Organisierung

LÜNEBORG* - VON SCHAFEN, HIRTEN UND ZIEGEN

Bewegungshierarchien: Veranstaltungen verboten!


1. Übersicht
2. Die Vorphase: Schwierige Kontaktaufnhme ... erster Rauswurf ... Einigung ... weitere Rauswürfe
3. Besuch in Lüneburg, um alles zu klären ...
4. Weiter bis Lüneburg ...
5. Eine politische und strategische Kritik am Castor-Widerstand
6. Bewegungshierarchien: Veranstaltungen verboten!
7. Erklärung zum vorläufigen „Rückzug“ aus Aktionen gegen Castor und Herrschaft in Lüneburg
8. Bericht zum Anna&Arthur-Plenum am Freitag, den 8.11. mit Rauswurf(versuch)
9. Persönlicher Erfahrungsbericht zu den Verboten im Clamart Park
10. Persönliches Fazit: Getroffen werden einige, gemeint sind wir alle!
11. Bullen-Kooperation: Nach außen "Nein", aber in der Praxis ...
12. Presseerklärungen von NGOs, Aktionsgruppen & Co.
13. Links zur Mobilisierung
14. Links zur Debatte und mehr ...

Hier folgt die Veranstaltungstexte für den 10.11. (2 Workshops an zwei Orten vom Plenum genehmigt, dann veröffentlicht und schließlich von Führungspersonen doch untersagt)

Der Castor kommt, die Demokratie geht?
Oder ist Castor nur ein anderes Wort für Rechtsstaat?
Offene „Fishbowl“ Diskussion

Castortransporte bedeuten Ausnahmezustand: Über ein massives Polizeiaufgebot wird wohl auch dieser Castor durchgesetzt werden. Was das bedeutet ... dazu gibt es sehr unterschiedliche Ansichten: Viele Anti-Atom-Gruppen und -Initiativen bezeichnen die Versammlungsver-bote und Polizeieinsätze als Einschränkung von Demokratie. Von der BI stammt - sinngemäß - der Satz: „Wenn die Polizei kommt, geht die Demokratie“. Aber es gibt auch Gruppen, die sich nicht als VerteidigerInnen des Rechtsstaates verstehen oder sich positiv auf die Demokratie beziehen. In ihren Augen stellen prügelnde Polizisten, Verbote und Einschränkungen von Grundrechten nicht die Abwesenheit, sondern die Normalität von Demokratie, Recht und Ordnung dar: Herrschaft lebe von der Durchsetzung per direkter Repression, Bildung, Meinungsmache, Erziehung, materieller Abhängigkeit usw. - egal ob sie sich „demokratisch“ gibt oder als Diktatur offen daherkommt. Die Ansichten gehen also auseinander, Diskussion macht Sinn: Denn dieser „Streit“ ist wichtig für die Frage, was ‚uns‘ an dieser Gesellschaft eigentlich stört und vor allen, was die Welt ist, von der wir träumen: Herrschaftsfreie Gesellschaft ohne Knäste, Polizei und Repression oder Demokratie? 

Was ist „Fishbowl“
Diesen Streit wollen wir offensiv führen - als Alternative zu Podiumsdiskussion (formale Hier-archie) oder moderierten Großplena wollen wir eine „Fishbowl“ versuchen: Bei einer „Fishbowl“ werden ein innerer und ein äußerer Stuhlkreis aufgebaut (oder auch mehrere, z.B. Matratzen-, Stuhl- und Tischkreise hintereinander, damit eine Art „Arena“ entsteht). Im inne-ren Kreis stehen 4-6 Stühle und im äußeren Kreis Stühle für die restlichen Teilnehmenden (TN). Wie läuft eine „Fishbowl“ ab: Nur die TN im Innenkreis dürfen diskutieren, die TN im Außenkreis hören zu. Wenn sich ein/e TN aus dem Außenkreis an der Diskussion beteiligen will, dann muss er/sie sich entweder auf einen freien Stuhl im Innenkreis setzen oder stellt sich hinter einen Stuhl. Diese darf ihren Gedanken noch zu Ende formulieren und anschließend den Kreis verlassen. Die andere Person darf dann diesen Platz einnehmen. Ebenso kann jedeR TN im Innenkreis jederzeit den Platz im Innenkreis verlassen, wenn er/sie in der Diskussion pausieren möchte. Wer den Kreis verläßt, kann auch wiederkehren. Wer das penetrant macht (also dominieren würde), fällt sofort auf. Das Verfahren schafft dann Transparenz über Dominanzverhältnisse. Chancen: Die Fish Bowl kombiniert eine Großveranstaltun-gen mit den Vorteilen kleiner Gesprächsrunden. In diesen werden keine Reden gehalten, sondern miteinander geredet. Die rhetorischen Unterschiede werden aufgeweicht, weil eben miteinander geredet wird, eine brilliante Formulierung oder Gestik dadurch weniger wichtig wird. Gegenseitige Unterstützung, Nachfragen, Aufeinander-Eingehen und direkter Widerspruch werden viel einfacher, weil keine starren Regeln, Redelisten oder Moderation dieses verhindern.

