Antirepression

KONSUMKRITIK-KRITIK: VOM IRRTUM DER VERBRAUCHER*INNENMACHT

Einleitung


1. Einleitung
2. Die Machtfrage ausblenden: Selbstreduzierung aufs Konsument*innendasein
3. Wirkung der Kaufentscheidung wird stark überschätzt
4. Risiken und Nebenwirkungen: Die Kommerzialisierung des Guten
5. Ausblendungen: Die Bio-Tomaten auf den Augen und Ohren
6. Gutes Gefühl für Reiche - Niedermache der Armen
7. Kritik, Zweifel, aber keine grundlegende Analyse
8. Statt Ablasshandel und Schmieren der Getriebe: Aneignung der Verhältnisse
9. Irrtümer der Konsumkritik und Gegenmittel an Beispielen
10. Links und Materialien

Dies ist die Eingangsseite zur Kritik am Glauben, dass Einkaufen nachhaltig und weltrettend wirken kann (Kurzlink: www.konsumkritik-kritik.siehe.website, ehemals "www.konsumkritik-kritik.tk" und "www.konsumkritik-kritik.de.vu"). Die Links hier drüber führen zu den zugehörigen Unterthemen, weitere Seiten zu ähnlichen Themen sind über das Menü oben unter Umwelt --> Nachhaltigkeit zu erreichen. ++ Gesamtübersicht "Umwelt"

Kann mensch eine profitgeile Welt durch Geldausgaben zu retten? Oder ist es eher die Kapitulation vor der ökonomischen Macht des Kapitals, sich dessen Spielregeln zu unterwerfen und selbst dafür zu werben, nicht mehr zu sein als deren Geldgeber_innen?

Vergesst den Mythos, dass der Kauf über die Produktion des Gekauften entscheidet. Wenn das stimmen würde, müsste angesichts stabiler Umfragewerte die Welt anders aussehen. Denn dort bekunden die Gefragten sowohl ein hohes Umweltbewusstsein als auch eine große Bereitschaft, für verträglichere Produkte zumindest etwas mehr Geld auszugeben. Wenn ihr Konsum Einfluss hätte und sich dadurch Produktpalette und -weisen verändern würden ... hat er aber nicht (außer zur Selbst-Illusionierung).

Der Anlass für diesen Text
Was unter dem Namen „March against Monsanto“ begann, wurde – weil es absurd ist, ausgerechnet in der Agrokonzernehochburg Deutschland „nur“ gegen einen US-amerikanischen Player zu schimpfen – auf „March against Monsanto & Co.“ erweitert. Das war ein Fortschritt. Am 24. Mai 2014 hieß es dann in einigen Städten wieder anders: „Konsum-rEvolution“. War das ein weiterer Schritt, das Thema von einer Konzernkritik in eine gesellschaftliche Debatte zu wandeln?
Der Gedanke, mit den Entscheidungen am Ladenregal die Welt zu verbessern, prägte schnell in mehreren Städten die stark über Internet geführten Mobilisierungen. Eine inhaltliche Auseinandersetzung der der Frage von Konsum und Produktion, mit der Frage von Macht udn Ohnmacht beim Einkauf, fand hingegen kaum statt. Daher blieb weitgehend unbemerkt, dass kaum jemand das Motto anzweifelte: Kann das überhaupt funktionieren, eine profitgeile Welt durch Geldausgaben zu retten? Oder ist es nicht eine Art Kapitulation vor der ökonomischen Macht des Kapitals, sich genau den Spielregeln des Kapitalismus freiwillig zu unterwerfen und selbst dafür zu werben, nicht mehr zu sein als die (immerhin nachdenkenden) Geldgeber_innen für die, die das Kapital besitzen?

Die Frage ist wichtig, denn es waren nicht nur die Aktivist_innen vom "March against Monsanto", die vermeintliche Verbraucher_innenmacht in den Vordergrund stellen und die Weltheilung von der Veränderung der Konsumgewohnheiten erhoffen. Wenn das tatsächlich gelingen könnte, wäre alles gut. Denn von umfangreichen Steuermitteln in Propagandafeldzüge der Regierenden bis zu Umwelt-NGOs und Grünen trommeln alle an diesen Baustellen. Wenn die Grundannahme aber falsch ist, schwimmt die gesamte Umweltbewegung auf dem Holzweg. Daher soll in den nächsten Kapiteln ein kritischer Blick auf den vermeintlich großen Einfluss des Einkaufens auf Produkte und Produktionsbedingungen geworfen werden.

