sind. Und sie machen gemeinsame Sache mit den Herrschenden: Das Flugzeug auf das Pentagon paßte auch ihnen nicht ins Konzept. Also hat es das nicht gegeben ...

Es geht um Macht!
Wer auch immer die Anschläge und die knapp 3000 Toten für sich benutzt - es geht um Macht, um Durchsetzung, eigene Dominanz, egal ob militärisch, wirtschaftlich oder in der öffentlichen Diskussion. Die Verhältnisse zu verändern, die Terror, Ausbeutung, Krieg, Manipulation und Herrschaft erst möglich machen, kommt niemandem in den Sinn. Viel zu verliebt sind sie alle in die Möglichkeiten, die Staat und Macht geben. Die Reaktionen spiegeln damit wieder, was auch die Anschläge waren: Eine Auseinandersetzung zwischen gewaltbereiten Eliten auf dem Rücken der Menschen. Ihnen die Mittel zur Ausübung von Herrschaft zu nehmen, wären die einzig konsequente politische Forderung, doch das will offenbar niemand.

An dem Punkt der herrschaftsbefürwortenden Analyse trifft sich die Politik der markigen Sprüche und brutalen Gewalt mit modernen Demokratiekonzepten. Es geht um Macht, um die Vorherrschaft des eigenen Gesellschaftsentwurfs. Der Krieg gegen Afghanistan hat eine Schnittmenge mit der Idee der Nachhaltigkeit oder den Vorschlägen nach hegemonialer Weltsteuerung, sei es der internationale Staatsgerichtshof oder auch nur das Detail der Tobin Tax. Sie alle wollen keine Selbstbestimmung, sondern das "Gute" von oben durchsetzen. Was das "Gute" ist, darüber herrscht Uneinigkeit. Aber dass die Menschen ihr Leben nicht selbst organisieren dürfen, das ist geklärt. Der Anschlag auf WTC und Pentagon hat die Zahl derer, die nicht mehr an die Menschen, sondern nur an Apparate glauben, sprunghaft erhöht. Das ist das größte Desaster des 11. Septembers.


Aktionsideen rund um den 11. September
1. Die "anderen" Gedenkminuten 2. Flugblätter, Zeitungen, Aushänge 3. Kommunikationsguerilla 4. Offene direkte Aktion

Aktionsideen rund um den 11. September Die folgenden Aktionen sind nur Beispiele. Sie sind nicht immer und überall passend - und sie wirken nicht als solches. Wichtig ist eine gute Vermittlung. Viele der Aktionen sind darauf ausgelegt, Erregungskorridore zu eröffnen. Die dann folgende Aufmerksamkeit für Diskussion muß gefüllt werden. Positionen und Visionen vermitteln zu können, bedarf auch der Auseinandersetzung mit Herrschaftskritik und Utopien.

Die "anderen" Gedenkminuten
Per eigenem Lautsprecher, Einloggen in Hallenlautsprechern, Erobern von Kanzeln und Podien sowie mit Hilfe des 8mm -Vierkantschlüssels auf Bahnsteigen lassen sich Gedenkminuten einleiten, die dann überraschend was anderes vermitteln als (nur) die Toten von New York. Denkbare Inhalte:
  • 11. September 1973
    In Chile wurde der sozialistische (leider ebenfalls herrschaftsorientierte) Präsident Allende gestürzt und durch die Diktatur Pinochets ersetzt. Maßgebliche Kraft hinter dem Putsch war der Geheimdienst der USA als Handlanger der "freien Welt".Die täglichen Toten
    Täglich sterben Zehntausende durch Hunger, Vertreibung, Krieg usw. Sie zu benennen, wäre ein Kontrastprogramm zu den offiziellen Statistiken.
  • Tote der Kriege
    Seit dem 11. September 1973 hat es unzählige Kriege und viele Millionen Tote auf den Schlachtfeldern gegeben. Immer ging es um Macht, Einfluß und/oder Profit.

  • Flugblätter, Zeitungen, Aushänge ...
    Dieselben Themen lassen sich auch in Flugblättern, Traueranzeigen usw. umsetzen. Eine Verbindung zur Kommunikationsguerilla ist möglich, wenn Flugblätter in "offiziellem" Layout gehalten werden, z.B. der Stadtverwaltung, der CDU, SPD usw. (oder eine gemeinsame Erklärung aller Fraktionen), wenn Traueranzeigen zum 11. September richtig echt aussehen, aber eben mit anderem Inhalt, und dann mit Rechnungsadresse einer Partei an die Zeitung geschickt werden.