Hinter dem Castor steht das System!
Der Castor fährt nicht, weil die Grünen so schlapp sind oder „der Atommüll ja irgendwo hinmuß“. Es ist zwar wahr, daß Trittin und Schröder nur früher gegen die Atomkraft kämpften, als sie wenig zu sagen hatten – und heute mit der Atomenergie paktieren. Ebenso ist wahr, daß Gutachten gekauft und Störfälle vertuscht werden – die strahlen-den Castoren wurden ebenso lange Zeit verschwiegen wie der gefährliche Störfall von Brunsbüttel oder aktuell die strahlenden Kügelchen in Hanau. Überall herrschen Lügen und Betrug. Das alles regt uns auf, macht uns wütend, doch es ist nicht der entscheidende Grund.
Sondern: Die Atomkraft, der Castor und neue Anlagen werden durchgesetzt, weil wir in einer Welt leben, in der es Herrschaft und Verwertungslogik gibt, allen voran in der Form von Markt und Kapital. Atomkraft ist wie der Zwang zur Lohnarbeit, wie die Ausbeutung weiter Teile der Welt, die Schere in Arm und Reich, die Abschiebung von Menschen, die Einteilung in nützlich und unnütz – das und vieles mehr geschieht zum Zwecke der Sicherung von Herrschaft, der Zugriffsrechte auf Mensch und Natur und des Ausbaus von Profit.
Markt und Verwertung haben die Gesellschaft und unser Leben bis in die letzte Ecke erfaßt. Alles wird verwertet, alles der Logik von Verwertung und Profit unterworfen. Alles, was verwertbar ist, wird verwertet: Arbeitskraft, Kreativität, Boden, Wasser oder Luft, neuerdings die Gene, Krankheit und Gesundheit, Gedanken und Ideen. Und eben auch irgendwelche herumstehenden Atomkraftwerke. Ohne Verwertungs- und Profitlogik würde kein Castor fahren und kein Atomkraftwerk laufen.
Aber es würde sie auch nicht geben ohne die Herrschaft, d.h. dem Staat, der Verwertung und Profit sichert sowie eigene Herrschaftslogiken hinzufügt und dem vereinheitlichten Denken so vieler Menschen, die viele Herrschafts-formen zu ihrem Leben gemacht haben – Arbeit, Rollenverteilungen in Beziehungen, Akzeptanz von Bildung und Nachrichten, Bevormundung, Selbstdisziplinierung. Verwertung und Profit sind untrennbar mit der Herrschaft und damit auch immer mit Regierungen und Institutionen verbunden. Es gibt keinen guten Markt und keinen guten Staat. Ein Beispiel für die unabwendbare Logik von Herrschaft ist die Möglichkeit, die Folgen eigener Entscheidun-gen auf andere abzuwälzen. Und darum fährt der Castor. Müßten Konzerne und Regierungen die Brennstäbe im eigenen Garten lagern – es gäbe keine Atomkraft. Urangewinnung, Transporte, Uranverarbeitung und Wiederauf-arbeitung – nix gäbe es ohne die Existenz von Herrschaft.
Verwertung und Herrschaft, Markt und Staat sind zwei Seiten derselben Medaille. Wer behauptet, sie stünden ein-ander gegenüber, hat eine falsche Analyse und betreibt die Akzeptanzbeschaffung für beides – auch wenn er scheinbar nur nach De- oder eben Reregulierung schreit. Ohne die Büttel und ExekutorInnen der Enteignung, der öffentlichen Meinungsmache, inneren Sicherheit und sogenannten Rechtssprechung, ohne all diese Institutionen mit ihren Paragraphen oder Knüppeln in der Hand wäre auch Profit nicht möglich. AKWs würden abgeschaltet, Uranbergwerke geschlossen und der Castor würde nicht rollen.
Herrschaft und Verwertung, Staat und Markt sind überall, sie sind die durchgreifenden Wirkungsmechanismen überhaupt. In ihnen und mit ihnen gibt es nichts Richtiges im Falschen. Mehr Markt, getarnt unter Begriffen wie Effizienz, Entbürokratisierung oder Liberalisierung, ist ebenso eine Zuspitzung von Herrschaft wie mehr Staat, also neue Behörden, Sicherheitskonzepte, Kontrolle oder Regulierung. Mehr Markt wird immer durchgesetzt über das Gestaltungsmonopol des Staates. Und mehr Staat dient wiederum der Sicherung der Märkte. Darum sind Markt und Staat ein im Kapitalismus untrennbares Paar, und wer eines stärkt, stärkt immer das Ganze.
Es zeigt sich ein grundlegender Irrtum bei sehr vielen politischen Gruppen, die eine bessere Welt wollen und das über mehr Markt (Nachhaltigkeitsdebatte, ethische Geldanlagen, regenerative Energien usw.) oder mehr Staat (GlobalisierungskritikerInnen, etliche NGOs) anstreben. Der Abbau von Herrschaft und Verwertung ist nur gleich-zeitig möglich, emanzipatorische Politik muß Freiräume und den Abbau von Zwängen erreichen!
Weil wir das so sehen, möchten wir aufrufen ...
  • zu einem Widerstand, der die Symbole angreift, aber die dahinterstehenden Mechanismen von Herrschaft und Verwertung benennt.
  • zu einem Leben und einer Politik, die sich lossagt von Staat und Markt. Denn diese sind keine Partner, sondern Gegner!
  • für einen politischen Stil, der in den Menschen die Verbündeten sucht und findet, nicht in FunktionärInnen, Parteien oder Institutionen.

