Theoriedebatte

WAS DARF DIE POLIZEI?

Rechtsschutzprobleme bei "Sicherheitseingriffen"


1. Recht gilt auch für Uniformierte - eigentlich ...
2. Die rechtliche Grundlage: Landes-Polizeigesetze
3. Platzverweis
4. Gewahrsam
5. Rechtsschutzprobleme bei "Sicherheitseingriffen"
6. Verfassungsschutz
7. Sich wehren ...
8. Texte, Links und Materialien

Der folgende Text stammt von Hans Lisken, ehem. Richter und Polizeipräsident von Düsseldorf, veröffentlicht im Buch "Innere Sicherheit als Gefahr", hrsg. von der Humanistischen Union.

Es gibt auch keine a-priori-Vermutung der Rechtmäßigkeit "hoheitlichen" Handelns. Eine früher vertretene Auffassung, dass "in der Regel jeder staatliche Akt die Vermutung der Rechtmäßigkeit für sich hat",' ist überholt. Es gibt keine monarchische "Prämie der Rechtmäßigkeit" auf den Besitz der Regierungsmacht mehr. ...

Welche Fallgestaltung man auch immer wählt - jeder "Sicherheitseingriff" ist Unbeschadet seiner Zielrichtung primär ein Eingriff in eine Grundrechtsposition Lind deswegen rechtfertigungsbedürftig nach Zweck, Methode und Maßgebot, so dass Rechtsschutz möglich sein muss.
Daran ändert sich im Grundsatz auch nichts, wenn ein Richter an Stelle der Exekutive einen Eingriff angeordnet oder gestattet hat. Ober die verfassungskräftigen Richtervorbehalte in Art. 13 und 104 GG für Hausdurchsuchungen Lind Freiheitsentziehungen hinaus hat der Gesetzgeber zunehmend Richtervorbehalte geschaffen. etwa beim Zugriff auf postalische oder telefonische Äußerungen eines Beschuldigten, oder bei körperlichen Eingriffen, zuletzt noch bei der Anordnung einer DNA-Analyse. Damit kann sich zwar praktisch Rechtsschutz erübrigen, aber Rechtsschutz im Sinne von Art. 19 IV GG setzt als "Rechtsprechung" im Sinne von Art. 20 III GG und Art. 92 GG konstitutiv eine Anhörung des Betroffenen gemäß Art. 103 I GG voraus. Daran fehlt es zwangsläufig, wenn überraschend vorgegangen werden MUSS. Erst mit der richterlichen Anhörung kann die verwaltende Tätigkeit des Richters zugleich oder nachträglich zur Rechtsprechung werden. Die "Rechtsprechung" ist gemäß Art. 92 GG den Richtern "anvertraut", aber nicht alles. was ihnen per Kompetenzzuweisung anvertraut ist. ist deswegen auch Rechtsprechung. Das ist früher oft verkannt worden. Wo es also - aus welchen Gründen auch immer - an der Anhörung des Betroffenen durch den Richter fehlt, handelt es sich nicht um Rechtsprechung, so dass Rechtsschutz durch den Richter - wenn der Betroffene es will - möglich bleiben muss. Die kurzschlüssige frühere These, dass es keinen Rechtsschutz "gegen" einen Richter geben könne. galt der Arbeitsvermeidung. Sie ist vorn Bundesverfassungsbericht kürzlich ausdrücklich verworfen worden.
Es ist signifikant für das Maß unseres Willens zum Recht dass es dazu eines höchstrichterlichen Spruches bedurfte.
Die Fälle der Rechtsschutzverweigerung sind nicht selten und verursachen die meisten Rechtsschutzprobleme. Wer einen Steuerbescheid erhält oder verkehrsrechtlich, bauaufsichtlich, gewerberechtlich oder gesundheitsbehördlich in Anspruch genommen wird, erhält in der Regel nach Anhörung einen entsprechenden Bescheid mit Begründung und Rechtsbehelfsbelehrung. Ob er sein Recht bekommt, ist eine andere Frage und kein Rechtsschutzproblem im engeren Sinne. Auf den Gebieten der Repression und der Prävention gibt es hingegen Defizite der Rechtsschutzeffektivität. ...

Die "öffentliche Sicherheit" ist nicht legal definiert. ...

Der Richter ist und bleibt mit seiner Anrufung - unabhängig von Zeit und Ort und Aufklärungsproblemen - allein zuständig. Aber noch herrscht in den Köpfen - auch der Richter - die Vorstellung von der Prärogative der Polizei. ...
Es mag andere Staatsideen geben, aber im Staat des GG ist das GG für die Staatsdiener die einzig maßgebliche "Staatsraison".35 Alle "Effektivitäten" und "Sicherheitseingriffe" des Staates haben sich nach den Vorgaben des GG zu richten. Deswegen folgt für die Beamten aus Art. 20 111 in Verbindung mit Art. 1 III GG unmittelbar die Pflicht zur "Normenkontrolle der Verwaltung"36 Sie schulden also nicht blinden Gesetzesgehorsam, sondern kritischen Verfassungsgehorsam und damit gegebenenfalls den Verzicht auf die Anwendung verfassungswidriger Befugnisse. Ohne diese permanente Bereitschaft zum "Widerstand für das Recht" (im Sinne von Arthur Kaufmann37) kann eine demokratische Freiheitsordnung nicht überleben, weil - wie Kaufmann sagt - die Grenzen zwischen dein Rechts- und Unrechtsstaat fließend sind. Schon das Beharren auf einem Status quo könne den Keim des Unrechts in sich tragen, weil keine Norm alle Fälle der Zukunft erfassen könne.

35 Adolf Arndt, Ges. jur. Schriften 1976 S. 162.
36 Bachof AöR 87, 1 , weit. Nachw. in: Linken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts - Kap. K. Rdn.. 176 ff. Zur Nichtanwendung verfassungswidriger Normen vgl. auch Hoffmann, JZ 1961, 193 und Engel NVwZ 2000, 1258.
37 Rechtsphilosophie, 2. Aufl. 1997, S. 209 ff.

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