Theoriedebatte

DIRECT-ACTION UND MILITANZ: STÖREN UND SABOTIEREN

Buchvorstellungen zum Themenbereich


1. Grundgedanken
2. Beispiele: Hambi bleibt! ... und: 120 Menschen verhindern Abschiebung in Bremen!
3. Die Tute Bianches, Zapatismus und Widerstandskultur in Italien (später: Disobedientes)
4. Aktionsberichte
5. Tipps und Anleitungen
6. Buchvorstellungen zum Themenbereich

Revolutionen positiv darzustellen, ist schon selten, aber je nach politischem Blickwinkel in der Rückschau noch gut begründbar. Politische Gewalt und offensive Militanz werden noch seltener lobend beschrieben – erst recht nicht als wertvoller Beitrag zu einer demokratischen Kultur. Genau das aber mach Stephen D’Arcy in „Sprachen der Ermächtigung“ (2019, Unrast in Münster, 257 S., 16 €). Der Autor steigt direkt mit der These ein, dass Militanz, diese von allen Seiten, meist sogar aus oppositionellen Kreisen diffamierte und verteufelte Form des Protestes, eine wichtige Ergänzung demokratischer Systeme sei. Diese würden nämlich immer wieder Bevölkerungskreise oder Themen nicht ausreichend wahrnehmen, weil diesen die Reichweite fehlt. Dann wäre Militanz das einzige Mittel, sich Gehör zu verschaffen und dem Bereich des Unsichtbaren emporzusteigen auf die Bühnen der Politik. Nach der so ausgerichteten Begründung werden verschiedene Formen der Militanz samt ihrer Funktion in der gesellschaftlichen Debatte geschildert – von zivilem Ungehorsam über Sabotage bis zum bewaffneten Kampf. Ebenfalls eine Ausdrucksform der Vergessenen und Abgehängten, deren Lage im Buch als Prekarität bezeichnet wird, durchleuchtet die bekannte feministische Theoretikerin und Vorkämpferin Judith Butler in ihrem Buch. Ihr Objekt der Betrachtung ist aber ein anderes und steht im Titel „Anmerkungen zu einer performativen Theorie der Versammlung“ (2018, Suhrkamp in Berlin, 312 S., 20 €). Umfangreich und sehr stark auf Motive, Ziele und Verhalten der Beteiligten sowie der Interaktion zwischen ihnen ausgerichtet, beschreibt Butler viele spannende Innereien von Demonstrationen oder andere Menschenansammlungen. Seltsam mutet jedoch an, dass sie diese stets als rebellische Handlung interpretiert. In modernen Rechtsstaaten bieten Versammlungen oft auch einen Auffangort für Unzufriedene, sind also eher ein Sandkasten des Widerstands als eine Rebellion. Angeführt werden sie zudem meist Personen und Organisationen, die alles andere als prekär leben. Zumindest auf Mittel- und Nordeuropa bezogen trifft die Analyse deshalb oft daneben.
Eine weitere Überraschung in Sachen Militanz: Ausgerechnet der Herausgeber der zwar kritischen, aber eher von verkopften Umwälzungsdebatten geprägten Wochenzeitung „Freitag“, Jakob Augstein, lässt in seinem Buch „Sabotage“ (2015, dtv in München, 312 S., 12.90 €) zum Abschluss Sympathie für einen Widerstand erkennen, der weder die Legalitäts- noch die Gewaltgrenze dogmatisch einhält. Davor finden sich viele Seiten mit wutgetriebenen Texten über die Dominanz des Profitdenkens, das wachsende Reichtumsgefälle und verlogene Politiken. Augsteins Werk ist so eher Pamphlet, Anklage oder politisches Manifest als eine sachliche Analyse.
Andere Bücher beschreiben Revolten der Geschichte. Éric Hazan analysiert diese in „Die Dynamik der Revolte“ (2019, Unrast in Münster, 122 S., 12,80 €) aber in Hinblick auf ihre Entstehung – und das liefert durchaus auch Perspektiven für die heutige Zeit. Warum entstehen Aufstände, wie entwickeln sie sich vom kleinen Anfang zum erfolgreichen Ende – oder zum Scheitern? Welche Rolle spielen Eliten und Parteien? Viele Aufstände sind spontan, bauen oft auf vorhandene Strukturen auf. Andere sind geplant – aber fast immer treffen sie auf anfangs überlegene Verteidiger des Status Quo und später auf Apparate, die die ursprünglichen Ideen zertrümmern. In Texten, die Plaudereien aus dem Innenleben von Revolten ähneln, vermittelt das Buch, warum Revolten trotzdem eine Chance haben. Rückblicke in überwiegend die gleichen Aufstände beschreibt Charles Reeve in „Der wilde Sozialismus“ (2019, Nautilus in Hamburg, 335 S., 30 €). „Selbstorganisation“ steht im Untertitel, dazu „direkte Demokratie in den Kämpfen von 1789 bis heute“. Das ist eine wichtige Ergänzung des eher irritierenden Haupttitels, denn die bekannten Beispiele sozialistischer Staaten hatten mit Selbstorganisation ebenso wenig zu tun wie mit Wildheit. Das wird in den Buchtexten auch klar. Anschaulich, phasenweise wie ein Geschichtsbuch geschrieben, werden die formalisierten Staaten des Sozialismus als Gegenbild zu den „wilden“, also nicht formalen Versuchen beschrieben, das Heft gesellschaftlicher Organisierung selbst in die Hand zu nehmen. Dabei werden auch Revolten und Phasen unter „Sozialismus“ zusammengefasst, die in anderen Quellen eher als anarchistisch bewertet wurden. In dieser übergreifenden Sicht ist das Buch eine gute Übersicht über das, was probiert wurde, wie es verlief – und endete.