    Kommunikationsquerilla
    Da das Geschehen um den 11. September vor allem ein medialer Gewaltakt ist, dürfte das Mittel der Subversion und Kommunikationsguerilla am besten passen. Einiges ist schon in obigen Absätzen vorhanden, denkbar ist noch das Verfälschen von Plakaten, das verdeckte Theater in offiziellen Veranstaltungen (Störungen und Reaktionen darauf als nicht erkennbares Theater, andere Menschen hineinziehen in das Geschehen), das Aufhängen von Fakes zum Jahrestag (z.B. als Erklärung der Stadt oder des Gastronomieverbandes, der IHK oder wem auch immer) bis zu Piratensendern. Ein wichtigstes Stilmittel ist die Überidentifikation, d.h. die ablaufende Scheiße wird weiter überspitzt und dadurch die Absurdität deutlich. Kollektives Dauerheulen während Veranstaltungen (am besten wieder mit verdecktem Theater als Reaktion) kann sehr "nachhaltig" stören.
    Ein gutes Fake dieser Art im Internet: www.afghanistankrieg.de.

    Offene direkte Aktion
    Möglich bleibt auch das Mittel des direkten Widerstandes, von der Blockade bis zur Sabotage oder Militanz. Gerade hier wird aber genau zu überlegen sein, was wo welche Wirkung erzeugt und wo welche Vermittlung möglich ist. Aktionen können Debatten einleiten, z.B. wenn in Düsseldorf (wie tatsächlich geplant!) am 11. September Grundsteinlegung für ein fettes Hochhaus ist, wären Papierflieger zumindest ein Erregungsmittel. Wie die Aktion dann weitergeht (z.B. verdeckte Theaterspielende im Publikum), muß gut überlegt werden.


Spieler ohne Rückennummer
Während wir dies schreiben, fährt unten ein Autokorso siegestrunkener Deutschlandfans durch unsere hauptsächlich von Kanaken bewohnte Gegend. Gestern haben wir einstimmig beschlossen, uns im Falle eines deutschen Finaleinzugs am nationalen Taumel zu beteiligen: an der Außenwand unseres Paradiesvogelhauses prangt die Fahne der DDR, aus den Boxen schallt "Auferstanden aus Ruinen", auf dem Fensterbrett sitzen drei bekiffte Tunten und singen zu Hanns Eislers Melodie den Text: "Freude, schöner Götterfunke".

By Donna

Die fröhliche Chaosspur, die wir da queer durch die deutsche Nationalsymbolik ziehen, wirkt den unter uns Jubelnden als Bremsspur: der Autokorso gerät irritiert ins Stocken, sogar der Sprechchor "Finaaaale - owoh" reißt ab. Auch wir haben es bis ins Finale geschafft, mit ach und Krach: und bisher kein einziges Spiel dieser WM angesehen! Verstehen wir uns nicht falsch: wir sind begeisterte Fußballfans, fanatics, ultras, harter Kern der Stehplatzränge - alle miteinander und seit frühester Kindheit. Einmal musst Du aber doch einsehen, wenn das Spiel nicht mehr das Deine ist. Wir haben sogar einen Bayernfan dabei, der als amtierender Europapokalsieger und Meister das Handtuch geschmissen hat. Wegen dem offensichtlich manipulierten Meisterschaftsfinale gegen Schalke.

Ja, gut: Wir sind misstrauische Knochen. Wir glauben nicht das Bin Laden-Märchen vom 11. September und halten den Raketenbeschuss der chinesischen Botschaft im Kosovo-Krieg auch nicht für ein Versehen aufgrund veralteter Stadtpläne des CIA.
Wir glauben nicht, dass eine bodenlos korrupte FIFA der Verband ist, jene eminent wichtige Geld- und Ideologiemaschine namens WM gegen Einflüsse aus Politik und Wirtschaft abzuschirmen. Außerdem ist Fußball nachweislich schlecht fürs Karma.
Und weil wir uns ungern verarschen lassen und unsere Emotionen nicht für gekaufte Spiele verschwenden wollen, haben wir uns auch schon geweigert, die Live-Übertragung des Kosovo-Krieges anzusehen.