Warnung! Das Lesen der folgenden Absätze kann bei Menschen, die bislang mit ihrem Geld am Ladenregal ein gutes Gefühl eingekauft haben, Zweifel bis Gewissensbisse auslösen. Das beklemmende Gefühl, mit dem eigenen Konsum eher die damit unterstützte Branche zu kommerzialisieren und in kapitalistische Form zu wandeln als die Welt zu verbessern, kann zu Desillusionierung und Frustration, damit verbunden einem Gefühl der Leere und Hoffnungslosigkeit führen. Als Gegenmittel wird empfohlen, den Markt als Aktionsort zu verlassen und zukünftig Zeit, Kraft und - als zusätzliches, aber nicht wesentliches Mittel - auch Geld in wirkungsvollen Protest und kreative Widerständigkeit zu stecken. Das ist die eigentliche Wahl, die jede_r hat!


Vortrag "Konsumkritik-Kritik" (von Jörg Bergstedt, am 15.5.2018 in Kassel - unterlegt mit passenden Bildern)
Download als MP4 in HD-Format (720p) ++ Tipp: Rechtsklick, dann "Speichern unter ...")
Verfilmter Mitschnitt einer etwas älteren Variante am 11.7.2016 in Fulda

Tonmitschnitt und Bericht "Mit Konsum die Welt verändern? Zu Risiken und Nebenwirkungen von Nachhaltigkeit im Alltag" über den Vortrag "Konsumkritik-Kritik" am 9.1.2019 in Dresden

Die Fragen
Kann mensch eine profitgeile Welt durch Geldausgaben zu retten? Oder ist es eher die Kapitulation vor der ökonomischen Macht des Kapitals, sich dessen Spielregeln zu unterwerfen und selbst dafür zu werben, nicht mehr zu sein als deren Geldgeber_innen?

Man braucht nicht viel, um glücklich zu sein. (Werbekampagne von Aldi Süd im März 2017)

Aus einer Rezension des Buches von Kathrin Hartmann: "Die grüne Lüge", auf: Deutschlandfunk, 12.2.2018
Viele - vor allem gut gebildete - Verbraucher wüssten zwar um die globalen Missstände, richteten sich aber lieber mit den grünen Lügen ein: "Greenwashing funktioniert auch deshalb so gut, weil Angehörige westlicher Konsumgesellschaften gerne hören, dass alles so weitergehen kann wie bisher, ja, dass ihr überbordender Lebensstil selbst es sein könnte, der dafür sorgt, die Welt besser zu machen."
Dieser Irrglaube an den sogenannten "ethischen Konsum" und angeblich nachhaltige Technologie führt, der Autorin zufolge, auch dazu, dass sich unsere Gesellschaften weiter spalten - in diejenigen, die zwar ein hohes Umweltbewusstsein, aber gleichzeitig sehr oft auch einen hohen Ressourcenverbrauch hätten, und diejenigen, die sich den vermeintlich grünen Lebensstil nicht leisten könnten. Das kritisiert die Autorin scharf: "Denn erstens wird aus einzelnen Einkaufsentscheidungen zwischen verschiedenen vermeintlich grünen Massenprodukten kein kollektives Ganzes, sondern höchstens ein privates gutes Gewissen. Zweitens tötet es jede Solidarität, wenn der Einzelne in einen moralischen Wettbewerb gegen den Nächsten geschickt wird, in dem der ‚gute‘ auf den ‚bösen‘ Verbraucher zur eigenen moralischen Erhebung mit dem Finger zeigt."


Einleitung zu einem Interview mit Kathrin Hartmann, in: Süddeutsche Zeitung, 13.4.2018
Kann der richtige Konsum Umweltzerstörung, Ausbeutung und Zwangsarbeit verhindern? Unfug, sagt Kathrin Hartmann, Autorin von "Die Grüne Lüge". Nur die Politik kann das - wenn man sie zwingt.

