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GEWALT: NOTWENDIG ODER FETISCH?

Fetisch Militanz


1. Fetisch Militanz
2. Jammern auf hohem Niveau: Militante Macker jammern über militante Fascho-Macker
3. Zur Bedeutung von Militanz als Protestform
4. G8-Militanz: Identitäre Mackerei - am Beispiel
5. Gewalt - Ja oder nein?
6. Links

Verfasst für das Buch "Anarchie. Träume, Kampf und Krampf im deutschen Anarchismus" (Gliederung).
Überarbeitet für das Buch "Gewalt" (ein Band in der Pocket-Theoriereihe). Weitere Aktualisierungen und Ergänzungen folgen.

Gäbe es eine Skala der Militanz, so ständen den Gewaltfreien solche Gruppen und Strömungen gegenüber, die - wie die Gewaltfreien ihre Gewaltfreiheit - ihre Militanz als Selbstzweck sehen und ohne weitere Abwägungen und Überlegungen zu Zielen und Vermittlung von Aktionen ausleben. Militanz wird bei ihnen zum identitätsstiftenden Kristallisationspunkt der eigenen Aktivität.
Das ist kein Kriterium des Militanten. So wie viele Menschen (auch) gewaltfreie Aktionen machen, aber deshalb nicht der Auffassung sind, diese sei allein zulässig oder seligmachend, so gibt es auch viele Aktivist_innen, die bei passender Gelegenheit politische Außenwirkung zu erreichen oder etwas aufzuhalten versuchen mit Sabotage oder gar Angriffen auf Menschen, ohne jedoch die Überzeugung zu vertreten, nur der militante Kampf sei der richtige und gute.

In der Praxis vieler militanter Gruppen zeigt sich allerdings ein bemerkenswert unreflektierter und identitärer Umgang mit Gewalt. Sie wird durch sprachliche Überhöhung, Kleidung und plakative Außendarstellung zum Symbol von Potenz. Zwar nicht bei den verwendeten Codes, aber schon von der Einseitigkeit und Dogmatik her ähnelt solcher Militanzkult eher dem, was auch bei gewaltfreien Strömungen dominiert: Die Aktionsmethode wird zum eigentlich Wichtigen, das Mittel heiligt die Zwecke nicht - es ersetzt sie! Fast wöchentlich lässt sich diese Orientierung im Sprachrohr militanter Aktivist_innen, der in Berlin erscheinenden Zeitung "Interim" bewundern. Dort werden anonyme Bekenner_innenschreiben abgedruckt, bei denen eine inhaltliche Vermittlung fast immer fehlt. Der Abdruck in der Szenezeitung würde ohnehin keine Öffentlichkeit erreichen (vom VS einmal abgesehen). Fast legendär sind die selbst verfassten Heldengeschichten von zusammengetretenen Fahrkartenautomaten an irgendwelchen dunklen Vor-Ort-Bahnhöfen, die sich für die späteren Betrachter_innen kaum von plattem Vandalismus unterscheiden dürften (falls sie nicht sogar zur Akzeptanz der als Reaktion angebrachten Überwachungskamera führen). Fast Kultstatus hat die "radikal", die auch in ihren späten Jahren mit - oft fehlerhaften oder veralteten - Bastelanleitungen für Bomben und Brandsätze daherkam, d.h. für Aktionen, die in der Praxis des überwiegend bürgerlichen oder verbalradikalen Protests im deutschsprachigen Raum so gut wie nie vorkommen. Ihr Status wird noch erhöht durch die absurd-aufwändige Jagd von Staatsorganen nach Heften oder Nachdrucken der Anleitungen. Das Gewaltmonopol des Staates mit seinen uniformierten Truppen und der Militanzfetisch vieler Aktivist_innen passen ohnehin gut zusammen. Der Staat legitimiert seine autoritäre Gewalt mit Bildern geworfener Steine, die angesichts der Panzerungen von aufstandsbekämpfender Polizei die Verletztenlisten fast nur auf den eigenen Seiten hinterlassen. Die Militanten prahlen in ihren Geschichten - welch absurde Win-win-Situation - über diese Begegnungen mit "Bullen" und inszenieren sich als x-fach überwachte Person. Das gibt Selbstwertgefühl in politischen Strömungen, deren besondere Bedeutungslosigkeit in einer ohnehin marginalisierten Protestszene sonst stets fühlbar wäre.

