Verkehrswende

FREIE FAHRT ... WARUM NULLTARIF?

Debatte und Statements in den Medien


1. Argumente für fahrscheinlose Busse und Bahnen
2. Wer soll das bezahlen? Die Geldfrage ...
3. Die soziale Frage
4. Die ökologische Frage
5. Die Machtfrage
6. Vorschläge für die praktische Umsetzung
7. Beispiele: Orte und Testphasen ohne Fahrscheine
8. Befürworter*innen des Nulltarifs in Politik und NGOs
9. Wissenschaftler*innen pro Nulltarif
10. Debatte und Statements in den Medien
11. Gegner*innen des Nulltarifs aus Autolobby, NGOs, Grüne ...
12. Links und Kontaktadressen

Viele Zeitungen, Radio- und Fernsehbeiträge sind sehr positiv in Bezug auf den Nulltarif. Und das, was dort als Kritikpunkte aufgeführt wird, ist meist richtig, aber - zum Teil sehr einfach - durch eine veränderte Steuer- oder Verkehrspolitik überwindbar.


Ja, das kostenlose Ticket für den ÖPNV wäre für Staat und Kommunen teuer - doch die Kosten einer autofixierten Verkehrspolitik sind noch viel höher.
Kommentar von Michael Bauchmüller in der SZ, 15.2.2018
Niemand käme auf die Idee, für die Nutzung kommunaler Straßen Geld zu verlangen. Sie sind einfach da, finanziert aus Steuergeld. Ein Viertel ihrer Etats stecken deutsche Städte im Durchschnitt in die Verkehrsinfrastruktur. Aber ein kostenloser Nahverkehr? Finanziert aus öffentlichen Mitteln? Der Vorschlag, den die Bundesregierung nun in ihrer Stickoxid-Not nach Brüssel übermittelt hat, klingt wie eine unerhörte Revolution. Dabei geht er genau in die richtige Richtung.
Jahrzehntelang orientierten sich Stadtplaner in diesem Land am Bedürfnis individueller Mobilität. Möglichst reibungslos sollte der Verkehr fließen, Schneisen und Tunnel durch die Städte sorgten dafür. Die Bürger in ihrer Eigenschaft als Konsumenten dankten es mit immer mehr Autos. Knapp 46 Millionen Autos kurven mittlerweile auf deutschen Straßen, zuletzt kamen jedes Jahr rund 500 000 dazu. Das alles hinterlässt nicht nur Spuren im Stadtbild, es sorgt auch für schlechte Luft und Lärm. Wer daran etwas ändern will, muss die Alternative stärken: den öffentlichen Nahverkehr.
In vielen Städten sind Busse und Bahnen nicht nur schlecht getaktet, sie sind schlicht zu teuer. In dem Bestreben, möglichst hohe Deckungsbeiträge zu erwirtschaften, erhöhen Verkehrsverbünde Jahr um Jahr die Preise. Je nach Strecke sind die Öffentlichen damit häufig nicht mehr wettbewerbsfähig. Kostenlose oder stark verbilligte Tickets könnten das ändern. Erste Verbünde experimentieren mit Monatskarten, mit denen Fahrkarten kostenlos werden, wenn man eine bestimmte Kilometerzahl in Bus oder Bahn zurückgelegt hat. All das macht auch jene wieder mobil, die sich den öffentlichen Nahverkehr nicht mehr leisten können. Und das Auto erst recht nicht.
Das kostet Geld, klar. Es kostet auch mehr als jene gut zwölf Milliarden Euro, auf die Deutschlands Nahverkehrs-Firmen an Einnahmen verzichten müssten. Ein kostenloses Angebot lockt mehr Kunden, und das verlangt nach mehr Bussen und mehr Bahnen, einem dichteren Takt. Eben alles, was einen guten öffentlichen Nahverkehr ausmacht.
Die Forderungen der Autoindustrie sind Relikt einer Verkehrspolitik von gestern
Das allein wird nicht reichen, es ist nur der Anfang. Städte müssen nach und nach Fahrspuren abbauen oder für den Radverkehr umwidmen. Und ja: Auch die Ausweitung von Tempo-30-Zonen gehört dazu, selbst auf Hauptverkehrsstraßen. Der Lohn sind Städte, in denen es sich besser leben lässt; mit weniger Lärm und besserer Luft für alle. Und für viele staugeplagte Autofahrer auch mit weniger Stress.
In der Debatte um überhöhte Stickoxid-Werte hat sich die deutsche Autoindustrie unter anderem mit dem Vorschlag hervorgetan, der Verkehr müsse flüssiger werden. Könnten Autos deutsche Innenstädte rascher durchqueren, hinterließen sie auch weniger Schadstoffe. Die Forderung allein spricht Bände, sie ist das Relikt einer Verkehrspolitik von gestern. In Wahrheit steht die Revolution schon vor der Tür. Smartphones machen es einfacher, verschiedene Verkehrsmittel miteinander zu kombinieren, Leihfahrräder erobern Innenstädte. Das erlaubt es, mit öffentlichen Verkehrsmitteln auch individuell zu planen. Es fehlt nur noch die Bereitschaft, entschieden in diese Alternative zu investieren. Und dazu gehören Fahrten, die nichts mehr kosten.


