Theoriedebatte

BILDUNG UNTER KOOPERATIV-HERRSCHAFTSFREIEN VERHÄLTNISSEN

Selbstbestimmtes Lernen - Umrisse einer konkret-utopischen Praxis


1. Einleitung
2. Aspekte herrschaftsförmiger Bildung
3. Lernen und Leben fallen zusammen - Rahmenbedingungen und utopische Andeutungen
4. Selbstbestimmtes Lernen - Umrisse einer konkret-utopischen Praxis
5. Über diesen Text

Lernorte "von unten" schaffen
Der Begriff "Lernorte" ist selbst irreführend, weil er die Trennung von Leben und Lernen fortschreibt, auch wenn er sich klar von Schulen oder Universitäten abgrenzt. In einer Welt ohne zentralisiertes Bildungssystem sind alle Orte immer auch Lernorte bzw. können so angelegt sein. Der Begriff ist sinnvoll als strategisches Konzept unter herrschaftsförmigen Rahmenbedingungen. Ähnlich wie beim Begriff "Freiraum" geht es bei Lernorten "von unten" darum, Herrschaft in gesellschaftlichen Subräumen stückweise zurück zu drängen und neue Organisierungsformen auszuprobieren. Unvollkommene Ansätze für solche Lernorte "von unten" bilden Projektwerkstätten, die Idee "offener Unis"* oder "autonomer Institute", die im Zuge von Uni-Streiks erkämpft wurden - wie bei vielen Feldern emanzipatorischer Politik stehen die Debatten und praktischen Gehversuche erst am Anfang. Viele der unter Punkt 2 genannten Ideen können als Keimform sofort umgesetzt werden.

*Ein konkretes Beispiel bildete die Offene Uni Berlins: www.refrat.hu-berlin.de/sowi/alle/selber-denken/sdindex.html

Widerstand und Vision verbinden
Es geht aber nicht um, einfach nur Inseln selbstorganisierten Lernens aufzubauen, welche den Kampf um eine herrschaftsfreie Welt der Einnischung opfern. Lernorte "von unten" sind nur dann erste Schritte, wenn diese als offensive Gegenentwürfe angelegt sind, d.h. sich als Reibungsfläche zur Normalität begreifen. Dazu gehört der Versuch, in Gesellschaft hinein zu wirken und deutlich zu machen, dass Herrschaft und Verwertung keine unabänderliche Konstanten darstellen. Formen dazu könnten eine Mischung aus direkten Aktionen, Öffentlichkeitsarbeit und widerständiger Alltagspraxis sein, die immer wieder Diskussionen anzetteln und die Verhältnisse hinterfragen. Auch die individuelle Schulverweigerung kann als Aktionsfläche genutzt werden, um fremdbestimmtes Lernen zu kritisieren und Utopiedebatten anzustoßen.

Selbstbestimmte Bildung ist kein Selbstzweck! Daher braucht selbstbestimmte Bildung die Verbindung von "Widerstand und Vision", d.h. das offensive und gezielte Hineinwirken in Gesellschaft und laufende Debatten. Um Kritik und Gegenbilder zur totalen Unterwerfung von Mensch und Umwelt zu vermitteln und für die konkreten Experimentierfelder einer Welt "von unten" zu werben, bieten sich direkte Aktionen, kreativer Widerstand und eine aktive Öffentlichkeitsarbeit an. All das sorgt u.a. für die Reibung mit der herrschaftsförmigen Welt, bricht Normalität und schafft damit Raum für die kontroverse Diskussion über Alternativen. Über Aktionen (Sabotage, Störungen, Kommunikationsguerilla, Theater, Performances, Besetzungen usw.) kann dieser hergestellt werden - wo öffentliche Debatten bereits laufen, kann auch direkt eingegriffen werden: Die PISA-Studie oder - noch deutlicher - der amoklaufende Schüler von Erfurt waren z.B. solche "Erregungskorridore", d.h. Situationen, wo Wahrnehmung und Interesse vieler auf das Thema Schule und Bildung gerichtet war.

Kreative Gruppenprozesse und Abbau von Hierarchien
Auf dem Weg in eine andere Lernkultur wird es auch Zeit, die gängigen Formen der Wissensvermittlung kritisch zu hinterfragen zu überwinden, in die Hierarchien eingeschrieben sind. Auch in Zusammenhängen, die über Emanzipation diskutieren, sind Frontalunterricht, Podien oder Seminare und Konferenzen mit starrer Leitung und vorgeplanten Inhalten prägend. All das hat wenig mit selbstbestimmtem Lernen zu tun und kann nicht damit gerechtfertigt werden, dass eine perfekte Umsetzung unter den gegebenen Verhältnissen nicht möglich sei. Auch wenn die Diskussion erst in den Starlöchern steht, fehlt es nicht an Vorschlägen, wie Veranstaltungen und Gruppentreffen horizontal und kreativ gestaltet werden können. "Open Space" könnte starre Konferenzen in Orte der dynamischen, selbstorganisierten Weitergabe von Wissen und der Entwicklung neuer Ideen verwandeln, "Fish Bowl" den Kampf um Sieg-Niederlage zugunsten von produktiven Streits ablösen. Experimente mit kreativen, Gleichberechtigung und Selbstorganisierung fördernden Methoden könnten deutlich breiter angegangen werden. Ob Kongress , Sommercamp, Theoriezirkel, Aktionsgruppe oder sonstiges Projekt - jeder soziale Raum kann ein Ort sein, um solche Methoden auszuprobieren.

Espi Twelve

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