Gleich mehrere Bücher zu Widerstand und Revolte sind in der Reihe kritik&utopie des Mandelbaum-Verlags erschienen. Alle sind sehr analytisch geschrieben, beeindruckend durch die Vielzahl an Hinweisen auf Bedingungen und Schwierigkeiten von Aktion und Revolte, kommen aber bisweilen auch etwas abgehoben von den konkreten Abläufen und Akteur*innen daher. Passend kommen, obwohl in mehreren Büchern viele Autor*innen oder Interviewpartner*innen beteiligt waren, kaum Menschen aus der Praxis zu Wort – eine leider typische Form des Umgang mit Aktion und Revolte, gelten doch diejenigen, die so etwas auch praktisch tun, in intellektuellen Kreisen als Nicht-Theoretiker*innen. Als ließen sich Theorie und Praxis nicht auch verbinden. Am wenigsten lässt sich diese Einseitigkeit noch bei den historischen Rückblicken vorwerfen, so im Band „Revolutionäre Gewalt“ von Tinus Engelhardt, Elfriede Müller und Krunoslav Stojakovic (2019, Wien, 297 S., 20 €). Hier werden Umstürze und Befreiungskriege auf ihre Gewaltverhältnisse untersucht. Das Ergebnis ist von Französischer über die Russische Revolution bis zu Befreiungskriegen und Aufständen niederschmetternd, denn fast immer wurde meist schon im revolutionären Kampf, spätestens aber danach die Waffen des Aufstands zur Unterdrückung eingesetzt – zumindest wenn die Umwälzung erfolgreich war. Die Autor*innen unterscheiden in notwendige Gewalt zu Befreiung, die sie als emanzipatorisch begreifen, und Gewalt zur Unterdrückung. Das Problem steckt im Unwillen der Sieger, die einmal aufgebauten Mittel wieder aus der Hand zu geben. In „Kritik und Aktualität der Revolution“, herausgegeben von Martin Birkner und Thomas Seibert (2017, 257 S., 17 €), diskutieren linke Intellektuelle Chancen und Möglichkeiten revolutionärer Umwälzungen, in mehreren der Kapitel aber auch gesellschaftliche Veränderungen, die innerhalb der bestehenden Verhältnisse möglich sind und bereits angefangen werden. Die beschriebenen Ideen von Commons oder Degrowth sind wichtige Impulse, aber der Begriff der Revolution wird hier überdehnt. Das gilt auch für „Alle Verhältnisse umzuwerfen …“ (2016, 269 S., 19,90 €), in dem Texte, Essays und Gespräche „zu Krise, globaler Bewegung und linker Geschichte“ (so im Untertitel) untergebracht sind. Ein roter Faden fehlt dem Werk, die Texte stehen für sich und oft jenseits der Erkennbarkeit einer praktischen Bedeutung. „Den Widerstand performen“ ist dann auch eine Kapitelüberschrift, die deutlich macht, dass es hier nicht um den Ernst tatsächlicher Umwälzung geht – auch der Buchtitel das verspricht. Bleibt noch Robert Foltins „Autonome Theorien – Theorien der Autonomen?“ (2015, 192 S., 15 €), das eine sehr nützliche Sammlung verschiedener praktisch-revolutionär ausgerichteter Strömungen und ihrer Ideologien enthält. Wer immer schon mal genauer erfahren wollte, das Anarchismus, Operaismus, Syndikalismus, Feminismus und andere eint oder unterscheidet, wird das Buch gut nutzen können.
Einen ganz speziellen Eindruck, nämlich vom spanischen Bürgerkrieg, bietet der „Reprint der Zeitschrift der XI. Brigade“. So lautet der Untertitel der Sammlung, die von Werner Abel unter dem Buchtitel „Pasaremos“ (2017, Karl Dietz in Berlin, 430 S., 39,90 €) im Großformat neu herausgegeben wurden. Nur eine kurze Einleitung mit einem geschichtlichen Abriss ist dem Abdruck der damaligen Originale vorangestellt. Dann folgen Berichte und Fotos aus der internationalen Brigade. Ein Großteil der Texte ist auf Deutsch verfasst, so dass ein authentisches Bild der Lage, der Hoffnungen, Ängste, aber auch z.B. der militärischen Sachzwänge und der ideologischen Beeinflussung durch die Sowjetunion entsteht. Beeindruckend.

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