Das also ist der Stand der Dinge zwischen 11. September, WM und Bundestagswahl: Wir können uns der aggressiven Wirkungsmacht der Ereignisse nicht entziehen. Sich für eine Fußball-WM nicht interessieren zu wollen, ist ehrbar, aber zwecklos. Den 11. September als Symbol zu attackieren, indem man darauf verweist, dass dann und dort viel mehr Leute durch die Politik des Westens gestorben sind und sterben, ist legitim, massenpsychologisch allerdings unerheblich.
Machen wir uns keine Illusionen: die als Realität empfundene Wahrnehmung der Welt wird uns in einem Maße aufgezwungen, das unseren Willen zum Desinteresse übertrifft und sich nicht im Mindesten um historische Vergleiche schert. Was das derzeitige Kräfteverhältnis aus linker, oder auch nur demokratisch-fortschrittlicher Sicht angeht, übertrifft die Miserabilität der Umstände die Reichweite des deutschen Superlativs. Auch um so etwas wie historische Hoffung befriedigend formulieren zu können, gibt uns jene Sprache der Dichter, Denker und Dauerschwätzer, die immerhin über einen Konjunktiv II in Zukunftsform verfügt, nur unzureichende Mittel an die Hand.

Im Nachhinein muss man sagen: sich stundenlang die Terrorbilder aus Manhatten in die Gehirnrinde brennen zu lassen, war ein grober taktischer Fehler. Wir hätten schneller schalten und verstehen müssen, dass wir emotional attackiert werden - und den Fernseher ganz einfach abknipsen. Immerhin hat nunmehr ein jedes die Möglichkeit, sich angesichts dieses Patzers als lernfähig zu erweisen. Zumal, das wirst Du wohl zugeben, auch das dargebotene Programm keinerlei Gegenargumente zur sofortigen Abschaffung Deines Fernsehers bietet. Und bitte keine Ausflüchte, Marke: Ja, aber die Dokus auf Arte!
Jaha, werden jetzt viele sagen: So leicht isses nicht! Einfach Kiste aus - das ist wie: Augen zu, und die Welt ist schön. Wenn das so einfach ginge... Wir sagen das durchaus nicht: dass die Welt ein besserer Ort wird, indem Du nur Deinen Fernseher abschaffst. Vielleicht ist die Welt auch jetzt schon ein schöner Ort.

Dein Gehirn wieder unter die Kontrolle Deines Körpers zu bringen, ist die Voraussetzung dafür, das überhaupt einschätzen zu können. Unser Zustand ist Teil der Zustände. Wenn wir nicht in der Lage sind, unsere eigenen Leben zu regeln und uns auf das, was wir in dem einem Moment tun, voll zu konzentrieren, werden wir als Krieger völlig untauglich bleiben.

Ein Krieger ist kein Kämpfer. Der deutsche Kämpfer beisst ein Leben lang auf die Zähne und hält es aus dem innerem Zwang seines Kämpferdaseins heraus für notwendig, permanent und aus allen Lagen herumzukämpfen. Jede Pause, die er einlegt, erfüllt ihn mit Gewissensbissen und der Angst, zum Verräter vor sich selbst zu werden und "an der Sache". Anders als der kleinkarierte Frusthaufen, der sich für einen deutschen Revolutionär hält, ist der Krieger kein von sich selbst und den Ereignissen Getriebener: sondern ein selbstbestimmt Handelnder.

Der Krieger hat überhaupt keine Angst, zum Verräter zu werden. Noch niemand, kein Fischer und kein Ethiklehrer am Bert-Brecht-Gymnasium, ging einfach nach rechts, ohne es etwa zu bemerken. Da können sie erzählen, was sie wollen. Das weiß der Krieger, deswegen hat er keine Angst vor dem eigenen Verrat. Er braucht sich ja nur gegen den Verrat zu entscheiden.
Der Krieger hält es auch weder für sinnvoll noch seine Aufgabe, permanent zu kämpfen. Er trifft eine Entscheidung, wann es sich lohnt, in den Kampf zu ziehen. Wenn es nichts zu gewinnen gibt, sammelt er anderswo Kräfte und Mitstreiter und wartet ab, bis sich der Wind wieder dreht.
Das kann dauern, wird aber nicht ausbleiben. Der Krieger hat Geduld. Und wenn die Lage günstig ist, wird er nicht zögern, mit den in den Jahren des Wartens gesammelten Kräften, einem kunstvoll ausgearbeitetem Plan folgend und mit voller Wucht zuzuschlagen.
Der deutsche Kämpfer ist an dieser Stelle übrigens längst tot oder hat sich für den Verrat entschieden.

