Theoriedebatte

BUNTE VERSAMMLUNGEN ORGANISIEREN, ANMELDEN, DURCHSETZEN

Demo-Leitung und innere Struktur


1. Einleitung zu Demotipps und -recht
2. Was ist eine Versammlung?
3. Sind Sitzblockaden eine Versammlung?
4. Die Unterscheidung: Normal-, Eil- und Spontanversammlungen
5. Demo-Leitung und innere Struktur
6. Der Ort einer Versammlung
7. Spezial: Autobahnen als Versammlungsort
8. Übernachten und Versorgung auf Versammlungen
9. Auf dem Weg zur Demo
10. Anmeldung einer Versammlung und Kooperationszwang für Behörden
11. Links
12. Materialien zu Demorecht und -organisation

Die Normal- und die Eilversammlung benötigen in der Regel eine innere Hierarchie mit Leiter*in und weisungsabhängigen Ordner*innen. Da zudem noch die Polizei Auflagen und Anweisungen erteilen kann, bildet die Demo selbst Unterdrückungsapparate aus, mit denen der Wille des Staates und der Demoführung auf die Teilnehmer*innen wirkt. Aus emanzipatorischer Sicht ist das bereits unerträglich. Dass regelmäßig politische Demonstrationen trotzdem diese Form annehmen, zeigt den - hinter anderslautenden Parolen verschleierten - Hang zu Dominanz und Führung, die bei Parteien, Organisationen, aber auch in manch linksradikalen, autonomen bis anarchistischen Spektren ausgebildet sind. Mit etwas kreativem Denken lassen sich solche Probleme umgehen (siehe hier).

Wer kann eine Demo anmelden?
Alle Menschen. Auch wenn im Grundgesetz etwas Anderes steht - dort steht das Recht nur "Deutschen" zu. Aber das europäische Recht überlagert das und verbietet jede Diskriminierung zumindest von EU-Bürger*innen. Noch deutlicher ist die EU-Charta im Artikel 12 zu Versammlungsfreiheit. Dort ist klar von "jeder Person" die Rede. Das Europarecht bricht hier die Einschränkung des Grundgesetzes.

Aus einer Schrift des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages (Az. WD 3 - 3000 - 302/18)
Ausländer aus den Mitgliedstaaten der Europäischen Union können sich indes auf das Diskriminierungsverbot aus Art. 18 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) berufen, wonach den Mitgliedstaaten „jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit verboten“ ist. Hiernach dürfen EU-Ausländer (auch) im Hinblick auf ihr Versammlungsrecht nicht schlechter gestellt werden als Deutsche." Es ist davon auszugehen, dass dem Gießener Gericht das bekannt ist. Ihr Bekenntnis zu "Deutsche zuerst" ist ideologisch begründet.

Aus der "EU Charter of Fundamental Rights"
Artikel 12 - Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit
Jede Person hat das Recht, sich insbesondere im politischen, gewerkschaftlichen und zivilgesellschaftlichen Bereich auf allen Ebenen frei und friedlich mit anderen zu versammeln und frei mit anderen zusammenzuschließen, was das Recht jeder Person umfasst, zum Schutz ihrer Interessen Gewerkschaften zu gründen und Gewerkschaften beizutreten.

Art und Weise einer Versammlung ist Sache derer, die die Demo machen
Aus dem Beschluss des Verwaltungsgerichts Magdeburg am 22.6.2021 (Az. 3 B 150/21 MD)
Das Selbstbestimmungsrecht des Grundrechtsberechtigten aus Art. 8 Abs. 1 GG über Ort, Zeitpunkt, Art und Inhalt der Versammlung lässt eine Bewertung der Eignung oder Sinnhaftigkeit einer Versammlung sowie der in ihrem Rahmen geplanten versammlungsspezifischen Aktionen und Ausdrucksformen im Hinblick auf den jeweils bezweckten Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung durch die grundrechtsgebundenen staatlichen Stellen nicht zu (BVerfG, B. v. 21.09.2020 – 1 BvR 2152/20 -, juris, Rdnr. 17). …
Zwar mag es sein, dass es sich bei dem Standort des „Protestcamps“ nicht gerade um eine zentral liegende Örtlichkeit handelt, bei der Versammlungen per se größere Aufmerksamkeit erzielen. Weil das Camp sich jedoch an der Trasse der A 14 befindet, ist sein Standort jedenfalls nicht von vornherein völlig ungeeignet, auf die Öffentlichkeit und ihre Meinungsbildung einzuwirken. Darüber hinaus bleibt es – wie bereits ausgeführt – dem Veranstalter der Versammlung im Rahmen seines Selbstbestimmungsrechts überlassen, einen für die Meinungskundgabe geeigneten Ort zu wählen.