Contra Gratis-Nahverkehr: Dorfbewohner subventionieren die Städter
Eine Abschaffung der Gebühren würde nicht nur Milliarden kosten. Sie wäre auch ein falsches Signal. Die Politik sollte davon Abstand nehmen.
Kommentar von Jan Schmidbauer

Aus "Kostenloser Nahverkehr: Keine versponnene Utopie", in: FR, 15.2.2018
Dabei ist der Vorschlag mit dem kostenlosen Bus- und Bahnverkehr keineswegs neu. Revoltierende Studenten forderten dies bereits Ende der 1960er Jahre vehement und mit der Aufforderung zum Schwarzfahren unterstützt.
Wie damals kategorisieren Bürgermeister und Funktionäre kommunaler Verbände den Vorstoß wieder als weltfremd, undurchführbar und nicht finanzierbar – ohne es explizit so zu formulieren. Dabei ist die Nutzung von Bussen und Bahnen keineswegs eine versponnene Utopie. Partiell wird das schon praktiziert – etwa für Besucher von Fußballspielen, Schauspiel- und Opernhäuser. Die Eintrittskarte ist zugleich Fahrkarte. Mehr noch: In Belgien, Großbritannien, Australien oder auf Hawaii laufen seit Jahren Projekte mit ÖPNV zum Nulltarif.
Dass die alte Bundesregierung dies kurz vor ihrem endgültigen Abtreten plötzlich und unerwartet richtig gut findet, hat mutmaßlich mit positiven Erfahrungen unter anderem in der estnischen Hauptstadt Tallinn zu tun. Gratis-Busse und Gratis-Bahnen für die Einwohner der Stadt sind dort seit 2013 unterwegs. Bei der Einführung ging der Autoverkehr schlagartig um 15 Prozent zurück. ...
Mit der Idee vom Nahverkehr zum Nulltarif wird die Verkehrspolitik auf eine ganz andere Schiene gesetzt. Es geht nämlich nun um mehr: Wie gehen wir künftig mit Mobilität in unseren Städten um? Dieses enorm wichtige Politikfeld wird im Koalitionsvertrag komplett ausgeblendet, vielleicht weil es mutlosen und erschöpften Verhandlern zu komplex und zu kontrovers war. Es geht um einen Plan zum Umbau der Städte. ...
Der Bau von Straßen, die nur für Radler bestimmt sind, muss hinzu kommen, genauso wie Car-Sharing-Konzepte mit Elektroautos. Die Verknüpfung von Wohnen, Arbeiten und Einkaufen auch zwecks Aufwertung des Fußgängerverkehrs ist geboten.
Keine Frage, das alles kostet Geld, viel Geld, das auch vom Bund kommen muss. Doch diese Investitionen bringen eine hohe Rendite. Geht es doch darum, die Lebensqualität der Städte zu sichern und zu steigern.

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