Wir sollten die derzeitige Krise der Linken historisch einordnen. Soeben lasen wir in Band 18 der Marx/Engels-Werke ein bisschen über die frühen Konflikte von Anarchisten und Kommunisten nach. Das Bild, welches die Linke als politische Kraft an dieser Stelle abgibt, ist verheerend. 1873 - zwei Jahre nach der Pariser Kommune und 25 Jahre nach Veröffentlichung des Kommunistischen Manifests.
Wir können auf die Pariser Kommune zeigen und sagen: das war so großartig! Oder auf ihre Niederlage und: das war so fürchterlich! Oder wir lesen über das Hickhack der Linken zwei Jahre später und stöhnen: Gott, wie belanglos!
Wir brauchen folglich nicht tun, als sei früher alles anders gewesen. Die Geschichte ist eine Serie von Niederlagen, belanglos oder eine Serie von Siegen. Je nachdem, ob man die Zäsuren nach den Siegen, nach den Niederlagen oder in die Leere dazwischen setzt. In der Totale nur wird alles das zu Geschichte; mit ihren grauenvollen und wunderbaren und stinklangweiligen Phasen und Ereignissen.

Das Buch "Empire" von Michael Hardt und Toni Negri wird oft als neues Manifest beschrieben. Dieser Vergleich passt sehr gut. Im Kommunistischen Manifest hatten Marx und Engels die Dynamik des neuentstehenden Kapitalismus als große Chance begriffen.
Die Gefahren nicht verschwiegen, aber verstanden, dass der Kapitalismus eine neue Totalität ist, die neue Möglichkeiten zur Befreiung beinhaltet. Negri / Hardt sagen: die Globalisierung ist ein Ergebnis der jüngeren Geschichte der ganzen Menschheit. Ergebnis der Manager, der Militärstrategen, der Geheimdienstler. Aber auch Ergebnis von 68, den nationalen Befreiungsbewegungen, der sexuellen Revolution und 150 Jahren organisierter Arbeiterbewegung.
Wir können jammern, was uns an alter Kraft und alten Wahrheiten täglich flöten geht. Oder sehen, dass wir am Beginn eines Zeitalters stehen, dass neben Zerstörung und Katastrophen auch die Tore aufstößt zu einer besseren Welt.

Wir haben trotz "Empire" offengestanden keinen Dunst, was nun zu tun ist. Wir versuchen, zu verstehen. Wir experimentieren und probieren Neues aus. Aber alles das ist Kleinholz, keine großen Würfe darunter. Wichtig scheint uns immerhin, uns von den alten Fundamenten wegzubewegen. Es passieren dramatische und neue Dinge. Die Systemkonfiguration ist durcheinander und das eröffnet auch uns Chancen, Viren, Trojaner und neue Programme zu installieren.
Wir sollten auch die Stabilität des globalisierten Kapitalismus nicht überschätzen. Es brennt an allen Enden der Welt - Indien/Pakistan, Israel/Palästina, Afghanistan, Irak etc - und die Militärmacht der USA ist der einzige Faktor, der den Kollaps der internationalen Gefüge verhindert.

Wen wir wählen sollen, ist eine dieser Fragen der alten Zeit, deren Wichtigkeit sich angesichts der Lage anders darstellt. Beantworte für Dich selbst, wen oder ob Du wählst. Es ist nicht egal, wer die Regierung stellt und es macht natürlich Unterschiede. Der Krieg, der heraufzieht, wird aber nicht an den Urnen entschieden werden.
Die Krise des Systems ist die Krise der Menschheit. Und die ist größer als jede Bundesregierung. Wer auch immer regiert, wird sich dem Druck der Krise beugen. Ob die Stützpfeiler nur bröseln oder auch brechen, können wir nicht wissen. Und wir haben derzeit nicht die Macht, an dieser Stelle entscheidend einzugreifen. Darüber können wir jammern. Oder wir lassen uns darauf ein, drücken den Reset-Button der alten Linken und stellen uns der Aufgabe, das Wachstum von etwas Neuem zu forcieren.

Wir können uns die Alternative vorschreiben lassen: USA oder Terror. Schröder oder Stoiber. Westen oder Osten. Innerhalb dieses Szenarios, das immer auf Gut gegen Böse hinausläuft, sind wir gezwungen zwischen verschiedenen Wegen ins Nichts zu entscheiden.
Wir sind der Auffassung, dass es eine andere Alternative gibt. Einen dritte Gruppe von Spielern, die keine Rückennummern tragen, weil sie die Regeln des Spiels unterlaufen. Sie rennen kreuz und queer übers Feld, halten sich nicht an die Markierungen auf dem Rasen, weigern sich, eine Mannschaft zu formieren und schießen auf beide Tore, wenn sich die Gelegenheit bietet.
Es kommt darauf an, diese dritte Position zu etablieren.


Koerperkollektives Identitaetsprojekt Donna San Floriantè

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