Aus dem Beschluss des OVG Sachsen-Anhalt vom 2.7.2021 (Az. 2 M 78/21)
Der Schutz der Versammlungsfreiheit umfasst nicht nur das gewählte Thema der Veranstaltung, sondern auch die Entscheidung, welche Maßnahmen der Veranstalter zur Erregung der öffentlichen Aufmerksamkeit für sein Anliegen einsetzen will. Die vom Versammlungsrecht geschützten Veranstaltungen sind nicht auf Zusammenkünfte traditioneller Art beschränkt, sondern umfassen vielfältige Formen gemeinsamen Verhaltens (zum Ganzen: BVerwG, Urteil vom 16. Mai 2007 - 6 C 23.06 - juris Rn. 15, m.w.N.).


Aus dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 21.9.2020 (Az. 1 BvR 2152/20)
Eine Bewertung der Eignung oder der Sinnhaftigkeit einer Versammlung sowie der in ihrem Rahmen geplanten versammlungsspezifischen Aktionen und Ausdrucksformen im Hinblick auf den jeweils bezweckten Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung steht den grundrechtsgebundenen staatlichen Stellen nicht zu.

Lautsprechereinsatz
Der ist im Prinzip immer möglich. Die Größe der Versammlung ist völlig irrelvant, weil der Lautsprecher ja der "öffentlichen" Meinungskundgabe dient, also gerade nicht der Bespaßung und Belaberung der eigenen Leute (dass bei linken und NGO-Demos das meistens anders ist, zeigt, dass diese andere Ziele verfolgen wie Spenden- und Mitgliederwerbung - außerdem stellt sich die Frage, ob es dann überhaupt Versammlungen sind, weil die Meinungskundgabe ja nicht nach außen erfolgt).

Aus HessVGH, Beschluss vom 31.05.2012 - 8 A 514/12
Wie der Senat bereits in seinem Zulassungsbeschluss vom 5. März 2012 ausgeführt hat, trägt das vom Verwaltungsgericht herangezogene Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 21. Dezember 2006 – 1 A 162.01 – (juris) entgegen der Auffassung der Beklagten nicht zur Klärung der Frage bei, ob der Einsatz von Lautsprecheranlagen bei Kundgebungen in der Nähe von Justizvollzugsanstalten zulässig ist. Denn zum einen befasst sich dieses Urteil nicht mit der besonderen Problematik der akustischen Einwirkung auf Personal und Insassen von Justizvollzugsanstalten, zum anderen geht diese Entscheidung - wie auch die Begründung der angegriffenen Auflage in Nr. 7 des angefochtenen Bescheids - von der irrigen Annahme aus, ein Lautsprechereinsatz bei Kundgebungen sei nur dann zulässig, wenn er zur Wahrung der sog. Binnenkommunikation zwischen den Teilnehmern der Versammlung erforderlich sei (VG Berlin a.a.O., juris Rn. 29). Dies verkennt den kommunikativen Ansatz des Grundrechts aus Art. 8 GG, der auch und gerade die Kontaktaufnahme zu Nichtteilnehmern unter Schutz stellt und deshalb eine akustische Verstärkung kollektiver Meinungsäußerungen von Versammlungsteilnehmern grundsätzlich und ohne Rücksicht auf die Teilnehmerzahl zulässt (BVerfG, Beschluss vom 12. Juli 2001 – 1 BvQ 28/01 u.a. –, NJW 2001, 2459 = juris Rn. 24; OVG Brandenburg, Beschluss vom 14. November 2003 – 4 B 365/03 –, NVwZ-RR 2004, 844 = juris Rn. 19). Das OVG Brandenburg hat hierzu ausgeführt (a.a.O.): ‚Die Auflage Nr. 13 ist weiter rechtswidrig, soweit sie den Einsatz eines Lautsprecherwagens untersagt. Das Verwaltungsgericht hat bereits darauf hingewiesen, dass der Einsatz von Lautsprechern bei Versammlungen grundsätzlich zulässig ist. Er unterliegt als versammlungsimmanentes Element auch nicht etwa der Notwendigkeit einer straßenverkehrsrechtlichen Ausnahmegenehmigung nach § 33 Abs. 1 Nr. 1, § 46 Abs. 1 Nr. 9 StVO. Welche konkreten Gefahren von dem Lautsprecherwagen ausgehen sollen, dessen Einsatz außerhalb des Bahnhofsvorplatzes nach den Angaben des Antragstellers nur für das Abspielen klassischer Musikstücke von Beethoven und J. Strauß auf dem Weg zum Friedhof sowie auf dem Friedhofsvorplatz für die (bislang) dort beabsichtigten Reden von zwei ‚Zeitzeugen‘ in Betracht kommt, wird vom Antragsgegner nicht hinreichend dargelegt‘ ...
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hätten der Versammlungsbehörde hier mildere Mittel als die Untersagung jeglichen Lautsprechergebrauchs zur Verfügung gestanden, um einen Ausgleich der unterschiedlichen Interessen der beteiligten Rechtsträger herbeizuführen. Neben einer Begrenzung der Kundgebungsdauer wäre insbesondere die Untersagung von Aufrufen zu gewalttätigen Aktionen der sicherungsverwahrten Personen oder anderen strafrechtlich relevanten Verhaltensweisen von Insassen der Justizvollzugsanstalt in Betracht zu ziehen gewesen, um anstelle der gänzlichen Absage der Kundgebung deren Durchführung in angemessenem Umfang ohne grundrechtsrelevante Gefährdung von Rechtsgütern Dritter zu gewährleisten. Das Totalverbot des Lautsprechereinsatzes war deswegen unverhältnismäßig und damit rechtswidrig.