Aus "Jeder in seiner Lage - Florian Opitz kapitalismuskritischer Dokfilm System Error", in: Junge Welt, 4.5.2018 (S. 11)
Am Beginn stand die Idee, den Wachstumszwang im Kapitalismus zu hinterfragen und Alternativen aufzuzeigen: Opitz nennt Regionalwährungen, solidarische Landwirtschaft oder Urban Gardening als Ansätze dafür. Angesichts der paar Gemüsebeete, die er fand, erkannte er sein Konzept als untauglich. Die Alternativen waren gut dafür, in Nischen ein gutes Gewissen zu pflegen, doch taugten nicht dazu, den Kapitalismus auch nur zu bremsen.

Aus "Kunden, Konsumenten, Wähler" von Friedrich Küppersbusch, in: Gießener Anzeiger am 23.11.2019 (S. 2)
Der Konsument ist rigoros: Er will alles, sofort und bestens. Von „sofort“ erzählt die Überschuldung privater Haushalte eine traurige Geschichte, von „bestens“ die Elektroschrotthalden auf den Recyclinghöfen. Ein schicker Betrug also, vor dem Marx warnte: Die Erfüllung der Bedürfnisse schafft neue Bedürfnisse. Die Leute kaufen sich rund und wund.

Werbung ist alles - was dahinter steht, eher unwichtig
So geht Werbung - ganz offene Beschreibung, dass es beim Image von Autokonzernen nur auf die Außendarstellung ankommt:
Aus Joachim Schöpfer, "Wer schweigt, verliert das Vertrauen seiner Kunden", in: B.A.U.M. Jahrbuch 2016 (S. 25ff)
Die Untersuchung zeigt auch, dass es in der Hand der Unternehmen legt, ihr Nachhaltigkeitsimage aufzubauen und zu pflegen. Audi (Platz 7) und BMW (Platz 12) ist das für Autobauer gute Nachhaltigkeitsimage sicher nicht in den Schoß gefallen. Die Premiumhersteller bauen nun mal eher große, sportliche Autos, darunter SUVs, die für viele zum Öko-Menetekel geworden sind. Trotzdem punkten sie bei ihren Kunden. Woran liegt das? Den Kunden gefällt offensichtlich, was die Konzerne machen. Genannt seien Stichworte wie "Zukunft der Elektromobilität", "Vorsprung durch Technik" und "Efficient Dynamics". Und das wird auch richtig und wahrnehmbar kommuniziert. Nachhaltigkeitsthemen haben eigene Kampagnen und eigene Events. Automobilunternehmen, die zwar faktisch ökologischer sind, weil sie kleinere Autos herstellen, fallen dagegen ab, weil sie ihre Leistungen nicht richtig darstellen. ...
Nachhaltigkeitsimages sind von Kommunikation abhängig, denn faktische Nachhaltigkeit lässt sich schwer überprüfen. Wer schmeckt schon, ob Hipps Babybrei tatsächlich bio ist? Der Kunde glaubt, was er glaubwürdig vermittelt bekommt. Vermittelt wird auf verschiedenen Kanälen, von Medienberichten bis zur Werbung. Wer also sein Nachhaltigkeitimage verbessern will, braucht nicht nur Substanz, sondern auch die richtige Kommunikation. ...
Ein Merkmal von Unternehmen mit gutem Nachhaltigkeitsimage ist, dass Nachhaltigkeits-Kommunikation tatsächlich stattfindet. ...
Bis zu 10 Prozent des Umsatzes machen Unternehmen mit gutem Nachhaltigkeitsimage eben durch dessen guten Ruf. Das führt auch dazu, dass die Kunden treu bleiben.


Am Ende stand diese Abbildung:

Rechts: Erklärung des Verzichts auf Plastik beim Bucheinband, gedruckt auf ... Plastik.