Gewalt und gewaltverherrlichende Parolen ersetzen Sinn und Vermittlung, sie werden zur Qualität an sich. Vieles spricht dafür, dass militante Aktionen eher Ohnmachtsgefühle kompensieren als Angriff bedeuten. Die emanzipatorische Alternative wäre, mehr Handlungskompetenz zu erwerben, um durch Widerständigkeit im Alltag die permanente Unterlegenheit zu überwinden. Gewalt sollte, wenn sie als notwendig angesehen wird, nicht aus eigener Hilflosigkeit oder Mangel an Alternativen, sondern bewusst und überlegt angewendet werden.
Doch leider geht nicht nur selten darum, im Ergebnis eines abwägenden Strategiefindungsprozesses den Entschluss zu fassen, mit einem Angriff auf Material oder sogar Menschen ein bestimmtes Ziel zu erreichen, was anders nicht zu erreichen ist. Handlungsführend ist die Illusion, brennende Mülleimer, Barrikaden oder Flaschenwürfe auf Polizist_innen könnten die Befreiung bringen oder zumindest Ausdruck einer dafür werbenden, politischen Botschaft sein.

Im Original: Gewalt-Fetisch?
Entgegnung von John Doe auf den Gewaltfreiheits-Vordenkers Jochen Stay in: Jungle World, 13.6.2007 (S. 19):
Der Autonome Werbeblock zur Prime Time hat allen anderen die Show gestohlen. Der von der Bild-Zeitung zum "Bürgerkrieg" geadelte Krawall legt sich wie ein Tränengasnebel über die Inhalte der Demonstration. Und das ist auch gut so, denn der staatsfetischistische Quark von Attac und der antiimperialistische Firlefanz aus dem gleichnamigen Block verdienen es, ohne Gehör zu bleiben.
Dabei ist der Schwarze Block im doppelten Sinne aufregend. Er hebt sich nicht nur durch seine ebenso bizarre und unterhaltsame Selbstinszenierung angenehm vom Rest ab. Neben vielen Spinnern, Pyromanen und Verkleidungskünstlern finden sich bei den Autonomen Gruppen und Personen, die mit der Systemkritik aufs Ganze gehen und gegen die Diktatur der Produktion über die Bedürfnisse das Primat der Bedürfnisse über die Produktion fordern.
Der Schwarze Block macht die Radikalität und Kompromisslosigkeit dieser Systemkritik sichtbar. Schon um der Glaubwürdigkeit willen muss das staatliche Gewaltmonopol in Frage gestellt werden. Kollektiv wird durch die Straftat „Vermummung“ das Demonstrationsrecht gebrochen. Alleine die Formierung eines solchen Blocks ist ein Zeichen von politischem Selbstbewusstsein. Der zur Schau gestellte Unwille, sich von den Knüppelschergen verkloppen zu lassen und gegebenenfalls zurückzuschlagen oder sogar selber anzugreifen, ist Teil einer politischen Strategie. Angriffe auf die Polizei sind Ausdruck einer Staatsfeindlichkeit, die wiederum Folge einer radikalen Gesellschaftskritik ist. Das in dieser symbolischen und trotzdem handfesten Auseinandersetzung dem einen oder anderen mitunter wehgetan wird, liegt in der Natur der Sache. Schön ist das nicht, aber mein Mitleid für Leute, die auf Befehl und für Sold andere Leute mit dem Knüppel bearbeiten, hält sich in Grenzen. Es ist eine politische Entscheidung' sich zum Werkzeug zu machen, wie es eine politische Entscheidung ist, militante Systemkritik zu betreiben. ...
Ach, es lässt sich nur schwer abstrakt über Militanz reden. In ein paar Minuten auf der Straße kann man manchmal mehr über die Verhältnisse lernen als beim jahrelangen Sitzen im Lesekreis. Da stellt man etwa schnell fest, dass ein rot-grüner Polizeiknüppel genauso wehtut wie ein schwarz-gelber. Wer nie das erotische Kribbeln beim Flambieren einer Wanne erfahren hat, wird es nie verstehen. Überhaupt, warum soll man angesichts der ungeheuren Gewalttätigkeit der Verhältnisse friedfertig bleiben? Nein, es gilt, auf die Barrikaden zu gehen und den Verhältnissen wenigstens symbolisch den Krieg zu erklären.


Kritik im Text „Du willst also einen Aufstand?“ aus dem Buch Message in a bottle – CrimethInc Communiques 1996-2011, übersetzt von der bm-Crew, Unrast 2012
Dadurch, dass sie ihre präferierten Taktiken glorifizieren und über die ihrer potentiell Verbündeten stellen, stellen solche Hitzköpfe falsche Gegensätze her, die sie von den Mitteln und dem Support, die sie brauchen um ihre Aktionen effektiv, selbst erhaltend und ansteckend zu machen, trennen. Mensch kann diese Tendenz als eine Überreaktion auf die Schwerfälligkeit der Bündnisse der Antikriegsbewegung sehen. Es gibt nichts gutes an erzwungener Einheit, die die Beteiligten paralysiert und entmutigt autonome Aktionen zu machen.

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