Sanktionen gegen die Demo-Leitung

Komplexe Subversion: Kreatives Chaos - auch formal inszeniert
Der Staat liebt berechenbaren Protest. Auch deshalb gibt es das Versammlungsrecht. Die meisten Eliten wollen das auch, um ihre Hegenomie durchsetzen zu können - ihre Demoroute, ihre Redebeiträge, ihre Darstellung der Gesamtmenge nach außen. Organisierung von unten bedeutet eher handlungsfähige Teile des Ganzen, kooperierend, sich ergänzend, unterschiedliche Aktionskonzepte anwendend. Das muss nicht nebeneinander geschehen, sondern kann Absprachen folgen, wenn z.B. einige Teile einen bestimmten Stil in ihrer Aktion verfolgen und nicht zerstören lassen wollen von anderen Stilen, die nicht zueinander passen. Das bedarf keiner Zentralen, die Vorgaben machen, sondern einer intensiven horizontalen Vernetzungen zwischen den Aktionsgruppen.
Das Demorecht kann dafür genutzt werden. Mensch stelle sich eine Innenstadt vor. Einige Bereiche sind als Orte angemeldeter Demos fixiert - räumlich nebeneinander, z.T. aber auch zeitlich gegeneinander verschoben. Im Laufe der Aktion wechseln angemeldete Orte und Zeiten. Immer gibt es irgendwo neue Zonen mit Demorecht. Wer das braucht (um z.B. Platzverweisen auszuweichen), geht dorthin - schon der Weg dorthin ist geschützt über das Demorecht, d.h. Polizeirecht gilt nicht mehr. Umgekehrt kann jede Demo sich auflösen, wenn eine Aktion folgen würde, die nach Demorecht nicht erlaubt oder gar für Teilnehmende oder AnmelderIn strafbar wäre. Denkt das mal weiter - als komplexe, völlig unüberschaubares Kunstwerk kreativer Aktion, in die auch das Demorecht kreativ und subversiv hineingedacht wurde.
Die Polizei wird sehr schnell den Überblick verlieren - out of control. Aber wartet nicht auf die typischen Anführer*innen politischer Bewegung. Die werden das nicht umsetzen. Denn sie wollen auch Überblick und Kontrolle. Subversion ist die Waffe derer, die Hegemonie nicht haben und am besten auch nicht wollen!

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