Intro
Wer kennt sie nicht, die vermeintlichen Binsenweisheiten des Kapitalismus. Mindestens heißt es dort: Angebot und Nachfrage regeln den Markt. Ausgerechnet Industrie und Regierungspropaganda gehen oft sogar noch einen Schritt weiter: Die Verbraucher_innen hätten die Macht. Durch Nachfrage steuerten sie das wirtschaftliche Geschehen. Schon in der Grammatik steckt die erste Propagandaleistung. Denn meist sagen die Mächten den Satz in der männlichen Form, also: "Der Verbraucher hat die Macht." Das ist nicht nur sprachlich ärgerlich, sondern sogar eine Lüge. Denn die eigentliche Zielgruppe dieser – meist männlich geführten Eliten – sind eher Frauen, und zwar in ihrer traditionell-patriarchalen Rolle (mehr dazu siehe unten).
Was hier aber zunächst mehr interessieren soll, ist die allgemeine Grundaussage, dass der Kauf über die Produktion des Gekauften entscheiden. Wenn das stimmen würde, müsste angesichts stabiler Umfragewerte die Welt anders aussehen. Denn dort bekunden die Gefragten sowohl ein hohes Umweltbewusstsein als auch eine große Bereitschaft, für verträglichere Produkte zumindest etwas mehr Geld auszugeben. Wenn ihr Konsum Einfluss hätte und sich dadurch Produktpalette und –weisen verändern würden, …
  • warum treiben Nationalstaaten, Institutionen und Konzerne die Agrogentechnik voran, obwohl die so gut wie niemand will?
  • warum reden alle über Klimaschutz und Nachhaltigkeit, während die einzige Siegesmeldung nationalchauvinistischer Politiken die Steigerung des Bruttosozialproduktes ist?
  • warum singen alle das Hohelied eines fairen Welthandeln, während Regierungsstellen jährlich enorme Außenhandelsüberschüsse feiern, die auf nichts anderes hindeuten als die systematische Aufbeutung der Welt?
  • warum sind Ökos gegen aufwändige Verpackungen und dicke Autos, aber inBioläden sind selbst die Teebeutel dreimal und mit unterschiedlichen Materialien einzeln eingeschweißt, während und vor ihnen die Autos ein beeindruckendes PS-Niveau zeigen?

Zurück zur Münchener KonsumrEvolution-Aktion des 24. Mai 2014: Auf dem vielfach verteilten Hauptflugblatt wurde das Geldausgeben mit der Stimmabgabe bei Wahlen verglichen. Die Führungskräfte im Politbetrieb, also die, die in der Demokratie die Meinung des „demos“ verkünden und im Gewand des so geschaffenen Konstruktes „Volk“ herrschen, vermitteln ständig, dass die Menschen übers Wählen die Politik bestimmen. Warum aber ist dann die Politik so scheiße? Sie bringt den meisten Menschen vor allem Probleme und weicht in ihrer Praxis von den in Umfragen ermittelten und in Parteiprogrammen zu Werbezwecken eingefügten Wünschen der Wählenden stark ab. Das ist also genauso wie die Wahl am Ladenregal: Die Menschen kaufen, kaufen, kaufen - und sind für Umweltschutz, fairen Handel usw. Doch das Ergebnis des Kaufens ist ein Desaster - für Mensch um Umwelt.

Sind Verbraucher_innen und Wähler_innen alles Versager_innen? Sind sie einfach zu doof, ihre Macht sinnvoll einzusetzen, um die Welt zusammenzukaufen oder herbeizuwählen, die sie wollen? Oder ist die Geschichte von der Macht der Verbraucher_innen und Wähler_innen ein übles Märchen, das erzählt wird, damit die eigentlich wichtigen Fragen nicht gestellt werden? Über die (Nicht-)Wirksamkeit des Wählens ist schon viel geschrieben worden – mensch kann aus den Argumente und eigenen Beobachtungen eine eigene Meinung bilden. Für die Frage, wie wirksam Konsumentscheidungen sind, seien einige Antworten (von sicherlich mehr möglichen) formuliert.

Interview mit Jörg Bergstedt
Jörg B. ist Aktivist, Autor zahlreicher Bücher und Filmdokumentation, darunter des Büchleins „Konsumkritik-Kritik“ (SeitenHieb-Verlag)
Alle Welt redet von nachhaltigem Konsum, dass alle mithelfen müssen, das Klima oder gleich die ganze Welt zu retten – und das mit verantwortungsvollem Einkaufen. Sie hingegen halten Vorträge, in denen Sie das einfach für Unsinn erklären. Stehen Sie da nicht auf der falschen Seite?
Nein, das glaube ich nicht. Ich finde meine Position sogar gut begründet. Die Wirkung der eigenen Konsumentscheidung wird nämlich völlig überschätzt, vor allem aber falsch bewertet, was eigentlich passiert, wenn Menschen ihr Geld in eine bestimmte Richtung lenken. Noch schlimmer aber ist, dass dieses ganze Konsumgeschwafel die Köpfe verwirrt. Wir sollen uns mit dem Kleinklein unseres Alltags beschäftigen – und dabei natürlich kräftig weiter konsumieren, jetzt mit eingebautem, guten Gewissen. Die großen Stellschrauben der Welt sollen wir aber den Kapitalbesitzer_innen und Inhaber_innen von Führungsämtern überlassen.