Wir protestieren hier einerseits gegen den Transport von Atommüll, andererseits aber auch gegen die Rahmenbe-dingungen, die ihn ermöglichen. Den Castor gäbe es nicht ohne die Polizei, ohne die akzeptanzbeschaffenden Me-dien, ohne die Parteien und Parlamente. Er würde nicht rollen ohne die Orientierung auf Profit und ohne den Zu-griff von Eliten auf Ressourcen. Wer diese Eliten anerkennt, Teil von ihnen ist oder sich an ihre Tische drängelt, ist selbst TäterIn in Ausbeutung und Zerstörung – und steht symbolisch für Herrschaft und Verwertung insgesamt. Wir wollen ein Ende dieses Systems der Hierarchien und Unterdrückung. Wir träumen von einer Welt ohne Herr-schaft und Verwertung, der freien Menschen in freien Vereinbarungen. Und wir träumen von einer widerständigen politischen Bewegung, die nicht in denen das Heil sucht, die die Rahmenbedingungen schaffen und sichern. Wer formuliert, daß die Demokratie geht, wenn die Polizei kommt, hat diese Rahmenbedingungen nicht verstanden. Herrschaft lebt von der Durchsetzung per direkter Repression, Bildung, Meinungsmache, Erziehung, materieller Abhängigkeit usw. – egal ob sie sich „demokratisch“ gibt oder als Diktatur offen daherkommt.
Wer den Castor nicht will, darf von Staat und Markt nicht schweigen!
Unser Traum gilt auch für unsere Aktionsformen. Wenn Staat und Markt der Grund und der Rahmen für Unter-drückung, Ausbeutung und Zerstörung sind, dann können die von ihnen und zu ihrem Schutz gemachten Gesetze nicht die unsrigen sein. Der Rahmen für unseren Widerstand kann nicht aus den Spielregeln derer bestehen, gegen die sich unser Widerstand richtet.
Daher rufen wir auf zu kreativen, direkten, inhalts- und einfallsreichen Aktionen, mit denen wir für das Leben, ein besseres und selbstbestimmtes Leben eintreten. Wählen wir unsere Aktionsformen selbst. Zeigen wir die Direktheit und Vielfalt, die in den Menschen auch tatsächlich schlummert, wenn sie nicht den Zwängen von Verwertung und Herrschaft unterworfen sind – und wenn sie sich nicht selbst durch interne Hierarchien einzwängen.
Machen wir den Protest gegen den Castor zu einer wirkungsvollen Aktion gegen die Atomkraft, gegen die dahin-terstehenden Logiken und für eine Welt von unten.

Castor stoppen! Herrschaft und Verwertung beenden! Demokratie und alle anderen Herrschaftsformen runterfahren. Selbstbestimmung neu starten!

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