Sie haben vor Kurzem ein Buch geschrieben mit dem Titel „Konsumkritik-Kritik“. Was hat sich denn da geändert, dass Sie das heute so vehement angreifen?
Eigentlich stinkt mir dieser Werbegag zum weiteren Anheizen des Kaufens schon immer. Neu war ja nur, dass jetzt ein Aufpreis bezahlt werden musste, dessen Effekt das Geld aber wert war: Ein gutes Gefühl. Reicht manchmal tagelang. Dafür einen Euro oder was auch immer draufzulegen, ist doch ein korrektes Preis-Leistungs-Verhältnis. Die Hintergrundfakten, z.B. die Arbeitsbedingungen in der Bio-Branche, die Transportkilometer vieler Kolonialwaren oder den mitfinanzierten Fanatismus von Sekten aller Art haben da kaum jemand interessiert.

Sie meinen also, das ist vor allem Illusion. Was machen die Menschen mit Ihnen, wenn Sie ihnen das gute Gefühl nehmen? Sind die nicht total sauer?
Das ist nicht ganz einheitlich. In den Führungsetagen der Öko- und Bessere-Welt-Branchen bin ich sicherlich nicht übermäßig beliebt. Aber ich bin ja nicht der einzige, der die Kommerzialisierung vermeintlicher Weltverbesserung kritisiert. Ich verweise nur mal auf Kathrin Hartmanns viel gelesene Bücher dazu. Außerdem ist das keine Besonderheit der Firmen. Ich habe auch viele Umweltverbände dafür kritisiert, dass sie mit ihren – zum Teil ja erfundenen – Erfolgsstorys und Bedrohungsszenarios vor allem nach einem jagen: Geld. Wer hier genauer hinguckt, merkt genauso, dass Spenden an Umweltverbände oder andere Weltverbesserer vor allem Hauptamtlichenapparate und die Dominanz der Fundraisingabteilungen fördern. So ist es in der Wirtschaft auch: Wer in eine bestimmte Branche sein Geld gibt, beschleunigt die Kommerzialisierung dieses Sektors.

Das muss aber doch viele Menschen schockieren, wenn sie merken, dass ihr Geld futsch ist, aber doch nicht so viel bewirkt, wie sie erhofften.
Aber was hilft es? Selbstbelügung ist noch dümmer als sich belügen zu lassen. Ich fand das immer wichtig, Klartext zu reden. Ich bin kein politischer Aktivist, um Fans zu sammeln, sondern um zum Nachdenken und offensiven Handeln zu ermuntern. Vielleicht mal ein Beispiel – übrigens das, welches bei mir auslöste, aus dem unguten Gefühl und einer Kritik mal hier mal etwas Zusammenhängendes zu schreiben.
Es war im Mai 2014, einen Tag für der Europawahl. Weltweit fanden die Märsche gegen Monsanto statt, auch in vielen deutschen Städten. Nur gegen Monsanto, dem simplen Feindbild des bösen US-amerikanischen Weltkonzerns – das nervte schon länger. Dass es hierzulande vor allem deutsche Konzerne sind, die als Lobbyisten für Gift, Düngung und Gentechnik eintraten, wurde immer wieder übersehen. In München kannte ich die Macher_innen und so kam die Kritik. Für 2014 hatte ich als Redner auf der Demo zugesagt – und alles fand unter einem neuen Namen statt: Konsum(r)evolution. Na toll, dachte ich. Als ich dann auch noch Flugblätter sah, wo zur EU-Wahl gesagt wurde, mensch könne dort einmal mitbestimmt, aber beim täglichen Einkauf würde mensch täglich die Geschicke der Welt beeinflussen, wusste ich, was ich zu tun hatte. Selten habe ich so intensiv an einer Rede gebastelt. Ich bin dann auf die Bühne und es gab gleich viel Applaus. Als Autor von „Monsanto auf Deutsch“ und Feldbefreier mit der längsten Haftstrafe aller Aktivisten dort kannten mich wahrscheinlich einige. Dann rief ich: „Morgen ist Europawahl und ihr könnt mit eurer Stimme entscheiden wie es in Europa weitergeht.“ Applaus. „Jeden Tag aber könnt ihr mit eurem Einkauf entscheiden, wie die Welt tickt.“ Richtig viel Applaus. Pause. „Glaubt ihr den Scheiß wirklich?“ Entsetztes Schweigen. „Wenn wir mit unserer Wahl die Politik bestimmen, warum ist die dann so Scheiße?“ Weiter alles still. „Wenn wir mit unserem Einkauf die Welt lenken, warum verrecken überall die Menschen, wird die Umwelt zerstört? Sind wir zu blöd?“ Wieder eine Pause – in der Demo weiterhin alles still. „Oder kann es sein, dass die Theorie nicht stimmt und das ganze Gerede von der Konsument_innenmacht uns ruhigstellen soll, damit wir die Frage nach den wirklichen Stellschrauben der Macht vergessen?“ Jetzt gab es erste Reaktionen, einige klatschten. Ich habe dann erklärt, warum die Konsument_innenmacht nicht funktionieren kann – und dass es fatal ist, dass wir freiwillig die Frage nach den Produktionsverhältnissen aus der Hand geben, wenn wir Konsumpolitik zu unserem Schwerpunkt machen.

Und? Hat die Rede oder deine sonstige Kritik etwas bewirkt?
Das kann ich natürlich nicht messen. In der öffentlichen Meinung habe ich erwartungsgemäß wenig Chancen. Wie soll es schon anders sein, wenn von Bundesregierung über BASF und Daimler bis zu Umweltverbänden alle die gleiche Melodie spielen und die Menschen belügen. Bei den Konzernen verstehe ich das ja: Sie sind die Inhaber der Produktionsmittel. Für sie ist es eine schöne Vorstellung, dass die Menschen diese Basis kapitalistischer Hegemonie ignorieren und die alten Ideen von Marx hinter Bio-Joghurts und ethischen Geldanlagen versenkt werden. Aber Ökos, Friedensliebende, Eine-Welt-Kämpfer_innen? Was müssen die ausgebrannt und hoffnungslos sein, um solchem Unsinn zu folgen?

Ich habe gelesen, Sie gelten als Anarchist. Dann kennen Sie sicher auch den anarchistischen Satz „Wir wollen nicht ein Stück vom Kuchen, wir wollen die ganze Bäckerei“? Das wäre wohl eher weiter Ihr Ansatz.
Ja. Leider würde der Satz heute in modernisierter Fassung etwa so lauten: „Wir wollen ein bisschen mehr Nuss im Kuchen, die Bäckerei interessiert uns nicht“ oder „Hauptsache gesundes Mehl, die Produktionsbedingungen sind uns egal“. Das ist übrigens Zeitgeist: Viele selbstverwaltete Betriebe gehen zugrunde, weil niemensch mehr Mitinhaber_in, sondern lieber Lohnabhängige_r werden will. Es hab zwar schon vorher viele Fehlentwicklungen dort, z.B. die Orientierung auf den kapitalistischen Markt, aber der Verzicht auf die Machtfrage mitsamt einer Hingabe an die gesellschaftlich zugewiesenen Rollen ist überall prägend geworden. Keine Macht (also auch keine Produktionsmittel) für niemand – war gestern. Ja, ich will Rädchen im System sein! Das ist heute.

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Kommentare

Sonjo am 07.12.2019 - 10:53 Uhr
Beides ist richtig. Einerseits erkauft sich der Ökojünger ein gutes Gewissen und ist Rädchen im System, andererseits verstehe ich nicht, was an der Aussage falsch sein sollte: "Wenn alle Bioprodukte kaufen, gibt es eine Landwirtschaft, die umweltverträglicher ist als die konventionelle." In diesem Sinne entscheidet der Konsument dann doch über die Produktion mit.

P.S.: Auch ich bin der Meinung, daß die Wähler der Grünen am wenigsten ökologisch leben. Je mehr Geld man zur Verfügung hat, umso unökologischer ist der Lebensstil.


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